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Der Schneesturm

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oder: Im Wein liegt die Wahrheit

„Noch mal?" fragte Juliane.

Marietta nickte atemlos. „Als wären wir wieder Anfang zwanzig!"

Sie reihten sich erneut in der Skiliftschlange ein und nur wenige Minuten später waren sie wieder auf dem Weg nach oben. Doch zogen am Himmel Wolken auf.

„Das war schon fast so waghalsig wie früher, weißt du noch?" schwärmte Juliane.

„Als wenn ich das vergessen könnte! Aber was meinst du, was unsere Männer jetzt machen?"

„Die werden die Zeit schon nutzen," meinte Marietta lachend. Hier sind genug Frauen solo unterwegs und dein Rolf ist nun wirklich nicht unansehnlich."

„Dein Klaus kann aber auch sehr charmant sein," erwiderte Juliane mit einem etwas spitzbübischen Gesicht.

Marietta schaute sie an. Hörte sie da einen seltsamen Unterton?

„Pass auf, wir müssen runter vom Lift!" Juliane zog sie am Arm.

Oben hatte sich die Sonne bereits verzogen und es wurde windiger.

„Marietta, lass uns diesmal lieber die andere Strecke nehmen. Du weißt, wie schnell hier in den Bergen ein Schneesturm aufziehen kann."

„Einverstanden, Juliane. Außerdem haben wir auf halber Höhe eine Hütte mit Jausenstation. Erinnerst du dich noch an den Blondschopf, der dir unbedingt immer nachfahren wollte?"

„Ja, wir hatten dort eine Rast eingelegt in der Hoffnung, er würde vorbei fahren, aber er kehrte prompt auch dort ein. Aber lass uns erst einmal losfahren, mir wird das Wetter zu ungemütlich."

Schon drehte sich Marietta zum Hang und stieß sich mit ihren Stöcken ab. Juliane jagte ihr hinterher und hatte sie schnell eingeholt. Beide fielen in ein langsameres Tempo und Juliane ergänzte:

„Ich hab wild mit ihm geflirtet, er ist knallrot geworden und schon nach kurzer Zeit sehr einsilbig verschwunden."

„Man soll eben nicht mit dem Feuer spielen, wenn man zu klein dafür ist."

Beide lachten hell auf.

Während der Himmel immer dunkler wurde, kam ein altes Holzhaus in Sicht..

„Schau mal, da vorne, Marietta, ist das unsere Hütte?“

„Das muss sie sein. Sieht allerdings ziemlich ungepflegt aus."

„Sie wirkt fast ein bisschen geheimnisvoll."

„Lass uns trotzdem einkehren. Es kommen schon die ersten Flocken herunter und ich habe keine Lust, mit null Sicht weiter zu fahren."

„Du hast Recht, Marietta, mir ist das auch zu gefährlich."

Sie bremsten vor der Hütte, schnallten ihre Skier ab, lehnten Skier und Stöcke an die Wand des dafür geschaffenen Verschlages und traten in die Gaststube ein. Hier war es angenehm warm, aber menschenleer bis auf die Wirtin, eine gemütlich wirkende ältere Frau mit frisch gestärkter weißer Schürze.

„Hat der Schnee Sie überrascht? Bleiben's einfach hier, ich bring ernan eine Brotzeit. Darfs auch ein Glaserl Wein sein?"

„Brotzeit hört sich gut an und bringen Sie uns am besten gleich eine Karaffe Roten und zwei Gläser!" gab Juliane gut gelaunt zurück. Sie wusste ja nicht, was der Wein bei ihr auslösen würde.

Sie setzten sich an einen Tisch am Fenster und schauten ein wenig den immer wilder tanzenden Flocken zu, während die Wirtin den Wein brachte.

Nicht lange danach standen zwei große Teller mit Brot und Aufschnitt verschiedenster Art und ein Krug mit im Licht der Deckenlampe fast brennend wirkendem roten Wein vor ihnen. Der köstliche Duft der Speisen weckte ihren Appetit, so biss jede erst einmal herzhaft in ein Wurstbrot.

„Ein Prost auf unsere erste gemeinsame Ski-Freizeit in der Schule, Marietta, wo wir diese Gegend kennen gelernt haben."

„Mit Frau Klein, unserer Sport-Lehrerin! - Prost! - Wir sind ihr ganz schön auf dem Kopf herumgetanzt! Du vor allem, als du angefangen hast mit den Jungen der anderen Schule zu flirten. Wir waren doch höchstens dreizehn."

„Stimmt. Es hat mir einen riesigen Spaß gemacht, die Jungs zu provozieren."

„Warum eigentlich?"

„Ich kam, wie du weißt, aus einer erzkonservativen Familie. Aber weit weg von zu Hause konnte ich das doch mal ausprobieren. Und habe nie mehr damit aufgehört, bis ich Rolf kennen gelernt habe."

„Und dann war Schluss?"

„Ja. Treue bedeutet mir trotz allem sehr viel. Ich bin eben immer noch konservativ. Sie trank noch einen Schluck aus ihrem Glas.

„Ihr wart euch in den sieben Jahren immer treu?"

„Auf Rolf ist da Verlass."

„Und du?"

„Ich?" Sie zögerte, schaute Marietta an. „Fast," sagte sie dann leise, schaute in ihr Weinglas, nippte daran und stellte es langsam wieder weg.

„Nur fast?" fragte Marietta beunruhigt. „Weiß Rolf davon?"

Juliane zögerte. „Nein," sagte sie leise, versuchte dann, wieder genauso unbekümmert zu klingen wie sonst. „Nein, wo denkst du hin. Das weiß nur ich."

„Und der andere," ergänzte Marietta mit einem Anflug vom Lächeln.

„Ja, der auch," lächelte Juliane zurück. Aber ihr Lächeln geriet irgendwie schief.

„Wie ist es denn dazu gekommen?"

„Du, ich möchte nicht darüber reden."

„Du hast dich aber verändert. Früher hast du mir schon am nächsten Tag alle Flirts brühwarm und oft mit einem Schmunzeln erzählt."

„Ja, früher. Aber das war auch etwas anderes. Du weißt, das war alles nur Spaß. Ich habe mit denen doch nie - geschlafen." Das letzte Wort sprach sie ganz leise aus, so, als wenn es niemand hören sollte.

Marietta war erstaunt. „Du hast wirklich vor Rolf nie...?"

Juliane schüttelt den Kopf.

Marietta schaute nach draußen, wo das Schneetreiben zugenommen hatte. Die Flocken wirbelten in alle Richtungen, wie ihre Gedanken.

„Ich glaube jetzt verstehe ich, warum du nicht darüber sprechen willst," sagte Marietta leise.

Juliane schaute in das Schneetreiben, sagte dann:

„Nein, das kannst du nicht verstehen, es ist anders als du denkst." Dann hielt sich plötzlich die Hand vor den Mund und verstummte.

Marietta schaute sie an. Sie meinte, eine kleine Träne über Julianes Wange fließen zu sehen.

„Was hast du denn, Juliane? Wenn dich das so belastet, dann sprich dich aus. Ich bin, wie du weißt ein guter Zuhörer." Es beschlich sie jedoch ein ungutes Gefühl.

„Ich kann nicht." Juliane schneuzte sich in ein Taschentuch, vermied es, Marietta anzuschauen.

Marietta stand auf, ging um den Tisch und hockt sich vor Juliane. „Juliane, wir sind doch Freundinnen."

Juliane schaute weiter ins Schneegestöber. Inzwischen war es so dunkel geworden, dass man draußen kaum die Hand vor Augen sehen konnte.

„Nein, Marietta, gerade dir kann ich es nicht erzählen."

Marietta musste unwillkürlich an Klaus denken. Nein, das konnte nicht sein. Oder doch? Sie schaut Juliane an.

„Ich muss es wissen!" sagte sie, eigentlich mehr zu sich selbst.

Juliane schaut ihr ungläubig ins Gesicht.

Marietta wiederholt den Satz noch einmal, jetzt aber laut: „Juliane, ich muss es wissen!"

„Gut," sagte Juliane leise. Der Brotzeitteller stand halb voll vor ihr, doch der Appetit war ihr vergangen.

„Du weißt so vieles nicht, Marietta," seufzte sie. „Es fing an auf der Sommerparty, als Klaus und du, als ihr euch näher gekommen seid. Anstatt auf mich fliegen wie alle anderen Jungs auch, guckte er sich gerade dich aus! Das hatte mich seit damals gewurmt." Sie machte eine Pause, griff zu ihrem Rotweinglas und trank einen großen Schluck.

„Mein Gott," warf Marietta ein.

„Juliane strich ihre blonden Locken zurück.

„Du willst es ja hören: Vor ein paar Jahren habe ich Klaus zufällig abends in einem Hotel in München getroffen. Erst haben wir einfach nur geplaudert, doch dann fing ich an, ihn zu umgarnen. Ich wollte es einfach wissen. Tja, er ist eben auch nur ein Mann. Als seine Tagung nach drei Tagen zu Ende war, war es vorbei."

Es war so still in dem nur schwach beleuchteten Gastraum, dass man eine Stecknadel hören könnte. Marietta war wie betäubt. Sie hatte soeben, wie es ihr schien, ihren Mann, ihre beste Freundin, eigentlich ihr gesamtes bisheriges Leben verloren. Was machte sie eigentlich in dieser unwirtlichen Stube?

Wie in Trance stand sie auf, wollte in den Schnee, einfach weg, weg aus ihrem Leben, öffnete die Tür, trat hinaus.

Doch der Sturm drückte sie zusammen mit einer riesigen Menge Schnee in den Raum zurück, schob sie bis zu Juliane, die bereits kreidebleich aufgesprungen war, ihr hinterherlaufen wollte und jetzt in die Knie ging und versuchte, sie aus dem Schnee zu ziehen.

„Marietta! Was tust du nur? Es ist doch vorbei! Ich weiß, dass es unrecht war, ich habe es wirklich schon viele Male bereut."

Marietta konnte nicht reden. Sie war am Ende all ihrer Kräfte, die Kehle war ihr zugeschnürt und sie zitterte am ganzen Körper.

Juliane wollte sie in den Arm nehmen, doch Marietta entzog sich ihr.

„Marietta, du frierst; wenn du nicht krank werden willst, musst du wieder warm werden, und zwar schnell! Lass mich dir helfen!“

Marietta zögerte noch, doch dann siegte die Vernunft und sie ließ sich von Juliane in den Arm nehmen.

„Wirst du mir irgendwann verzeihen können?"

Marietta schaute noch immer zu Boden. Dann nickte sie fast unmerklich, blickte auf und meinte: „Ja, aber nicht irgendwann, sondern jetzt und hier, sonst ist alles verloren.“

Eine Last schien von ihr abzufallen, als sie gleich darauf Juliane umarmte und lächelnd meinte: „Es ist lange her und sowas sollte uns nichts mehr anhaben können.“

Wortlos umarmten sie sich lange Minuten in dem einsamen Gastraum. Als sie sich endlich losließen, hatte auch der Schneesturm nachgelassen.

„Komm, lass uns zurückkehren in die Gegenwart," sagte Marietta.

Während sie schweigend auf den Skiern unterwegs waren, kam tatsächlich die Sonne wieder zum Vorschein, strahlte ihnen ins Gesicht und im Gegenlicht liefen ihnen Klaus und Rolf an der Talstation entgegen, deren sorgenvolle Gesichter sich bei ihrem Anblick sogleich aufhellten.

Es war alles gut.

Laurins Berg

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