Читать книгу Die bestellte Braut - Anna Staub - Страница 7
Zumindest einen Mr. Sullivan…
ОглавлениеEs war bereits nach Mittag, als Steffiney O'Brian sich endlich der Black Creek Ranch näherte. Wider Erwarten hatte sie eine geruhsame Nacht verbracht und tatsächlich bis nach neun Uhr geschlafen. Zur Feier des Tages, dass sie heute endlich ihren Verlobten kennenlernen würde, hatte sie sich von ihren letzten Ersparnissen ein opulentes Frühstück geleistet. Sie wollte ja nicht mit knurrendem Magen vor ihrem zukünftigen Mann und den Kindern stehen.
Mit Hilfe des Hotelangestellten hatte sie dann einen Mietstall ausfindig gemacht, der ihr eine zweisitzige Kutsche samt Kutscher zur Verfügung stellte. Zwar war ihr etwas mulmig zu Mute, als sie zu dem ungepflegt wirkenden jungen Mann hinauf gestiegen war, aber Miss O'Brian ließ nicht zu, dass ihre gute Laune und Vorfreude darunter litt.
Innerhalb weniger Minuten hatte das Gespann die Stadt verlassen und befand sich auf einem staubigen Weg, der in einiger Entfernung in einen Kiefern- und Pinienwald mündete.
Steffiney hatte zwei Mal versucht, eine höfliche Konversation über das Wetter und den Weg zu beginnen, doch ihrem jungen, düsteren Kutscher war nicht mehr als ein „Is schon recht, Ma'am“ zu entlocken. So gab sie es schließlich auf, richtete ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Landschaft und stellte schon nach kurzer Zeit fest, dass diese durchaus ihren Reiz hatte. Die weiten Ebenen wechselten sich mit dunklen Nadelwäldern ab und dahinter falteten sich die Rocky Mountains auf wie in einem Gemälde.
Doch es dauerte nicht lange und ihre Gedanken wanderten von den Ebenen zu deren Bewohnern. Vielleicht hatte Charles Sullivan ein falsches Datum erhalten. Vielleicht hatte Mr. Smith irgendetwas verwechselt in seinem Brief. Was würde ihr zukünftiger Mann dann für Augen machen, wenn sie heute schon auf seiner Ranch stand! Ob er sich wohl freuen würde? Und die Kinder? Die Jungen? Würden die sie mögen? Ob einer von ihnen noch ein Kleinkind war?
„Sind fast da, Ma'am.“ Erst die genuschelte Bemerkung ihres Begleiters brachte Steffiney O'Brian in die Realität zurück. In einiger Entfernung sah sie ein imposantes Holzhaus, um das sich Scheunen und ein paar kleinere Gebäude gruppierten. Das musste die Black Creek Ranch sein.
Erstaunt sog sie die Luft ein.
„Ooohhh…“ Für einen Moment verschwand sogar das selige Lächeln aus ihrem Gesicht. Der Besitz war größer, als sie gedacht hatte. Sehr viel größer. Nachdem sie heftig geschluckt hatte, ließ sie ein weiteres „Ooohhh…“ hören, das diesmal etwas resignierter klang. Irgendwie hatte Steffiney O'Brian etwas in der Größenordnung von einer kleinen Herde Rindern und einer einfachen Hütte erwartet. Da hatte sie weit gefehlt. Sie sollte Herrin von diesem… diesem Unternehmen werden?
Für einen Moment fragte sie sich, ob die Tochter eines kleinen Farmers aus Pennsylvania dem gewachsen war. Doch genauso schnell und resolut schob sie die Zweifel beiseite. Seit sie mit ihrer Mutter damals ihre Farm hatte verlassen müssen, um in Boston in kleinen Mietswohnungen und Pensionen zu wohnen, hatte sie sich nach etwas Eigenem gesehnt. Etwas, das wirklich ihr gehörte und nicht anderen Leuten. Und nun hatte sie die Gelegenheit endlich wieder ein eigenes Haus mit allem, was dazugehörte, zu haben. Und da bekam sie Angst? Nein, das war doch zu dumm! Sie sollte sich freuen, dass es ihr so gut gehen würde.
Der Kutscher lenkte den Wagen einen staubigen Weg entlang, der mitnichten auf die Haustür zuführte, sondern um die Scheunen und Hütten herum.
„Bring Sie gleich hinters Haus. Die Sullivans sind um die Zeit draußen“, murmelte er in seinen verfilzten Bart.
Und schon waren sie um die Ansammlung von Gebäuden herumgefahren und die Kutsche befand sich in einem gepflegten Innenhof. Etwas schmucklos, aber gepflegt. Und groß.
Noch bevor sie wusste, wie ihr geschah, hatte ihr Begleiter ihr schon von dem Zweisitzer geholfen. Als die Kutsche wendete und einfach davonfuhr, blieb Mrs. O’Brian in einer Staubwolke zurück.
Steffiney war noch so mit der Größe des Anwesens beschäftigt, dass sie für einige Minuten nicht bemerkte, dass sie mutterseelenallein vor einem fremden Haus stand. Mit offenem Mund drehte sie sich einmal um die eigene Achse und ließ den Blick über das großzügige Holzhaus mit der Terrasse gleiten. Die Tore der Scheune auf der anderen Seite des Vorplatzes standen offen. Einzelne Sonnenstrahlen erhellten das Dunkel im Inneren und ließen unzählige Staubpartikel im Licht tanzen. Weiter wanderte ihr Blick über die freie Fläche zu den Bergen. Und davor, in einiger Entfernung, erspähte die junge Frau ihr etwas völlig Unbekanntes.
In einer seltsamen kleinen Umzäunung bockte, sprang und buckelte ein wunderschönes schwarzes Pferd. Und auf dessen Rücken saß, sich nur mit einer Hand festhaltend, ein Mann. Wie er sich dort oben hielt, war ihr völlig schleierhaft, aber dafür umso beeindruckender.
Fasziniert ging sie einige Schritte auf das seltsame Spektakel und auf die Männer zu, die um die Einzäunung herum standen. Ob sie alle zur Ranch gehörten?
Die vermutlichen Cowboys waren ausnahmslos schlank und wirkten kräftig. Sie trugen Hosen aus dunklem, derbem Stoff und schlichte Arbeitshemden. Und natürlich fehlte bei keinem der obligatorische flache Filzhut, den sie auch in der Stadt schon so oft gesehen hatte.
Im Fell des schwarzen Hengstes spiegelte sich die Sonne. Noch einige Augenblicke rangen Reiter und Pferd um die Vorherrschaft, bis ein besonders harter Bocksprung den Mann im hohen Bogen durch die Luft wirbelte.
Es gab ein hohles Geräusch, als der arme Kerl auf dem Boden aufschlug. Lauter war jedoch Miss O'Brians erschreckter Aufschrei, als der Fremde im Staub landete. Was ihr jetzt immerhin die volle Aufmerksamkeit der Männer sicherte, die sie bis eben noch nicht bemerkt hatten.
Sie hatte nicht im Mindesten mit so etwas gerechnet. Ffür ihr unerfahrenes Auge sah es mehr als lebensgefährlich aus. Instinktiv war sie einen Schritt zurückgewichen, doch ihr Schreck währte nicht lange. Fast im selben Augenblick rappelte sich der Mann auf, sammelte seinen Hut von der Erde und wandte seinen Kopf in die Richtung, in die auch alle anderen starrten. Bis seine Augen schließlich an einer kleinen Frau mit kastanienbraunen Haaren in einem dunkelgrünen Reisekleid hängen blieben.
Steffiney wurde sich mit einem Mal ihrer seltsamen Situation bewusst und lief unter den Blicken all der fremden Männer tiefrot an. Sie wirkten düster und nicht im Geringsten hilfsbereit, betrachteten sie mit einem abschätzenden Blick und wandten sich schließlich ab. Lediglich ein junger Bursche mit fast noch kindlichen Gesichtszügen, der rittlings auf der Umzäunung saß, schaute sie weiter unverwandt an. Sein Grinsen war beinahe unverschämt.
Verunsichert sah sich Miss O'Brian nun nach allen Seiten um, sodass ihr entging, wie der Cowboy die Umzäunung des Corrals überkletterte und auf sie zukam. Erst als er sie fast erreicht hatte, bemerkte sie ihn. Mit den Händen beschattete Steffiney ihre Augen, um etwas besser zu sehen. Ihr Blick arbeitete sich langsam von den schwarzen Stiefeln zu den langen Beinen empor, die in dunklen Hosen steckten. Und weiter über ein blaues Hemd zu einem äußerst kräftigen Kinn mit einem leichten Bartschatten. Als sie schließlich die braunschwarzen Augen und das schwarze Haar erreichte, wünschte Miss O'Brian sich fast, sie hätte nicht so genau hingesehen. Der Mann war mindestens 1,85 Meter groß, wahrscheinlich sogar größer und hatte etwas sehr Einschüchterndes an sich.
Fast im selben Moment schoss der jungen Frau die Frage durch den Kopf, ob das Charles Sullivan sein könnte. Anstatt wieder zu schlucken, schnappte sie bei dem Gedanken diesmal nach Luft.
„Kann ich Ihnen helfen, Madam?“ Der baumlange Cowboy hatte sie erreicht und stand nun direkt vor ihr. Was Steffiney zwang ihren Kopf etwas in den Nacken zu legen, damit sie ihm überhaupt ins Gesicht schauen konnte. Andernfalls hätte sie jetzt auf die offene Knopfleiste seines Hemdes gestarrt. Mit einiger Mühe behielt sie den Kopf oben und lächelte ihr Gegenüber an.
„Ja. Ja, danke. In der Tat. Ich bin auf der Suche nach einem Mr. Sullivan.“ Erwartungsvoll lächelte sie und blinzelte gegen das helle Sonnenlicht an, das ihr direkt in die Augen schien.
Der Cowboy hatte mehr Glück. Er stand mit dem Rücken zur Sonne und konnte die Frau vor sich ohne Probleme einer genauen Musterung unterziehen. Schlecht sah sie ja nicht aus, auch wenn sie keine Schönheit war. Allerdings entschädigte dieses entwaffnende Lächeln allemal für das etwas zu spitz geratene Kinn und die hohe Stirn.
„Ich würde sagen, Sie haben ihn gefunden“, antwortete der Cowboy mit einem verschmitzten Lächeln. Für einen kleinen Augenblick klaffte Miss O'Brians Mund ganz undamenhaft offen. Das war tatsächlich ihr zukünftiger Mann?
Doch schnell besann sie sich eines Besseren und schloss den Mund wieder. Allerdings kam sie gar nicht zu Wort. Inzwischen hatte sich der junge Mann, der sie vorhin so überaus interessiert betrachtet hatte, sich zu ihnen gesellt.
„Nun, zumindest einen Mr. Sullivan“, fiel er in das Gespräch ein. Was ihm einen ärgerlichen Blick von dem Zureiter bescherte. Der ihn allerdings nicht im Mindesten zu berühren schien. Mit dem Zeigefinger deutete er auf den Cowboy, der ihn gut und gerne um einen halben Kopf überragte.
„Das hier ist zum Beispiel Mr. Lukas Sullivan und ich bin Mr. Charles Sullivan“, stellte der Störenfried sich mit einem breiten Grinsen vor.
Bei dieser Eröffnung verlor Steffiney O'Brian den bescheidenen Rest ihrer mühsam aufrechterhaltenen Contenance. Entgeistert und mit Entsetzen blickte sie zu dem Jungspund.
Das war Charles Sullivan? Der Junge konnte kaum älter als 17 sein! Was hatte sie sich da nur eingebrockt?