Читать книгу Mami Staffel 14 – Familienroman - Anna Sonngarten - Страница 9

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Die siebenundzwanzigjährige Kindergärtnerin Daniela Bader schaute lächelnd der Rasselbande nach, die hinaus ins Freie stürmte, wo jedes Kind von einem Familienangehörigen in Empfang genommen wurde. Durch die offenen Türen drangen die fröhlichen Stimmen der Kleinen, die aufgeregt berichteten, was sie am Tag gespielt und gelernt hatten.

Stillvergnügt lauschte Daniela, wobei sie allerdings eine feine Wehmut beschlich. Sie würde das alles sehr vermissen, wenn sie ihren Beruf endgültig an den Nagel hängte. Der Tag rückte immer näher, denn sie hatte bereits gekündigt, weil sie demnächst heiraten wollte.

Ihre Augen leuchteten unwillkürlich auf bei dem Gedanken an ihren Liebsten. Mit ihm würde sie dieses Wochenende verbringen, um die Weichen für ihr künftiges, gemeinsames Leben zu stellen. Sie mußte an diesem Freitagnachmittag nur noch ihre kleine Wohnung auf Hochglanz bringen und einige dringende Einkäufe erledigen.

Rasch griff sie nach ihrer Umhängetasche und verließ beschwingten Schrittes den Raum. Es herrschte Stille draußen, denn die Kinder waren bereits mit ihren Begleitern verschwunden.

Sie selbst wollte gerade auf ihr parkendes Auto zueilen, als ein seltsamer Laut an ihr Ohr schlug. Aufhorchend blickte sie sich um. Dabei entdeckte sie den vierjährigen Torben Zauner, der wie ein Häuflein Elend dastand. Er schluckte schwer, wobei ihm dicke Tränen über die Wangen kullerten.

Rasch ging Daniela vor ihm in die Hocke und schaute ihn betroffen an. »Ja, Torben, was hast du denn? Bist du hingefallen?«

»Nein. Die Omi… die Omi ist nicht da«, kam es stoßweise über seine Lippen. »Sie hat mich vergessen… und sie…«

»Nun jammere nicht«, beruhigte Daniela ihn liebevoll. Sie stellte sich vor ihn hin und strich ihm tröstend über den Kopf. »Die Omi läßt dich ganz gewiß nicht im Stich. Bestimmt taucht sie jeden Moment hier auf. Sicherlich ist sie durch irgend etwas aufgehalten worden. Bis sie kommt, bleibe ich auf jeden Fall bei dir.«

In diesem Augenblick trat Birgit Bramsche heraus. »Da sind Sie ja gottlob noch, Daniela. Ich wollte Ihnen doch ein schönes Wochenende wünschen.« Sie stutzte. »Nanu, Torben, was ist denn mit dir passiert?«

Daniela klärte die Leiterin kurz auf. »Wir warten gemeinsam auf die Oma.«

»Da hätte ich einen besseren Vorschlag. Sie fahren das Kind heim. Ich suche nur mal eben die Adresse heraus.«

Bevor Daniela etwas sagen konnte, war sie bereits im Haus verschwunden. Schon nach wenigen Minuten kehrte sie zurück und reichte der Jüngeren ein Papier. »Dort können Sie Torben abliefern. Falls seine Oma in der Zwischenzeit hier auftaucht, werde ich sie entsprechend informieren. Ich bleibe ohnehin noch für eine Weile. Zum einen, um zu sehen, ob alles in Ordnung ist, und zum anderen möchte ich noch den Plan für den nächsten Vormittag gründlich durchgehen.«

Daniela schaute kurz auf den Zettel. »Die Gegend kenne ich. Komm, Torben.« Sie umspannte die kleine Hand. Und nachdem sie sich von der Leiterin verabschiedet hatten, gingen sie dann zu ihrem Wagen.

Das Problem war nur, daß sie über keinen Kindersitz verfügte. Die kurze Strecke würde sie hoffentlich kein Polizist kontrollieren. Jedenfalls bat sie den Kleinen vorbeugend: »Setz dich auf den Rücksitz und verhalte dich ganz ruhig. Ich werde behutsam fahren.«

Dennoch war ihr mulmig zumute. Sie atmete indessen erleichtert auf, als sie vor Torbens Elternhaus anlangten.

Kaum stand der Kleine draußen, als er jubelnd auf die junge Frau zulief, die gerade das Haus in furchtbarer Eile verließ. Nun stutzte sie. Ein befreiter Atemzug entrang sich ihrer Brust. »Da bist du ja schon, mein Schatz. Ich wollte dich gerade abholen.«

Sie entdeckte Daniela hinter dem Buben. Lächelnd trat sie auf sie zu, nachdem sie sich kurz zu Torben niedergebeugt und ihm einen Begrüßungskuß gegeben hatte. »Ich danke Ihnen, daß Sie den Kleinen hergefahren haben.«

Sie drückte ihr herzlich die Hand. Im Nu umschattete sich ihr Gesicht. Sie seufzte tief auf. »Leider ist meine Mutter am Vormittag unglücklich auf der Treppe ausgerutscht, nachdem sie einen Schwächeanfall gehabt hat. Eine Nachbarin wurde zum Glück darauf aufmerksam und hat sofort einen Krankenwagen gerufen, um mich danach im Büro zu verständigen. Natürlich bin ich sofort ins Krankenhaus gefahren. Leider konnte ich noch nichts Konkretes in Erfahrung bringen. Meine Mutter wird noch gründlich untersucht, was sie eventuell gebrochen hat und was die Ursache für ihren Schwächeanfall gewesen ist.«

Sie blickte ziemlich betreten drein. »Zu der großen Sorge um meine Mutter gesellt sich nun auch meine verzwickte Lage als Sekretärin. Ausgerechnet heute muß ich für meinen Chef wichtige Unterlagen zum Mitnehmen zusammenstellen. Er will am Montag eine mehrtägige Geschäftsreise antreten. Morgen und übermorgen ist er zu einer Familienfeier eingeladen und daher bereits unterwegs. Bis zum Abend müßte ich es schaffen, weiß aber nicht wie. Auf keinen Fall kann ich Torben mitnehmen ins Büro. Er würde mich nur in meiner Arbeit behindern.«

Daniela brauchte sich keine Sekunde zu besinnen. Spontan schlug sie vor: »Dann kümmere ich mich halt um den Kleinen.«

Ein kurzes Lächeln huschte über Lea Zauners Gesicht. Dennoch schüttelte sie den Kopf. »Unmöglich. Das kann ich nicht von Ihnen verlangen.«

»Mir macht es wirklich nichts aus, Torben für den Rest des Tages unter meine Fittiche zu nehmen. Wir werden einfach in den Zoo fahren. Dort…«

Sie wurde unterbrochen durch den Kleinen, der begeistert in die Hände klatschte. Dann jubelte er: »Wie schön, Tante Dany. Darf ich dann die Tiere auch füttern? Ich mag sie alle, besonders die Affen.«

»Er ist ausgesprochen tierlieb«, ergänzte seine Mutter. Dennoch zögerte sie merklich, dem Vorschlag zuzustimmen. »Vielleicht werde ich länger im Büro aufgehalten. So schnell schaffe ich es womöglich gar nicht…«

»Das spielt keine Rolle«, fiel ihr Daniela ins Wort. Sie griff in ihre Handtasche und holte eine Visitenkarte heraus. »Sie können mich ja anrufen, wenn ich den Kleinen zurückbringen soll, sofern Sie ihn nicht selbst abholen wollen. Im übrigen hat für mich bereits das freie Wochenende begonnen. Somit verfüge ich über reichlich Zeit.«

Lea Zauner drückte ihre Hand. »Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll. Sie kommen mir vor wie ein Engel, der vom Himmel gefallen ist, um mir in meinen Nöten beizustehen. Darum…«

»Lassen Sie es gut sein«, unterbrach Daniela sie resolut. »Überlegen Sie lieber, welches Spielzeug ich für den Buben mitnehmen soll. Ein Schlafanzug wäre auch angebracht, falls es sehr spät wird, bis Sie das Büro verlassen können. Er kann dann in dem kleinen Zimmer schlafen, das stets meine Besucher benutzen, falls sie mal über Nacht bleiben. Sie können ganz unbesorgt sein, denn ich werde Torben wie meinen Augapfel hüten.«

»Davon bin ich restlos überzeugt«, versicherte ihr Lea. »Kommen Sie bitte mit.« Sie folgte Torben, der bereits übermütig die Treppe hinaufrannte.

In aller Eile packte sie einige Sachen in eine große Tasche und händigte sie Daniela aus. Dann kramte sie in ihrem Portemonnaie und holte einen Schein heraus. »Ich schlage vor, Sie gehen mit meinem Sohn in das kleine, gemütliche Lokal gleich um die Ecke. Dort kann man nicht nur vorzüglich, sondern auch sehr preiswert essen.«

Daniela wehrte ab. »Ich habe stets genügend Vorräte in meiner Küche und kann schnell ein schmackhaftes Gericht zubereiten.« Sie wandte sich an den Kleinen. »Sag deiner Mutti auf Wiedersehen, damit wir losfahren können.«

Lea brachte sie noch zum Auto. Sie bedankte sich erneut und versprach, sich baldmöglichst zu revanchieren. Doch davon wollte Daniela absolut nichts wissen.

*

Daniela dachte längst nicht mehr an Lutz, mit dem sie diesen Nachmittag bereits verplant hatte.

Sie wurde erst wieder an ihn erinnert, als er plötzlich vor ihr stand und mit gefurchter Stirn auf den Buben blickte, der ihr beim Abwasch half und die Löffel abtrocknete.

»Was tust du denn hier?« fragte er mit barscher Stimme. »Lauf mal sofort zu deiner Mutter.«

Vor Schreck fiel Torben der Teelöffel aus der Hand. Er drückte sich verängstigt an Daniela.

Sie sah mit gemischten Gefühlen auf Lutz, den sie zuvor noch nie in dieser Gemütsverfassung gesehen hatte.

Als er jetzt jedoch ungeduldig mit der Hand wedelte und den Buben erneut ungehalten aufforderte, unverzüglich zu verschwinden, stellte sie mit ruhiger Stimme klar: »Torben wohnt nicht hier im Haus. Er wurde mir von seiner Mutter für den heutigen Tag anvertraut, weil…«

»Das alles interessiert mich nicht«, unterbrach er sie abrupt. Seine Augen blitzten sie an, während er sie mit beißender Stimme daran erinnerte, daß sie heute mit ihm verabredet war. »Ich bin gekommen, um dich zu einem zweitägigen Ausflug abzuholen.«

»Darüber unterhalten wir uns gleich. Gedulde dich nur einen Moment.« Sie ergriff Torben bei der Hand und führte ihn in den kleinen Raum, in dem seine Spielsachen lagen. Liebevoll beugte sie sich zu ihm nieder und strich ihm über den Haarschopf. »Spiele ein Weilchen. Ich muß erst Herrn Jonas, so heißt der fremde Gast, aufklären, warum du hier bist und ich nicht mit ihm fortfahren kann. Vielleicht kann ich ihn ja überreden, uns in den Zoo zu begleiten.«

»O weh, das wird er nicht wollen«, äußerte sich der Kleine mit einem langen Seufzer. »Er mag mich nicht leiden. Ich habe Angst, Tante Dany. Wird er dir auch nichts tun? Er sah so böse aus.«

»Das ist nur äußerlich«, besänftigte sie ihn. »Im Grunde genommen ist Lutz ein lieber Mensch. Sobald er alles von mir erfahren hat, wird er dich auch herzlich behandeln.«

Darin sollte sie sich allerdings gründlich täuschen. Kaum kehrte sie nämlich ins Wohnzimmer zurück, als Lutz ihr bittere Vorwürfe machte. »Ich habe mich so sehr auf ein verlängertes Wochenende mit dir gefreut. Mein Vater hat mir den Auftrag gegeben, eine neue Route für unser Busunternehmen unter die Lupe zu nehmen. Wir müssen schließlich unseren Kunden weitere Ausflugsfahrten und erweiterte Urlaubsreisen anbieten, wenn wir konkurrenzfähig bleiben wollen.«

Er sah sie mit undurchdringlicher Miene an. »Du hast mir doch versprochen, mir künftig als Mitarbeiterin zur Seite zu stehen und dich baldmöglichst einzuarbeiten in unseren Betrieb. Willst du das nicht mehr?«

»O doch«, versicherte sie und schenkte ihm ein liebes Lächeln. »Es wird nicht mehr lange dauern, bis ich dich uneingeschränkt unterstützen kann. Ein bißchen Geduld wirst du noch haben müssen.« Sie wurde ernst, als sie ihn um Verständnis für ihre augenblickliche Lage bat. Eindringlich setzte sie ihm auseinander, warum sie sich um Torben kümmern mußte.

Er ließ sich jedoch nicht erweichen und pochte in scharfen Worten auf sein alleiniges Anrecht auf ihre Gesellschaft. Daß sie in diesem Fall aus berechtigten Gründen zum Nachgeben nicht bereit war, machte ihn furchtbar wütend.

Er beschimpfte sie nicht nur, sondern ließ sie nicht länger im unklaren, wie lästig ihm Kinder waren. »Ich will nicht mal eigene haben, weil sie unser Zusammenleben nur stören würden. Du sollst mir ganz allein gehören. Hast du mich verstanden?«

Sie starrte ihn aus weitaufgerissenen Augen wie einen bösen Geist an. »Das darf doch wohl nicht dein Ernst sein«, hielt sie dem mit mühsam erkämpfter Ruhe entgegen. »Du bist heute vollkommen unleidlich, wie ich dich ansonsten gar nicht kenne. Ich schreibe es daher deiner Enttäuschung zu, solch unerhörte Ansprüche zu stellen. Ein Kind ist doch für ein liebendes Paar die Krönung des Glückes. Und wenn erst das Baby in der Wiege liegt, wirst du…«

»Niemals«, schnitt er ihr das Wort ab. Er trat dicht vor sie hin und fixierte sie scharf. »Kommst du nun auf der Stelle mit mir?«

»Nein«, kam ihre Antwort wie aus der Pistole geschossen. »Ich trage die Verantwortung für den mir anvertrauten Jungen und würde meines Lebens wirklich nie mehr froh werden, ließe ich ihn im Stich.«

Lutz warf ihr noch einige böse Worte mit sich fast überschlagender Stimme an den Kopf. Er sah indessen die Nutzlosigkeit ein, sie zu seinen Gunsten umzustimmen. Da ging er zur Tür und öffnete sie. Bevor er jedoch verschwand, musterte er sie mit einem vernichtenden Blick. »Hoffentlich bereust du nicht, dich mir heute widersetzt zu haben.«

Mit lautem Knall flog die Tür hinter ihm ins Schloß.

Wie erstarrt stand Daniela auf der Stelle. War das eben ein böser Alptraum oder die Wirklichkeit?

Sie wußte nicht, wie lange sie so regungslos verharrt hatte. Plötzlich zuckte sie zusammen, als die Klinke vorsichtig heruntergedrückt wurde. In dem schmalen Spalt erschien ein verängstigtes Bubengesicht. Verstört schweiften die Blicke des Kleinen umher.

»Ist der böse Mann fort? Hat er dich gehauen, Tante Dany?«

Das klang so drollig besorgt, daß es Daniela ans Herz griff. Sie strich sich mit einer fahrigen Handbewegung über die Stirn, als müsse sie einen bösen Traum verbannen. Schon stand sie vor dem Buben, beugte sich tief herab und lächelte ihn an.

»Mir ist nichts geschehen«, versicherte sie ihm. »Herr Jonas ist fort und kommt auch so schnell nicht wieder. Wir wollen nicht mehr daran denken. Statt dessen werden wir unsere unterbrochene Arbeit beenden und zusehen, daß wir bald zum Zoo aufbrechen können.«

Sie zwang sich, die häßliche Szene aus ihrem Gedächtnis zu streichen. Das ging freilich nur, indem sie sich einredete, daß Lutz in seinem Zorn nicht bedacht hatte, welch bitterböse Worte ihm herausgerutscht waren. Gewiß würde er sie morgen reumütig um Verzeihung bitten, sobald er sich der unwürdigen Szene bewußt geworden war.

Mehr noch als diese Überlegungen half ihr Torben, ihre Gedanken in eine andere, erfreulichere Richtung zu lenken.

Er zappelte vor Ungeduld, in den Zoo zu kommen. Und als sie ihr Ziel endlich erreichten, war er reinweg aus dem Häuschen.

Er hüpfte ausgelassen neben ihr her, während sie ein Gehege nach dem anderen in Augenschein nahmen. Daniela kam indessen aus dem Staunen nicht heraus, wieviel Torben über die einzelnen Tiere wußte.

»Du kennst dich ja fast besser aus als ich«, äußerte sie sich erstaunt. »Das hat dir deine Mutti wohl alles beigebracht, nicht wahr?«

»Nein, das war die Omi. Sie ist sehr klug und hat zu Hause auch Bilderbücher über die Tiere. Die haben wir uns beguckt. Sie hat mir viel erzählt und mich gefragt, ob ich alles noch weiß, wenn wir hier waren. Ich habe wirklich nichts vergessen«, verkündete er triumphierend.

Gerührt schaute Daniela in das vor Begeisterung gerötete Gesicht. Die Kinderaugen strahlten sie an. Da fuhr sie ihm mit zärtlicher Geste über den Blondschopf. »Welch gescheiter Bub du doch bist. Da brauche ich dir ja gar nichts mehr zu erklären.«

Dennoch machte sie lustige Bemerkungen über die Tiere, so daß er immer wieder hell auflachte. Aber er stellte ihr noch unzählige Fragen, die sie alle bereitwillig beantwortete.

Die Zeit verstrich viel zu schnell. Und als Daniela endlich auf die Uhr schaute, erschrak sie. »Es wird höchste Zeit, daß wir heimkehren. Vielleicht hat deine Mutti bereits angerufen, um dich heimzuholen.«

»Gehst du wieder mal mit mir in den Zoo, Tante Dany?« verlangte der Kleine zu wissen.

»Aber ganz gewiß«, versprach sie ihm.

Als sie wenig später an dem kleinen Lokal vorbeifuhren, in dem sie bisweilen einkehrte, fuhr sie den Wagen kurz entschlossen auf den Parkplatz. Hier konnte man nicht nur ausgezeichnet und preiswert essen, sondern die Gasträume waren auch urgemütlich.

So wurde sie auch persönlich von der Gastwirtin begrüßt, die den Kleinen freundlich anlächelte. »Na, du führst wohl heute deine Tante einmal aus, nicht wahr?«

Torben wußte nicht, was gemeint war. Rasch erklärte Daniela es ihm. Da strahlte er die fremde Frau an. »Ja, natürlich.«

Die beiden Damen lachten. Im Nu wurde Daniela wieder ernst, als sie die nette Wirtin kurz über das Kind aufklärte. »Können Sie mir etwas Leichtes für Torben empfehlen?«

»Selbstverständlich.« Die Wirtin holte sofort die Speisekarte und beriet Daniela, die dann die Auswahl traf.

Sie schielte später immer wieder schmunzelnd zur Seite, als sie entdeckte, wie gut es doch dem Kleinen schmeckte. Er bekam sogar noch ein leckeres Eis, das er sich selbst aussuchen durfte, zum Nachtisch.

Als sie schließlich in ihrer Wohnung anlangten, gähnte Torben herzhaft. Ihm fielen fast die Augen zu.

Daniela machte ihn rasch für die Nacht zurecht und brachte ihn zu Bett. Er schlief sofort ein.

Versonnen betrachtete sie das süße Gesichtchen. Dabei stieg der sehnsüchtige Wunsch aus der Tiefe ihres Herzens auf, daß auch sie einmal ein solch herziges Kind ihr eigen nennen durfte.

*

In ihre Gedanken hinein klingelte das Telefon. Sie eilte in froher Erwartung an den Apparat. Als sie jedoch den Hörer abnahm, drang nicht Lutz’ Stimme an ihr Ohr.

Die Anruferin war vielmehr Lea Zauner, die sich zunächst erkundigte, ob sich ihr Sohn auch anständig aufgeführt habe.

»Es war ein wunderschöner Nachmittag«, versicherte ihr Daniela, die ihre anfängliche Enttäuschung rasch überwunden hatte. »Torben ist nicht nur ausgesprochen artig, sondern auch ein bemerkenswert aufgeweckter Junge, von dem selbst ich noch einiges lernen konnte. Schade, daß er Ihnen nicht selbst sagen kann, wie es ihm heute gefallen hat. Er war jedoch so müde von all dem Erlebten, daß ich ihn bereits zu Bett gebracht habe. Nun schläft er schon.«

»Gott sei Dank«, entfuhr es Frau Zauner. Sie seufzte kurz auf. »Ich hocke nämlich noch hier im Büro und werde wohl auch erst in zwei Stunden heimkehren können.«

»Dann sollten wir schnell den Hörer auflegen. Ihr Sohn kann morgen noch so lange bei mir bleiben wie Sie wollen. Ich nehme ihn morgen früh mit zum Einkaufen. Nachmittags können wir einen kleinen Ausflug in die nähere Umgebung unternehmen.«

»Sie sind sehr großzügig. Ich werde mir Ihren Vorschlag noch überlegen. Auf alle Fälle melde ich mich morgen um die Mittagszeit bei Ihnen. Einstweilen herzlichen Dank für Ihre Hilfe. Gute Nacht.«

Sie hatte aufgelegt, bevor Daniela noch etwas dazu sagen konnte.

Während sie dann aufräumte, beschäftigten sich ihre Gedanken unentwegt mit den Zauners. Im nachhinein wurde ihr bewußt, daß weder Torben jemals von seinem Vater gesprochen noch Lea ihn erwähnt hatte. Demnach mußte er wohl gestorben sein, als das Kind kaum auf der Welt war.

Sicherlich hatte sie es nie leicht gehabt, Torben als Alleinerziehende zu betreuen. Ein Glück für sie, daß ihre Mutter sich seiner so vorbildlich annahm, wie es den Anschein besaß.

Wieder klingelte das Telefon. Daniela wurde abermals enttäuscht, als sich eine fremde Stimme entschuldigte, sich verwählt zu haben.

Danach überfiel sie tiefe Resignation, weil Lutz sich nicht meldete. Sie rief sich noch einmal den Streit vom frühen Nachmittag ins Gedächtnis zurück. In der abendlichen Ruhe bekam es bei gründlicher Überlegung eine ganz andere Bedeutung. Sie konnte sich nämlich der Erkenntnis nicht verschließen, daß Lutz absolut keine Kinder mochte.

Warum war sie eigentlich nicht früher darauf gekommen? Im nachhinein wurde ihr bewußt, daß er jedes Gespräch über Kinder im Keim erstickte. Nie erkundigte er sich nach ihren beruflichen Erlebnissen. Stets mied er das Thema. Erst in letzter Zeit hatte er ihr einen Einblick in seine Tätigkeit verschafft, wobei er allerdings gleichzeitig die Erwartung äußerte, daß sie ihn nach ihrer Heirat kräftig unterstützte, damit das Reiseunternehmen noch besser florierte.

Je mehr sie über ein gemeinsames Leben mit Lutz nachgrübelte, um so stärker wurde die Gewißheit, daß sie in einem äußerst wichtigen und wesentlichen Punkt nicht übereinstimmten: der Liebe zu Kindern.

Das machte sie sehr betroffen. Dennoch gab sie die Hoffnung nicht ganz auf, daß sich das noch ändern würde. Sie liebten einander doch. Konnte nicht Liebe Berge versetzen? Daran klammerte sie sich wie an einen Rettungsring.

Dennoch weinte sie sich später in den Schlaf, weil sie so unendlich unglücklich war, daß Lutz sich nicht meldete.

Er rief auch am nächsten Tag nicht an, obwohl sie es möglichst so einrichtete, daß sie zu Hause war.

Am Nachmittag holte Lea Zander ihren Buben ab. Nach wortreichen Dankesbezeugungen informierte sie Daniela, daß ihre Kusine den Kleinen für eine Weile zu sich nehmen wollte. »Jedenfalls so lange, bis meine Mutter wieder vollkommen gesund ist. Werden Sie ihn bis auf weiteres im Kindergarten abmelden?«

»Selbstverständlich. Wie geht es denn Ihrer Mutter?«

»Die genauen Untersuchungsergebnisse stehen noch aus. Damit ist wohl auch kaum vor Mitte nächster Woche zu rechnen. Ansonsten hat sie noch Glück im Unglück gehabt. Es ist nichts gebrochen. Allerdings hat sie sich den rechten Knöchel arg verstaucht. Das wird seine Zeit dauern, bis es wieder in Ordnung ist. Ihre Nachbarin wird sich um sie kümmern, bis Tante Annette bei sich alles geregelt hat und herkommt. Sie ist Mutters um ein Jahr jüngere Schwester und auch bereits verwitwet.«

»Ich freue mich für Sie, daß Sie dadurch aller Sorgen um Ihre Lieben enthoben sind«, sagte Daniela erfreut.

Lea schaute sich im Wohnzimmer um. Anerkennend äußerte sie sich: »Sie haben es urgemütlich hier. Haben Sie…« Mitten im Satz brach sie ab. Sie wurde kreidebleich.

Besorgt betrachtete Daniela sie. »Was ist Ihnen? Fühlen Sie sich mit einem Mal nicht wohl? Ich hole Ihnen rasch etwas zu trinken.«

»Nein, nein, nicht nötig«, wehrte Lea hastig ab. »Ich habe wohl zu viel gearbeitet und zu wenig gegessen. Wir müssen schleunigst heim. Meine Kusine wartet. Sie wollte so bald wie möglich zurückfahren.« Sie wandte sich an den Kleinen. »Hast du deine Sachen alle eingepackt?«

»Ja, Mutti.« Er verabschiedete sich von Daniela. »Schade, daß du nicht mitkommen kannst. Darf ich mal wiederkommen? Es war so klasse bei dir.«

»Selbstverständlich.« Spontan beugte sie sich nieder und gab ihm ein Küßchen auf die Wange. Sie sah zu, wie er hinten im Wagen auf dem Kindersitz angeschnallt wurde.

Lea reichte ihr die Hand. »Nochmals vielen Dank. Darf ich Sie nachher noch mal anrufen? Ich möchte Ihnen etwas Wichtiges sagen.«

»Ich werde darauf warten, denn ich hatte ohnehin nicht vor, heute noch das Haus zu verlassen.«

Hastig wandte sich Lea ab.

Verwundert schaute Daniela dem abfahrenden Wagen nach. Was hatte sie nur? Schien es ihr nur so oder war sie mit einem Mal ziemlich aufgewühlt gewesen?

Sie fand darauf ebenso wenig eine Antwort wie auf ihre geheimnisvolle Ankündigung. Wollte sie etwas mit ihr wegen des Buben besprechen?

Daniela fiel später förmlich aus allen Wolken, als Lea die Antwort auf ihre Fragen bekam. Lea rief allerdings nicht an, sondern stand plötzlich vor ihrer Tür. »Das, was ich Ihnen anzuvertrauen habe, läßt sich besser von Angesicht zu Angesicht regeln. Ich weiß nur nicht, wie ich beginnen soll.«

»Kommen Sie zunächst einmal herein«, forderte Daniela sie freundlich auf. Irgendwie beschlich sie eine dumpfe Vorahnung, daß etwas auf sie zukam, was sie nicht so einfach verkraften konnte.

Darin sollte sie sich auch nicht täuschen. Kaum saßen sie einander in bequemen Sesseln gegenüber, als Lea rundheraus erklärte: »Torben hat mir von einem bösen Mann erzählt, der gestern hier war und Sie ausgezankt hat. Er hat furchtbare Angst ausgestanden. Mir war sofort klar, wer sich so übel aufgeführt hat. Zunächst habe ich ihn mal beruhigt, daß der Mann Sie künftig nicht mehr belästigt. Weil ich das verhindern werde. Es handelt sich doch wohl um Lutz Jonas.«

Daniela riß ihre Augen erschrocken auf. »Woher wissen Sie das? Hat er mit Ihnen über mich gesprochen?«

»O nein, denn er will mich überhaupt nicht mehr sehen, ich ihn allerdings noch weniger.« Ihre Mundwinkel bogen sich verächtlich nach unten. »Er ist ein Schuft, den Sie schleunigst vergessen sollten.«

Dann brach es aus ihr heraus, wie er ihr vor Jahren den Kopf verdreht und ihr alles mögliche versprochen hatte. »Er wollte mir die Sterne vom Himmel holen. Bis er mir eines Tages sein wahres Gesicht zeigte.«

Sekundenlang preßten sich ihre Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. »Als ich ihm nämlich bekannte, daß ich ein Kind von ihm erwartete, zweifelte er es zunächst an. Mein heiliger Schwur belehrte ihn recht schnell, daß ich die Wahrheit sprach. Er geriet außer sich, als ich eisern darauf bestand, das Kind auszutragen. Um keinen Preis der Welt war ich zu der von ihm geforderten Abtreibung bereit. Das war das endgültige Aus für unsere Liebe. Ich bin ihm nie wieder begegnet, wollte es auch nicht.«

Sie schaute in Danielas erblaßtes Gesicht. Ihre Lippen bewegten sich, ohne auch nur ein einziges Wort herauszubringen.

Lea erhob sich, trat neben sie und streichelte unaufhörlich ihren bloßen Arm. »Es tut mir wahnsinnig leid, daß ich Ihnen diese Eröffnung machen mußte. Ich konnte es aber nicht zulassen, daß Sie erst zu spät den wahren Charakter dieses Menschen erkannten. Sie wären todunglücklich geworden. Gut, daß ich sein Foto bei Ihnen entdeckte.«

Daniela schlug die Hände vors Gesicht. Ihre Schultern bebten.

Lea strich ihr immer wieder tröstend über den Kopf. Schließlich schlug sie vor: »Wir sollten einen Kognak trinken, den können wir beide jetzt gebrauchen. Haben Sie einen da?«

Daniela riß sich zusammen. Sie wies mit der Hand auf den Schrank. Noch immer brachte sie keinen Ton über die Lippen.

Sie faßte sich erst wieder, als sie zwei Gläschen von dem scharfen Getränk förmlich in sich hinuntergekippt hatte. »Das wirkt Wunder.«

Sie sah die andere an. »Was ist aus dem Kind geworden? Haben Sie es geboren?«

»Natürlich. Was dachten Sie denn?« Sie lächelte Daniela eigenartig an und platzte dann heraus: »Es ist Torben. Ich habe ihn vom ersten Augenblick an, als ich wußte, daß ich mit ihm schwanger bin, geliebt. Zum Glück ähnelt er in keiner Weise Lutz, was mich kolossal erleichtert hat. Was starren Sie mich denn so an?«

»Ich kann es einfach nicht glauben, daß dem so ist. Lutz hätte doch beim Anblick des Kleinen eine Art Zugehörigkeit zu ihm spüren müssen. Statt dessen war er so schroff, ja, nahezu gehässig zu dem Buben.« Sie erläuterte die kurze Begegnung der beiden eingehend. »Verstehen Sie das?«

»O ja«, antwortete Lea, ohne sich auch nur eine Sekunde zu besinnen. »Ich mußte ja sehr drastisch erleben, wie sehr er Kinder verabscheut. Er hat mich sogar mit Drohungen unter Druck gesetzt, die Schwangerschaft sofort unterbrechen zu lassen. Ich verdanke es auch meiner Mutter, daß ich hart geblieben bin. Wahrscheinlich befürchtete er, ich könnte ihn später auf die Vaterschaft festnageln, womöglich Alimente von ihm verlangen. Niemals hätte ich auch nur einen einzigen Pfennig für das Kind von ihm angenommen.«

Sie lachte hart auf. »Ich habe sogar beim Standesamt angegeben, daß ich den Vater meines Sohnes nicht kenne, nur eine kurze Affäre mit ihm hatte. Torben gehört mir ganz allein. Lutz hat nach jenen häßlichen Auseinandersetzungen nie wieder von sich hören lassen. Ich würde ihn auch keines einzigen Blickes gewürdigt haben, wären wir uns einmal zufällig begegnet.« Ihre Stimme nahm an Schärfe zu. »Er darf auch auf keinen Fall erfahren, daß Torben sein Sohn ist.«

»Ich werde es ihm gewiß nicht sagen«, schwor Daniela. Dennoch war ihr Schock nicht ganz überwunden. Mehr zu sich selbst sagte sie: »Ich will Lutz auch nie wiedersehen. Nur gut, daß mir die Augen rechtzeitig geöffnet worden sind.«

Sie beugte sich vor und griff nach Leas Händen. »Ich werde zeit meines Lebens in Ihrer Dankesschuld stehen, weil Sie mich vor dem verhängnisvollsten Schritt meines Lebens bewahrt haben. Obwohl ich nach der häßlichen Szene gestern bereits vorhatte, mich von ihm zu trennen, wollte ich ihm dennoch eine Chance geben. Das ist jetzt überflüssig. Ich werde ihm morgen sagen, daß es endgültig aus ist zwischen uns.«

Lea warnte sie indessen nachdrücklich davor, sich auch nur noch ein einziges Mal mit ihm zu treffen. »Er würde Sie nur noch mehr demütigen und Ihr ohnehin kummerbeladenes Herz zerreißen. Geben Sie es ihm am besten schriftlich, daß Sie ihn nicht wiedersehen möchten in Ihrem Leben.« Sie zögerte nur kurz, um sich dann anzubieten, ihr dabei zu helfen. »Allerdings nur, wenn es Ihnen recht ist.«

»Und ob es das ist«, versetzte Daniela entschlossen. Sie sprang auf. »Am besten erledigen wir das gleich. Um so früher weiß Lutz Bescheid.«

»So und nicht anders würde ich auch gehandelt haben«, äußerte sich Lea kopfnickend. »Machen wir uns also an die Arbeit.«

Bevor Daniela einen Satz schrieb, beriet sie sich mit Lea, die den Brief später mitnahm und in den Kasten warf. Zuvor verabredeten sie sich noch für den nächsten Nachmittag.

*

Es war ein herrlicher Maisonntag, der die Ausflügler in Scharen in die schöne Natur lockte.

Daniela saß neben Lea in deren Wagen, den diese zielstrebig über Nebenstraßen steuerte. Ihr war ganz und gar nicht nach Menschengetümmel zumute.

Aus diesem Grunde bemerkte sie: »Wir hätten wohl lieber in meinen vier Wänden bleiben sollen.«

»Und es womöglich riskieren, daß ein unliebsamer Gast bei Ihnen auftaucht.« Sie lächelte sie kurz an. »Keine Sorgen, ich kenne genügend wildromantische Gegenden, wo man in ländlicher Idylle das Empfinden hat, ganz allein auf der Welt zu sein. Sie werden es erleben, wie man dort die Seele baumeln lassen und wieder neue Kräfte für die kommenden Arbeitswoche tanken kann. Und Menschen sind nur selten zu sehen. Warten Sie nur ab.«

»Das alles ist wirklich sehr verlockend«, äußerte sich Daniela dazu. Sie schenkte Lea ein dankbares Lächeln. »Ich vertraue mich voll und ganz Ihrer Führung an.«

Als sie dann ihr Ziel erreichten und sie sich aufmerksam umsah, stieß sie einen Ruf des Entzückens aus. »Es ist phantastisch hier. Sie haben eher untertrieben als zuviel versprochen.«

»Sagte ich es doch.« Lea schloß zunächst ihren Wagen gut ab und führte Daniela einen kleinen Hügel hinauf. Von oben konnte man eine atemberaubende Aussicht genießen.

Andächtige Stille herrschte zwischen den beiden Frauen. Dann erläuterte Lea alles, was es zu sehen gab. Anschließend gab sie schmunzelnd zu: »Ich habe mal zufällig einen Bauern getroffen, dem diese Ländereien gehören. Es hat ihm riesigen Spaß gemacht, mir alles zu zeigen und zu erklären. Anschließend hat er mich sogar zu einer Rast auf seinen Hof eingeladen.«

Sie rieb sich ihr Bäuchlein, wobei sie kurz mit der Zunge schnalzte. »Der frischgebackene Streuselkuchen sowie die Obsttorte mit frischer Sahne haben köstlich geschmeckt. Dazu gab es wahlweise Kaffee und frische Milch. Torben war so begeistert, daß er mich bedrängte, öfter herzufahren. Für ihn war es zudem ein tolles Vergnügen, die Tiere des Hofes aus nächster Nähe anzuschauen und auch mal zu streicheln. Dazu drehte der Bauer mit ihm eine Runde auf seinem Traktor.«

Lea wußte alles so anschaulich zu schildern, daß es Daniela fast vor Augen sah. Sie entspannte sich mehr und mehr, wobei alles Bedrückende von ihrer Seele fiel.

In sich versunken kehrten die zwei zum Auto zurück. »Das nächste Mal nehme ich Sie mal mit zu den netten Bauersleuten. Ich melde uns dann vorsichtshalber vorher an. Heute habe ich allerdings ein anderes Anliegen an Sie. Doch steuern wir erst einmal unser zweites Ziel an.«

Dabei hielt sich Lea strikt daran, nur Fahrwege zu benutzen, die erlaubt waren. Nur selten begegnete ihnen ein Wagen.

Bis Lea dann in einen Waldweg einbog und nach ein paar Metern eine Lichtung erreichte. Hier parkte sie ihren Wagen.

Fröhlich schlug sie vor: »Das ist genau der Ort, an dem wir eine kleine Kaffeepause einlegen können. Schauen wir doch mal nach, ob ich alles Erforderliche dazu in den Kofferraum gepackt habe.«

Sie schloß auf und holte einen hübschgeflochtenen Picknick-Korb heraus. Danach förderte sie noch zwei Klappstühle und einen Klapptisch zutage, sowie alles, was dazugehörte, um es sich in freier Natur schmecken zu lassen.

»Sie sind ja eine richtige Zauberfee«, sagte Daniela bewundernd, wobei ihre Augen strahlten. »So etwas habe ich bislang nie erlebt.«

»Dann kann ich nur hoffen, daß wir noch öfter solch gemeinsame Ausflüge erleben.« Sie ordnete alles geschickt an und stellte abschließend eine Vase mit textilen Blumen auf den Tisch. »Ich mag es nicht, wenn man Blumen pflückt, die nachher doch viel zu rasch welken, während sie sonst noch lange blühen würden.«

»Sie sind sehr naturverbunden, einfach lobenswert.« Daniela ließ ihren Blick entzückt schweifen. Ihr Gesicht wurde nachdenklich. »Ich bin auch auf dem Land aufgewachsen, zwar nicht auf einem Bauernhof, aber in der großen Gärtnerei meines Onkels. Meine Eltern habe ich nur kurz gekannt. Mein Vater wurde von einem Blitz getroffen; und meine Mutter starb bald an gebrochenem Herzen, weil sie seinen Tod nie verwinden konnte. Geschwister hatte ich nicht.«

»Sie Ärmste«, bedauerte Lea sie aufrichtig. »Meinen Vater hat es vor fünf Jahren erwischt. Es war ein Betriebsunfall. Er ist von einem Baugerüst in die Tiefe gestürzt. Seitdem haben meine Mutter und ich uns eng aneinander angeschlossen. Torben ist ihr Trost und ihr ganzes Glück.« Sie gab sich einen Ruck. »Wir wollen an diesem wundervollen Tag nicht Trübsal blasen. Genießen wir ihn und stärken wir uns erst einmal.«

Ihr Gespräch drehte sich vorwiegend um Torben. Während Daniela lustige Begebenheiten aus dem Kindergarten wiedergab, die fast ausschließlich ihn betrafen, erwähnte Lea die schönsten Augenblicke, die sie mit ihrem Kind erlebt hatte.

Bis sie verstummte und zu Boden blickte. Eine ganze Weile verharrte sie so. Dann hob sie entschlossen den Kopf und sah Daniela an. »Wenn ich alles so recht bedenke, verbinden uns einige sehr wichtige Dinge. Wir lieben die Natur, meiden laute Feten, haben beide unseren Vater früh verloren und…«

Sie seufzte tief auf und fügte dem in bitterem Tonfall noch hinzu: »Leider haben wir uns auch in denselben Mann verliebt, der nicht einmal einen Funken unserer Sympathie verdient hätte. Darüber müssen wir noch miteinander reden. Zuvor wollen wir erst einmal alles bis auf die Klappstühle wieder im Kofferraum verschwinden lassen.«

Danach setzten sie sich Seite an Seite und genossen das idyllische Landschaftsbild.

Daniela stieß unwillkürlich einen Seufzer aus. »Wenn man die friedvolle Natur betrachtet, ist es nahezu unglaublich, wieviel Leid und Elend es doch in der Welt gibt. Warum nur können die Menschen nicht in Eintracht und Harmonie zusammen leben? Abgesehen von Krankheiten gibt es doch genügend Probleme, die jeder einzelne so oder so bewältigen muß.«

»Manchen geht es halt zu gut, so daß sie das Schicksal förmlich herausfordern. Oder sie provozieren Konflikte, weil sie ohne Aufregungen nicht leben können. Der Mensch ist halt ein eigenartiges Wesen, das nie bis auf den Grund erforscht werden kann.« Lea legte ihre Hand auf Danielas Arm. »Zerbrechen wir uns darüber nicht den Kopf. Lassen Sie uns lieber Freundschaft schließen. Gute Freunde sind dünn gesät. Und mancher enttäuscht uns bitter, obwohl anfangs ein unverbrüchlicher Zusammenhalt bestand.«

Sie nahm ihre Hand wieder fort und streckte sie bittend aus. »Schlagen Sie ein. Mein siebter Sinn hat mich noch nie im Stich gelassen und gibt mir gerade jetzt ein, daß wir einander ähnlich sind und uns prächtig verstehen werden.«

Daniela besann sich nicht eine Skunde, in die dargebotene Rechte einzuschlagen. Mit festem Druck lagen die Hände ineinander. In beiden Augenpaaren lag ein heiliges Versprechen, das jedes weitere Wort überfüssig machte.

In dieser Stunde wurde eine Freundschaft besiegelt, die fürs ganze Leben halten sollte.

Schweigen hüllte sie für eine ganze Weile ein. Lea unterbrach es als erste. »Du wirst deinen Herzenskummer bald überwinden. Konzentriere dich nur ganz auf die Kinder, die die besten Tröster sein werden. Abends können wir uns gelegentlich treffen. Ich jogge für mein Leben gern, spiele hin und wieder Tennis und gehe mindestens einmal in der Woche zum Schwimmen. Allerdings richtet sich das ganz nach Torben, dem ich möglichst viel Zeit nach Büroschluß widme. Allerdings muß ich auch manche Überstunde in Kauf nehmen, die ich nicht einmal bezahlt bekomme.«

Sie erläuterte das im einzelnen.

Aufmerksam lauschte Daniela ihren Worten. Sie wirkte indessen ziemlich bedrückt, als sie rundheraus erklärte: »Fast möchte ich dich beneiden, weil dein Leben so ausgefüllt ist. Zwar haben mich die Kinder ganz schön in Trab gehalten, so daß ich mitunter ziemlich ausgelaugt war, aber ich hatte wenigstens stets pünktlich Feierabend, den ich mir ganz nach Belieben gestalten konnte.«

Sie senkte wehmütig den Blick. »Die Abende und Wochenenden waren durch Lutz’ Gesellschaft völlig ausgefüllt. Er hat mir viel Kurzweil geboten und brachte immer wieder neue, vergnügte Abwechslung auf die Beine. Trotz allem werde ich das doch sehr vermissen, zumindest für den Anfang.«

Sie schaute Lea nunmehr an. »Das Schlimmste an der ganzen Sache ist jedoch, daß ich im Hinblick auf meine baldige Hochzeit im Kindergarten gekündigt habe. In knapp zwei Wochen ist dort der letzte Arbeitstag für mich.«

»Kannst du das denn nicht wieder rückgängig machen?« erkundigte sich die Freundin betroffen.

»Auf keinen Fall. Meine Nachfolgerin ist ja bereits eingearbeitet.« Sie straffte die Schultern. »Ich möchte das auch nicht. Mir vorzustellen, daß ich in dieser Stadt unverhofft Lutz begegne, ist schier unerträglich. Ich kann meinen Kummer nur überwinden, wenn ich durch nichts mehr an diese unleidliche Geschichte erinnert werde.«

»Da hast du recht«, mußte Lea zugeben. »Obwohl es mir leidtut, wenn du aus unserer Gegend verschwindest. Hoffentlich findest du möglichst in der näheren Umgebung eine neue Stelle, so daß wir einander häufiger treffen können.«

Daniela nickte nur. Sie verfiel in kurzes Grübeln. Ein großartiger Gedanke kam ihr. Schon faßte sie einen Entschluß. »Ich werde erst einmal zu Onkel Arno fahren. Er und seine Frau Edith haben mich nach dem Tode meiner Eltern zu sich genommen und ganz wie ein eigenes Kind großgezogen. Leider sind ihnen Kinder versagt geblieben.«

Sie schilderte, wie liebevoll sie sich ihrer angenommen hatten und daß sie sie wie eigene Eltern betrachtet und geliebt hatten. »Leider ist Tante Edith vor einem Jahr gestorben. Anfangs habe ich Onkel Arno oft besucht und ihn getröstet, ihn in den letzten Wochen jedoch sträflich vernachlässigt. Das möchte ich erst einmal wiedergutmachen.«

Nachdenklich fügte sie dem noch hinzu: »Vielleicht finde ich eine neue Beschäftigung in seiner Gärtnerei. Oft genug habe ich dort ausgeholfen und kenne mich einigermaßen gut aus. Onkel Arno und ich hätten viel Gesellschaft aneinander und fühlten uns nicht mehr einsam.«

Sie ballte unwillkürlich die Faust. »Ich werde niemals heiraten. Das schwöre ich mir in dieser Stunde.«

»Denselben Eid habe ich damals auch geleistet und gehalten«, bemerkte Lea dazu. »Mir ist das Heiraten ein für allemal vergangen, nachdem ich den bösen Reinfall mit Lutz erlebt habe. Leid tun würde mir lediglich, wenn unsere eben erst begonnene Freundschaft so rasch wieder zerbrechen würde, weil du fortgehst.«

»Es ist höchstens eine halbe Autostunde bis zu Onkel Arno. Wir werden uns oft genug sehen.« Ein fester Händedruck besiegelte dieses Versprechen.

*

Einstweilen beschäftigten sich Danielas Gedanken mit Onkel Arnos Reaktion, wenn er von der einschneidenden Veränderung in ihrem Leben erfuhr. Bislang war er doch von ihrem großen Glück überzeugt gewesen und hatte sich bereits auf die anstehende Hochzeit gefreut. Ob er nun wohl sehr enttäuscht sein würde?

Zunächst strahlte er übers ganze Gesicht, als sie so unvermutet bei ihm auftauchte. Er schloß sie liebevoll in seine Arme. »Wie schön, daß du mich mal wieder besuchst. Du hast dir zudem einen guten Zeitpunkt ausgesucht, denn heute bin ich weder in der Gärtnerei noch sind die Zwillinge meiner Obhut anvertraut. Ich komme gerade vom Arzt, der mir das Resultat einer gründlichen Untersuchung mitgeteilt hat.«

Erschrocken trat Daniela zurück. »Du bist doch nicht etwa krank? Warum hast du dich denn nicht telefonisch bei mir gemeldet, um mir zu sagen, daß…«

»… ich gottlob ganz fit bin. Ich lasse mich nur in gewissen Abständen durchchecken. Es ist eine vorbeugende Maßnahme, damit ich nicht von einer Krankheit überrascht werde.« Er schmunzelte stillvergnügt. »So, wie es aussieht, werde ich wohl hundert Jahre alt.«

»Das will ich auch offen.« Daniela seufzte kurz auf. »Somit kann ich dir einige Neuigkeiten mitteilen, ohne befürchten zu müssen, daß du dich furchtbar aufregst.«

Er musterte sie dennoch besorgt. »Was ist passiert? Ist es sehr ungenehm für dich?«

»Wie man es nimmt.« Sie sah ihn abbittend an. »Entschuldige, daß ich dich gleich mit meinen Problemen überfalle. Das hat schließlich noch Zeit. Ich will erst einmal Frau Ebel begrüßen.«

»Meinen alten Hausdrachen«, fügte er grimmig hinzu, wobei es jedoch schalkhaft in seinen Augen funkelte. »Sie führt nach wie vor ein strenges Regiment und gängelt mich, wo sie kann.«

»Sie wird wohl ihre triftigen Gründe dafür haben«, konterte Daniela. »So wie ich dich kenne, vergißt du unter Umständen Essen und Trinken, wenn dich etwas besonders stark beschäftigt. Ganz abgesehen davon…«

»Nun hör schon auf«, wehrte er lachend ab. »Du hast recht,wie immer.« Er wurde sofort wieder ernst. »Wir wollen uns möglichst bald über deine Probleme unterhalten, bevor ich wieder anderweitig in Anspruch genommen werde. Begrüße aber erst meine treue Perle.«

Die mütterliche Frau strahlte bei Danielas Anblick übers ganze Gesicht. Kurzerhand nahm sie ›ihr Kind‹, das die junge Frau von Kindesbeinen an für sie gewesen war und auch bleiben würde, herzlich in die Arme. »Daß du kommst, macht den grauen Alltag gleich zum schönsten Sonntag. Wir haben dich sehr vermißt.«

Sie gab Daniela frei und schaute sie aufmerksam an. Arno hatte die beiden Frauen jedoch taktvoll allein gelassen. So konnte Annette Ebel freiweg von der Leber reden. »Ich habe so sehr auf deinen Besuch gewartet. Dein Onkel braucht dich. Er hat sich noch immer nicht ganz vom Tod seiner geliebten Frau erholt. Obwohl sich alle um ihn bemühen und in ihren Lebensalltag einbeziehen, hockt er mitunter doch trübsinnig in einer Ecke.«

»Hilft er denn nicht mehr in seiner Gärtnerei aus?« erkundigte sich Daniela bestürzt.

»Hin und wieder schon, aber längst nicht mehr so häufig wie einst. Seitdem er seinem Neffen Roland Evers den Betrieb übergeben hat, scheint sein Interesse daran ziemlich erloschen zu sein. Dabei war er doch stets Gärtner mit Leib und Selle. Roland tritt allerdings immer wieder an ihn heran, um sich beraten zu lassen oder seine Meinung zu hören.«

Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Seine größte Herzensfreude sind freilich Rolands Kinder, die ihm Mareike oft herbringt, damit er sie in seine Obhut nimmt. Dann vergißt er sogar sein Alter und tobt bisweilen mit den Zwillingen herum. Die Dreijährigen, Lars und Leila, sind wahre Wirbelwinde und halten alle ausnahmslos in Atem. Du wirst es schon noch erleben.«

Sie seufzte auf. »Ach, Daniela, wenn du doch für länger bleiben könntest. Du warst stets wie ein leibliches Kind für Arno und seine verstorbene Frau, zumal ihnen das Schicksal Kinder verwehrt hat.«

»Dann werde ich ihm wieder die liebe, unentbehrliche Tochter von einst sein und meine Zelte erneut hier aufschlagen. Für mich ist es von großem Nutzen, wieder eine neue Aufgabe zu bekommen, die mich ganz ausfüllt.«

Annette Ebel horchte auf. Sie schaute der Jüngeren prüfend ins Gesicht. »Mir scheint, du hast einen schlimmen Kummer erlitten. Deine Augen blicken längst nicht mehr so leuchtend drein. Ist es Liebesleid, das dich zu uns hat flüchten lassen?«

»Ja. Wir sprechen später darüber. Jetzt möchte ich mich erst einmal rückhaltlos meinem Onkel anvertrauen.« Sie blickte besorgt drein. »Werde ich ihn damit auch nicht aufregen? Er war doch beim Arzt.«

Frau Ebel machte eine wegwerfende Handbewegung. »Eine Routineuntersuchung wie jedes Jahr. Er ist ganz gesund. Wenn du ihn jetzt in deinen seelischen Nöten brauchst, offenbare dich ihm nur völlig. Er kann dir wie kein anderer aus deinem Dilemma helfen und dich wieder aufrichten. Es dürfte ihn zudem erfolgreich von seinen trüben Gedanken ablenken. Ich halte euch jede Störung fern.«

Daniela bedankte sich und suchte rasch ihren Onkel auf.

*

Arno Bader starrte fassungslos auf die Nichte, die mit leiser, stockender Stimme ihrem Herzen Luft machte. Man merkte ihr die inneren Qualen an, die ihr der einst so sehr geliebte Mann zugefügt hatte.

Bis sie schließlich verstummte. Sie schluckte nur noch schwer, wobei ihr dicke Tränen über die Wangen rollten.

Da erhob sich Arno, ergriff Daniela bei der Hand und zog sie neben sich auf das gemütliche Sofa. Behutsam bettete er ihren Kopf an seine Schulter.

»Weine dich nur richtig aus«, sagte er mit sanfter Stimme. »Tränen spülen den schlimmsten Schmerz von der Seele. Danach wirst du dich um vieles wohler fühlen.«

Mit keinem weiteren Wort störte er sie. Geduldig wartete er ihren Gefühlsausbruch ab.

Daniela atmete einige Male kräftig durch. Dann löste sie sich von ihrem Onkel. »Nun fühle ich mich wie befreit von einer Zentnerlast, die auf meiner Seele gelegen hat.«

Sie umarmte Arno und küßte ihn auf beide Wangen. »Ich bin dir unendlich dankbar, weil du mich so mitfühlend angehört hast. Das tut gut.« Sie erhob sich. »Ich gehe erst einmal ins Bad und wasche mein Gesicht. Darf ich dir danach noch einige Fragen stellen?«

»So viele du willst«, ermunterte er sie. »Ich werde dir alle beantworten, sofern ich dazu imstande bin.«

Daniela nickte nur. Dann verließ sie mit steifen Schritten das Zimmer.

Arno verfiel in Nachdenken, bis er durch ihre Rückkehr aufgeschreckt wurde. Sie wirkte um vieles ruhiger und nahm ihm gegenüber Platz. Ihre Hände hielt sie in ihrem Schoß verkrampft.

Sie holte tief Luft und schaute den Onkel ein wenig unsicher an. »Ich möchte so gern für immer bei dir bleiben. Du bist der einzige Mensch, der zu mir gehört. Dir verdanke ich unendlich viel, dir und Tante Edith. Hättet ihr beide mich nicht wie euer leibliches Kind aufgenommen, nachdem mein Vater, dein Bruder, und meine Mutter auf tragische Weise so früh ums Leben gekommen sind, wäre ich nicht so glücklich und unbeschwert aufgewachsen. Dankbar gedenke ich meiner glücklichen Kindheit und bin…«

»Kein Wort weiter. Du schuldest uns keinen Dank, denn du hast auch unser Leben unvergleichlich reich gemacht durch deine kindliche Liebe und dein fröhliches Wesen. Mit dir ist die Sonne ins Haus gekommen und nie wieder untergegangen. Doch lassen wir das. Wir gehören der Zukunft und wollen sie gemeinsam meistern.«

Er sprach über die Gärtnerei, seinen Neffen Roland und dessen Familie. Gleichzeitig legte er dar, wie eng er mit den Verwandten in mancherlei Hinsicht verknüpft war. »Roland wird es sicherlich begrüßen, wenn du ihm deine Hilfe in der Gärtnerei anbietest. Natürlich gegen Bezahlung. Anders würden er und seine Frau Mareike es gar nicht dulden. Trotz der Arbeitslosigkeit ist es heutzutage schwer, die geeigneten Mitarbeiter zu finden, die nicht nur tüchtig in ihrem Fach sind, sondern auch mit viel Lust und Liebe an dem hängen, was die Natur an Blumen, Pflanzen und sonstwie zu bieten hat.«

Er maß sie mit warmem Blick. »Du hast bei uns viel gelernt, dir ist die Natur heilig, die du bewunderst und liebst. Warum solltest du deine Kenntnisse nicht in die Tat umsetzen? Eine Kraft wie dich könnten Roland und Mareike sehr gut gebrauchen. Was hältst du also von meinem Vorschlag?«

»Er ist nicht nur ausgezeichnet, sondern auch verlockend. Allerdings stelle ich zur Bedingung, daß ich nur den Lohn erhalte, der auch meinen Fähigkeiten entspricht. Eine ausgebildete Gärtnerin bin ich trotz meines besten Lehrmeisters, der du mir warst, nämlich nicht.«

»Wir werden schon die richtige Einigkeit erzielen, die beiden Seiten gerecht wird.«

»Ganz gewiß«, versicherte sie ihm. »Hauptsache, ich kann sofort hierbleiben. Meine neugewonnene Freundin Lea, die ich in meinem Bericht erwähnte und die sehr zuverlässig ist, will mir bei meinem Umzug helfen.« Sie informierte ihren Onkel über diese Sache.

Wie sie vorausgesehen hatte, bot er ihr seine Hilfe an. »Du brauchst dich um nichts zu kümmern. Ich werde alles mit dieser sagenhaften Lea Zauner regeln. Am besten, ich setze mich noch heute mit ihr in Verbindung und treffe eine Verabredung. Dafür könntest du mir einen großen Gefallen erweisen.«

Er schmunzelte. »Da sind nämlich die beiden Racker Lars und Leila. Du kennst sie ja. Allerdings sind sie in letzter Zeit ziemlich gewachsen und zudem zwei aufgeweckte Geschöpfe, denen du so leicht kein X für ein U vormachen kannst. Beschäftige dich an meiner Stelle mit ihnen. Sie werden dich ganz schön in Trab halten. Das ist gerade das Beste für dich, um von deinem Kummer abgelenkt zu werden und ihn zu überwinden. Bevor du mir deine Zusage gibst, warte erst einmal ab, bis du sie nachher gesehen hast.«

Das war freilich höchst unnötig, denn kaum hatten die Kleinen die Besucherin ihres geliebten Onkel Arnos erkannt, als sie auch schon mit lautem Jubel auf sie zustürmten.

»Tante Dany! Tante Dany!« erscholl es mehrmals, wobei sie sich fast ins Gehege kamen und im Lauf der eine fast über den anderen purzelte.

Daniela lachte Tränen über das drollige Bild, das sich ihr bot. Es gelang ihr dann mit geübtem Griff, beide gleichzeitig zu umfassen und an sich zu drücken, so daß sie zum Stillstand kamen.

»Nun mal langsam mit den jungen Pferden«, scherzte sie. »Sonst liegt ihr gleich beide auf der Nase und habt eine Beule am Kopf.« Sie beugte sich zu ihnen herunter und gab erst Leila und dann Lars ein herzhaftes Küßchen auf die Wange.

Danach schob sie sie sacht von sich. »Wenn ihr jetzt ganz brav seid, zeige ich euch hernach was Schönes. Zuvor möchte ich erst einmal eure Eltern begrüßen.«

Sie umarmte zuerst Mareike, der man die Freude deutlich ansah über den Besuch.

Roland drückte es dann deutlich aus: »Es war die wundervollste Idee von dir, dich mal wieder an uns arme Sterbliche zu erinnern und herzukommen. Hoffentlich bleibst du diesmal ein bißchen länger als üblich.«

»Das wird sie«, mischte sich Arno ein. »Ich werde es euch ein wenig näher erklären, wenn ihr jetzt mit mir kommt. Überlaßt Daniela nur euren Kindern, die förmlich darauf brennen, daß sie sich mit ihnen abgibt.«

Die beiden hatten sich bereits rechts und links neben der geliebten Tante aufgestellt und hielten nun jedes eine ihrer Hand fest umklammert. Erwartungsvoll schauten sie zu ihr auf.

Liebevoll lächelte sie von einem zum anderen. »Dann will ich mal mein Wort einlösen und euch meine Mitbringsel geben. Kommt mit.«

Die Zwillinge zappelten vor Ungeduld und zogen heftig an Danielas Hand, was diese sich lachend gefallen ließ.

Die anderen schauten ihnen wohlwollend nach.

»Daniela ist die geborene Mutter. Wie gut sie sich mit Kindern versteht«, bemerkte Mareike. »In absehbarer Zeit wird sie gewiß ihr erstes Kindlein in Armen halten.«

»Das ist ihr auch von Herzen zu gönnen«, fügte ihr Mann hinzu. Er lächelte seine Frau an, wobei er sie gleichzeitig daran erinnerte, daß es nur natürlich war, wenn sie sich als Kindergärtnerin ausgezeichnet mit den Kleinen verstand.

Das junge Paar fiel jedoch buchstäblich aus allen Wolken, als Arno ihnen wenig später erklärte, daß ihr junges Glück zerbrochen war.

Beide konnten es kaum fassen, daß ein Mann Daniela das antun konnte.

Arno schlug vor, daß Daniela in der Gärtnerei aushalf, zumal sie gute Kenntnisse und vor allem die Liebe zu der Natur besaß. »Mareike könnte sich durch ihre Entlastung mehr um ihren Haushalt und die Kinder kümmern.«

Roland wiegte indessen zweifelnd den Kopf. »Alles ganz schön und gut. Ob sie meine Frau aber auch nur annähernd ersetzen kann? Ich will nicht bestreiten, daß Daniela sich gewiß viel Mühe geben wird, um mich zu unterstützen, und sicherlich kaum etwas verlernt hat von dem, was ihr bezüglich der Gärtnerei beigebracht worden ist. Trotzdem hat sie sich doch einzig und allein ihrem Beruf als Kindergärtnerin gewidmet. Sie ist ganz darin aufgegangen.«

»Und könnte uns daher viel nützlicher sein, wenn sie sich der Kinder annimmt«, ergänzte Mareike. Ein Gedanke schoß ihr durch den Kopf. Sie ließ ihn unverzüglich laut werden, wobei es in ihren Augen begeistert aufblitzte. »Daniela könnte hier einen Kindergarten oder etwas Ähnliches aufmachen, was allen Müttern in dieser ländlichen Gegend hilft.«

Sie wandte sich an ihren Mann. »Meine Freundinnen und andere junge Mütter beklagen sich doch darüber, daß sie gern mitverdienen möchten und einige es bereits praktizieren. Das leidige Problem ist jedoch, daß sie für ihre Kinder keine geeigneten Betreuer haben.«

Ein warmes Lächeln glitt zu ihrem Onkel hinüber. »Gottlob haben wir ja dich, der uns zeitweise das Aufpassen auf unsere Zwillinge abnimmt. Andere haben allerdings keine Verwandten oder Bekannten, denen sie ihre Sprößlinge anvertrauen können. Würde Daniela das übernehmen, wären alle aus dem Schneider. Und sie wird sich auch freuen, wieder einen richtigen Verdienst zu haben. Was meint ihr dazu?«

Sie debattierten eine ganze Weile lebhaft über das Thema. Bis sie zu dem Entschluß kamen, Daniela die Entscheidung zu überlassen.

*

Daniela zeigte sich interessiert an dem Vorschlag, bat aber um Bedenkzeit. »Ich muß mir das alles reiflich überlegen, finde jedoch vorerst keine Zeit dazu, weil wichtigere Angelegenheiten anstehen. Zunächst möchte ich einmal den Umzug hinter mich bringen und hier dann wieder richtig Fuß fassen.«

»Das ist verständlich«, versicherte ihr Mareike. »Wir werden dich dabei nach Möglichkeit unterstützen.«

Arno hakte sofort nach. »Dann solltest du dich vorübergehend wieder mehr um deine Kinder kümmern. Ich möchte Daniela verstärkt beistehen, ihre neuen Räume in meinem Haus zu renovieren, damit sie bald einziehen kann.«

»Wir spannen ganz einfach Tante Klara für unsere Zwecke ein.« Roland wandte sich lebhaft an seine Frau. »Sie hat uns doch mehr als einmal versichert, wie sehr sie sich freut, Lars und Leila unter ihre Fittiche zu nehmen. Zur Verstärkung kann sie sich ja Frau Baumann holen. Sie ist eine stets hilfsbereite Nachbarin.«

»Und wartet immer noch darauf, daß ihr einziger Sohn Andreas endlich heiratet, damit auch sie ihre Enkelkinder betreuen kann«, fügte Arno hinzu. »Er hat wohl eine unglückliche Jugendliebe hinter sich und kann seinen Schwarm noch immer nicht vergessen, wie mir scheint.«

Er wollte wohl noch mehr sagen, doch sein Neffe sah ihn bezwingend an. »Andreas ist ein eiserner Junggeselle, der ganz andere Interessen hat als Frauen. Er fährt lieber ans Meer, um zu segeln. Oder er setzt sich mit Matrosen zusammen, um ihrem Seemannsgarn, das sie spinnen, zu lauschen. Mich wundert nur, daß er nicht längst mal eine große Dampferreise unternommen hat.«

Roland kannte seinen Freund Andreas wie sich selbst. Er wußte aber auch, wie verliebt er einst in Daniela gewesen war, woran sich im Grunde genommen nichts geändert hatte. Oftmals erkundigte er sich nach ihr, wobei ihm stets die grenzenlose Erleichterung anzusehen war, daß sie bislang noch nicht ans Heiraten dachte.

Im nachhinein war Roland froh, Lutz nie erwähnt zu haben. Das wäre Daniela jetzt wohl sehr unangenehm gewesen. Außerdem hoffte auch er nunmehr im stillen, daß sie vielleicht doch noch das große Glück an der Seite ihres beharrlichen Verehrers fand.

Er konzentrierte sich wieder auf das Gespräch der anderen, als seine Frau ihn kurz in die Seite stubste. Gleichzeitig regte sie an, seine Freunde einzuspannen, sofern sie Handwerker waren. »Daniela ist es nicht zuzumuten, daß sie allzu lange Wartezeiten in Kauf nehmen muß. Vielleicht läßt sich bei dem einen oder anderen doch ein Termin dazwischenschieben.«

»Ich werde mein möglichstes tun«, versprach Roland und sah von Daniela auf den Onkel. »Ihr müßt mir nur rechtzeitig sagen, was anliegt.«

»Das soll geschehen«, versicherte Arno.

Daniela staunte in der nächsten Zeit nicht schlecht, wie schwungvoll er alles anpackte. Nichts war mehr davon geblieben, wie wenig Tatkraft und Lust an allem er in der Zeit nach dem Tode seiner Frau zeigte. Es schien, als sei er durch die endgültige Heimkehr der Nichte ein ganz neuer Mensch geworden.

Beide überboten sich im Planen und Zugreifen. Daniela bestand darauf, daß der Onkel sie beim Aussuchen von Tapeten, Farben und dergleichen begleitete. Ihm schien es riesigen Spaß zu machen. Mit seiner Hilfe nahm alles rasch Formen an.

Lea regelte unterdessen alles wegen Danielas alter Wohnung. Sie besuchte Daniela und bestaunte den sich rasch entwickelnden Fortgang aller Arbeiten. »Es wird ein wunderhübsches, gemütliches Zuhause für dich werden, in dem du dich gewiß wohl fühlen wirst.«

»Davon bin ich fest überzeugt.« Daniela kam eine großartige Idee. »Ein Zimmer ist bislang noch nicht eingeplant, weil ich dafür keine sinnvolle Verwendung sah. Wie wäre es, wenn ich es für dich und Torben einrichten ließe? Bestimmt werdet ihr des öfteren herkommen. Und wenn ihr übers Wochenende oder auch länger bleibt, habt ihr ein eigenes Zimmer, das ganz deinen Wünschen entspricht. Wie findest du das?«

»Einfach umwerfend«, rief Lea strahlend aus. »Ich werde von deinem Angebot gewiß oft Gebrauch machen. Die Schwester meiner Mutter wird übrigens bei uns im Haus einziehen. Zufällig ist eine kleine Wohnung frei geworden, die ganz ihren Vorstellungen entspricht. So können sich die Schwestern, die beide alleinstehend sind, Gesellschaft leisten und sich gemeinsam um Torben kümmern.«

»Das ist ja eine wundervolle Fügung für alle Beteiligten. Besonders für dich. Ich freue mich mit dir, daß du damit einiger Sorgen ledig bist. Wirst du deine Mutter und deine Tante mal mitbringen? Sie sind herzlich eingeladen.«

»Ich werde es ihnen ausrichten, kann dir aber jetzt schon sagen, daß wir sehr gern kommen werden.«

Beide besprachen miteinander auch weiterhin alle Probleme. Dazu telefonierten sie öfter. So erfuhr Daniela immer wieder einige Neuigkeiten über ihren alten Wohnort.

Allerdings sprachen sie nie mehr von Lutz. So blieb es Lea zum Glück erspart, darüber zu reden, was sie durch einen Bekannten zufällig von ihm erfahren hatte. Demnach hatte sich Lutz im Freundeskreis dauernd geäußert, daß Daniela ihm wegen einer blöden Bagatelle den Laufpaß gegeben habe.

Wörtlich sollte er gesagt haben: »Sie hat ihre größte Chance vertan, eine tüchtige Geschäftsfrau zu werden und viel in der Welt herumzukommen. Mit ihrer ausgesprochenen Schönheit wäre sie doch äußerst erfolgreich gewesen. Nun muß ich wieder auf die Suche nach einer ungewöhnlich schönen Frau gehen, bei deren Anblick die Männerherzen förmlich dahinschmelzen, so daß sie lukrative Abschlüsse für unser Busunternehmen erzielt.«

Lea hatte das alles angewidert zur Kenntnis genommen. Es sah Lutz wieder mal ähnlich. Ein Glück, daß Daniela das verborgen blieb. Sie wäre wohl völlig am Boden zerstört gewesen.

Lea erfuhr dann noch, daß er im Kindergarten angerufen hatte und Daniela sprechen wollte. Die eingeweihte Frau Bramsche hatte gottlob schlagartig erwidert: »Meine Mitarbeiterin ist weder krank noch macht sie Urlaub. Sie hat jedoch ihre größte Lebenschance auf Anhieb wahrgenommen, um sich ein unermeßliches Glück für alle Zeiten zu sichern. Möchten Sie noch mehr wissen?«

Da hatte er den Hörer auf die Gabel geknallt, was Frau Bramsche höchst befriedigt registrierte. Als sie dann mit Lea darüber sprach, waren sich beide Frauen einig gewesen: Es hatte Lutz am empfindlichsten Nerv getroffen, daß Daniela ihm nicht nachlief und sich ihm unterwarf. An der Nuß würde er noch eine ganze Weile zu knacken haben.

Beide schworen sich zudem, zu keinem über diesen Vorfall zu sprechen, damit nichts zu Danielas Ohren drang. Sie wäre wohl mit Recht tiefverletzt gewesen, daß es ihm in erster Linie auf ihre Schönheit und den damit verbundenen Geschäftserfolg angekommen war und nicht auf Gefühle, die er wohl kaum besaß.

Weil Daniela somit in keiner Weise mehr an ihn erinnert wurde, verblaßte sein Bild bald völlig.

Zudem herrschte so viel Trubel um sie herum, daß sie gar nicht zum Nachdenken kam. Tagsüber war jede Minute quasi ausgefüllt. Am Abend fiel sie dann förmlich in ihr Bett und schlief sofort ein.

Und als ihre Wohnung endlich fix und fertig eingerichtet war, gab es noch lange kein Ausruhen für sie. Dafür sorgten schon Arno und Roland.

Letzterer hatte durch Zufall in Erfahrung gebracht, daß der alte Bauer Kaspar Krause seinen Besitz um etliches verkleinern wollte, weil ihm mittlerweile die Arbeit zu viel wurde. Zum einen war er nicht mehr der Jüngste, und zum anderen war sein Sohn nicht gewillt, den Bauernhof zu übernehmen.

Peter sah keine reelle Grundlage mehr für die Weiterführung des ländlichen Besitzes seiner Ahnen. Er hatte sich längst eine erfolgversprechende Existenz geschaffen und zwar durch eine Anstellung in einer Brauerei. Dort verdiente er nicht nur sehr gut, sondern es gab auch geregelte Arbeitszeiten. Zudem brauchte er nicht um die Ernte zu bangen, falls das Wetter nicht mitspielte und ihm somit empfindliche Einkommensbußen bescherte.

Kaspar Krause war zwar betrübt über Peters Einstellung, mußte aber einsehen, daß die Zeiten sich geändert hatten. Er stellte sich darauf notgedrungen ein.

Ein großer Trost war es ihm, daß ausgerechnet Arno Bader, den er seit jeher schätzte, ihm zunächst die große Weide mit den beiden darauf befindlichen Scheunen zu einem guten Preis abkaufte. Es interessierte ihn nicht, was der neue Besitzer damit anfangen wollte. Er würde es noch früh genug erfahren.

Arno und Roland sprachen vorläufig zu keinem über das, was sie planten. Statt dessen versuchten sie, ihr wohldurchdachtes Vorhaben möglichst rasch zu verwirklichen.

Daniela wunderte sich zwar über ihres Onkels rege Tätigkeit und seine geheimnisvolle Miene, wäre ihm indessen niemals auf die Schliche gekommen.

Sie war auch viel zu sehr damit beschäftigt, ihre Wohnung ganz nach ihren Wünschen einzurichten, was sie in Hochstimmung versetzte.

*

Endlich war es geschafft. Daniela lud Roland mit seiner Familie und Lea zur Einweihung ein.

Die Freundin brachte zum ersten Mal Torben mit. Sein Jubel war unbeschreiblich, endlich die geliebte Tante Dany wiederzusehen. Er tanzte ausgelassen um sie herum.

Bis die Zwillinge auftauchten. Zunächst musterte man sich ein wenig mißtrauisch, freundete sich indessen rasch miteinander an.

Mareike hatte vorgesorgt und eine liebe Freundin aus dem Ort mitgebracht. Annegret Orbeck war im städtischen Kindergarten beschäftigt, liebte die Kleinen über alles und wußte auch die Übermütigsten bei der Stange zu halten. Sie nahm sich sofort des Trios an und verschaffte deren Angehörigen ein ungestörtes Beisammensein.

Das war auch dringend erforderlich, denn auf Daniela wartete eine umwerfende Überraschung.

Zunächst führte sie alle durch ihre Räume, die wegen ihrer gemütlichen und harmonischen Einrichtung vollen Beifall fanden.

Lea war besonders angetan von dem Zimmer, das Daniela für sie und Torben hergerichtet hatte, falls sie mal für länger bleiben würden.

Danach übernahm Arno die Führung und schlug den Weg zu dem neuerworbenen Grundstück ein, auf dem die in neuer Pracht strahlende Scheune stand.

Er schloß die Tür auf und überreichte Daniela mit feierlicher Miene den Schlüssel. »Du bist die künftige Eigentümerin. Tritt nur ein und begutachte, was Roland und ich in gemeinsamer Arbeit für dich geschaffen haben.«

Es verschlug ihr die Sprache, als er sie hineinschob. Staunend sah sie sich um. Alles war auf die Kinder abgestimmt, Tapeten, Vorhänge, Bodenbeläge und Einrichtungen. Kurzum so, daß jedes Kind sich hier von Anfang an wohlfühlen mußte. Zudem gab es genügend Platz für eine kleine Schar.

»Aber das ist ja überwältigend. Ein richtiger Kindergarten«, stammelte Daniela. »Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll.«

»Indem du dich von ganzem Herzen freust und hier einen Wirkungskreis findest, den du dir erträumt hast. Das ist Roland und mir die schönste Belohnung für unsere Bemühungen. Es hat uns beiden riesigen Spaß gemacht. Die Behörden sind auch einverstanden, daß du Kinder betreust.«

»Aber ich kann doch keinen Kindergarten leiten, bin dazu nicht ausgebildet.«

»Wer spricht denn davon«, mischte sich Roland nunmehr ein. »Es ist schlichtweg ein Hort oder eine Kinderspielstätte, wie du es nennen willst. Unsere Freunde und wir vertrauen dir ganz einfach unsere Kinder an, wenn wir uns mal nicht um sie kümmern können. Sei es, daß wir Einkäufe tätigen oder arbeiten müssen. Es gibt etliche alleinerziehende Mütter oder Väter, die berufstätig sind und keine Großeltern besitzen, die sich ihrer Sprößlinge annehmen können. Wirst du diese in deine Obhut nehmen? Über das Geld müssen wir uns noch unterhalten.«

Mareike machte es Daniela plausibel. Diese stand noch immer da wie vom Donner gerührt und konnte es einfach nicht fassen, wie rosig mit einem Mal die Zukunft vor ihr lag.

Lea schob schließlich die Hand unter Danielas Arm. »Ich sehe das alles heute auch zum ersten Mal und hatte nicht mal die blasseste Ahnung davon, was dein Onkel und Roland heimlich auf die Beine gestellt haben. Schauen wir es uns doch mal genauer an.«

Daniela stellte rasch fest, daß die beiden Männer an alles gedacht hatten. Sie lobte sie dafür und wollte sich erneut bei ihnen bedanken, doch das wehrten sie bescheiden ab.

Die Kinder waren später reinweg aus dem Häuschen, als ihnen alles gezeigt wurde. Torben drückte sich sogar an Daniela und sah sie unverwandt an. »Bitte, bitte, Tante Dany, laß mich bei dir bleiben. Hier kann ich so schön spielen. Und Lars und Leila sind dann auch bei mir. Wir mögen uns.«

»Torben soll bleiben«, verlangten nun auch die Zwillinge, die ihre Händchen auffordernd ausstreckten. »Er ist so lieb und spielt so schön.«

Daniela brachte es nicht übers Herz, ihnen den Wunsch abzuschlagen. Hilfesuchend wandte sie sich an Lea.

Schon sprang Annegret Orbeck in die Bresche. Liebevoll und wiederum nachhaltig machte sie den dreien klar, daß sich das nicht so einfach bewerkstelligen ließ. Abschließend vertröstete sie die Kinder jedoch darauf, daß Torben bestimmt öfter mit seiner Mutter zu Besuch kommen würde.

Frau Ebel besorgte den Rest, als sie den Kleinen köstliche Leckerbissen vorsetzte, während sich auch die Erwachsenen erst einmal stärkten.

Nachdem sich die Besucher später verabschiedet hatten, saßen Arno und Daniela noch lange beisammen und ließen den schönen, ereignisreichen Tag ausklingen.

So glücklich und zufrieden wie heute hatte sie sich schon lange nicht mehr gefühlt. Das gab sie ihrem Onkel auch unverblümt zu verstehen, wobei es in ihren Augen vor Freude feucht schimmerte.

»Ich kann dir gar nicht sagen, wie unendlich dankbar ich dir bin. Die Wolken an meinem Lebenshimmel haben sich verzogen. Ich darf wieder in eine sonnige Zukunft blicken.« Ein tiefer Seufzer der Erleichterung entrang sich ihr. »Mit deiner Hilfe werde ich alles Weitere bewältigen und Kinderaugen zum Strahlen bringen. Ich kann mein Glück noch gar nicht richtig fassen.«

Sie sprang auf und umarmte den Onkel stürmisch, wobei sie ihn mehrmals herzlich auf beide Wangen küßte.

Sie nahm wieder Platz und schaute ihn unverwandt aus ihren schönen, warmen braunen Augen an. »Ohne dich wäre meine Kindheit nicht so sorglos und schön verlaufen. Du und Tante Edith habt mir so unaussprechlich viel gegeben und wart mir die liebsten Eltern. An meine eigenen kann ich mich kaum noch erinnern.«

»Auch du hast unser Leben reich gemacht durch kindliche Liebe und Anhänglichkeit.« Eine feine Wehmut lag in seinen Augen, als er aus tiefstem Herzen bedauerte: »Schade, daß Edith diesen Tag nicht mehr erlebt hat. Sie wäre so glücklich gewesen, eine richtige Kinderschar um sich versammelt zu wissen, und hätte dich liebend gern nach besten Kräften unterstützt.«

Eine Weile hingen beide ihren Erinnerungen an die liebe Verstorbene nach, die ihnen durch ihre Herzenswärme und stetige Heiterkeit ein unbeschwertes, glückliches Leben geschaffen hatte.

Das sprach Daniela unumwunden aus und knüpfte gleichzeitig daran an: »Wir können ihr dafür danken, wenn wir unsere neue Aufgabe ganz in ihrem Sinn ausführen, indem wir den Kindern viel Liebe und Verständnis entgegenbringen. Und falls wir mal in Rage geraten, sollten wir uns flugs erinnern, wie geduldig und nachsichtig sie stets mit ihren Mitmenschen umgesprungen ist.«

Gerührt gab Arno zu: »Du hast vollkommen recht. Wir wollen uns bemühen, uns der anvertrauten Kinder ganz in ihrem Sinne anzunehmen.«

Für Daniela begann jedenfalls ein ganz neuer Lebensabschnitt, der sie ausfüllte und ihr Herzeleid vollkommen vergessen ließ. Sie leistete sich nur einen Schwur: Nie mehr einem Mann zu vertrauen und sich zu verlieben.

*

Eines Abends tauchte unvermutet Andreas Baumann bei Daniela auf. Die Kinder waren bereits allesamt abgeholt worden. Ihr blieb nur noch das Aufräumen, das ihr flink von der Hand ging.

Sie fuhr erschrocken herum, als hinter ihr eine vergnügte Stimme aufklang. »Kann ich dir helfen, Ordnung zu schaffen?«

Andreas lachte sie in seiner unbekümmerten Art an und streckte ihr die Hand entgegen. »Ich bin kein böser Wolf im Schafspelz, sondern Rolands bester Freund. Vielleicht kannst du dich noch an mich erinnern?«

»O ja. Du hast mich doch stets geneckt und mich vor anderen Kindern beschützt. So etwas vergißt man sein ganzes Leben nicht.« Sie ergriff seine Hand, die sie kurz drückte, um sie gleich wieder loszulassen. »Hast du auch ein Kind, das du meiner Obhut anvertrauen möchtest?«

»Nein. Ich bin noch immer solo, womöglich ein sogenannter Ehemuffel. Vielleicht schreckt mich eine Heirat auch ab, weil mir die heutige Moral viel zu lasch erscheint. Ich halte nichts von einer Bindung, die bald wieder in die Brüche geht, weil die Partner Treue und Toleranz kaum noch achten.«

»Die Erfahrung habe ich bereits hinter mir und gottlob überwunden. Mein Lebenswerk sind die Kinder geworden, die ich liebevoll betreue, damit ihre Eltern auch mal Zeit für sich haben, in Ruhe einkaufen können, sich sportlich betätigen und dergleichen. Meist vertraut man mir dann die Kleinen für kurze oder längere Zeit an, je nachdem. Meistens sind es nur ein paar Stunden, aber hin und wieder ist es auch mal ein ganzer Tag.«

Sie lenkte von sich ab. »Warst du auf Segeltour? Ich habe gehört, daß das dein Lieblingssport ist.«

»Das ist wohl übertrieben. Es ist eher meine Freizeitbeschäftigung, der ich so oft ich kann fröne. An erster Stelle steht mein Beruf, den ich allerdings mit großer Freude ausübe. Ich bin stets auf der Suche nach Antiquitäten, die ich für meinen Vater beschaffe. Er hat noch immer das Geschäft in der Stadt, allerdings um einiges vergrößert. Du warst doch mal da, allerdings dürfte das schon ziemlich lange her sein.«

»Gewiß«, bestätigte sie. »Ich konnte mich gar nicht satt sehen an den wundervollen antiken Stücken. Treibst du denn noch immer welche für das Geschäft auf?«

»Mehr, als du denkst«, versicherte er ihr und sprach lebhaft über Funde, die andere auf ihren Speichern schon zum Gerümpel geworfen und für den Sperrmüll zurechtgelegt hatten. »Meist komme ich gerade noch im richtigen Moment, um das zu verhindern.«

Andreas erging sich lebhaft in Details und war glücklich, eine solch gute Zuhörerin in Daniela gefunden zu haben. Außerdem gab es ihm die Chance, an ihre einstige Freundschaft in Kinder- und Jugendjahren anzuknüpfen. Er wollte es nutzen, um die immer noch heißbegehrte Frau endlich für sich zu gewinnen.

Nur gut, daß er sich vorher eingehend mit seinem besten Freund unterhalten hatte. Roland konnte ihm nützliche Tips geben und einiges über sie verraten. So wußte er, wie behutsam er bei ihr vorgehen mußte. Jedenfalls nützte er das schon jetzt äußerst geschickt aus.

Mit treuherzigem Blick versicherte er ihr: »Freundschaft ist für mich viel wertvoller als Liebe, die ich für ziemlich zweifelhaft halte. Aber das habe ich dir ja bereits gesagt. Deine Meinung dazu kenne ich auch. Somit haben wir etwas gemeinsam, was uns eigentlich zu Freunden machen könnte, sofern du einverstanden bist.«

»Sehr gern sogar, denn jeder Mensch braucht einen guten Freund.«

Sie sah ihn aus ihren warmen, braunen Augen so treuherzig an, daß ihm fast der Atem stockte und sein Herz einen wahren Wirbel vollführte. In diesem Augenblick sehnte er sich mehr denn je danach, ihre Liebe zu erringen, um seine Arme um sie zu schließen und ihre süßen Lippen zu liebkosen.

Bevor er vollends seinen Kopf verlor, ging er rasch weiter in den Raum hinein, hob achtlos beiseite geworfenes Spielzeug auf und betrachtete ansonsten alles interessiert. Schließlich hatte er sich wieder fest in der Gewalt, so daß er Daniela ruhig ansehen konnte, die mittlerweile an seine Seite getreten war.

»Gefällt dir, was ich hier mit Onkel Arnos und Rolands Hilfe geschaffen habe?« Sie korrigierte sich sogleich. »Es war vielmehr das Werk der beiden, mit dem sie mich überrascht haben.«

»Hier möchte ich auch als Kind spielen. Deine Schützlinge müssen sich doch sehr wohl fühlen, nicht wahr?«

»Und ob.« Sie gab einige Erlebnisse zum besten.

Andreas nickte mehrmals zustimmend. Er tat ihr ehrlich seine Meinung kund. »Ich finde es großartig, daß du diese wundervolle Aufgabe übernommen hast. In mir ist jetzt auch ein echtes Bedürfnis geweckt, dich gelegentlich zu unterstützen. Darf ich?«

»Selbstverständlich, wenn es dir Spaß macht. Liebst du Kinder?«

»Und ob. Ich glaube, sie mögen mich auch, jedenfalls die, mit denen ich gelegentlich zu tun habe. Ich traue mir auch einige Phantasie für neue Spiele zu.«

»Dann laß dir nur mal etwas einfallen«, ermunterte sie ihn.

Er versprach es und verabschiedete sich.

Entgegen ihrer sonstigen Angewohnheit saß sie ihrem Onkel am Abend schweigsam gegenüber. Sie nutzten den Feierabend stets dazu, um sich gemütlich zusammenzusetzen und die Ereignisse des Tages zu erörtern. Ihre Gespräche drehten sich in der Hauptsache um die Kinder. Durch ihr Verhalten wurden manche Fragen aufgeworfen, die sich meist nur in der Diskussion beantworten ließen.

Heute betrachtete Arno seine Nichte schon eine ganze Weile. Bis er endlich das Wort an sie richtete. »Du bist so nachdenklich? Ist etwas Außergewöhnliches passiert?«

Sie sah ihn an und rückte unvermittelt mit der Sprache heraus. »Ich bin mit Andreas Baumann zusammengetroffen.« Sie berichtete ausführlich darüber.

Aufmerksam lauschte ihr Onkel. Er kannte dessen Vorliebe für seine Nichte zur Genüge. Zum einen hatten es seine Blicke verraten, was Daniela stets entgangen war, und zum anderen hatte Roland offenherzig mit ihm darüber gesprochen. Erst vor wenigen Tagen hatte er gewünscht, Andreas und Daniela würden wieder in Freundschaft zusammenkommen, aus der sich dann die große Liebe entwickeln möge.

Das bezweifelte Arno indessen, denn er kannte sie zu gut, um nicht zu wissen, daß sie nur einmal ihr Herz verschenkte. So nickte er denn auch nur zu ihren Worten zu dem Abkommen, das beide getroffen hatten. Er erwartete nichts anderes.

»Was sagst du dazu?« wollte sie schließlich gespannt wissen.

»Ich finde es gut, wenn sich zwei Gleichgesinnte zusammentun. Ihr werdet bestimmt gute Freunde sein, wie ihr es immer wart. Andreas ist ein Prachtbursche und weiß schon, was er will, wußte es immer. Bringe ihn nur öfter ins Haus. Wir Männer werden sicherlich so manches interessante Gespräch führen. Das war bislang stets der Fall, wenn wir uns bei Roland getroffen haben.«

Er gab dann wieder, was er über Andreas’ berufliche Erfolge erfahren hatte. Schließlich ereiferte er sich sogar: »Er hat den großen Dachboden seines Elternhauses ein wenig umgebaut und ist dabei, sich dort ein kleines Museum einzurichten. Die wertvollsten Stücke aus längstvergangener Zeit behält er nämlich mit ausdrücklicher Zustimmung seines Vaters für sich. Ich halte es sogar für möglich, daß sich mal eine große Sammlung daraus entwickelt, die er dann der Öffentlichkeit zugänglich machen wird.«

Daniela zeigte sich sehr interessiert. Sie wollte noch mehr wissen.

Der Onkel hatte jedoch bereits alles gesagt. »Bitte Andreas doch mal selbst, dir gelegentlich alles zu zeigen. Jeder Sammler freut sich über die Anerkennung der anderen.«

Es lag ihm auf der Zunge zu sagen: »Ganz besonders in deinem Fall.« Doch er schwieg sich lieber aus, um hier nichts zu zerstören, was sich womöglich zaghaft anbahnte. Wie stets überließ er alles dem Schicksal und der Zukunft.

Daniela lag nachher noch lange wach in ihrem Bett und dachte über ihre Begegnung mit Andreas nach.

*

Es sprach sich in Hornungen schnell herum, daß es jemanden gab, dem man seine Kinder vorübergehend anvertrauen konnte. Besonders die überforderten Alleinerziehenden nutzten die nützliche Einrichtung und brachten ihre Sprößlinge für begrenzte Zeiten zu Daniela.

Die meisten kannten sich noch aus der Zeit, als sie unter ihnen und in Arno Baders Haus aufgewachsen war. Man erneuerte ohne große Worte die einstige Freundschaft oder verschaffte sich guten Kontakt mit ihr. Immer öfter wurde Daniela auch zu Grillpartys oder ähnlichen vergnügten Stunden eingeladen.

Alle gaben ihr sofort das Gefühl, wie eh und je zu ihnen zu gehören. Selbst dann, wenn sie ihre Dienste wegen der Nachkommen nicht in Anspruch nehmen mußten. Durch das ungezwungene, fröhliche Treiben erlangte Daniela ihre einstige Heiterkeit wieder zurück. Verflogen waren die Schatten der Vergangenheit.

Sie sprühte sogar bald vor guter Laune und wurde bei allen noch beliebter als je zuvor.

Die Kinder hingen jedoch nahezu abgöttisch an ihrer geliebten Tante Daniela. Jedes war eifrig darauf bedacht, sie nicht zu betrüben, denn nichts traf sie schlimmer als der tieftraurige Blick aus ihren Augen. Anstatt zu schelten, ließ sie den Kopf bekümmert hängen und lachte kein einziges Mal mehr.

Das hinterließ eine weitaus größere Wirkung als eine geharnischte Standpauke. Der kleine Sünder wurde sofort von tiefer Reue gepackt, bat die geliebte Tante um Verzeihung und versprach nicht nur Besserung, sondern hielt sich möglichst auch daran.

Das machte auf die Erwachsenen einen nachhaltigen Eindruck, so daß sich jeder vornahm, es ihr gleichzutun, um ihre Kinder auf den richtigen Weg zu lenken.

Selbst Arno, Roland und Mareike, die Daniela heimlich beobachteten, staunten nicht schlecht über die von ihr angewandte Methode. Davon war Andreas ganz besonders angetan. Seine Gefühle für die junge Frau vertieften sich immer mehr. Es focht ihn keineswegs an, daß sie ihn gleichbleibend freundlich wie alle anderen auch behandelte. Er würde beharrlich um ihre Zuneigung kämpfen, bis sie bereit war, ihn zu heiraten.

Das verkündete er auch mit eiserner Entschlossenheit seinen Eltern. Sie hatten nichts gegen eine solche Schwiegertochter, denn ihnen war Daniela schon immer sehr sympathisch gewesen. Jetzt bewunderten sie sie noch mehr für die Aufgabe, die sie übernommen hatte.

Frau Baumann tauchte sogar an einem verregneten Nachmittag in der umgestalteten Scheune auf. Unbemerkt konnte sie sich in den Raum schieben und eine ganze Weile den spielenden Kindern ungestört zuschauen. Sie war restlos fasziniert von dem, was sie sah.

Bis Daniela auf sie aufmerksam wurde, das Spiel unterbrach und Frau Baumann herzlich begrüßte. Diese wirkte ein wenig verlegen und entschuldigte sich für ihr formloses Eindringen. »Ich habe jedoch so viel Erstaunliches über Ihre jetzige Tätigkeit gehört, daß ich mich aus Neugier einmal selbst davon überzeugen mußte.«

Daniela lachte herzhaft. »Sie sind mir willkommen. Ich freue mich jedesmal, wenn man an meiner Arbeit Interesse zeigt. Ich werde übrigens dabei kräftig unterstützt, vor allem von Onkel Arno, aber auch von Ihrem Sohn, wofür ich sehr dankbar bin. Er hat sich bereits einiges einfallen lassen, um die Kinder zu erfreuen. Ihr Jubel kannte keine Grenzen, als er am vergangenen Wochenende Kutschfahrten organisierte.«

»Andreas ist ausgesprochen kinderlieb. Er sagt immer, die Kleinen sind Gottes besondere Geschöpfe, die man gern haben muß.« Sie verriet jedoch mit keiner noch so kleinen Andeutung, wie tief seine Gefühle für sie waren. Aber sie hatte sich fest vorgenommen, ihrem Sohn unauffällig beizustehen, um sich Daniela zu erringen. Um so höher bewertete sie Danielas nächste Worte.

Sie bat die Ältere nämlich herzlich: »Ich wünsche mir, daß Sie mich wie in vergangenen Tagen duzen. Die förmliche Anrede mag ich nämlich von lieben Bekannten und Freunden gar nicht.«

Frau Baumann lachte sie an. »Nichts tu ich lieber. Für mich bist du das liebenswerte Kind von einst geblieben, aber auch die Jugendfreundin meines Sohnes. Ihr habt so vieles gemeinsam.«

Daniela entging der tiefere Sinn ihrer letzten Bemerkung. Unbefangen gab sie zu: »Das haben wir beide bereits festgestellt. Der schönste Lohn ist für uns beide das Lachen der Kinder, wenn wir ihnen eine Freude machen können. Doch treten Sie erst einmal näher. Die meisten Kinder dürften Ihnen ja bekannt sein.«

Gerührt verfolgte sie die Begrüßung der Kleinen durch Frau Baumann. Sie ließ sich zeigen, was ihnen Daniela beigebracht hatte. Alle Kinder waren aufgeschlossen und eifrig bei der Sache.

Als die Ältere sich schließlich verabschiedete, stellte sie Daniela weitere Besuche in Aussicht. »Manchmal plagt mich nämlich die Langeweile, wenn meine Männer von zu Hause fort sind. Das bißchen Hausarbeit schaffe ich spielend.«

»Kommen Sie nur, so oft Sie mögen«, ermunterte Daniela sie. »Sie sind den Kindern und mir stets herzlich willkommen.«

Sinnend schaute sie der Älteren nach und schrak zusammen, als Onkel Arno auftauchte und sie von der Seite ansprach. »War das nicht eben Frau Baumann? Oder habe ich mich getäuscht?«

»Hast du nicht.« Daniela lachte ihn unbekümmert an. »Stell dir nur vor, sie hat mir ihre Hilfe bei der Betreuung der Kinder angeboten.« In launigen Worten berichtete sie, wurde dann jedoch gestört, als zwei der Kinder angriffslustig aufeinander zugingen.

Rasch stiftete sie Frieden. Und als sie erst einmal Arno entdeckten, begrüßten sie ihn jubelnd. Er hatte ihnen Äpfel mitgebracht, die er gerecht verteilte. Danach ließ er sich berichten, was sie heute gespielt hatten.

Daniela hatte sie ein Lied gelehrt, das sie mit viel Eifer vortrugen. Sie waren stolz, seinen lebhaften Beifall zu ernten.

Wenig später wurden die Kinder von ihren Eltern oder anderen Verwandten abgeholt. Im Nu kehrte Stille ein. Arno half der Nichte beim Aufräumen.

Sie waren gerade damit fertig, als Andreas auftauchte. Er strahlte über das ganze Gesicht. »Du hast heute meine Mutter nahezu verzaubert. Jedenfalls war sie sehr von dir angetan. Du konntest ihr keine größere Freude bereiten als sie zu ermuntern, dich öfter bei den Kindern zu unterstützten.«

Er seufzte kurz auf und fuhr mit ernsterem Gesicht fort: »Mutter hat sich stets eine Kinderschar gewünscht, doch ich bin ihr einziger geblieben.«

»Dann solltest du schleunigst heiraten und ihr den Wunsch nach Enkelkindern erfüllen«, rutschte es Daniela heraus.

»Dazu müßte ich erst die richtige Frau finden«, hielt er dem bekümmert entgegen. »Das ist gar nicht so einfach, zumal ich nicht zu den Männern gehöre, auf die die Frauen fliegen. Ich bin weder attraktiv noch außergewöhnlich im Wesen.«

»Als ob es darauf ankommt«, konterte Daniela. »Du bist ein warmherziger, verläßlicher Mensch, dem gerade Gefühle heilig sind. Unvorstellbar, daß du eine Frau enttäuschen würdest. Eher läge der Fall umgekehrt.«

Er sah sie mit einem Blick an, den sie nicht zu deuten wußte.

Um so klarer wurde Arno bewußt, daß er im Begriff stand, eine voreilige Bemerkung zu machen, die alles zwischen Andreas und Daniela zerstören konnte, bevor es noch begonnen hatte. So mischte er sich ablenkend ein.

»Was haltet ihr eigentlich davon, wenn wir hier einen richtigen Spielplatz anlegen würden? Darauf können sich die Kinder nach Herzenslust austoben. Überlegt mal, welche Geräte wir anschaffen müßten.«

Die jungen Leute griffen seine Anregung erfreut auf. Bald waren sie in ein lebhaftes Gespräch vertieft.

Schließlich schlug Arno vor, die Sache in aller Ruhe zu überlegen, um den Plan gezielt zu verwirklichen. »Falls der jetzige Platz nicht ausreicht, kaufe ich dem Bauern noch ein weiteres Stück Land ab.«

»Wir könnten doch die zweite Scheune abreißen lassen«, meinte Daniela nachdenklich. »Dann dürfte ein ausreichender Spielplatz entstehen.«

Andreas sah sie prüfend von der Seite an. »Willst du hier einen Kindergarten oder so etwas Ähnliches aufbauen?«

»Nein. Wie kommst du darauf?« fragte sie verblüfft. »Mir genügt die Anzahl der Kleinen. Zu viele könnte ich auch gar nicht richtig beaufsichtigen. Du weißt doch, daß ich nur den Eltern entgegenkommen möchte, deren Beruf es verhindert, sich rund um die Uhr um ihre Kleinen zu kümmern.«

Arno wiegte einige Male den Kopf hin und her. »Man ist bereits mehrfach mit der Bitte an mich herangetreten, auf dich einzuwirken, damit du hier doch eine richtige Tagesstätte einrichtest und die Kleinen von morgens bis abends in deine Obhut nimmst. Den Preis dafür will man gern bezahlen.«

Unwillkürlich bogen sich Danielas Mundwinkel nach unten. »Ist ihnen denn der schnöde Mammon wichtiger als die Liebe zu Sohn und Tochter? In unserem Wirtschaftswunderland scheint demnach nur noch eines erstrebenswert: den anderen zu übertrumpfen, was Besitz oder auch Urlaubsreisen angeht.«

Ihre Miene wurde milder, als sie mehr zu sich selbst meinte: »Äußerlichkeiten sind doch so vergänglich. Bei mir zählen nur die inneren Werte, sind gute Gefühle unersetzlich.«

Andreas schaute sie mit verklärten Augen an. »Das hast du eben wundervoll ausgedrückt und mir damit vollkommen aus der Seele gesprochen.«

Arno sah sekundenlang sinnend von einem zum anderen und dachte sich seinen Teil. Unwillkürlich nickte er vor sich hin. Er war sich sicher, daß die beiden Menschen eines Tages doch noch fürs Leben zusammenkamen, wenn es auch im Augenblick nicht danach aussah.

*

Lea war seit fast einem Monat nicht mehr bei Daniela gewesen und hatte sich nicht einmal telefonisch gemeldet. Nun stand sie mit einem schuldbewußten Gesicht vor ihr. »Ich bin so eingespannt in meinem Beruf gewesen, daß ich kaum noch zum Luftholen gekommen bin. Torben hat sich auch bereits beschwert, obwohl sich meine gottlob genesende Mutter und Tante Annette seiner unermüdlich angenommen und ihm möglichst viel Abwechslung geboten haben.«

Daniela bekannte indessen nicht minder zerknirscht: »Ich habe auch kaum noch an dich gedacht, weil so viel Neues auf mich eingestürmt ist. Du wirst dich wundern, wenn ich dir alles zeige und erzähle.«

Vorerst kam sie jedoch nicht dazu, weil sie erst einmal Torben gebührend begrüßen mußte. Arno beschäftigte sich dann zum Glück mit ihm. Er führte ihn zu dem neuen Spielplatz, der bereits größtenteils eingerichtet war. Der Jubel des Kleinen kannte wirklich keine Grenzen.

Später verlangte er stürmisch, hierbleiben zu dürfen. »Bei Tante Dany ist es viel lustiger. Ich kann auch hier schlafen und mopse mich nie.«

»Langweilen heißt das und nicht mopsen«, belehrte ihn die Mutter und drohte scherzhaft mit dem Finger. »Ich werde über dein Ansinnen nachdenken. Entscheiden muß aber Tante Dany sowie ihr Onkel Arno, ob sie dich bei sich aufnehmen.« Mit Nachdruck fügte sie dem noch hinzu: »Allerdings nur für begrenzte Zeit. Schließlich bist du mein Sohn, ich möchte dich nicht missen. Wir gehören doch zusammen.«

Der gewitzte Torben verlangte sofort: »Du kannst ja auch hier wohnen. Ich…«

»Hör schon auf mit dem Unsinn«, rief Lea in gespielter Entrüstung aus, mußte dann aber über so viel kindlichen Eifer herzhaft lachen. Sie fuhr ihm liebevoll über den Haarschopf, als sie dann allen Ernstes erklärte: »Wir bleiben diesmal übers Wochenende hinaus hier, falls deine Tante Dany und dein Onkel Arno damit einverstanden sind.«

Der Kleine klatschte jubelnd in die Hände. Er brauchte allerdings nicht darum zu bitten, denn sie stimmten sofort mit tausend Freuden zu.

Daniela ergriff ihn bei der Hand. »Gehen wir doch erst mal zu Frau Ebel. Vielleicht läßt sie sich ja erweichen, heute mittag eines deiner Leibgerichte zu kochen.«

»Au fein.« Torben hüpfte vergnügt neben ihr her und wurde wenig später von Frau Ebel hocherfreut begrüßt.

»Du hast Glück, denn ich mache heute abend Zwetschgenknödel, die du doch so gern ißt, nicht wahr?«

»O ja.« Er führte einen Freudentanz auf. »Darf ich dir helfen, Tante Ebel?«

»Selbstverständlich, denn ohne deine Hilfe würde ich es gar nicht schaffen.« Sie zwinkerte ihm zu.

»Dann bin ich hier ja überflüssig«, ließ Daniela verlauten. »Da will ich mich mal darum kümmern, daß das Zimmer der beiden in Ordnung ist.«

Danach kehrte sie ins Wohnzimmer zu Onkel Arno und Lea zurück, die ihr Gespräch sofort unterbrachen. »Störe ich?«

Lea schüttelte verneinend den Kopf. »Nicht im geringsten. Ich habe nur gerade mit deinem Onkel ausgemacht, daß er nachher mal nach dem schlafenden Torben schaut. Wir könnten dann einen ausgiebigen Abendspaziergang machen. Bist du damit einverstanden?«

»Sehr gern sogar«, versetzte Daniela, die der Freundin ansah, daß sie etwas Besonderes auf dem Herzen hatte.

Darin sollte sie sich auch nicht täuschen.

Zunächst schritten sie schweigend nebeneinander her. Lea ließ ihre Blicke bewundernd umherschweifen. Wie verträumt der Abendsonnenschein über der schönen Naturlandschaft lag!

»Du bist zu beneiden«, wandte sie sich schließlich an die Freundin und verhielt unwillkürlich den Schritt. »Dieser Anblick ist ein Genuß für die Seele und so herrlich beruhigend nach einem anstrengenden Arbeitstag. Nun kann ich meine Mutter auch verstehen, daß sie und Tante Annette zu deren Tochter aufs Land ziehen wollen, um ihr Alter so richtig genießen zu können.«

Ihre Augen entdeckten eine kleine Bank am Rande einer großen Weide, auf der Kühe grasten. Sie waren durch einen Zaun gesichert, um einen Ausbruch zu verhindern. Hin und wieder ertönte ein behagliches Muhen.

»Du bist in einer großartigen Umgebung aufgewachsen, Daniela. Eine wahre Idylle des Friedens.«

»Das denkst aber nur du.« Die Freundin lachte leise. Ernsthaft erläuterte sie dann eine höchst brenzlige Szene aus Kindertagen, als sie ausgerechnet über diese Weide ging und anfangs nicht einmal bemerkte, daß der Bauer an diesem Tag auch den Stier herausgelassen hatte. Zu allem Übel trug sie auch noch eine rote Bluse.

»Du kannst dir meinen Schock kaum vorstellen, als das wildgewordene Tier über die Weide auf mich zujagte. Mein Instinkt ließ mich rasch und richtig reagieren. Ich bin förmlich um mein Leben gerannt und erreichte den rettenden Zaun buchstäblich in letzter Minute. Beim Überklettern des Stacheldrahtes habe ich mir dann auch noch mein schönes, neues Kleid zerrissen.«

Sie seufzte. »Tante Edith hatte es selbst so mühsam genäht. Dennoch tröstete sie mich liebevoll über den Schaden hinweg. Für sie zählte einzig und allein, daß ich der Gefahr unbeschadet entronnen war. Nicht auszudenken, was der Stier wohl mit mir angestellt hätte.«

»Du bist wohl nie mehr über eine Weide mit grasenden Kühen gegangen, nicht wahr?«

»O doch, jederzeit. Allerdings habe ich mich vorher gründlich überzeugt, daß kein Stier unter ihnen war.« Sie lenkte ab. »Was wird aus Torben, wenn deine Mutter fortzieht? Sie kann ihn dann doch nicht mehr in ihre Obhut nehmen, nicht wahr? Oder ist ihr neuer Wohnort nur ein paar Kilometer entfernt, so daß du deinen Sohn dort abends abholen kannst? Ich würde den Kleinen allerdings jederzeit unter meine Fittiche nehmen. Was ist nun? So rede doch endlich.«

Lea stieß ein schallendes Gelächter aus, beruhigte sich indessen schnell wieder. »Du hast mich ja nicht zu Wort kommen lassen. Um es erst einmal klarzustellen. Der Umzug meiner Mutter ist nicht das Hauptproblem, das mir zu schaffen macht. Dafür würde es bestimmt eine gute Lösung geben. Du hast es ja bereits angeschnitten. Die Sache ist für mich viel heikler. Mein Chef wünscht, daß ich ihn künftig auf Geschäftsreisen begleite.«

Sie erläuterte es näher. So wollte er seine Mitarbeiterin stets zur Verfügung haben, sei es, damit sie wichtige Dinge notierte, sei es, daß sie ihn bei Verhandlungen mit Geschäftspartnern unterstützte und dergleichen mehr. Sie schloß mit den Worten: »Für ihn dürfte ich somit künftig unentbehrlich sein. Das läßt sich allerdings mit meinen mütterlichen Verpflichtungen nicht vereinbaren, was ich ihm nachdrücklich vor Augen geführt habe.«

Sie seufzte tief auf. »Leider hat er sich davon nicht beeindrucken lassen und mich quasi vor die Alternative gestellt, entweder seine beste Kraft mit Gehaltserhöhung und sonstigen Vergünstigungen zu sein – oder eben nur eine Mutter. Ich habe mich, ohne zu überlegen, für letzteres entschieden und bin dadurch nun meinen Posten los. Das bereue ich allerdings keineswegs. Inzwischen habe ich bereits Bewerbungen geschrieben, auf die ich entweder Absagen oder noch keine Antwort erhalten habe. Trotzdem ändere ich meine Meinung nicht.«

Zunächst war Daniela sehr erschrocken. Sie rang die Hände und dachte kurz nach. Entschlossen hob sie ihren Kopf. »Wenn du so tüchtig bist, wie es dein Chef nachdrücklich versichert hat, muß er dir auch ein entsprechendes Zeugnis ausstellen. Damit wirst du bald wieder eine neue Stelle bekommen. Ich bin davon restlos überzeugt. Allerdings wirst du dich ein wenig in Geduld üben müssen.«

Ihr kam eine glorreiche Idee. »Warum nutzt du deine freie Zeit nicht, um bei uns erst einmal Urlaub zu machen? Du kannst deine Bewerbungen doch auch in unserm Haus schreiben. Um Torben kümmern Onkel Arno und ich uns schon. Wir…«

»Hoppla, nicht so schnell«, bremste Lea lachend ihren Eifer. »Du meinst es zwar gut, aber ich muß erst einmal die Kündigungsfrist einhalten. Allerdings hoffe ich, daß mein Chef großzügig ist und mich unbeschadet vorzeitig aus dem Arbeitsvertrag entläßt, sofern ich eine schnelle Anstellung finde. Voraussetzung dafür ist allerdings, daß er rasch eine geeignete Nachfolgerin für mich findet.«

Sie erhob sich. »Es wird bereits dämmerig. Wir sollten heimkehren, zumal es vorerst kaum noch etwas zu bereden gibt. Lassen wir alles weitere erst einmal auf uns zukommen.«

Daniela stimmte ihr zu. Sie schlug einen schmalen Wiesenpfad ein, der sie auf kürzestem Weg zu Onkel Arnos Haus zurückbrachte. An Unterhaltung war nicht mehr zu denken, weil sie hintereinander gehen mußten.

Arno Bader wartete bereits auf sie. »Ihr seht müde aus, ich bin es auch. Wir sollten uns schleungist zu Bett begeben. Ich wünsche euch eine gute Nacht.«

Das wünschten ihm die jungen Frauen ebenfalls, die unverzüglich ihre Zimmer aufsuchten.

Daniela wollte noch in Ruhe über alles nachdenken. Doch sie hatte sich kaum hingelegt, als sie bereits fest schlief.

*

Der nächste Tag war ein Samstag. Arno verkündete am Frühstückstisch, daß er in die Stadt fahren wolle, um einige Besorgungen zu machen.

»Darf ich mitkommen?« erkundigte sich Lea.

»Selbstverständlich«, willigte Arno sofort ein. Er wandte sich an Torben. »Was ist mit dir? Möchtest du auch in die Stadt? Oder willst du lieber bei Tante Dany bleiben und dir all die schönen Spielsachen in der Scheune zeigen lassen?«

»Ich bleibe hier«, antwortete der Kleine prompt.

Er konnte es kaum erwarten, bis Daniela mit ihm zu der Scheune ging, die nur noch äußerlich an ihren eigentlichen Verwendungszweck erinnerte. Drinnen war alles vollkommen verändert.

Einiges kannte Torben bereits. Das übrige zeigte ihm Daniela. Staunend betrachtete er alles und geriet immer wieder in helles Entzücken.

Als sie ihm dann lächelnd erlaubte, mit den Spielsachen zu spielen, die ihm am meisten gefielen, klammerte er sich an ihre Hand und schaute mit strahlenden Augen zu ihr auf. »Du bist die Beste und Liebste. Ich will auch ganz artig sein und nichts zerbrechen.«

Sie strich ihm liebevoll über den Kopf. »Das habe ich auch nicht anders von dir erwartet.«

Sie wandte sich bereits der heutigen Arbeit zu. Alles mußte für die kommende Woche gründlich aufgeräumt und gesäubert werden. Ab und zu warf sie einen Blick auf Torben, der ganz in sein Spiel vertieft war.

Unversehens geriet sie ins Grübeln. Merkwürdig, daß der Kleine auch nicht die geringste Ähnlichkeit mit seinem leiblichen Vater aufwies. Der Gedanke an Lutz ließ sie längst völlig kalt. Statt dessen überlegte sie, ob sie Lea nicht helfen konnte, rasch eine neue Stelle zu finden. Dabei kam ihr jäh der glänzende Einfall, ob sie in der nahegelegenen Stadt nicht mal ihr Heil versuchen sollte.

Das ermöglichte es Onkel Arno und ihr, sich tagsüber um Torben zu kümmern. Er war ein anpassungsfähiger Bursche und würde mit den anderen Kindern rasch Freundschaft schließen. Sie war so eingesponnen in ihre Gedanken, daß sie Zeit und Raum vergaß.

Bis ein lautes Poltern sie aufschreckte. Rasch ging sie dem Geräusch nach.

Torben hob gerade mit Mühe und Not eine kleine Kiste wieder auf. Er stellte sie an den richtigen Platz zurück. Flink räumte er einige Spielsachen ein. Sie erkannte sofort, daß er ihr bei ihrer Arbeit helfen wollte. Unwillkürlich erfaßte ihr Blick die Ordnung, die er inzwischen geschaffen hatte. Es rührte tief an ihr Herz.

Sie trat an seine Seite und ging vor ihm in die Hocke. Dabei schaute sie ihn liebevoll an. »Was habe ich doch für einen tüchtigen Helfer! Nun bin ich viel früher fertig als gedacht. Dafür bekommst du nachher auch eine Belohnung. Ich werde mich anstrengen müssen, wie ich dir eine Freude machen kann. Weißt du es vielleicht?«

»Ich will aber nichts. Nur bei dir bleiben möchte ich, Tante Dany, um mit dir und den Kindern zu spielen. Ich räume auch nachher alles auf. Du bist so lieb.« Flugs streckte er beide Hände aus, um sie zu umarmen.

Darauf war Daniela nicht gefaßt. Sie verlor das Gleichgewicht, und beide kugelten auf dem Boden. Im ersten Schreck starrten sie einander nur an. Dann hockten sie sich hin und lachten aus vollem Hals, bis ihnen die Tränen kamen.

Plötzlich machte es einige Male ›klick‹. Und dann ertönte eine tiefe Stimme: »Was treibt ihr denn da? Eine neue Sportart auf dem Boden?«

Im Nu war Torben auf den Beinen. »Onkel Arno! Onkel Arno!« ereiferte er sich. »Wir sind hingepurzelt, weil ich Tante Dany danken wollte, daß ich bei ihr bleiben darf und immer mit den anderen Kindern spielen kann. Sie ist…«

»Halt ein, mein Sohn«, mischte sich Lea resolut ein. »Dazu habe ich wohl auch ein Wörtchen mitzureden.«

Bevor sie noch mehr sagen konnte, mischte sich Arno ein. »Wir sollten das mal in aller Ruhe miteinander besprechen, wenn wir am Nachmittag gemütlich beisammen sitzen. Zuerst gibt es einmal Mittag. Ich habe bereits einen Mordshunger. Schauen wir mal, was Frau Ebel uns heute Gutes gekocht hat.«

Die beiden entfernten sich rasch, während sich Daniela den Staub von ihrer Kleidung klopfte.

»Hat sich Torben unmanierlich benommen?« erkundigte sich Lea besorgt und stellte sich prüfend vor die Freundin hin. »Er ist manchmal wirklich zu ungestüm in seinem Wesen, obwohl er es durchaus nicht böse meint.«

»Besser so, als wenn er krank und lustlos in der Ecke sitzen würde«, wandte Daniela ein. Sie erinnerte sich mit einem Mal an etwas. »Sag mal, war da nicht vorhin ein merkwürdiges Geräusch? Es hörte sich an, als mache es ›klick‹.«

»Nicht, daß ich wüßte«, versetzte Lea und sah sich verstohlen um. Sie hatte es plötzlich eilig, den Schuppen zu verlassen. Während sie dann zum Haus schlenderten, erging sie sich in nahezu schwärmerischen Worten über das romantische Städtchen. »Alles wirkt so altertümlich und gemütlich. Dort läßt es sich bestimmt gut leben.«

Daniela entsann sich jäh dessen, was ihr vorhin durch den Sinn gegangen war. »Könntest du nicht versuchen, dort einen neuen Job zu finden?«

Lea war stehengeblieben. Sie sah die andere prüfend an. »Meinst du das im Ernst?«

»Natürlich. Du wärest in unserer Nähe, wüßtest Torben bei uns in bester Obhut und brauchtest nach Feierabend nicht auf ihn verzichten. Zudem hat er mir verraten, daß er liebend gern mit den anderen Kindern und mir spielen würde. Er war ganz begeistert von dem schönen Spielraum mit all den Sachen.«

Die Freundin ging weiter und sah anscheinend gedankenverloren vor sich nieder. Ohne innezuhalten, versprach sie: »Ich werde über deine Anregung nachdenken. Allerdings bin ich mir nicht so sicher, daß ich hier eine neue Arbeitsstelle bekomme. So groß ist die Stadt auch wieder nicht, und so sind die Möglichkeiten einer dauerhaften Beschäftigung doch sehr begrenzt.«

Sie warf Daniela einen verstohlenen Seitenblick zu und fügte an: »Versuchen könnte man es ja. Schade, daß ich vorhin keine Zeitung gekauft habe.«

»Macht nichts«, tröstete Daniela sie. »Onkel Arno hat eine. Du kannst nachher in aller Ruhe die Stellenanzeigen studieren und dir heraussuchen, was für dich in Frage kommt. Ich sorge schon dafür, daß Torben dich nicht stört.«

Lea erhaschte ihre Hand und drückte sie fest. »Du bist ein Schatz. Ich kann dem Himmel nicht genug danken, daß er dich mir in den Weg geführt hat. Mein Leben ist um vieles schöner und interessanter geworden. Eines Tages werde ich dir hoffentlich reichlich für deine Dienste danken können.«

Bei den letzten Worten lag ein eigenartiger Ausdruck in Leas Augen, den sich Daniela nicht zu deuten wußte. Sie dachte auch nicht weiter darüber nach. Zudem hielten sie bald ganz andere Dinge in Atem, die sie nicht zur Ruhe kommen ließen.

*

Am Sonntagmorgen saßen Daniela, Arno und Lea auf der sonnenüberfluteten Terrasse und berieten, was sie am Nachmittag gemeinsam unternehmen wollten.

Plötzlich stürmte Torben aufgeregt heran. Er wies mit der Hand zum Eingang. »Schaut nur, die Pferde und die Kutsche. Wer ist das?«

Lea erhob sich lächelnd. »Schauen wir doch mal nach, wer uns da besuchen will.«

»Das ist bestimmt Andreas«, vermutete Arno sofort richtig und tauschte einen kurzen, verschwörerischen Blick mit ihr.

»In der Tat, er ist es wirklich«, meldete sich nun auch Daniela zu Wort. Sie wollte der Freundin eine nähere Erklärung abgeben, daß er gelegentlich mit den Kindern Kutschfahrten unternahm, doch diese ging bereits in seiner Richtung davon. Torben hüpfte neben ihr her.

Arno schob seine Hand leicht unter ihren Arm. »Begrüßen auch wir ihn und zeigen wir ihm, daß seine Überraschung vollkommen gelungen ist.«

Daniela warf ihm einen schrägen Seitenblick zu. »Hast du davon gewußt?«

»Nein.« Er schmunzelte stillvergnügt in sich hinein. Andreas hatte ihn heimlich zum Bundesgenossen gemacht, um sich sein Glück mit seiner Nichte zu sichern. Doch das würde ihr strenggehütetes Geheimnis bleiben.

Er behielt sie jedoch im Auge und bemerkte ihre Verwunderung über das zwanglose Zusammentreffen der drei. Leas herzliches Lächeln ließ sogar auf eine gewisse Vertrautheit schließen.

Es befremdete Daniela irgendwie, ohne daß sie sich jedoch klar darüber wurde, warum dem so war. Sie konnte nicht verstehen, was sie miteinander sprachen, aber sie lächelten sich dabei an.

Dann hob Andreas sogar Torben in die Höhe und redete allem Anschein nach liebevoll auf ihn ein.

»Ja, Onkel Andy«, sagte der Junge gerade, als Arno und Daniela die kleine Gruppe erreichten.

Andreas stellte ihn behutsam wieder auf die Beine und wandte sich den Herankommenden zu. Er grinste übers ganze Gesicht. »Na, wie habe ich das gemacht? Heute seid ihr alle meine Gäste. Vertraut euch nur getrost meiner Führung an. Verraten werde ich nämlich nicht, was ich alles so eingeplant habe.«

»Wir lassen uns überraschen.« Lea lachte ihn unbekümmert an. Mit ernstem Gesicht wandte sie sich Daniela zu. »Andreas und ich haben uns gestern zufällig in der Stadt getroffen. Onkel Arno hat uns miteinander bekannt gemacht und gleichzeitig vorgeschlagen, daß wir einander beim Vornamen nennen und uns duzen, weil du doch mit uns beiden befreundet bist. Es würde andernfalls nur ein Kuddelmuddel geben. Oder bist du da anderer Meinung?«

»Ganz und gar nicht.« Daniela zwang sich mühsam ein Lächeln ab und wußte sich selbst nicht zu sagen, warum ihr das Ganze nicht so recht behagte.

Arno warf ihr einen schrägen Seitenblick zu, wobei ein wissendes Lächeln in seinen Augen lag. Für ihn gab es keinen Zweifel, daß sich bei der Nichte eine leise aufkommende Eifersucht regte. Er wertete es als gutes Zeichen, daß ihr Andreas demnach nicht so gleichgültig war, wie es bislang den Anschein hatte.

Andreas drängte zum Aufbruch. »Seht zu, daß ihr schnell startklar seid. Ich habe nämlich allerlei Überraschungen für euch eingeplant und möchte nicht, daß auch nur eine einzige aus Zeitgründen ins Wasser fällt.«

»Jawohl, mein Herr, wie du befiehlst«, rief Lea in strahlender Laune aus und ergriff ihren Sohn bei der Hand. »Komm mit.«

Er hüpfte übermütig neben ihr her. Sein Plappermäulchen stand nicht eine Minute still.

»Wie sehr der Kleine sich freut«, bemerkte Arno gerührt, während er neben Daniela herschritt. »Er ist überhaupt ein lieber Kerl, den ich bereits ins Herz geschlossen habe. Du doch auch, nicht wahr?«

»Ja, natürlich. Ich kenne ihn ja schon länger als du.« Wieder einmal ging es ihr unversehens durch den Sinn, daß er so gar keine Ähnlichkeit mit Lutz aufwies. Seltsam war das schon.

»Es wäre schön, wenn Lea sich entschließen könnte, doch noch zu heiraten, um ihm einen Vater zu geben. Je älter ein Junge wird, um so mehr braucht er einen Vater, der ihn mit geschickter Hand leitet. Na ja, vielleicht begegnet Torben ja der richtige Mann, dem er sich in kindlicher Liebe voll anvertrauen kann.«

Unwillkürlich rutschte es aus Daniela heraus: »Denkst du an Andreas?«

»Hm, das käme darauf an, wie er und Lea sich verstehen würden. Die Liebe zwischen den Eltern ist ja wohl der wesentliche Punkt für eine rundum glückliche Familie. Wir halten uns allerdings am besten da heraus. Es ist nicht Menschensache, eine harmonische Ehe zu schmieden, sondern eher göttliche Vorsehung.« Er beschleunigte seine Schritte und war im stillen zufrieden, die Nichte zum Nachdenken gezwungen zu haben.

Daniela beobachtete dann auch Lea und Andreas, verlor allerdings kein einziges Wort darüber, zu welchem Ergebnis sie mit der Zeit kam. Es bereitete ihr allerdings sichtliches Unbehagen, mit ansehen zu müssen, wie gut die beiden sich verstanden und wie unbekümmert sie miteinander umgingen.

Sie lachten viel miteinander und beantworteten abwechselnd Torbens Fragen, der zwischen ihnen auf dem Kutschbock saß.

Onkel und Nichte genossen dagegen die Fahrt von den hinteren Sitzen aus. Sie blieben auch meistens beieinander. Gelegentlich gesellte sich Lea zu ihnen, während Andreas mit viel Hingabe und Heiterkeit dem Kleinen alles erklärte.

Die erste Rast legten sie in einem wunderschön gelegenen Ausflugslokal ein, das von drei Seiten vom Wald umgeben war, während die eine Seite einen weiten Ausblick über das hügelige Land bot. Dort nahmen sie zunächst das Mittagessen ein.

Danach besprach sich Arno kurz mit Andreas, der mehrmals zustimmend nickte. Sie hatten sich ein wenig abgesondert von den anderen, kehrten aber kurz darauf zu ihnen zurück.

Der Ältere schob sich dicht an die Nichte heran und flüsterte ihr verschwörerisch zu: »Wir werden uns jetzt des Kleinen annehmen, während Andreas Lea die schöne Umgebung vom nahegelegenen Hochsitz zeigt. Um dieses Vergnügen möchte ich ihn nicht bringen, zumal er die heutige Fahrt mit allen Überraschungen angeregt hat. Dir ist das doch recht, nicht wahr?«

Es versetzte Daniela jedoch einen leichten Stich, wofür sie freilich so ohne weiteres keine Erklärung fand. Nur widerstrebend erwiderte sie: »Selbstredend. Wohin willst du denn mit Torben und mir?«

»Verrate ich nicht, damit er nicht vorzeitig etwas spannt. Überlege mal, was ich ihm wohl zeigen möchte. Es ist auch eines deiner Lieblingsorte.«

Daniela war jedoch so sehr mit ihren widersprüchlichen Gedanken um Andreas beschäftigt, daß es ihr nicht in den Sinn kam.

Sie schlug sich indessen mit der flachen Hand vor den Kopf und lachte über sich selbst, als sie den Platz erreichten, wo sich die Eichhörnchen auf den Bäumen tummelten und sich mit ihren lustig wedelnden Schwänzen von Stamm zu Stamm und Ast zu Ast schwangen. Es sah so possierlich aus, daß Torben ihre flinken Bewegungen mit glänzenden Augen verfolgte und nahe daran war, begeistert in die Hände zu klatschen.

Arno konnte das gerade noch geistesgegenwärtig verhindern. Er neigte seinen Mund ganz dicht an das Ohr des Kindes und wisperte hinein: »Verhalte dich so ruhig wie möglich, damit sich die Tierchen nicht erschrecken. Sonst gleiten sie durch die Bäume davon zu einem anderen Tummelplatz, und wir haben das Nachsehen. Komm mit mir.«

Er führte ihn zu einem abgeholzten Baumstamm, breitete dort eine Decke aus und hieß den Kleinen mit leiser Stimme, sich darauf zu setzen. Er und Daniela machten es ihm nach.

Torben konnte sich gar nicht satt sehen an den flinken Eichhörnchen. Plötzlich stieß er Daniela in die Seite. Und als sie sich zu ihm beugte, wisperte er ihr ins Ohr: »So klettern möchte ich auch. Dann könnte ich alles oben vom Baum aus betrachten.«

Sie drohte ihm lächelnd mit dem Finger. »Untersteh dich. Da würdest du dir nur Arme und Beine brechen und müßtest ins Krankenhaus.«

Erschrocken starrte er sie an, wobei er ganz aufgeregt fragte: »Wirklich?« Im nächsten Moment beklagte er sich: »Nun hast du die Eichhörnchen vertrieben, Tante Dany.«

»Du wirst sie noch oft genug bewundern können«, tröstete ihn Andreas, der unbemerkt mit Lea herangetreten war. »So oft du magst und ich es mir einrichten kann, gehe ich mit dir hierher. Du wirst ja ohnehin eine Weile bei deiner Tante Dany bleiben, bis deine Mutter daheim dann so einiges geregelt hat.«

Daniela zuckte zusammen, als sich Leas Hand sanft unter ihren Arm schob. »Ich hoffe, du bist damit einverstanden, meine Liebe. Torben würde mir bei meinen geplanten Vorhaben in nächster Zeit doch ziemlich im Wege stehen. Sobald ich alles geregelt habe, werde ich mich wieder verstärkt um ihn kümmern.«

Torben hatte die Worte mitbekommen. Flugs trat er vor Daniela hin und umklammerte ihre Hand, wobei er sie bittend ansah. »Erlaubst du das wirklich? Ich werde auch ganz lieb und artig sein und alles tun, was du von mir verlangst. Du bist doch die Beste.«

Gerührt beugte sie sich zu ihm nieder und küßte ihn auf beide Wangen. »Ich habe dich auch sehr lieb.«

»Schade«, rief Andreas unüberlegt aus und erhielt sogleich einen Knuff in die Seite, wobei ihn Lea mahnend anschaute. Um ein Haar hätte er sich verraten. Es war jedoch noch entschieden zu früh, Daniela seine wahren Gefühle zu zeigen.

Sie war indessen meilenweit davon entfernt zu bemerken, was da vor sich ging. Vielmehr glaubte sie, daß es Andreas verdroß, wenn sie ihm die Zuneigung des Kindes stahl. Mit belegter Stimme beruhigte sie ihn: »Ich werde dir dein Vorrecht bei dem Buben schon nicht streitig machen. Ganz im Gegenteil, ich werde dir helfen, das kleine Herz zu erringen. Darum werde ich ihm viel Gutes von dir aus deiner Kindheit erzählen, denn ich kenne dich ja fast wie mich selbst.«

»Was ich allerdings stark bezweifeln möchte, denn sonst würdest du längst bemerkt haben…«

»… daß du erst überlegst, bevor du es aussprichst«, fiel ihm Arno ins Wort und sah ihn warnend an. »Ein unbedachtes Wort läßt sich nicht zurücknehmen, kann allerdings auch ziemlich viel Unheil anrichten.«

Sekundenlanges Schweigen herrschte. Daniela schaute ihren Onkel verständnislos an. Bevor sie jedoch eine Frage an ihn richten konnte, griff Lea nach ihrer Hand. Laut deklamierte sie: »Versuche nur, das Rätsel Mann zu lösen, und du wirst damit Schiffbruch erleiden. Kehren wir einstweilen zur Kutsche zurück. Torben, komm an meine andere Seite.«

Zu dritt gingen sie voraus, während ihnen Arno und Andreas in gemächlichem Schritt folgten.

Lea bedankte sich nahezu überschwenglich bei Daniela, daß sie ihr Andreas überlassen hatte. Begeistert berichtete sie, wie wundervoll er ihr seine Heimat näherzubringen wußte. »An ihm ist ein Poet verlorengegangen. Doch das weißt du ja bereits.«

»O nein«, widersprach Daniela heftig. »Von der Seite kenne ich ihn noch gar nicht.«

»Ja, ja, man sieht manchmal vor lauter Bäumen den Wald nicht«, orakelte Lea. »Zudem gewöhnt man sich schnell an alle Jugendbegebenheiten und wacht erst auf, wenn andere einen mit der Nase auf etwas stoßen, was man bislang übersehen hat.«

Dem fügte sie noch wie beiläufig hinzu: »Du solltest dich wirklich mal bemühen, deine Heimat und ihre lieben Bewohner mit anderen Augen zu betrachten. Da wird dir so manches Licht aufgehen.« Sie wechselte danach das Thema.

Daniela wußte jedoch vorerst mit ihren geheimnisvollen Andeutungen nichts anzufangen.

*

Torben siedelte zunächst ganz ins Haus Bader über. Er hing ebenso sehr an Arno wie an Daniela. Sobald jedoch Andreas auftauchte, existierte nur er für ihn, wich er kaum von seiner Seite.

Arno verfolgte es schmunzelnd, wobei er Daniela gegenüber bemerkte: »Er ist ein regelrechter Kindernarr und der geborene Vater. Meinst du nicht auch?«

Unwillkürlich umwölkte sich ihre Stirn. Ein wenig spitz erwiderte sie: »Natürlich. Ich habe längst bemerkt, daß er ausgesprochen kinderlieb ist. Torben ist ihm allerdings ganz besonders ans Herz gewachsen. Vermutlich übt er sich bereits darin, später Vaterpflichten zu erfüllen.«

Arno musterte sie mit pfiffigem Gesicht von der Seite, was ihr allerdings entging. Nicht ohne Hintergedanken, aber ganz beiläufig erkundigte er sich: »So ganz zu gefallen scheint dir das nicht. Keine Sorge, er wird die anderen Kinder über Torben schon nicht vernachlässigen. Das dürfte dir auch aufgehen, wenn du ihn mal intensiver beobachtest.«

»Dazu fehlt mir die Zeit und auch die Lust«, wehrte sie ab. Sie seufzte kurz auf. »Ich habe ohnehin jetzt zur Zeit der Sommerferien mehr als genug zu tun. Ein Glück nur, daß Frau Baumann fast täglich herkommt, um mich zu unterstützen. Die Eltern sollten sich gerade jetzt, wo die Kindergärten vorübergehend geschlossen sind, mehr um ihre Sprößlinge kümmern.«

»Das würden sie bestimmt gern tun«, versetzte Arno mit Nachdruck. »Aber sie haben ja keine Ferien, sind größtenteils berufstätig und auf deine Unterstützung angewiesen. Beklagen kannst du dich auch nicht, denn sie zahlen gut. Oder genügt dir das nicht?«

»O doch. Darum geht es mir auch nicht.« Sie biß sich auf die Lippen, als fürchtete sie, sich zu verraten.

»Was stört dich dann?« Arno machte ein unbefangenes Gesicht. »Ärgert es dich, daß Andreas sich jetzt seltener blicken läßt? Er hat jedoch noch einen Beruf auszufüllen, was wohl das Wichtigste für ihn ist. Zum einen ist er Einkäufer in der Firma, und zum anderen wird er sie einmal erben. Momentan hat sein Vater eine neue Sekretärin eingestellt, die eingearbeitet werden muß.«

»Womöglich Lea«, rutschte es ihr heraus.

»Warum fragst du ihn nicht danach?« erkundigte sich Arno, dem es Spaß machte, ihre Eifersucht zu schüren. Wann kam sie nur endlich zur Besinnung?

»Weil mich das nichts angeht«, gab sie kurz angebunden zurück.

Es wurmte sie bereits mächtig, daß die Freundin sich in letzter Zeit gar nicht mehr bei ihnen blicken ließ. Anscheinend hatte sie sogar ihren Sohn vergessen. Torben vermißte die Mutter allerdings auch nicht. Er war rundum glücklich, daß sein geliebter Onkel Arno und die liebe Tante Dany sich so ausgiebig um ihn kümmerten. Dazu war er vollkommen in seinem Element, wenn er mit den anderen Kindern spielen konnte.

Zudem beschäftigte sich auch Frau Baumann liebevoll mit ihm. Allerdings war gerade sie darauf bedacht, ihn nicht vorzuziehen. Das hätte das friedliche Beisammensein der Kinder doch gestört.

Dafür war es Frau Ebel, die den Kleinen nach Strich und Faden verwöhnte und ihm seine Leibgerichte kochte. Sie nahm sich seiner jedenfalls herzlich an.

»Er ist ja auch zu bedauern«, äußerte sie sich einmal offen zu Daniela. »Hat keinen Vater und muß auch weitgehend auf die Mutter verzichten. Ich verstehe nur nicht, warum seine Oma ihn gar nicht besucht.«

»Sie wird dazu nicht imstande sein«, äußerte sich Daniela. »Immerhin ist sie noch krank, wie mir Lea kürzlich sagte.«

»Das ist schon eine ganze Weile her.« Frau Ebel zog die Stirn kraus. »Frau Zauner sollte sich lieber einen Mann und Vater für ihr Kind suchen, anstatt sich nach einer Stelle umzuschauen, die ihr den beruflichen Erfolg verspricht. Aber heutzutage muß die Familie ja hinter Karriere und Geldsucht zurückstecken. Die Kinder sind die Leidtragenden. Es ist nicht gut, wenn sie nicht in einem intakten Elternhaus aufwachsen. Diese Zeit können sie später nie wieder aufholen und erleiden dadurch Schaden an Leib und Seele.«

»Darin gebe ich Ihnen vollkommen recht.« Daniela sah sinnend vor sich nieder. So betrachtet würde es für Torben ein großes Glück bedeuten, wenn Andreas und Lea heirateten. Für sie war es auch um vieles leichter, wenn sie in seiner Firma mitarbeiten konnte.

»Du solltest auch daran denken, dir den richtigen Partner zu suchen«, äußerte sich Frau Ebel resolut. »Dein Onkel wartet doch längst darauf, Großvaterpflichten zu übernehmen. Es ist ohnehin rührend anzusehen, wie sehr ihm Torben als eine Art Enkelersatz ans Herz gewachsen ist. Nur auf Dauer wird ihn das nicht befriedigen.«

Danielas Gesicht verschloß sich, während sie abweisend erklärte: »Ich heirate niemals, weil auf die Männer ohnehin kein Verlaß ist. Außerdem bin ich als ledige Frau niemandem Rechenschaft schuldig und kann mir mein Leben ganz nach eigenem Gutdünken einteilen.«

Betroffen blickte Frau Ebel sie an. »Du scheinst ja wirklich eine schlimme Enttäuschung erlebt zu haben. Trotzdem sind die Männer, die nichts taugen, erheblich in der Minderheit. Es gibt unter ihnen so viele edle, weichherzige Wesen, die es verdienen, glücklich zu werden. Du solltest nicht länger voreingenommen sein, sondern mit offenen Augen durch die Welt gehen. Dann wirst auch du feststellen, daß es sich lohnt zu lieben, wenn man in gleicher Weise wiedergeliebt wird.«

Mit Nachdruck fügte sie noch hinzu: »Manchmal läuft man wirklich mit Scheuklappen umher und sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht. Dabei ist das Glück oft näher, als man glaubt.«

Spontan nahm Daniela die Gute in den Arm. »Sie sind wirklich ein herzensguter Mensch. Wenn ich Sie nicht gehabt hätte und gottlob auch weiterhin hätte, wäre es schlecht um mich bestellt.«

»Dann befolge auch meine Ratschläge«, verlangte die Ältere von ihr. »Augen auf und dich umgeschaut!«

Daniela nickte nur und entfernte sich rasch. In ihrem Zimmer hockte sie sich trübsinnig in einen Sessel.

Dabei dachte sie längst nicht mehr an Lutz, ihr war sogar, als hätte es ihn nie gegeben. Dieses Thema hatte sie zudem genügend mit Lea erörtert, um es danach endgültig abzuschließen.

Beim Gedanken an die treue Freundin, der sie es doch letztlich verdankte, den Schlußstrich gezogen zu haben, regten sich zwiespältige Gefühle in ihr. Hatte sie sich eigentlich in letzter Zeit mit Leas Problemen beschäftigt und überhaupt Interesse für sie gezeigt?

Zu ihrer Schande mußte sie sich eingestehen, daß dem nicht so war. Warum nur befolgte sie nicht endlich den Rat ihres Onkels, mit ihr über ihre Beziehung zu Andreas zu sprechen? Was hielt sie eigentlich davon ab?

Die Erkenntnis traf sie wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Sie liebte Andreas und war eifersüchtig auf Lea.

Qualvoll stöhnte sie auf. Warum nur mußten sie sich stets in denselben Mann verlieben? Es gab doch genügend andere Männer auf der Welt.

Sie barg ihr Gesicht in den Händen, wobei ihr Körper in wildem Weh geschüttelt wurde.

Es dauerte ziemlich lange, bis sie ihre Fassung zurückerlangte. Je mehr sie allerdings darüber nachgrübelte, was nun werden sollte, desto unablässiger drehten sich ihre Gedanken im Kreise.

Wie sollte sie überhaupt ihre Freundschaft zu Lea aufrechterhalten und Andreas unbefangen begegnen? Das erschien ihr wie ein schier unmögliches Unterfangen.

Was aber war da zu tun? Sie fand darauf keine Antwort und kam zu dem Entschluß, von hier fortzugehen und sich in weiter Ferne ein neues Leben aufzubauen.

Jäh fiel ihr der Onkel ein. Würde er sich je damit abfinden? Immerhin war er doch überglücklich, daß sie endlich zu ihm zurückgekehrt war. Sollte sie ihm nun neuen Kummer zufügen, obwohl er doch stets alles für sie getan hatte und noch tat? Er, der ihr stets der liebste Vater gewesen war? Würde sie überhaupt zur Ruhe kommen bei dem Gedanken, daß er den Feierabend seines Lebens allein und ohne sie verbringen mußte?

Tiefe Trostlosigkeit überfiel sie und ließ sie in einen Weinkrampf verfallen.

*

Zwei Wochen später tauchte Lea unangemeldet bei ihr auf. Sie strahlte über das ganze Gesicht und umarmte Daniela stürmisch. »Ich bin unaussprechlich glücklich, denn ich habe endlich eine großartige Anstellung gefunden, dazu in der nahegelegenen Stadt, so wie du es dir gewünscht hast. Setzen wir uns erst einmal.«

Sie war vor Freude reinweg aus dem Häuschen und merkte nicht einmal, wie still, ja, fast ablehnend sich die Freundin verhielt. Schon sprudelte sie hervor: »Die Firma Holzhandel Hilten und Sohn ist dir wohl ein Begriff, nicht wahr? Dort arbeite ich seit nahezu vierzehn Tagen als Sekretärin des Juniorchefs und bin bemüht, ihm in jeder Beziehung beizustehen.«

Sie erläuterte ihre Aufgaben, die sich nicht nur auf das Büro beschränkten, sondern auch auf die Betreuung der Kunden. Während der Seniorchef die Geschäftsleitung fest in Händen hielt, kümmerte sich der Sohn vorwiegend um die Ausstellung der Holzprodukte auf dem großen Werksgelände, die zahlreiche Interessenten von nah und fern anzog.

»Mir schwirrt zwar schon der Kopf von allem, was ich lernen muß, aber der junge Hilten ist ein ausgezeichneter Lehrmeister und gibt sich die größte Mühe, mich rasch mit der Materie vertraut zu machen. Immerhin ist mir in Aussicht gestellt worden, ihm recht bald als gleichwertige Mitarbeiterin zur Seite zu stehen.«

Sie redete ununterbrochen, bis alles gesagt war. Danach schwieg sie und wartete auf Danielas Reaktion, die jedoch nicht kam.

»Warum sagst du denn nichts?« fragte sie schließlich enttäuscht. »Ich hatte so sehr darauf gehofft, daß du vor Überraschung überschäumen würdest. Hat es dir die Sprache verschlagen?«

Statt einer Antwort brachte Daniela mit belegter Stimme hervor: »Was sagt denn Andreas zu allem? Ist er überhaupt damit einverstanden?«

Lea starrte sie entgeistert an. »Ich verstehe dich nicht. Was hat denn Andreas mit meinem Beruf zu tun?«

Ohne zu überlegen platzte die Freundin heraus: »Es wird ihm nicht recht sein, wenn du so eng mit einem anderen Mann zusammenarbeitest. Immerhin liebt er dich doch, wollt ihr heiraten. Besonders Torben dürfte überaus glücklich sein, ihn als Vater zu bekommen.«

Lea starrte sie buchstäblich mit offenem Mund an. Es verging eine ganze Weile, bis es endlich bei ihr dämmerte. »Mein Gott, daran habe ich ja gar nicht mehr gedacht.«

Sie schlug sich mit der flachen Hand vor den Kopf und bat zerknirscht um Verzeihung, weil sie in letzter Zeit nur mit sich und ihrer Zukunft beschäftigt gewesen war. »Ich bin wirklich eine schlechte Freundin und deiner nicht wert. Längst hätte ich mich mit dir aussprechen und die Geheimniskrämerei beenden sollen.«

Erst jetzt fiel ihr auf, wie elend die andere aussah. Sie mußte einen schlimmen Kummer mit sich herumschleppen. Behutsam ging sie zu Werke. »Du bist doch wohl hoffentlich nicht wieder mit der Vergangenheit konfrontiert worden! Bist du vielleicht Lutz begegnet?«

Diese Frage kam ihr nur zögernd von den Lippen.

»An ihn denke ich längst nicht mehr. Das ist für alle Zeiten vorbei. Es hat allerdings auch sein Gutes gehabt, denn so schnell werde ich nie wieder einem Mann vertrauen. Dir wünsche ich jedoch alles Glück dieser Erde.«

Sie senkte schnell den Blick und bemühte sich, die aufsteigenden Tränen niederzukämpfen.

Lea wurde von Schuldgefühlen geplagt, weil sie auf Arnos Bitten anfangs eingegangen war, Daniela eifersüchtig zu machen, damit endlich die große, wahre Liebe in ihr erwachte. Niemals hätte sie sich gewünscht, daß die Freundin deswegen so leiden würde.

Allerdings durfte sie ihr die Wahrheit nicht verraten. Es blieb einzig und allein Andreas vorbehalten, ihr eine Liebeserklärung zu machen. Sie durfte Daniela lediglich versteckte Hinweise geben, die sie veranlaßten, über sich und den Jugendfreund intensiv nachzudenken.

So stellte sie zunächst einmal richtig: »Andreas liebt weder mich noch liebe ich ihn. Wir sind jedoch Einzelkinder und haben uns daher wie Geschwister aneinander angeschlossen, zumal wir uns im Wesen irgendwie ähneln. Zudem bin ich ihm auch sehr zu Dank verbunden, weil er sich Torbens so herzlich angenommen hat. Ich würde es ihm so gern belohnen und ihm zu seinem großen Glück verhelfen. Leider geht das nicht.«

Daniela starrte die Freundin zunächst ungläubig an. Allmählich begriff sie den wahren Sachverhalt. Dennoch kam keine Freude in ihr auf. »Wenn dir seine Liebe nicht gehört, wem denn dann?«

»Das darf ich dir leider nicht sagen«, erwiderte Lea. »Darauf mußt du schon von ganz allein kommen. Der Schlüssel dazu liegt in eurer Jugendzeit verborgen. Denk einmal scharf nach, wem stets sein besonderes Interesse gegolten hat. Nur soviel sei dir gesagt: Er hat stets auf seine Art um die heimlich geliebte Frau geworben, die es jedoch zu seinem größten Leidwesen nie bemerkt hat.«

Daniela schaute grübelnd vor sich nieder. Bis sie schließlich den Kopf hob und gequält lächelte. »Wer mag das bloß sein, die ihn so verkennt? Er ist ein lieber, großartiger Mensch.«

Schon rutschte es Lea heraus: »Das solltest du ihm mal selbst sagen, weil es ihn riesig freuen würde.«

Daniela hatte buchstäblich ein Brett vor dem Kopf, als sie darauf erwiderte: »Wieso denn das? Er möchte es doch lieber von der Frau hören, die er heimlich anbetet.«

»Eben«, versetzte Lea trocken. »Denk mal darüber nach.«

Und als hätte sie schon zuviel verraten, lenkte sie rasch vom Thema ab. Ihr fiel erneut das schlechte Aussehen der Freundin auf. Besorgt äußerte sie sich: »Du solltest dir unverzüglich einen Erholungsurlaub gönnen, denn sonst brichst du eines Tages noch zusammen. Wir werden bei gemeinsamer Anstrengung schon einen Ort für dich finden, wo du neue Kräfte für Leib und Seele tanken kannst.«

Daniela hob abwehrend beide Hände. »Das ist absolut unmöglich. Was soll denn aus den Kindern werden, wenn ich sie nicht betreue?«

»Es findet sich schon eine brauchbare Lösung. Laß mich nur machen«, erklärte Lea entschlossen. »Du hast mir in meiner Not beigestanden und dich Torbens angenommen. Nun bin ich an der Reihe, dir einen Freundschaftsdienst zu erweisen. Ich dulde keinen Widerspruch. Außerdem wirst du doch wohl unser ausgesprochen gutes Verhältnis nicht aufs Spiel setzen. Überlaß nur alles mir.«

Sie erhob sich und verabschiedete sich flugs, bevor sich Daniela erneut gegen ihr Ansinnen auflehnen konnte.

Diese mußte ohnehin erkennen, daß sich alle einmütig gegen sie verschworen hatten. In unglaublich kurzer Zeit war alles für ihren Erholungsurlaub in die Wege geleitet worden.

Onkel Arno und Frau Baumann versicherten ihr ein übers andere Mal, daß sie die Kinder in ihrem Sinne betreuen würden, so daß sie in keiner Weise etwas vermißten. Außerdem würden sie Unterstützung bekommen von einer ehemaligen Kindergärtnerin, die ihren Beruf einst wegen der Gründung einer eigenen Familie aufgegeben hatte. Seitdem die Kinder vor einiger Zeit das Elternhaus verlassen hatten, verfügte sie über ziemlich viel Freizeit.

Daniela konnte sich auf Dauer den überzeugenden Argumenten nicht verschließen und fügte sich dem, was die anderen beschlossen und bereits in die Wege geleitet hatten.

*

Daniela fühlte sich von der ersten Minute an ungemein wohl im Hause von Frau Charlotte Eichsfeld, die sie auf unbestimmte Zeit als Feriengast bei sich aufgenommen hatte. Sie strahlte viel Herzlichkeit aus, besaß ein mütterliches Wesen und war wie geschaffen, sich um ihre Mitmenschen rührend zu kümmern. Ganz besonders dann, wenn jene jemanden brauchten oder mit irgendwelchen Problemen nicht fertig wurden.

In ihrer unaufdringlichen, stillen Art schaffte sie es allemal, jeden wieder aufzurichten und den rechten Trost zu spenden. Sie war weltoffen und erfahren genug, um alles restlos in den Griff zu kriegen.

Nach der Ankunft hieß sie Daniela herzlich willkommen. Sie führte sie in eines der drei hübschen Fremdenzimmer im oberen Stock. Der von üppiger Blumenpracht auf der hölzernen Abgrenzung umgebene Balkon rief sofort Danielas Entzücken hervor. »Ich liebe Blumen in allen Arten und Farben, seit ich mich bereits als Kind in der Gärtnerei meines Onkels betätigen durfte.«

»Dann haben Sie gerade die richtige Umgebung für Ihren Ferienaufenthalt gewählt. Schauen Sie sich nur um. Überall herrliche Natur.« Ihre Hand wies zum nahegelegenen Wald. »Dort gibt es wunderschöne Wege, auf denen Sie nach Herzenslust wandern können. Hinweisschilder bewahren Sie zudem davor, sich zu verlaufen. Im übrigen verfüge ich über Wanderkarten, die ich Ihnen gern ausleihe. Wenn Sie wollen, erkläre ich Ihnen auch einige besonders lohnende Wanderrouten.«

Sie führte Daniela im Haus herum, machte sie mit allen erforderlichen Dingen vertraut. Zum Abschluß langten sie auf der Terrasse an, von der sich ein herrlicher Rundblick über Blumen, Büsche bis hin zu weiten Wiesen und dem Wald auftat. »Ich hoffe, daß Sie sich hier gut erholen. Sie haben es bitter nötig, so wie Sie ausschauen. Ich bin gern jederzeit für Sie zur Stelle.«

»Oh, ich möchte Ihnen durchaus nicht lästig fallen«, äußerte sich Daniela ein bißchen unsicher. »Sie sollen in Ihrem häuslichen Frieden durch mich nicht gestört werden.«

Charlotte Eichsfeld lachte sie unbekümmert an. »Das wird Ihnen auch nicht gelingen. Ganz im Gegenteil, ich bin unsagbar froh, einen solch reizenden Gast wie Sie zu bekommen. Man hat mir nicht viel verraten über Sie, aber der erste Eindruck, den ich von Ihnen bekommen habe, sagt mir, daß wir gewiß so manches gemütliche Plauderstündchen miteinander verbringen werden.«

Sie wurde im Nu ernst. »Wissen Sie, ich bin ein geselliger Typ und freue mich wirklich über jeden Besucher, der mich wenigstens für eine Weile vergessen läßt, daß ich allein hier wohne. Einsam bin ich deswegen nicht. Ich kümmere mich liebend gern um andere Menschen, die mich brauchen. Und ich genieße die Gesellschaft meiner jeweiligen Feriengäste. Mein Mann ist leider schon verstorben, und meine einzige Tochter lebt mit ihrer Familie in der Schweiz. Mein Schwiegersohn ist gebürtiger Tessiner.«

Bevor sie das Zimmer verließ, bat sie noch: »Darf ich Sie Daniela nennen? Sie sind schätzungsweise nur wenige Jahre jünger als meine Brigitte.«

Unwillkürlich leuchteten Danielas Augen auf. »Es würde mich freuen, so vertraut aufgenommen zu werden. Um so heimischer fühle ich mich bei Ihnen, zumal ich keine Mutter mehr habe.«

»Das tut mir aber leid. Wir reden später darüber, wenn Sie wollen. Jetzt richten Sie sich erst einmal ein und ruhen sich aus.«

Daniela packte zunächst ihre Koffer aus und räumte alles in den Schrank. Kleider, Blusen und Röcke hängte sie sorgfältig auf und strich sie glatt. Sie würde nur einzelne Stücke später aufbügeln müssen, weil sie ein wenig verdrückt waren. Darum konnte sie sich am Abend kümmern.

Einstweilen trat sie ans geöffnete Fenster und ließ ihre Blicke weit schweifen. Dazu zog sie genießerisch die würzige Luft ein, die vom Wald herüberwehte.

Sie spürte förmlich den Frieden, der in ihre Seele strömte. Schlagartig wurde ihr bewußt, wie ausgelaugt sie war, und wie dringend sie der Erholung bedurfte. Sie hatte in der letzten Zeit fast ausschließlich unter seelischem sowie körperlichem Streß gestanden. Ihn wollte sie abbauen, auch wenn das gar nicht so einfach war.

»Mir fehlen die Kinder, ihr lustiges Treiben und fröhliches Lachen. Für sie war ich gewissermaßen eine Ersatzmutter, zu der sie mit all ihren Nöten, aber auch Freuden kommen konnten. Ein höchst befriedigendes Gefühl, ihnen helfen zu können«, vertraute sie sich bereits nach einigen Tagen Frau Eichsfeld an.

Mit launigen Worten gab sie besonders hübsche Erlebnisse wieder und fand damit nicht nur eine gute Zuhörerin, sondern erweckte in dieser auch Wunschträume. »Wie gern würde ich Sie bei Ihrer Aufgabe unterstützen. Kinder sind Geschöpfe Gottes, die unserer Fürsorge und liebenden Hand bedürfen, um richtig gedeihen zu können. Außerdem erhalten sie uns jung.«

»Sie sollten uns besuchen, so oft Sie können«, schlug Daniela spontan vor. »Frau Baumann findet den Weg auch häufig zu uns und hilft mir bei der Betreuung, was sie sichtlich verjüngt hat.« Sie gab einen kurzen Kommentar dazu.

Die Ältere ging allerdings nicht darauf ein. Statt dessen äußerte sie sich: »Sie sollten mal dran denken, eine eigene Familie zu gründen. Nichts geht über ein Kind, das man selbst geboren hat. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, glückliche Mutter zu sein.«

Lebhaft und mit nahezu verklärtem Gesicht sprach sie über ihre Tochter, erwähnte lustige Begebenheiten aus der Kindheit und schloß schließlich mit den Worten: »Kinder wachsen viel zu schnell heran. Und wenn sie dann aus dem Haus gehen, um sich ein eigenes Leben aufzubauen, hinterlassen sie eine spürbare Lücke. Ich bedauere nur, daß ich meine beiden Enkelkinder viel zu selten sehe. Um so mehr genieße ich es, wenn sie hier sind und ich im Winter einige Wochen bei ihnen in der Schweiz verbringe. Ein großer Trost ist mir freilich, daß meine Tochter rundum glücklich ist. Mein Mann und ich haben ebenfalls eine wunderbare Ehe geführt.«

Sie warf der Jüngeren einen heimlichen Seitenblick zu. »Heiraten Sie und erleben Sie dasselbe. Mutterglück ist nahezu das Schönste im Leben einer Frau.«

Sofort verschloß sich Danielas Gesicht. Widerstrebend erklärte sie: »Ich bin ein gebranntes Kind. Auch wenn ich über meine unglückliche Liebe hinweg bin, so habe ich mein Herz erneut ebenso aussichtslos verloren.«

»Ist es wirklich so schlimm?« erkundigte sich Frau Eichsfeld mitfühlend.

»Ich weiß nicht.« Sie versank in kurzes Grübeln. Dann schüttelte sie aus einem jähen Impuls heraus ihr Herz aus. Ohne es zu merken, gab sie selbst Dinge preis, die sie nicht einmal ihrer besten Freundin anvertraut hatte, obwohl sie wußte und auch hinreichend festgestellt hatte, wie verschwiegen und verständnisvoll Lea war.

Über sie sprach sie auch und deckte dabei ihre Schuldgefühle ihr gegenüber auf, weil sie ihr ihre Treue so schlecht belohnte, indem sie grundlos eifersüchtig auf sie gewesen war.

Frau Eichsfeld bedankte sich zunächst für ihr Vertrauen. Danach wägte sie jedes Wort ab, bevor sie es aussprach. »Das hat doch absolut nichts mit Undank gegenüber einer so wahren Freundschaft zu tun. Die Liebe schreibt ihre eigenen Gesetze, in denen nur das tiefe Gefühl gilt. Sie haben doch eben selbst gesagt, daß Ihre Freundin volles Verständnis für Ihr Verhalten gehabt hat.«

Mit allem Nachdruck fügte sie hinzu: »Danken Sie es ihr, indem Sie sich rasch bestens erholen und sich vor allem nicht so hartnäckig gegen eine neue Liebe stellen, nachdem die erste Enttäuschung von Ihnen restlos überwunden wurde.«

Mutlos ließ Daniela den Kopf hängen. »Das ist völlig sinnlos. Ich habe erfahren, daß Andreas unglücklich verliebt ist. Die Frau seines Herzens ahnt nicht mal, was er für sie empfindet. Wahrscheinlich liebt sie längst einen anderen.«

»Das glaube ich nun wiederum nicht. Denken Sie mal gründlich darüber nach, wem Andreas bereits seit frühester Jugend, selbst während der Schulzeit, alle Aufmerksamkeit und treue Freundschaft geschenkt hat. Sie waren doch auch mit ihm befreundet, nicht wahr?«

»Ja, natürlich«, erwiderte sie und versank in tiefes Nachdenken. Sie merkte nicht einmal, daß Frau Eichsfeld sich eilig entfernt hatte.

So sehr sie sich auch darum bemühte, sich Klarheit zu verschaffen, gelang es ihr doch nicht. Wie sollte es auch, wenn sie sich selbst aus dem Personenkreis ausschloß, mit dem Andreas sich damals umgeben hatte? So weit sie sich erinnern konnte, hatte er damals eigentlich kein Mädchen besonders bevorzugt. Er war zu allen gleichbleibend freundlich gewesen und pflegte mit keiner näheren Kontakt.

Wenn sie es so recht bedachte, war er stets mit ihr, ihrem Vetter Roland und deren Freundeskreis unterwegs gewesen.

Jäh fiel ihr Dirk Hilten ein. Er und seine Schwester Jana waren doch auch oftmals mit von der Partie gewesen. Sollte sie vielleicht Andreas’ unglückliche Liebe sein?

Es ließ ihr keine Ruhe, es herauszufinden. Sie eilte ans Telefon und rief Lea an. Ohne große Vorrede trug sie ihr Anliegen vor herauszufinden, ob Jana und Andreas mal miteinander verbandelt waren.

Zunächst herrschte am anderen Ende der Strippe verblüfftes Schweigen. Dann lachte Lea los und wußte sich kaum wieder einzufangen.

Bis sie dann doch wieder ernst wurde. »Du bist mal wieder völlig auf der falschen Fährte. Jana ist glücklich verheiratet mit einem prächtigen Mann, der sie auf Händen trägt. Sie haben ein reizendes Töchterchen und erwarten in einem Vierteljahr erneut Nachwuchs. Du hast wirklich ein furchtbar dickes Brett vor dem Kopf. Sonst wäre dir längst die richtige Erleuchtung gekommen. Denke mal intensiv über deine Jugendzeit nach.«

»Du weißt doch was, nicht wahr? Kannst du mir nicht auf die richtige Spur verhelfen?« Das klang reichlich verzweifelt.

Dennoch ließ sich Lea nicht erweichen. »Von mir erfährst du nichts. Du mußt schon von selbst darauf kommen, wozu ich dir nur immer wieder raten kann. Ich werde lediglich darüber nachdenken, wie man euch auf unauffällige Weise zusammenbringen kann. Einstweilen wünsche ich dir weiterhin gute Erholung. Tschüs.«

Sie legte auf und ließ eine völlig ratlose Freundin zurück, die sich im stillen dann doch ärgerte, weil alle anscheinend Andreas’ Geheimnis kannten und sie wohl anscheinend die einzige Ausnahme bildete, was ihr doch wohl hätte zu denken geben müssen. Dennoch fiel der berühmte Groschen bei ihr nicht, litt sie unvermindert weiter an ihrem Liebeskummer.

*

Daniela kehrte von einem langen Spaziergang zurück. Sie war wieder einmal im Forsthaus gewesen und hatte sich den selbstgebackenen Kuchen der Förstersfrau schmecken lassen. Zufällig war der Förster hinzugekommen und hatte ihr Abzüge von den Aufnahmen überreicht, die er während ihres gemeinsamen Pirschganges in aller Herrgottsfrühe vor einigen Tagen gemacht hatte.

Mit leuchtenden Augen hatte sie sie mehrmals betrachtet und sich herzlich dafür bedankt, zumal der Förster es strikt ablehnte, sich die Bilder bezahlen zu lassen. Sie mußte ihm allerdings versprechen, ihn und seine Frau auch in Zukunft recht häufig im Försterhaus zu besuchen. »Sofern Sie mal wieder für einige Tage oder auch länger bei Frau Eichsfeld wohnen werden. Oder gefällt es Ihnen nicht bei ihr?«

»Und ob. Ich werde gewiß öfter wiederkommen, sofern sie nicht gerade andere Feriengäste hat. Außerdem bleibe ich noch mindestens zwei Wochen.«

»Falls nichts dazwischenkommt«, hatte der Förster orakelt und seiner Frau vergnügt zugezwinkert, worauf sie ihn warnend ansah.

Erst viel später sollte Daniela dem Bedeutung beimessen.

Jetzt betrat sie forschen Schrittes das Haus und rief nach Frau Eichsfeld, die sie nach oben beorderte.

Rasch schritt Daniela die Treppe hinauf und sah sich suchend um.

»Ich bin hier, Daniela. Kommen Sie nur her.« Sie steckte kurz den Kopf aus einer Tür und verschwand blitzschnell wieder ins Innere.

Als Daniela dann über die Türschwelle trat, blieb sie mit einem Ausruf höchsten Erstaunens stehen. »Welch grandioser Anblick.«

Lächelnd wandte sich Frau Eichsfeld um. »Das war der Lieblingsraum meines Mannes. Ein kleines Heiligtum, das er nur Auserwählten zeigte. Mögen Sie antike Kostbarkeiten? Dann schauen Sie sich alle nur in Ruhe an. Ich bin gleich fertig mit dem Abstauben. Mein Neffe hat seinen Besuch für heute angesagt. Er hat meinem Mann maßgeblich bei der Herrichtung der Möbel und Sammlung aller Stücke aus längstvergangener Zeit geholfen.«

Daniela stellte ihre Umhängetasche neben die Tür und folgte der liebenswürdigen Aufforderung. Entzückt betrachtete sie alles, wagte indessen nicht, auch nur etwas zu berühren. Sie war so vertieft in die erlesenen Kleinode, daß sie heftig zusammenzuckte, als jemand sie von der Seite ansprach.

»Gefällt dir das alles hier?«

Sie schaute sprachlos in Andreas’ Augen, die sie pfiffig anlächelten. Er sagte kein einziges Wort, sah sie nur unverwandt an.

Sein Blick irritierte sie. Sie war nicht imstande, sich zu rühren. Allmählich schwand jedoch ihre Befangenheit, so daß sie ihn fragen konnte: »Wie kommst du denn hierher?«

»Kannst du dir das nicht denken? Rate doch mal.«

Wieder einmal war sie reichlich begriffsstutzig. Ein jäher Schreck durchzuckte sie. »Ist etwas mit den Kindern passiert?«

»Ihnen geht es ausgesprochen gut. Sie werden hervorragend betreut und vermissen dich kaum. Dafür sorgen schon dein Onkel und meine Mutter.« Er umspannte ihre Oberarme und betrachtete sie eingehend. »Du siehst guterholt aus. Anscheinend habe ich doch goldrichtig gelegen, dich für eine Weile zu meiner Tante Charlotte zu schicken, damit sie dich unter ihre Fittiche nimmt. Sie schafft es stets, mit ihrer eigenen unnachahmlichen Art einen Mitmenschen aus der Talsohle seines Lebens in lichte Höhen zu führen. Bei dir war das allem Anschein wohl auch der Fall.«

»Stimmt haargenau«, gab sie unumwunden zu. Dann schlug sie sich mit der flachen Hand vor die Stirn. »Das ist es, was mir an ihr so vertraut vorkam, gleich vom ersten Sehen an. Sie ist die Schwester deiner Mutter. Beide gleichen sich, äußerlich und auch im Wesen. Bislang habe ich mir vergebens den Kopf darüber zerbrochen, warum ich mich von ihr so angezogen fühlte und ihr alles anvertrauen konnte. Sie ist verständnisvoll und verschwiegen, genau wie deine Mutter und wie es meine Tante Edith war. Gerade an sie hat sie mich erinnert.«

»Das wußte ich.« Er sah sie nahezu beschwörend an. »Du brauchst nie zu befürchten, daß auch nur ein Wort von dem, was man ihr anvertraut hat, über ihre Lippen kommt. Deshalb war sie die einzige, der ich alles beichten konnte.« Ein tiefer Seufzer entrang sich ihm. »Bei dir hat sie allerdings maßlos übertrieben, denn sie war nicht einmal bereit, mir meine Frage zu beantworten, ob du dich inzwischen einigermaßen erholt hast und wieder fröhlicher in die Welt schaust. Abgesehen davon war mein Besuch hier bis auf weiteres strikt untersagt.«

Daniela schaute ihn unverwandt an. »Und was hat dich bewogen, jetzt herzukommen?«

»Leas Sorge um dich, die sie nicht länger unterdrücken konnte. Aber auch meine eigene Ungeduld, die sich nicht länger bezähmen ließ, um endlich von dir zu erfahren…« Er brach abrupt ab. Dann schüttelte er mehrmals mit dem Kopf. »Ich kann es einfach nicht glauben, daß du so begriffsstutzig bist, um mich dermaßen zu verkennen. Hast du denn nie gemerkt, was ich für dich fühle?«

Er griff nach ihrer Hand und zog sie einfach mit sich aus dem Raum bis hinunter auf die Terrasse, die still und verlassen dalag. Man hörte ein leises Rumoren aus der Küche, in der sich Frau Eichsfeld wohl beschäftigte.

Rasch drückte er Daniela in einen bequemen Korbsessel und zog sich auch einen heran, den er dicht vor sie hinstellte. »Ich möchte dir in die Augen schauen bei dem, was ich dir zu sagen habe.«

Zunächst sprach er über ihre gemeinsame Jugend, kramte die wichtigsten Begebenheiten hervor, die sie mit wachsendem Staunen zur Kenntnis nahm. Aus allem war deutlich herauszuhören, wie gern er sie stets gehabt hatte. »Für mich hat es nie ein anderes Mädchen, keine andere Frau gegeben als nur dich ganz allein. Deine Verwandten und auch Dirk Hilten werden dir das gern bestätigen.«

Er ließ dem einen abgrundtiefen Seufzer folgen. »Mein Gott, ich darf gar nicht daran denken, wieviel Mühe wir uns alle gegeben haben, um dir in mehr und minder versteckten Anspielungen die Augen über meine Gefühle zu öffnen. Meine Mutter hat dir so viel über mich erzählt. Zudem hätte es dich doch stutzig machen müssen, daß für mich seit meiner Jugend nur eine einzige Frau für mich in Frage kam. Lea war nahezu verzweifelt, daß du anscheinend so schwer von Begriff warst.«

»Und warum hat sie mir keinen reinen Wein eingeschenkt, zumal ich eine Zeitlang glauben mußte, daß du und sie ineinander verliebt wart?« fragte Daniela verwirrt.

»Weil ich es nicht wollte und es sogar verboten hatte. Das war und ist schließlich ganz allein meine Angelegenheit. Ich wollte dein Herz ohne fremde Hilfe erringen. Ich liebe Kinder genauso wie du. Das habe ich dir hoffentlich nachdrücklich bewiesen. Es gibt ja auch Männer, denen Kinder lästig sind und die nicht mal eigene haben wollen. Ich…«

»Hat Lea dir von Lutz erzählt?« warf Daniela blitzschnell ein.

»Nein. Warum sollte sie auch?« Er maß sie erstaunt, was ihr deutlich seine Unkenntnis ihrer Vergangenheit verriet.

In kurzen Worten klärte sie ihn darüber auf, wobei sie besonders Leas Rolle erwähnte. »Ohne meine treueste Freundin hätte ich die Schmach niemals so schnell durchgestanden. Um so beschämender ist es für mich, daß ich zeitweilig furchtbar eifersüchtig auf sie war und ihr deine Liebe nicht gönnte. Dafür schäme ich mich unsagbar.«

»Brauchst du aber nicht. Danke es ihr, daß sie sich von deinem Onkel überzeugen ließ, dir eine Liebe vorzugaukeln. So bist du endlich zur Besinnung gekommen, daß ich dir wohl doch nicht so ganz gleichgültig bin.«

Es hielt ihn nicht länger in seinem Korbsessel. Er sprang auf und trat dicht vor sie hin. Ungestüm zog er sie in die Höhe und sah ihr tief in die Augen. »Nicht wahr, du liebst mich doch? Wenn auch nicht so innig, wie ich dich liebe.«

»Ich empfinde noch viel, viel mehr für dich, was ich lange nicht mal selbst gewußt habe. Mein Herz gehört allein dir und…«

Sie konnte nicht weitersprechen, denn er riß sie mit einem unterdrückten Jubelruf in seine Arme und küßte sie voll überschäumenden Glücks.

Danach zog er sie mit sich auf die gepolsterte Terrassenbank, wo sie verliebt miteinander turtelten und sich ihre Lippen immer wieder zu einem berauschenden Kuß fanden.

Sie merkten nicht einmal, daß Frau Eichsfeld einmal ganz verstohlen um die Ecke lugte und dann stillvergnügt in sich hinein schmunzelte.

Erst als der Mond hoch am Himmel stand und sein silbriges Licht über sie warf, kehrten sie in die Wirklichkeit zurück und trennten sich mit einem letzten Kuß für die Nacht.

Daniela war so glückselig, daß sie lange nicht einschlafen konnte. Später verfiel sie in einen traumlosen Schlummer.

*

Frau Eichsfeld nahm Daniela am nächsten Morgen herzlich in die Arme. »Endlich bekomme ich die Nichte, die ich mir längst gewünscht habe. Ich bin überzeugt davon, daß du fürs ganze Leben glücklich sein wirst mit Andreas. Denn es hat ja lange genug gedauert, bis sich deine Liebe entfaltet hat und du begriffen hast, daß er allein der richtige Mann für dich ist.«

»Zu der Einsicht dürftest du wohl am meisten beigetragen haben, Tante Charlotte«, beteuerte Daniela, der die vertraute Anrede leicht über die Lippen ging. »Du verstehst es doch wie kein anderer, einen Menschen auf recht einfühlsame Art auf den richtigen Weg zu leiten. Darf ich dich auch weiterhin um deinen guten Rat bitten, wenn ich mal nicht weiter weiß?«

»Das möchte ich sogar hoffen. Mich würde es nämlich von ganzem Herzen freuen, wenn ich dein Vertrauen genieße. Ich werde dich nach besten Kräften unterstützen.« Sie küßte die neue Nichte auf beide Wangen.

»Laß noch etwas für mich übrig«, scherzte Andreas, der unbemerkt eingetreten war. »Ich hoffe, du bleibst uns beiden die treueste Ratgeberin und liebste Tante für alle Zeiten.«

Er schwenkte sie so übermütig herum, daß sie leise aufschrie. Da hielt er flugs inne und küßte sie herzhaft. Seine Augen strahlten mit der Sonne um die Wette. Er warf die Arme hoch und jubelte: »Ich bin der glücklichste Mensch auf der Welt. Fast kann ich es noch gar nicht fassen, daß die schönste, liebste und…«

Flugs trat Daniela vor ihn hin und hielt ihm den Zeigefinger auf den Mund. »Hör schon auf mit deinen Schmeicheleien, denn sonst werde ich noch furchtbar eitel, was mich total verändern dürfte, aber zum Nachteil.«

»Um Gottes willen«, entsetzte er sich. Dann nahm er sie mit einem spitzbübischen Lächeln in die Arme und küßte sie nach Herzenslust.

Eine Weile blieben die beiden sich selbst überlassen und kosteten das natürlich aus, bis Frau Eichsfeld sie resolut an den Frühstückstisch auf die sonnenüberflutete Terrasse bat.

Es wurde eine urgemütliche Stunde. Danach regte die Tante die beiden zu einem ausgiebigen Spaziergang an. »Ihr solltet zum Forsthaus gehen, um die guten Förstersleute über euer Glück aufzuklären. Sie verdienen es, denn auch sie haben Daniela mehr oder weniger aufgemuntert in ihrer allzu ernsten Stimmung.«

»Das ist wahr«, bestätigte Daniela. »Moment, bleibt noch sitzen. Ich bin gleich zurück.« Flugs holte sie die Bilder, die der Förster gemacht hatte. »Es war wunderbar so frühmorgens im Wald, wenn die Natur erwachte. Das solltest du mal erleben, Andreas.«

»Habe ich bereits hinlänglich, wenn ich mich hier aufhielt. Aber noch nie mit dir. Das müssen wir schleunigst nachholen.« Er wollte nach den Bildern greifen, doch die Tante war schneller. Sie nahm sie an sich. »Wir können sie später noch genügend betrachten. Verschwindet gefälligst, denn ich habe noch einiges vorzubereiten.«

»Was ist es denn?« erkundigte sich Andreas neugierig, während Daniela spontan ihre Hilfe anbot.

»Raus mit euch. Ich kann euch hier vorläufig nicht gebrauchen. Bleibt im Forsthaus, bis ich dort anrufe, daß ihr heimkehren könnt. Verstanden?«

»Natürlich.« Das kam wie aus einem Munde. Unverzüglich trollten sich die beiden.

Engumschlungen schritten sie einen stillen Waldpfad entlang. Immer wieder blieben sie stehen und küßten sich zärtlich.

»Wie schön die Vögel heute singen, und wie leuchtend hell der Sonnenschein durch die Baumgipfel scheint«, sagte Daniela mit tiefem Aufatmen.

»Das kommt dir nur so vor, weil du so unaussprechlich glücklich bist«, äußerte sich Andreas und gab dann zu, daß es ihm genauso erging. »Allerdings ist dieses hier auch eine märchenhaft schöne Gegend. Die Natur lädt richtig zum Träumen ein.«

Seine Gedanken eilten weit zurück. Unwillkürlich sprach er aus, was ihn bewegte. »Diesen Weg bin ich oft gegangen. Dann habe ich stets an dich gedacht und mir gewünscht, du mögest plötzlich wie eine Elfe auftauchen und immer bei mir bleiben. Dem habe ich mich völlig hingegeben, bis die rauhe Wirklichkeit mich erfaßte, daß du auf einem ganz anderen Stern lebst.«

»Wie schön du das ausgedrückt hast.« Sie sah ihn bewundernd an. »Fast wie ein Poet. Ich wußte gar nicht, daß du so romantisch bist.«

»Du weißt so vieles nicht von mir und solltest dir mal die Mühe machen, mein Wesen näher zu ergründen.«

»Das werde ich liebend gern tun«, versprach sie ihm und versank in leichtes Grübeln.

Andreas störte sie mit keinem Wort, sah sie nur mehrmals nachdenklich von der Seite an. Er unterbrach das Schweigen erst, als das Forsthaus vor ihnen auftauchte. »Es ist wirklich eine Oase hier. Wie oft war ich bei den liebenswerten Förstersleuten, um mich mit ihnen über alles mögliche zu unterhalten. Egal, welches Problem mich bedrückte, ihre Gesellschaft munterte mich stets wieder auf, so daß ich in einer gelösten Stimmung von ihnen schied.«

»Ganz genauso ist es mir auch ergangen.« Daniela stubste ihn sanft in die Seite. »Sie haben mir unbewußt mehr gegeben, als sie ahnen. Deshalb möchte ich sie auch künftig gelegentlich besuchen, sofern es dir recht ist.«

»Und ob. Wir stimmen in dieser Beziehung restlos überein, daß wir die Förstersleute treffen sollten, wenn wir in dieser Gegend sind.«

Die beiden wurden vor der Haustür herzlich in Empfang genommen.

»Eure strahlenden Gesichter verraten, daß ihr endlich das große Glück gefunden habt«, sagte der Förster schmunzelnd. »Da möchte ich euch gleich alles Gute und viel Sonnenschein auf eurem gemeinsamen Lebensweg wünschen.« Er drückte beiden bekräftigend die Hände.

Seine Frau folgte seinem Beispiel, bekannte sich indessen dazu, daß Frau Eichsfeld sie am Morgen kurz von ihrem Kommen informiert hatte. »Unsere Freude war groß, daß zwei solch prächtige Menschen wie ihr, die so ausnehmend gut zusammenpassen, das endlich erkannt haben. Kommt mit ins Haus. Dort wartet eine weitere Überraschung auf euch.«

Bei ihrem Eintritt erhob sich Lea aus einem Sessel. »Ich dachte schon, ihr kommt nicht mehr.« Sie schloß zuerst Daniela sichtlich gerührt in die Arme und beglückwünschte sie von ganzem Herzen. »Das war wirklich ein hartes Stück Arbeit, dir unauffällig die Augen zu öffnen. Manchmal verzweifelte ich bereits und fragte mich, ob ich es überhaupt schaffe.«

»Du hättest doch nur ein offenes Wort mit mir sprechen müssen, allenfalls halt eine leise Andeutung machen müssen, die mich zum Nachdenken zwang. Nichts von alledem hast du getan und mich weiter leiden lassen.« Daniela sah Lea ein wenig vorwurfsvoll an.

Diese rang in gespieltem Entsetzen beide Hände. »Gott ist mein Zeuge, daß ich mehr als einmal Anspielungen gemacht habe, die dich auf die richtige Spur bringen mußten, aber du warst wirklich borniert. Rein gar nichts hast du aber auch kapiert.« Sie lachte. »Reden wir nicht mehr davon. Das ist jetzt alles Schnee von gestern.«

Sie wandte sich bereits Andreas zu, um ihn zu umarmen und ihm unendlich viel Glück zu wünschen auf seinem gemeinsamen Lebensweg mit Daniela.

Da wurde die Tür heftig aufgerissen. Herein stürmte Torben. Seine Wangen glühten vor Aufregung, während seine Augen strahlten. »Mutti, Mutti, Vati hat mir all die wunderschönen Tiere gezeigt. Komm, sieh sie dir auch an. Ich möchte eins mitnehmen, aber Vati…«

»Hoppla, mein Sohn, nicht so stürmisch«, unterbrach Lea ihn in seinem Redestrom. »Schau lieber mal, wer da ist. Willst du die beiden nicht erst mal begrüßen?«

Die Augen des Kindes huschten flink von einem zum anderen. Dann flog er zuerst auf Daniela zu. »Tante Dany! Tante Dany! Kommst du wieder nach Hause und spielst mit mir? Ich habe dich… ich habe dich…«

»… vermißt«, half ihm Daniela und zog ihn liebevoll auf ihren Schoß, so daß er seine Arme um ihren Hals schlingen konnte. Dazu gab er ihr stürmische Küßchen auf die Wange. Sie drückte ihn an sich. »Du hast mir auch gefehlt. Ich kehre bald nach Hause zurück und werde mich wieder um euch alle kümmern. Gemeinsam mit…«

»Dazu habe ich auch noch ein wichtiges Wörtchen mitzureden«, fiel ihr Andreas ins Wort. »Ich werde mich jetzt erst mal mit Torben beschäftigen, damit du eine alte Bekanntschaft mit seinem Vater erneuern kannst.«

Danielas Rückgrat versteifte sich. Sie mußte nämlich unwillkürlich an Lutz denken, was starkes Unbehagen in ihr auslöste.

Da trat bereits eine hohe Männergestalt vor sie hin und streckte ihr mit lachendem Gesicht beide Hände entgegen. »Kannst du dich nicht mehr an deinen Jugendkameraden Dirk Hilten erinnern? Oder habe ich mich inzwischen so furchtbar verändert?«

»Nicht im geringsten«, versicherte sie ihm verwundert und drückte kräftig seine Hände, um sie gleich wieder loszulassen. Sie warf Lea einen verstohlenen Seitenblick zu und entdeckte das verschmitzte Lächeln in ihren Augen. »Bist du etwa Torbens Vati und Leas… nun, ihr… ihr…«

»Seit wann stotterst du denn?« frotzelte er. »Früher habe ich diese Eigenschaft gar nicht an dir bemerkt.« Er ließ sich flugs an Leas Seite nieder und schlang seinen Arm locker um ihre Schultern. »Eigentlich bist du schuld daran, daß sich unsere Herzen gefunden haben. Du hattest doch die Idee, daß sie sich eine neue Stelle als Sekretärin in deiner alten Heimat suchte. Kannst du dich noch entsinnen, daß du sie bestärkt hast, in den Stellenmarkt unserer Zeitung zu schauen?«

Er berichtete in kurzen Worten, daß sie sich in der Firma seines Vaters beworben hatte, wo auch er als Juniorchef beschäftigt war. Gleichzeitig legte er ihr dar, wie gut er und Lea zusammen arbeiteten.

Sie warf rasch ein: »Einzelheiten brauchst du ihr nicht mitzuteilen. Daniela weiß vieles von mir. Ich habe ihr nur unsere häufigen Zusammenkünfte nach Feierabend und am Wochenende verschwiegen, weil ich erst unserer Liebe ganz sicher sein wollte. Zudem mußte sich erst herausstellen, ob Torben Dirk überhaupt als Vater anerkannte. Das ist inzwischen schneller geschehen, als wir uns jemals vorstellen konnten. Du ahnst ja nicht, wie unendlich glücklich ich bin, daß Dirk und Torben sich so prächtig miteinander verstehen, als wären sie wirklich Vater und Sohn. Daß du und Andreas euch nun auch endlich gefunden habt, macht mich restlos zufrieden.«

Sie unterhielten sich noch eine ganze Weile lebhaft über alles, bis Torben und Andreas sich ihnen wieder zugesellten.

*

Am Nachmittag saßen dann alle gemütlich um den festlich gedeckten Kaffeetisch auf der Terrasse, um Danielas und Andreas’ Verlobung im engsten Kreise zu feiern.

Charlotte Eichsfeld hatte alles klammheimlich arrangiert und auch Andreas’ Eltern sowie Danielas Onkel Arno am Vortag verständigt und eingeladen, worauf sie bereits ungeduldig gewartet hatten.

Daniela war noch immer ganz gerührt von der herzlichen Umarmung ihrer Schwiegereltern, die ihr einmütig versicherten, wie sehr sie sich auf sie als Zuwachs ihrer Familie freuten.

»Und das schon unendlich lange«, versicherte ihr Frau Baumann. »Manchmal war ich schier am Verzweifeln, weil du trotz unserer intensiven Bemühungen gar nicht merken wolltest, wie sehr dich Andreas liebte, und daß er alles für dich tun würde.«

»Er wäre notfalls sogar ins Wasser gesprungen, wenn es dir genützt hätte«, wandte ihr Schwiegervater schmunzelnd ein. »Leider konnte ich dich ja nicht auf meine Art beeinflussen, weil du bislang nie daran gedacht hast, mich einmal in unserem Geschäft aufzusuchen. Dabei hast du dich früher für die Antiquitäten sehr begeistert und dich an den schönen Dingen gar nicht sattsehen können.«

»Das ist auch heute noch der Fall«, beteuerte sie spontan. »Du wirst mich künftig oft genug bei dir sehen, damit ich alle antiken Kostbarkeiten nach Gebühr in Augenschein nehmen kann. Allerdings werde ich auch weiterhin die Betreuung der Kinder im bisherigen Maße wahrnehmen.«

»Oho!« Andreas drohte sofort mit dem Zeigefinger. »Das werde ich aber auf keinen Fall dulden, denn du gehörst künftig in erster Linie mir. Außerdem wirst du genügend damit zu tun haben, um unsere eigenen Kinder aufzuziehen.«

»Natürlich geht meine Familie vor, aber trotzdem…« Sie zuckte hilflos mit den Schultern. »Was soll denn dann aus den anderen Kindern werden? Ihre Eltern, die ich größtenteils noch aus der Kinder- und Jugendzeit kenne, dürften enttäuscht sein, daß sie mir ihre Sprößlinge nicht mehr anvertrauen können.«

Dirk Hilten mischte sich nunmehr entschieden ein. »Keine Sorge. Das was du dir als Lebensaufgabe aufgebaut hast, soll bestehen bleiben. Ich habe bereits zwei ältere alleinstehende Damen gefunden, die sich begeistert als künftige Betreuerinnen angeboten haben, um in ihrem Alter noch eine nützliche Tätigkeit zu leisten. Sie werden von einer ausgebildeten Kindergärtnerin unterstützt, deren Bezahlung ich übernehmen werde.«

Er führte aus, daß so manche Eltern oder auch nur ein Elternteil mitarbeiten mußten, um den Lebensunterhalt für sich und die Kinder zu sichern. Ihnen fiel es allerdings bei ihrem Einkommen schwer, sich eine Tagesmutter oder einen Kinderhort zu leisten.

»Ich kenne solche Probleme von Angehörigen unseres Betriebes und wünsche mir, daß auch ihre Kleinen unbeschwert in guter Obhut aufwachsen. Zudem sind mir viele lobenswerte Worte über dich zu Ohren gekommen, daß es doch eine ungeheure Erleichterung für die Eltern ist, ihre Kinder bei dir in besten Händen zu wissen. Das fördert auch ihre Arbeitsmoral.«

Alle hatten ihm nahezu andächtig zugehört. Am meisten beeindruckt war allerdings Daniela. »Das ist die wundervollste Lösung, die du mir damit anzubieten hast. So werde ich nur mal gelegentlich bei den Kindern vorbeischauen. Sie werden mir sonst fehlen, bis ich mal eigene Kinder habe.«

»Damit wollen wir nicht allzu lange warten«, belehrte Andreas sie. »Ich freue mich schon jetzt auf Vaterfreuden und meine Eltern auf ihre Verpflichtungen als Großeltern.«

»Erst müßt ihr mal Hochzeit feiern«, wandte Onkel Arno ein. »Zudem solltet ihr bald mit dem Einrichten eurer künftigen Wohnung beginnen. Ich hoffe ja, daß ihr im oberen Stock meines Hauses wohnen werdet. Schließlich wird Daniela meine einzige Erbin sein.«

»Das ist auch Andreas für uns«, warf Herr Baumann ein. »Er ist unser einziges Kind.«

»Dann wird eben eines eurer Enkelkinder euch einmal beerben. Noch ist das längst nicht so weit, werdet ihr noch lange leben und wunderschöne Jahre in unserer vergrößerten Familie verbringen.« Arno hob sein Glas. »Laßt uns darauf anstoßen.«

Das tat auch Torben mit großer Begeisterung. Allerdings befand sich natürlich Orangensaft in seinem Glas.

Daniela beobachtete ihn nachdenklich. »Eigentlich verdanken wir Torben unser großes Glück. Er hat mich damals mit seiner Mutter zusammengebracht. Wir sind die besten Freundinnen geworden. Durch ihn habe ich erkannt, wie kinderlieb Andreas ist. Er soll in unseren Herzen stets einen Ehrenplatz haben, nicht wahr?«

Alle zollten ihren Worten lebhaften Beifall. Dann hoben sie die Gläser. »Auf unseren Glücksstifter Torben. Er soll hochleben.«

Und während alle anstießen, strahlten ihre Gesichter. Am meisten leuchteten jedoch Torbens Augen, obwohl er nicht so ganz verstand, warum ihm solche Ehre zuteil wurde.

Mami Staffel 14 – Familienroman

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