Читать книгу Das Gemälde von Pfalzel - Anna-Lena Hees - Страница 10
ОглавлениеKapitel 4
Schweißgebadet wachte Markus am nächsten Morgen auf. Er hatte wild geträumt. Bilder, die das in dem Gemälde verschlüsselte Verbrechen zeigten, waren durch seinen Kopf gegeistert. Ein junges Mädchen wurde mitten auf der Wallmauer erstochen. Der Täter hatte sich der Jungfrau von hinten genähert, sie in den Schwitzkasten genommen und dann brutal zugestochen. Markus war den Tränen nahe, als er aus dem Schlaf erwachte. Er spürte einen stechenden Schmerz in der Schläfe. Seine Augenlider waren schwer. Er hatte Mühe, sie überhaupt offen zu halten. Einige Minuten döste er vor sich hin, dann schlug er die Decke zurück, sprang aus dem Bett und eilte hinüber ins Badezimmer. Nun musste er dringend den nächtlichen Schweiß abduschen, den der Traum ihm beschert hatte. So ließ er wenig später das Wasser auf seine nackte Haut prasseln und schloss noch einmal die Augen. Die heiße Dusche tat ihm gut. Es fühlte sich an, als würde er in eine kuschelige Decke gehüllt werden. Über mehrere Minuten stand er da und lauschte dem Plätschern des Wassers. Dann wurde er von einem Klopfen aus den Gedanken gerissen.
»Markus, bist du da drin? Ich muss auch mal!«, rief sein Onkel, dessen Stimme für den Autisten in weiter Ferne lag. Vermutlich deswegen, weil er gedanklich immer noch ein wenig abwesend war. Er schüttelte sich und drehte den Wasserhahn zu. Er verließ die Dusche, trocknete er sich eilig ab und schlüpfte in die bereitgelegte Unterwäsche, dann öffnete er die Tür. Klaus stand im Flur und verschränkte die Arme. »Du hast aber lange geduscht«, stellte er fest.
»Findest du? Ach, ich ... mir ist in der Nacht warm geworden. Ich habe geschwitzt wie sonst was. Da wollte ich mich einfach ein bisschen frisch machen. Das ist in Ordnung, oder?« Hoch erhobenen Hauptes stolzierte Markus an seinem Onkel vorbei ins Gästezimmer. Schwungvoll warf er sich dann aufs Bett und dachte an den Traum. Ob es sich tatsächlich um jenes Verbrechen handelte? Markus grübelte eine Weile darüber. Nach ein paar Minuten stand er wieder auf und zog sich an. Mit den Händen in der Hosentasche machte er sich auf den Weg in die Küche. Klaus hatte den Tisch bereits gedeckt. Frische Brötchen und eine leckere Schinkenplatte warteten nun auf ihn. Markus lief das Wasser im Mund zusammen, als er die Vielfalt der Wurstsorten erblickte. Es gab auch Käse, Marmelade und verschiedene Joghurts. Markus griff beherzt zu einer Stulle und belegte sie mit reichlich Schinken. Dazu rührte er sich einen Tee an und ließ sich das Morgenmahl schmecken. Kurz darauf erschien sein Onkel und setzte sich zu ihm.
»Na, lange im Bad gewesen«, scherzte Markus.
»Ach, was, nicht so lange wie du. Ich war eben noch im Keller«, winkte Klaus ab. Danach setzte er ein herzliches Lächeln auf. »Weißt du was«, begann er, »wir fahren heute mal in die Stadt und kaufen ein paar Böller für Silvester. Was hältst du davon?«
»Keine schlechte Idee«, gab Markus kauend zurück. Nachdem er das erste Brötchen verschlungen hatte, griff er gleich nach dem nächsten; diesmal mit viel Marmelade.
Klaus beobachtete ihn eine Weile. Sein Neffe liebte es, zunächst herzhaft zu frühstücken und dann eine süße Speise zu sich zu nehmen. Das war schon seit Jahren so.
»Was guckst du mich so an?«, wollte Markus schließlich wissen.
»Nichts. Ich bewundere lediglich deinen Appetit. Man meint, du hättest seit Jahren nichts zu essen bekommen«, gab Klaus lächelnd zurück.
»Ach, so. Ja, es gibt Menschen, die im Gegensatz zu uns nichts haben und sogar auf offener Straße schlafen müssen. Wenn sie Glück haben, leben sie in notdürftigen Steinhütten. Frisches Wasser sowie Essbares sind allerdings Fehlanzeige. Außerdem ... man sollte gegen eine ordentliche Stärkung am Morgen nichts einzuwenden haben, finde ich. So lange man die Möglichkeit dazu hat ... und wer weiß, was heute sonst so ansteht, außer, dass wir in die Stadt fahren.« Markus nahm noch einen weiteren Bissen von seinem Marmeladenbrötchen und kaute ihn genüsslich. Ein reichhaltiges Frühstück war etwas Tolles. Das konnte ihm niemand ausreden.
Klaus nickte ein paar Mal, bevor er sich einen Kaffee brühte. Das war nun genau das richtige Getränk!
Während die Männer zu Ende aßen, schwiegen sie beharrlich. Keiner wagte, etwas zu sagen. Markus tauchte in seine Gedankenwelt ab. Wieder einmal ging es um jenes Gemälde und den damit verbundenen Traum, an dem er nach wie vor nagte.
In der Pfalzeler Straße waren Berta und Ben Hansen bereits früh erwacht. Beim Runtergehen nahmen sie beide wahr, dass etwas nicht stimmte. »Es muss jemand im Haus gewesen sein«, stellte Ben fest, als er im Wohnzimmer die durchwühlten Schränke und Schubladen bemerkte.
»Waaas? Du meinst, dass ein Einbrecher hier drin war? Himmelherrgott nochmal! Das gab es bei uns noch nie«, entfuhr es seiner ziemlich aufgebrachten Ehefrau.
»Es scheint so. Ich meine, auch etwas gehört zu haben, aber sicher war ich mir nicht. Als ich kurz runterging, um mich zu vergewissern, war niemand zu sehen.« Ben zuckte wehmütig mit den Schultern.
»Ja, warum sagst du mir denn nichts? Ist dir das Chaos denn nicht aufgefallen?«
»Nein, es war ja dunkel, und ich bin auch nur kurz die Treppe runtergegangen.«
»Du hast dich also nicht umgeschaut? Das kann doch nicht sein, Ben.«
»Ich kann es nicht ändern, Berta. Was gedenkst du, jetzt zu tun?«
»Was wohl? Wir müssen die Polizei benachrichtigen! Die müssen sich kümmern!« Berta schüttelte verständnislos mit dem Kopf. Ben wollte etwas erwidern, doch ehe er sich versah, hatte Berta bereits den Raum verlassen. Sie marschierte zum Haustelefon und wählte eilig die Rufnummer der Trierer Polizei. Aufgewühlt berichtete sie dann von der Vermutung, dass sich eine fremde Person nachts in ihrem Haus aufgehalt hatte, da sämtliche Schubladen und Schränke durchwühlt worden waren. Der Beamte am Telefon versicherte ihr, dass sich unverzüglich ein Streifenwagen auf den Weg machen würde. Sie sollte ruhig bleiben und sich nicht allzu sehr aufregen. Doch das war leichter gesagt als getan. Angesichts der Tatsache, dass sich jemand im Haus befunden hatte, begann sie auf einmal, sich in den eigenen vier Wänden unwohl zu fühlen. Immer wieder schaute sie sich ängstlich um, während sie den Worten des Polizeibeamten lauschte. Nachdem das Telefonat beendet war, und kurz bevor sie zu ihrem Mann zurückkehrte, bemerkte sie, dass der Zettel fehlte. Es standen die Namen der Geschwister Berg darauf. Er sollte Berta als Erinnerung dienen, die beiden zusammen mit ihrer Mitbewohnerin zum Silvesteressen einzuladen. Da sie mit ihren knapp 50 Jahren nicht mehr die Jüngste war, vergaß sie vieles, das eigentlich wichtig war und im Gedächtnis bleiben sollte. Nun musste sie sich hin und wieder Notizen machen, um wirklich nichts zu vergessen. Dass der Zettel jetzt aber fort war, ließ sie nicht daran zweifeln, dass der Einbrecher ihn mitgenommen hatte. Seufzend strich sie eine Strähne ihres prachtvollen, blonden Haars aus dem Gesicht und eilte zu ihrem Mann, der sich in der Küche einen Kaffee brühte. »Ich verstehe einfach nicht, dass du so ruhig bleiben kannst, Ben!«, rief sie, als sie ihn dabei erblickte. »Wir hatten einen Einbrecher im Haus, verstehst du! Und ... warum zieht es hier eigentlich so komisch?« Berta begann, leicht zu frösteln. Daraufhin machte sie auf dem Absatz kehrt und entdeckte den Grund für den eigenartigen Luftzug. Sie stieß einen spitzen Schrei aus, als sie die auf dem Boden liegenden Scherben sah. Ben kam sofort herbeigeeilt. Nun wurde ihm bewusst, wie ernst die Lage tatsächlich war. Er fasste sich ans Herz, dann nahm er seine aufgelöste Frau in den Arm. »Es war wirklich jemand hier!«, murmelte er dabei leise. Innerlich wurde er plötzlich sehr unruhig. Hatte der Dieb etwas mitgenommen? Bevor er anfangen konnte, nach Antworten zu suchen, klingelte es an der Haustür. Ben und Berta eilten dorthin und öffneten den Besuchern. Zwei Beamte der Schutzpolizei waren es, die vor der Tür standen und dem Ehepaar ihre Ausweise entgegenhielten.
»Sie haben uns gerufen?«, fragte Bruno Schmidt.
»Ja!« Berta nickte eilig. »Kommen Sie! Es sieht schlimm aus!« Schnellen Schrittes ging sie den Beamten voraus in die Waschküche. Dort zeigte sie ihnen den Scherbenhaufen.
Dietfried und Bruno schauten sich die Situation genau an und nickten kurz. Dann nahmen sie die Personalien der Betroffenen auf und untersuchten den Raum noch einmal gründlich. »Fassen Sie hier bitte nichts mehr an. Wir werden sowohl die Kollegen der Kriminalpolizei als auch die Spurensicherung hinzuziehen müssen«, erklärte Dietfried Schwartz schließlich und sagte etwas ins Funkgerät. Dann bat er Berta, den Raum zu verlassen. Die Frau wandte sich ihrem Mann zu, der ebenfalls dazugekommen war. »Wo sollen wir bloß hingehen, wenn die Spurensicherer hier ihrer Arbeit nachgehen? Wenn wir hierbleiben, stehen wir nur im Weg rum, und sie sichern womöglich Fremdspuren, die sie nicht aufspüren sollen. Ach, Ben, ich weiß gerade nicht, wohin mit mir.« Berta schluchzte auf und schmiegte sich in die Arme ihres Mannes.
»Können Sie zu Nachbarn gehen?«, wollte Dietfried wissen. Dabei warf er einen Blick in die angrenzenden Räume.
Bevor Berta und Ben in irgendeiner Art und Weise reagieren konnten, fuhr Bruno fort: »Fehlt etwas? Haben Sie das schon überprüft?«
Die Eheleute schüttelten lediglich mit den Köpfen.
»Ich vermisse bloß einen Zettel, den ich auf die Kommode neben das Telefon gelegt habe. Der Täter scheint ihn mitgenommen zu haben, warum auch immer ...« Berta zuckte ratlos mit den Schultern.
»Stand etwas Wichtiges darauf?«, wollte Bruno weiterhin wissen.
»Es ist eine Erinnerung gewesen. Ich wollte unsere Freunde zum Silvesteressen einladen. Sie wohnen in der Eltzstraße.«
»Hm, und vermissen Sie Wertgegenstände? Der Täter oder die Täterin scheint regelrecht gewütet zu haben. Was vermuten Sie, wonach er oder sie suchte?« Bruno durchbohrte das Ehepaar mit fragendem Blick. Ben schaute daraufhin zu Boden und ließ seine Augen an ihm entlangschweifen. Er wusste nicht, was er antworten sollte. Ebenso wenig leuchtete ihm ein, was den Eindringling bewogen hatte, in sein Haus einzubrechen. Wortlos zuckte er nach einer Weile mit den Schultern.
»Wirklich keine Idee?«, hakte Bruno nach.
»Nein, leider nicht. Wie gehen Sie denn jetzt vor?«
»Wir werden die Spurensicherung abwarten. Die Kriminalpolizei kümmert sich um die weiteren Ermittlungen. Aber zurück zu meiner ersten Frage: fehlt Ihnen sonst noch etwas außer dem Zettel?«
»Ähm ...« Ben blickte hinüber zu Berta, die zitternd neben ihm stand. Sie war immer noch viel zu aufgeregt und sah sich nicht in der Lage, klare Angaben zu machen. So musste Ben übernehmen: »Ich habe noch nicht nachgeschaut, sorry.« Er machte Anstalten, in Richtung Wohnzimmer zu gehen, doch Bruno hielt ihn zurück. »Warten Sie! Wenn Sie da jetzt reingehen, vernichten Sie wertvolle Spuren, die die Kollegen von der SpuSi jetzt noch aufdecken könnten.«
»Aber ... wie ... soll ich denn dann nachsehen, ob etwas fehlt?« Ben schaute dem Polizisten verwirrt in die Augen. Da rührte sich Berta auf einmal wieder. Sie sagte: »Die Wertsachen sind alle oben. Hier unten ist nichts. Soweit ich gesehen habe, sind die Elektrogeräte noch vorhanden. Ich vermute, der Täter hat außer dem Zettel nichts mitgenommen. Dennoch fühle ich mich in den eigenen vier Wänden nicht mehr wohl.« Kaum hatte sie zu Ende gesprochen, hielt ein Auto in der Nähe des Hauses, und kurz darauf erschienen Manuel Frey und Elias Schneider von der Spurensicherung. »Sind wir hier richtig?«, wollte Manuel wissen und stellte seinen Arbeitskoffer für einen kurzen Moment im Hausflur ab. Dann erblickte er im Waschraum den Scherbenhaufen. Sofort nahm er seinen Koffer wieder zur Hand und ging, von seinem Kollegen gefolgt, dorthin. Beide Männer machten sich an die Arbeit.
Währenddessen unterhielten sich Berta und Ben noch eine Weile mit den Polizisten, die das Paar über die weiteren Maßnahmen in Kenntnis zu setzen versuchten. Jetzt wollten Berta und Ben alles ganz genau wissen. Wann durften sie ihr Haus wieder betreten? Was geschah als nächstes, sobald die Spurensicherung fertig war und die Ermittlungen eingeleitet wurden? Fragen über Fragen an die Beamten, doch alle konnten nicht beantwortet werden.