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Kapitel 1: Zeugin der Anklage

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Die Luft in dem mahagonigetäfelten Gerichtssaal war geschwängert von dem Duft nach Bohnerwachs, Eau de Cologne und den Körpergerüchen der Zuschauer, die dicht gedrängt auf den Bänken saßen, sich Luft zufächelten und aufgeregt miteinander tuschelten, sodass man glaubte, in ein Wespennest gestochen zu haben. Auch Stella standen die Schweißperlen auf der Stirn, was nicht nur an der stickigen Luft im Raum lag, an welcher auch das eintönige Rotieren des Deckenventilators nichts ändern konnte. Sie hatte noch nie als Zeugin vor Gericht aussagen müssen und spielte nervös an dem Kreolen-Ohrring in ihrem rechten Ohrläppchen.

»Ruhe!«, erschallte es, begleitet vom Hämmern des Richterhammers in Judge Sullivans Hand auf dem hölzernen Resonanzkörper, sodass das Gemurmel im Gerichtssaal allmählich erstarb.

»Mr. Whitmore«, sprach der Richter den Verteidiger scharf an, nachdem das Tuscheln und Raunen gänzlich verstummt war. »Sollte sich Ihr Mandant noch einmal derart respektlos der Zeugin gegenüber äußern, werde ich ihn aus dem Saal entfernen lassen. Haben wir uns verstanden?«

»Jawohl, Euer Ehren.«

Mit einem Kopfnicken nahm Judge Sullivan die Antwort zur Kenntnis und wandte sich daraufhin freundlich, aber bestimmt, an Stella: »Mrs. Gordon, würden Sie bitte die Frage des Staatsanwalts beantworten und dem Gericht noch einmal ausführlich schildern, was Sie letztes Jahr am dreiundzwanzigsten September im Forest Hill Hotel in Harrisburg beobachtet und gehört haben?«

Unter Aufbietung aller Kräfte richtete Stella den Blick weg von der Anklagebank und hin zu dem Mann im schwarzen Gewand neben ihr, der gut und gern ihr Großvater hätte sein können, und nickte. »Ja, Euer Ehren.«

Der dreiundzwanzigste September.

Obwohl dieses Datum schon über acht Monate zurücklag, erinnerte sich Stella so deutlich an die Geschehnisse, als wären sie gestern passiert.

Es war ein Freitag. Zum ersten Mal seit zwei Monaten konnte sie sich auf ein freies Wochenende freuen. Sie hatte bereits alles bis in Kleinste geplant. Samstagvormittag hatte sie zuerst einen Termin beim Friseur. Aber nicht nur die Haare hatten ein neues Styling nötig. Direkt im Anschluss hatte sie eine Behandlung im Beauty-Salon gebucht. Augenbrauen zupfen, Gesichtsmassage, Maniküre … das ganze Programm, denn am Abend hatte sie ein Date mit Phil, den sie auf einer Datingplattform für BDSM-Anhänger kennengelernt hatte. Zunächst hatten sie sich in der Öffentlichkeit getroffen, die ersten echten Dates hatten später in einem SM-Club stattgefunden. Seitdem hatten sie unzählige Male miteinander gespielt und für heute hatte Phil sie zum ersten Mal zu sich nach Hause eingeladen. Stella hatte sich extra ein neues Kleid im Wetlook gekauft, dazu wollte sie High Heels tragen und ihre geliebten Kreolen. Es sollte ein außergewöhnlicher Abend werden, und das erforderte eben auch außergewöhnliche Maßnahmen.

Gedankenversunken fuhr sie mit einem Servierwagen über den Flur der sechsten Etage des Forest Hill Hotels. Der Wagen war mit einem Champagnerkühler, einer Flasche, zwei Sektflöten und einem Strauß apricotfarbener Rosen bestückt und bildete das Willkommensarrangement für die Gäste der Hochzeitssuite, welche am Ende des Ganges lag. Stella brauchte nur noch alles zu arrangieren und das Bett herzurichten, dann hätte sie Feierabend. Sie durfte nicht vergessen, nachher noch bei Mazonkakis, der Reinigung um die Ecke, vorbeizugehen und den Steppmantel abzuholen. Noch konnte sie morgens zwar den Trenchcoat anziehen, aber abends, wenn sie nach Hause ging, war es bereits empfindlich kalt. Wenn sie Phil heute besuchte, brauchte sie auf jeden Fall den warmen Mantel, denn krank zu werden, konnte sie sich nicht leisten. Das Forest Hill Hotel war zwar das Aushängeschild in Harrisburg, trotzdem konnte man sich mit dem Gehalt eines Zimmermädchens keine Krankenversicherung leisten.

Aus keinem der Zimmer war auch nur der geringste Laut zu vernehmen. Aus keinem, bis auf eins. Je näher sie der Suite kam, umso deutlicher konnte sie zwei Stimmen – eine weibliche und eine männliche – unterscheiden. Tonfall und Lautstärke sagten ihr, dass die beiden Gäste sich stritten. Beim Vorbeifahren an dem vorletzten Zimmer war das Gezanke so laut zu hören, dass sie unfreiwillig zur Zeugin der Szene wurde, die sich hinter der Tür abspielte.

»Nein! Das werde ich nicht!«, hörte sie die Frauenstimme und gleich darauf andere Wortfetzen wie »Dreckstück« und »Tu gefälligst, was ich dir sage« von einer dunkleren, männlichen Stimme.

Kopfschüttelnd öffnete sie die Suite, schob den Wagen hinein und ließ die Tür mit der schweren Türpolsterung ins Schloss fallen. Sofort verstummte das Gezeter aus dem Nachbarzimmer. Zum Glück. Es ging sie schließlich nichts an, wenn sich die Gäste während des Aufenthalts im Hotel miteinander stritten – auch wenn sie sich fragte, wie man in ein so teures Hotel wie das Forest Hill fahren konnte, um sich dann zu zanken, anstatt eine gute Zeit zu haben.

Das frischgebackene Pärchen, das die Honeymoon-Suite gebucht hatte, sollte jedenfalls schöne Stunden erleben, und genau deswegen war Stella hier. Sie nahm den Champagnerkühler und die Gläser vom Wagen und arrangierte sie auf dem Wohnzimmertisch, sodass das frischvermählte Brautpaar beides beim Betreten der Suite sofort erblicken würde. Jetzt kamen die Blumen an die Reihe. Stella beugte sich über den Strauß und schnupperte daran. Evelyn hieß diese Rosensorte – und sie duftete einfach wundervoll. Stella inhalierte den Duft noch einmal und platzierte die Vase anschließend vor dem Spiegel über dem Kaminsims.

Auf der unteren Etage des Servierwagens stand noch ein Schälchen mit Blütenblättern, mit dem sie ins Schlafzimmer ging. Sie schlug die Bettdecke ordentlich zurück, zupfte die Enden gerade und griff mit einer Hand in die Schale, um die Rosenblätter herzförmig auf dem Bett zu verteilen. In diesem Moment drang ein Schrei, gefolgt von einem krachenden Geräusch aus dem Nachbarzimmer.

»Vor Schreck ist mir fast die Schale heruntergefallen«, gestand sie dem Richter.

»Können Sie das Geräusch näher beschreiben?«, wandte sich der Staatsanwalt an sie.

Stella sah ihn an und nickte. »Ja. Es hörte sich wie zersplitterndes Glas an. Wie bei einer Fensterscheibe oder einem großen Spiegel.«

»Was taten Sie dann? Alarmierten Sie die Polizei?«

»Nein, nicht sofort. Ich war wie gelähmt.«

»Und was haben Sie stattdessen gemacht?«

»Ich habe gehorcht, ob noch weitere Geräusche zu hören waren, aber es passierte nichts mehr. Also habe ich die Blütenschale weggestellt und bin zur Tür gegangen. Als ich sie öffnete, hörte ich das Schloss des Nachbarzimmers klicken. Ich kann nicht genau sagen, wieso, aber ich habe die Tür leise wieder geschlossen und durch den Spion nach draußen geschaut.«

»Durch den Türspion?«, unterbrach sie der Staatsanwalt. »Ist das nicht sehr ungewöhnlich? Hotelzimmertüren pflegen im Allgemeinen keine Spione zu haben.«

»Das stimmt, aber dieses hier schon. Die Suite war früher ein Teil der Wohnung des Hoteldirektors. Aber bei der letzten Hotelrenovierung gestaltete man sie um und machte eine Suite und zwei weitere Zimmer daraus. Die Tür zur Hochzeitssuite ist die ehemalige Eingangstür zur Wohnung, und die hatte einen Spion.«

»Danke für diese Ausführungen«, erwiderte der Staatsanwalt mit einem siegessicheren Seitenblick auf die Anklagebank. »Bitte fahren Sie fort. Was genau haben Sie gesehen?«

»Ich sah, wie ein Mann aus dem Zimmer kam. Er sah ziemlich unordentlich aus, so als hätte er mit jemandem gekämpft. Er sah sich auf dem Gang um, so als wollte er sichergehen, dass er allein und unbeobachtet ist. Dann ging er sehr zügig zum Fahrstuhl und betrat ihn. Daraufhin bin ich auf den Gang getreten. Ich wollte wissen, was passiert war und ob es der Frau gut ging. Also habe ich an die Zimmertür geklopft. Es kam aber keine Antwort. Also habe ich das Zimmer mit dem Dienstbotenschlüssel geöffnet und mich umgesehen.« Stella erinnerte sich noch genau, wie aufgeregt ihr Herz geklopft hatte, als sie das Zimmer betrat. Ein Stuhl war umgekippt, Kleider lagen am Boden, das Bett war zerwühlt. »Und als ich weiterging, fand ich die Frau mit einem Strumpf um den Hals in der Badewanne und habe die Polizei gerufen.«

Sogar im Nachhinein lief ihr bei der Erinnerung an den Anblick des strangulierten Opfers eine Gänsehaut über den Rücken. Noch monatelang nachdem sie die Leiche entdeckt hatte, überfiel sie jedes Mal beim Betreten ihres eigenen Badezimmers ein mulmiges Gefühl. Immer, wenn sie auf die Wanne blickte, erschien vor ihrem geistigen Auge wieder das Bild der Toten – und mit ihm die Frage, ob sie sich jemals wieder ruhigen Gewissens allein mit Phil treffen konnte, ohne daran zu denken, was passieren könnte, wenn er die Hand auf ihren Hals …

»Konnten Sie das Gesicht des Mannes auf dem Flur erkennen?«

Die Frage des Staatsanwalts holte sie in die Gegenwart zurück. »Ja«, antwortete sie.

»Und würden Sie den Mann wiedererkennen, wenn Sie ihn sehen, Mrs. Gordon?«

Stella atmete tief ein und aus, dann sagte sie mit fester Stimme: »Ja, ich würde ihn jederzeit wiedererkennen.«

»Was macht Sie da so sicher?«

»Als er sich auf dem Gang umsah, blickte er mich sozusagen einen Augenblick lang an. Dabei konnte ich in seinem Gesicht ein Muttermal auf der linken Wange sehen. Es war recht groß.«

»Und befindet sich dieser Mann mit dem Muttermal hier in diesem Raum?«

»Ja, Sir. Es ist der Mann, der dort drüben neben Mr. Whitmore sitzt. Es ist Mr. Bloomfield, der Angeklagte.«

Aufgeregtes Getuschel und Gemurmel erhob sich im Saal, sodass Judge Sullivan sich erneut genötigt sah, mit dem Richterhammer für Ruhe zu sorgen.

»Danke, Mrs. Gordon. Euer Ehren, ich habe keine weiteren Fragen.«

Der Staatsanwalt ging, ein souveränes Lächeln auf den Lippen, auf seinen Platz zurück und setzte sich.

Auf die Nachfrage des Richters, ob der Verteidiger die Zeugin vernehmen wolle, verzichtete dieser, und der Richter erlaubte Stella, den Zeugenstand zu verlassen. Beim Vorbeigehen am Tisch des Angeklagten sprang Derek Bloomfield auf und richtete drohend einen Finger auf sie.

»Ich werde mich auch an dein Gesicht erinnern«, blaffte er sie an.

Stella zuckte vor Schreck zurück und schrie, die Zuschauer im Saal redeten aufgebracht durcheinander und der Richterhammer sauste zum dritten Mal an diesem Vormittag dröhnend nieder. Ein Gerichtsdiener und ein Polizeibeamter hielten den Angeklagten fest und riefen ihr zu, sie solle den Saal schnellstens verlassen.

Das brauchte man ihr nicht zweimal zu sagen. So schnell sie sich auf den wackeligen Beinen fortbewegen konnte, eilte sie auf die Tür am Ende des Saals zu.

»Miststück! Ich werde mich erinnern. Und ich werde dich finden. Hörst du? Blöde Schlampe.«

Die Verwünschungen von Derek Bloomfield begleiteten ihren Weg nach draußen – und verstummten erst, nachdem sich die Tür des Gerichtssaals hinter ihr geschlossen hatte. Stella lehnte sich einen Augenblick gegen die schwere Eichentür. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Mit zittrigen Fingern öffnete sie die oberen zwei Blusenknöpfe und atmete tief ein und aus. Schon besser. Hoffentlich verurteilten die Zeugen den Angeklagten. Aus der Zeitung wusste Stella, dass die ermordete Frau, Lauren Simmons, ein Escort-Girl gewesen war, welches sich geweigert hatte, die sexuellen Gelüste ihres Klienten Bloomfield zu befriedigen. Ihre Weigerung hatte ihn so wütend gemacht, dass er sie im Bad des Hotelzimmers erst geschlagen und dann erwürgt hatte.

Stella schüttelte angesichts der Unbegreiflichkeit der Tat den Kopf. Wie konnte man einen Menschen nur wegen so etwas töten? Es überstieg ihre Vorstellungskraft. Sie stieß sich mit den Schulterblättern von der Tür ab und begab sich, den dunklen, holzverkleideten Gang so gefasst wie möglich entlangschreitend, zum Treppenhaus. Mit wackeligen Beinen, eine Hand am Geländer, schritt sie die Stufen hinab. Wieder erschien das Bild der strangulierten Lauren vor ihren Augen und machte ihr einmal mehr bewusst, wie schnell die Grenze von Lust zu Lebensgefahr überschritten werden konnte.

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