Читать книгу Die bestellte Braut - Anna Staub - Страница 10
Leider konnte man das Büro der Heiratsvermittlung nicht ausfindig machen.
ОглавлениеMrs. Prudle, eine robuste Frau in den 50ern, die sich als Haushälterin der Sullivans vorstellte, sorgte in ihrer etwas hemdsärmeligen, aber nicht unfreundlichen Art dafür, dass Steffiney alles bekam, was sie brauchte. Die ältere Frau brachte sie in dem geräumigen, gemütlichen Gästezimmer im Haupthaus unter, bereitete ihr ein Bad und brachte der jungen Frau später das Abendessen ins Zimmer hinauf.
Miss O'Brian hatte sich mit vorgetäuschten Kopfschmerzen beim Familienabendessen der fünf Sullivans entschuldigen lassen. Ihr stand der Sinn nicht im Geringsten danach, unter den missbilligenden, feindseligen Blicken von Luke Sullivan Konversation mit fremden Männern zu machen. Glücklicherweise akzeptierte Mr. Sullivan ihre Entschuldigung ohne weitere Fragen zu stellen.
Als Steffiney abends in ihrem geborgten Nachthemd am geöffneten Fenster stand und auf die Prärie hinaus sah, musste sie bitter lächeln. Sie dachte an Mrs. Rulys letzte Worte, als sie sich von ihrer Wirtin verabschiedet hatte.
„Ich gratuliere Ihnen, Kindchen. Wird ja auch Zeit, dass Sie endlich unter die Haube kommen. Ich weiß gar nicht, wann ich zum letzten Mal eine alleinstehende Dame über 25 beherbergt habe. Muss ein hartes Los sein, wenn so lange keiner anbeißt“, hatte die fettleibige, ältere Dame gesagt, bevor Steffiney sich mit einem gezwungenen Lächeln bedankt hatte.
Sie lächelte bitter. Aber es war nicht nur die Enttäuschung darüber, dass ihre Pläne gescheitert waren und sie immer noch als Außenseiterin da stand, die sie überkam. Sie fühlte auch ehrliches Bedauern. Alles, was sie gewollt hatte, war eine Ehe, um versorgt zu sein. Die Black Creek Ranch war ein schöner Flecken Erde, auf dem sie sich hätte wohlfühlen können.
Und auch Charles Sullivan Sr. schien ein umgänglicher, netter Mann zu sein. Er hätte zwar ihr Vater sein können, aber sie war sich sicher, dass sie sich auch an den Altersunterschied gewöhnt hätte. Aber gerade rechtzeitig, bevor sie zu sehr bedauern konnte, dass Mr. Sullivan nicht im Traum daran dachte, sie zu heiraten, fiel ihr der älteste Sohn wieder ein.
Nein! Mit Luke Sullivan unter einem Dach leben zu müssen, war eine Vorstellung, die ihr sofort wieder die Zornesröte ins Gesicht trieb. Und auch die anderen Söhne waren bis auf Charlie in ihrem Alter, wie sie von Prudle gehört hatte. Es wäre doch eine zu seltsame Situation gewesen die Stiefmutter von Männern zu sein, die ihre Brüder hätten sein können. Zufrieden mit diesem vollauf vernünftigen Gedanken begab sich Miss O'Brian zu Bett.
Der nächste Morgen dämmerte klar herauf, doch die Reise und deren Aufregungen forderten ihren Tribut von Miss O'Brian. Sie verschlief sowohl den malerischen Sonnenaufgang wie auch das Frühstück der Sullivans. Erst als Prudle gegen 10 Uhr in ihr Zimmer kam, um die Vorhänge zurückzuziehen und die Fenster öffnete, wachte sie auf.
Beschämt darüber, dass sie so lange geschlafen hatte, versuchte sie sich sofort bei der Haushälterin zu entschuldigen. Prudle dagegen schien nichts Tadelnswertes an ihrer Langschläferei zu finden.
„Schon recht, Missy. Se ham doch ne lange Reise hinter sich. Mr. Sullivan hat extra jesacht, ich soll Se ruhig lange schlafen lassen. Wenn Se gleich in de Küche komm, mach ich Ihnen Frühstück.“ Mit dieser ungewohnt langen Rede für ihre Verhältnisse verschwand die Haushälterin wieder.
In aller Eile kleidete Steffiney sich an und lief dann hinunter, um Prudles reichhaltiges Frühstück zu genießen. Während sie sich über Toast, Eier mit Speck und Pancakes hermachte, berichtete Prudle, dass Mr. Charlie bereits unterwegs nach Green Hollow war, um ihre Angelegenheiten zu regeln.
Miss O'Brian blieb fast das Frühstück im Hals stecken, aber Prudle ließ mit keinem Blick oder Wort erkennen, dass sie wusste, worum es sich bei diesen „Angelegenheiten“ handelte. Nachdem die Haushälterin sich vergewissert hatte, dass nichts von ihrem großzügigen Frühstück übrig geblieben war, scheuchte sie den jungen Gast aus der Küche. Sie wollte nichts davon hören, als Miss O'Brian ihre Hilfe beim Geschirr spülen anbot. Die Missy solle lieber eins von den Büchern lesen oder Klavier spielen, wenn sie das konnte. Beides würde sie im Salon finden.
Nur ungern ließ Steffiney die alte Frau mit dem Geschirr allein, doch da Prudle anscheinend wirklich lieber für sich war und ihre Arbeit nicht teilen wollte, verschwand sie schließlich in den Salon. Das Wort Klavier war Musik in ihren Ohren. Wie lange hatte sie schon nicht mehr die Tasten eines solchen Instrumentes unter ihren Fingern gefühlt?
Zu ihrer Freude fand sie ein erstklassiges Instrument, das perfekt gestimmt war, vor. Selbst Noten lagen auf dem Deckel. Einige irische und schottische Volkslieder, Tanzmusik und sogar etwas Klassik. Alles, was ihr Herz begehrte.
Fast ehrfürchtig klappte die junge Frau den Deckel auf und ließ ihre Finger vorsichtig über die Tasten wandern. Erst zögerlich, doch bald fanden ihre Hände die alte Sicherheit wieder und der Vormittag flog mit den irischen Volksliedern, die sie noch aus ihrer Kindheit kannte, nur so dahin.
Ohne dass sie es bemerkte, hatte Miss O'Brian allerdings einen Zuhörer bekommen. Luke Sullivan stand in der Tür und lauschte der Musik halb erstaunt, halb erfreut. Das Instrument hatte seiner Mutter gehört, die eine leidenschaftliche Spielerin gewesen war. Allerdings hatte Prudence Sullivan nicht die Hälfte von Miss O'Brians Talent besessen und mit mehr Inbrunst als Können gespielt. Er war überrascht über die Fähigkeiten des unerwünschten Gastes und für eine Weile hörte er ihr einfach nur zu. Als ihm jedoch klar wurde, dass ihm sowohl der Anblick als auch die Musik nicht zuwider waren, räusperte er sich.
Die Musik brach abrupt ab, als Miss O'Brians Finger von den Tasten fielen und sie fuhr herum. Offensichtlich hatte sie sich erschreckt, so tief war sie in ihr Spiel versunken gewesen. Als sie allerdings sah, wer sie gestört hatte, verfinsterte sich ihre Miene augenblicklich.
„Es tut mir leid, aber Mrs. Prudle sagte mir, ich könne ruhig etwas spielen. Ich hätte das Klavier nie von selbst angefasst.“ Ihre Stimme schwankte irgendwo zwischen Kampfeslust und Entschuldigung. Doch auch Luke Sullivan schien sich nicht ganz sicher zu sein, ob er sich für sein unerwartetes Auftauchen entschuldigen oder es ihr übelnehmen sollte, dass sie am Klavier seiner Mutter saß, als würde es ihr gehören.
„Charlie ist mit Neuigkeiten zurück. Mein Vater bat mich, Ihnen zu sagen, dass Sie ihn in der Scheune finden.“ Luke Sullivan klang nicht unfreundlich, aber Steffiney war nach der gestrigen Beleidigung nicht gewillt, Milde walten zu lassen. Zumindest nicht ohne Entschuldigung von ihm.
So legte sie wortlos die Noten zusammen, schloss den Klavierdeckel und ging an ihm vorbei nach draußen. Sie würde diese Scheune auch ohne seine Hilfe finden.
Allerdings hatte sie die Rechnung ohne den Sendboten gemacht. Auf seinen langen Beinen war es Luke ein Leichtes sie einzuholen. Doch auch er verschwendete keine weiteren Worte, als sie Seite an Seite zu einer der Scheunen gingen. Er öffnete das Holztor etwas weiter für sie und ließ sie dann eintreten, bevor er ihr folgte.
Im Inneren herrschte ein angenehmes Zwielicht. Charlie war gerade damit beschäftigt, ein Pferd auszuspannen und ihre Reisetruhe von einem kleinen Vehikel zu bugsieren. An eine der Pferdeboxen gelehnt stand Mr. Sullivan, der seinem jüngsten Sohn bis eben aufmerksam gelauscht hatte und einige Papiere in seiner Hand betrachtete.
Als Luke und Steffiney die Scheune betraten, schaute er lächelnd auf. Doch die Sorgenfalten auf seiner Stirn waren trotz des Dämmerlichts deutlich zu sehen. „Miss O'Brian, ich hoffe, Sie haben eine angenehme Nacht gehabt und fühlen sich wohl bei uns.“
Sie bedankte sich, doch fragte ohne Umschweife nach den Nachrichten aus Boston. Steffiney wollte nicht unhöflich sein, doch das war es doch, was sie alle interessierte. Aus keinem anderen Grund würde Luke Sullivan sie hierher begleitet haben.
„Nun, Miss O'Brian, Charlie hat in der Tat nach Boston telegrafiert. Allerdings muss ich Ihnen sagen, dass er Smiths Eheanbahnungsinstitut für Heiraten in den Westlichen Territorien nicht… erreichen konnte.“
Sofort kam aus Luke Sullivans Richtung ein Schnauben. Für ihn schien diese Eröffnung keine Überraschung zu sein. Umso mehr aber für Miss O'Brian.
„Was meinen Sie bitte damit, dass er das Institut nicht erreichen konnte? Ich habe Ihnen doch die Unterlagen mit der Adresse gegeben!“, fuhr sie verwirrt auf.
Mr. Sullivan nickte bedächtig mit dem Kopf. „Ja Miss O'Brian, das haben Sie. Nur leider konnte man das Büro dieser Heiratsagentur nicht ausfindig machen. Genausowenig wie einen Mr. Smith. Es waren unter der Adresse nur ein paar leere Lagerräume zu finden.“
Steffiney traute ihren Ohren nicht. Sie war doch selbst dort gewesen! Wie konnte nur… Im nächsten Augenblick wurde ihr klar, was Mr. Sullivan jetzt von ihr denken musste. Genau das Gleiche wie sein ältester Sohn. Er würde sie postwendend auf die Straße setzen!
Plötzlich begann sich alles um sie herum zu drehen, und noch bevor sie etwas dagegen tun konnte, knickten ihre Knie ein. Von irgendwoher hörte sie Mr. Sullivans Stimme, die etwas rief, doch der schwache Moment dauerte nicht lange. Wenige Augenblicke später war Miss O'Brian wieder Herrin ihrer Sinne. Und musste zu ihrer Überraschung feststellen, dass sie nicht wie erwartet auf dem Boden lag. Sie saß auf ihrer Reisetruhe und vor ihr knieten Mr. Sullivan und Charlie.
Allerdings waren beide in dem Augenblick, als ihr schwindlig geworden war, zu weit entfernt gewesen, um sie auffangen zu können. Sie warf einen misstrauischen Blick zu Luke, der in einiger Entfernung an einem Holzpfosten lehnte und sie eingehend betrachtete.
„Geht es wieder, Miss O'Brian?“, fragte der alte Herr besorgt und rieb ihre Hände zwischen den seinen.
„Ja, danke. Ich… Es tut mir leid, es ist nur… Ich war selbst dort gewesen. Sie müssen mir glauben.“ Ihre Stimme klang jetzt eindeutig verzweifelt, doch Charles Sullivan lächelte sie immer noch freundlich, wenn auch besorgt an.
„Machen Sie sich keine Sorgen um Ihre Glaubwürdigkeit. Charlie hat sich an das Magistrat der Stadt Boston gewandt. Ich fürchte, Miss O'Brian, Sie sind auf einen Betrüger hereingefallen.“
Mr. Sullivan machte eine kurze Pause, um zu sehen, wie sein ungewöhnlicher Gast die Nachricht aufnahm. Doch es schien kein zweiter Schwächeanfall in Sicht und so fuhr er fort.
„Eine derartige Agentur wurde in Boston nie offiziell verzeichnet. Das Magistrat teilte Charlie mit, dass sie in den letzten Tagen mehrere solcher und ähnlicher Anfragen erhalten hätten. Miss O'Brian, es sieht ganz so aus, als hätte dieser Mr. Smith sich als Heiratsvermittler ausgegeben, junge Damen mit Adressen im Westen versorgt und die Gebühr kassiert. Sobald er alle seine Kundinnen auf diese Weise aus der Stadt gebracht hatte, hat er ganz offensichtlich mit ihrem Geld das Weite gesucht. Wenn Sie es sehen wollen, ich habe das Telegramm des Magistrats hier.“ Mit einem bedauernden Blick erhob sich Charles Sullivan wieder aus seiner knienden Position.
Sehr langsam streckte Miss O'Brian ihre Hand nach dem Blatt Papier aus und las still Wort für Wort. Sie konnte einfach nicht glauben, was sie da hörte. Kein Eheanbahnungsinstitut, keine Hochzeit, kein Geld, keine Möglichkeit wenigstens ihre Ausgaben zurückzubekommen.
Sie hatte keine Verwandten, die ihr hätten helfen können und ihre Eltern waren tot. Die wenigen Freunde, die sie in Boston gehabt hatte, würden ihr nie im Leben mit einer entsprechenden Summe aushelfen können, um die Rückreise zu finanzieren. Und selbst wenn, was sollte sie dort? Sie hatte keine Unterkunft mehr, kein Auskommen und keine Arbeit. Hier oder dort, sie stand vor dem Nichts.
„Aber…“, flüsterte die junge Frau schließlich heiser. „Aber wie… Ich meine, Ihre Adresse… Wie konnte er wissen, dass es Sie…“ Es war offensichtlich, dass Miss O'Brian sich an den letzten Strohhalm klammerte, den sie sah.
Charles Sullivan klopfte ihr sanft auf die Schulter, schüttelte aber den Kopf. „Ein Blick in die entsprechenden Register hier im Westen reicht, um ein paar glaubwürdige Namen und oberflächliche Informationen, die einer ersten Prüfung standhalten, zu finden. Vielleicht tröstet es Sie, dass Sie nicht als Einzige auf diesen sauberen Mr. Smith hereingefallen sind. Es konnte wirklich niemand ahnen.“
Doch Miss O'Brian schien, zumindest vorerst, keinen Trost in dieser Tatsache zu finden. Während das Telegramm aus ihren Händen zu Boden glitt, wanderte ihr Blick zu Luke Sullivan. Wenn er bis eben noch gedacht hatte, dass sie eine Betrügerin war, so musste er sie jetzt für ein naives Dummchen halten. Und sie wusste nicht, was schlimmer war.