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ОглавлениеEinführung in
Advance Care
Planning
Von Monika Obrist
Wenn Sie schwer krank sind, sollen Sie die Möglichkeit haben, Ihre Behandlung mitzubestimmen. Ihre Werte, Wünsche und Bedürfnisse sollen bei den behandelnden Fachpersonen Gehör finden und in die Behandlung einfließen. Dieses Recht haben Sie. Die vorausschauende Behandlungsplanung, englisch »Advance Care Planning« (ACP) genannt, ist ein Werkzeug, mit dem Sie Ihre Erwartungen, welche Sie an Ihre Behandlung haben, eindeutig und verständlich formulieren können. Dazu gehört, dass Sie in einem persönlichen Gespräch über die jeweiligen Chancen und Risiken einer Behandlung gut informiert und aufgeklärt sind. Unter dieser Voraussetzung können Sie schließlich gemeinsam mit einer Beratungsperson eine differenzierte Patientenverfügung erstellen. Neben dem Behandlungsteam, das nun diesen gemeinsam ausformulierten Leitplanken folgen kann, ist diese Patientenverfügung auch den Angehörigen bekannt. Diese können so Ihren mutmaßlichen Willen vertreten, falls Sie in einen Zustand von Urteilsunfähigkeit geraten. Der folgende Beitrag gibt eine Übersicht.
In Ihrem Sinn behandelt – Selbstbestimmungsrecht bei medizinischen Behandlungen
Das sogenannte »Neue Erwachsenenschutzrecht«, das seit Anfang 2013 in Kraft ist, enthält eine Reihe Bestimmungen zum Vorsorgeauftrag, zur Patientenverfügung und zur Vertretungsberechtigung. Mit dem Recht auf Selbstbestimmung geht eine große Verantwortung sich selbst gegenüber einher. Das Recht auf Selbstbestimmung entstammt dem ethischen Prinzip der Autonomie. Mehr zum Begriff »Autonomie« finden Sie im Beitrag »Partizipative Entscheidungsfindung« von Isabelle Karzig-Roduner. Im medizinischen Kontext bedeutet das, die eigene Behandlung aktiv mitzugestalten. Damit wird Ihnen die Entscheidungshoheit eingeräumt, in eine medizinische Behandlung einzuwilligen oder eine solche zu verweigern (Art. 28 ZGB). Eine wichtige Voraussetzung dafür ist die Urteilsfähigkeit. Das Zivilgesetzbuch bezeichnet jede Person als urteilsfähig, der nicht wegen ihres Kindesalters, infolge geistiger Behinderung, psychischer Störung, Rausch oder ähnlicher Zustände die Fähigkeit mangelt, vernunftgemäß zu handeln (Art. 16 ZGB).
Gehen wir nun davon aus, dass Sie urteilsfähig sind und eine ärztliche Behandlung benötigen. Ihre Ärztin oder ihr Arzt muss Ihnen die notwendigen Entscheidungsgrundlagen geben und Sie über mögliche Behandlungsoptionen und Prognosen informieren, damit Sie eine Entscheidung treffen können. Lesen Sie mehr dazu im Beitrag »Partizipative Entscheidungsfindung« von Isabelle Karzig-Roduner, wie sich ein solcher Gesprächsprozess optimalerweise gestaltet.
Brauchen Sie überhaupt eine Patientenverfügung?
Im normalen täglichen Leben als urteilsfähige Person brauchen Sie keine Patientenverfügung. Sie entscheiden, ob Sie im Fall von körperlichen Beschwerden zum Arzt gehen wollen und welche Behandlung die richtige ist für Sie. Sie holen sich möglicherweise selbst die nötigen Entscheidungsgrundlagen ein oder lassen sich von einer Fachperson beraten. Am Ende entscheiden Sie sich für oder gegen eine Behandlungsmöglichkeit und tragen auch die Verantwortung für Ihre Entscheidung. Als urteilsfähige Person sind Sie also jederzeit in der Lage, selbst zu entscheiden. Bereits getroffene Entscheidungen können Sie zudem jederzeit revidieren. Daran ändert sich nichts, auch dann nicht, wenn Sie eine Patientenverfügung erstellt haben.
Wofür braucht es eine Patientenverfügung?
Eine Patientenverfügung kommt dann zum Tragen, wenn Sie aus irgendeinem Grund nicht urteilsfähig sind und Ihren Willen nicht kundtun können. In Situationen der Urteilsunfähigkeit, wenn Entscheidungen über Ihre medizinische Behandlung getroffen werden müssen und Sie sich dazu nicht äußern können, soll eine Patientenverfügung klare und eindeutige Aussagen über Ihren Willen geben. Sie kann auch die Namen von Personen enthalten, die in Ihrem Sinn entscheiden sollen, die vertretungsberechtigt sind.
Verschiedene Situationen der Urteilsunfähigkeit
Nachfolgend eine kurze Übersicht über die Situationen einer Urteilsunfähigkeit. Mehr dazu finden Sie im Beitrag »Patientenverfügung ‹plus›« von Isabelle Karzig-Roduner und Theodore Otto-Achenbach.
Plötzliche Urteilsunfähigkeit
Wenn Sie einen Unfall oder eine akute Krankheit erleiden und das Bewusstsein verlieren, sind Sie in dieser akuten Situation urteilsunfähig. Dann brauchen Sie sofort Hilfe durch Personen, die in Ihrem Sinne handeln.
Länger andauernde Urteilsunfähigkeit
Es kann sein, dass Sie aufgrund verschiedener Ursachen für längere Zeit urteilsunfähig sind, z.B. wenn Sie wegen einer Lungenentzündung auf einer Intensivstation behandelt werden müssen. Sie können sich in dieser Situation nicht zur Behandlung äußern. Wenn die behandelnden Spezialisten Ihre Ziele und Grenzen kennen, können Sie Ihre Therapie danach ausrichten.
Bleibende Urteilsunfähigkeit
Von einer bleibenden Urteilsunfähigkeit sprechen wir, wenn die behandelnden Ärztinnen oder Ärzte mit Sicherheit aussagen können, dass Sie in einem Zustand sind, in dem die Urteilsunfähigkeit irreversibel, d.h. ohne Chance auf Besserung ist. Verschiedene Ursachen können dazu führen. Sie werden in diesem Zustand in aller Regel dauerhaft auf Pflege und Unterstützung angewiesen sein.
Vorhersehbare Urteilsunfähigkeit
Wenn Sie für eine Operation in eine Vollnarkose versetzt werden, sind Sie während der Dauer der Operation urteilsunfähig. In aller Regel haben Sie mit dem behandelnden Team besprochen, welches Ihre Therapieziele sind und was geschehen soll bei allfälligen Komplikationen während der Operation.
Wer sind vertretungsberechtigte Personen?
Vertretungsberechtigt sind in erster Linie nahestehende Personen, also Lebenspartner, die engsten Familienmitglieder, Freunde, die Sie sehr gut kennen. Wenn Sie keinen gesetzlichen Beistand haben und keine Patientenverfügung verfasst haben, gilt die gesetzliche Regelung gemäß Art. 378 ZGB. Die folgenden Personen sind der Reihe nach berechtigt, die urteilsunfähige Person zu vertreten und den vorgesehenen ambulanten oder stationären Maßnahmen die Zustimmung zu erteilen oder zu verweigern:
1 die in einer Patientenverfügung oder in einem Vorsorgeauftrag bezeichnete Person;
2 der Beistand oder die Beiständin mit einem Vertretungsrecht bei medizinischen Maßnahmen;
3 wer als Ehegatte, eingetragene Partnerin oder eingetragener Partner einen gemeinsamen Haushalt mit der urteilsunfähigen Person führt oder ihr regelmäßig und persönlich Beistand leistet;
4 die Person, die mit der urteilsunfähigen Person einen gemeinsamen Haushalt führt und ihr regelmäßig und persönlich Beistand leistet;
5 die Nachkommen, wenn sie der urteilsunfähigen Person regelmäßig und persönlich Beistand leisten;
6 die Eltern, wenn sie der urteilsunfähigen Person regelmäßig und persönlich Beistand leisten;
7 die Geschwister, wenn sie der urteilsunfähigen Person regelmäßig und persönlich Beistand leisten.
Sind mehrere Personen vertretungsberechtigt, so dürfen die gutgläubige Ärztin oder der gutgläubige Arzt voraussetzen, dass jede im Einverständnis mit der anderen handelt. Fehlen in einer Patientenverfügung Weisungen, so entscheidet die vertretungsberechtigte Person nach dem mutmaßlichen Willen und den Interessen der urteilsunfähigen Person. In dringlichen Fällen ergreift die Ärztin oder der Arzt medizinische Maßnahmen nach dem mutmaßlichen Willen und den Interessen der urteilsunfähigen Person (Art. 379 ZGB).
In welchen Situationen ist eine Patientenverfügung wichtig?
Wenn Sie in ein Spital oder in ein Heim eintreten, werden Sie in der Regel gefragt, ob Sie eine Patientenverfügung haben. Das Behandlungsteam muss Ihren Willen eruieren und vertretungsberechtigte Personen kontaktieren können, falls Sie in eine Krisensituation oder Zustandsverschlechterung mit Urteilsunfähigkeit kommen.
Ebenso muss Ihr Wille in Notfall- oder Krisensituationen beachtet werden. Durch einen Unfall oder eine Krankheit können Sie von einem Augenblick auf den anderen in eine völlige Abhängigkeit kommen. Wenn Sie bewusstlos und damit nicht urteilsfähig sind, müssen andere über Ihre Behandlung entscheiden (vertretungsberechtigte Personen, wenn diese nicht erreichbar sind und die Behandlung dringlich ist, sind es die behandelnden Ärzte).
Wenn Sie den Wunsch haben, Ihre Therapieziele für den Fall einer Urteilsunfähigkeit selbst festzulegen, sollten Sie das also rechtzeitig tun. Dabei stellen Sie vielleicht folgende Fragen: Für welche Situationen kann ich vorausplanen? Wann ist der richtige Zeitpunkt dafür? Wie kann ich meinen Willen für eine Notfallsituation, für eine länger andauernde oder eine bleibende Urteilsunfähigkeit verbindlich und handlungsleitend festhalten?
Für welche Situationen können Sie vorausplanen?
Lassen Sie die Dinge eher auf sich zukommen, oder planen Sie möglichst vieles im Voraus? Ihrer Persönlichkeit entsprechend tendieren Sie eher zum einen oder zum anderen. Oder es kommt auf die Situation an. Vielleicht planen Sie in den verschiedenen Lebensbereichen gleichermaßen oder unterschiedlich viel oder wenig voraus. Auf jeden Fall sind Sie frei, damit umzugehen, wie es Ihnen entspricht. Betrachten wir im Folgenden die Vorausplanung in einigen wichtigen Lebensbereichen:
Finanzielle Vorausplanung
Um finanzielle Risiken zu vermeiden, können Sie Versicherungen abschließen. Um Ihr Vermögen nach Ihrem Ableben Ihrem Wunsch entsprechend jemandem zukommen zu lassen, können Sie ein Testament erstellen. Um sicherzustellen, dass eine bestimmte Person im Krankheitsfall mit Urteilsunfähigkeit stellvertretend für Sie allen finanziellen Verpflichtungen nachkommt, können Sie einen Vorsorgeauftrag erstellen. Für diese Situationen können Sie sehr gut vorausplanen, wenn Sie das möchten. Wenn Sie das nicht tun möchten, gibt das Gesetz genaue Regelungen vor (Testament, Erbfolge: Art. 457 ZGB, Vorsorgeauftrag Art. 360 ZGB). Mehr Informationen zu Vorsorgeauftrag und Testament erhalten Sie bei Sozialberatungsstellen, Patientenorganisationen und Gesundheitsligen.
Gesundheitliche Vorausplanung für die
Situation der Urteilsunfähigkeit
Dies ist wohl die anspruchsvollste Ebene der Vorausplanung. Wir sprechen hier vom Erstellen einer Patientenverfügung, die konkrete Anweisungen für Ihre medizinische Behandlung geben soll im Falle einer akuten, vorübergehenden oder bleibenden Urteilsunfähigkeit. Studien (BAG 2017)6 zeigen, dass zwar mehr als die Hälfte der Bevölkerung in der Schweiz diesen Begriff kennt, aber weniger als 20 Prozent selbst eine Patientenverfügung erstellt haben. Der Auseinandersetzung mit der Frage nach den eigenen Zielen und Wünschen im Falle einer schweren Krankheit mögen sich die meisten Menschen nicht gern stellen, weil die Konfrontation mit der Endlichkeit des Lebens ganz eng damit verbunden ist. Es ist verständlich, dass wir die Gedanken an schwere Krankheiten oder ans Lebensende lieber verdrängen und uns den angenehmen Seiten des Lebens zuwenden. Viele denken: Wenn ich krank werde, ist es noch früh genug, mich damit zu beschäftigen. Nur: Was soll geschehen bei einem Unfall oder einer plötzlichen Krankheit, die mich unvorbereitet treffen können? Kann man dann noch seinen Willen gut überlegt kundtun?
Fehlen in einer Patientenverfügung Weisungen, so entscheidet die vertretungsberechtigte Person nach dem mutmaßlichen Willen und den Interessen der urteilsunfähigen Person. Das ist eine äußerst verantwortungsvolle und herausfordernde Aufgabe. Insbesondere dann, wenn Sie mit Ihren Nächsten noch nie über Ihre Behandlungsziele in einer solchen Situation gesprochen haben. Ihre vertretungsberechtigte(n) Person(en) müssen in Ihrem Sinn und nach Ihrem mutmaßlichen Willen Behandlungsentscheidungen treffen – das kann sehr belastend und mit großen Unsicherheiten verbunden sein.
Das Gespräch über eigene Lebensperspektiven und Ziele
Das Wichtigste ist also das Gespräch, das Reden über eigene Lebensperspektiven und Ziele, über Ihre Investitionen in die Gesundheit, über Ihre Bereitschaft, dafür auch Belastungen und Leiden in Kauf zu nehmen, über Ihre Vorstellungen von würdevollem Leben. Haben Sie im Kreis Ihrer Nächsten darüber gesprochen, was Sie für sich wünschen würden, welches Ihre Behandlungsziele wären, wenn Sie sich selbst aufgrund Ihres Krankheitszustandes nicht äußern können? Haben Sie diesen Personen erzählt, wie gerne Sie leben? Wissen sie, ob eine Behandlung in einer Notfall- oder Krisensituation Ihr Leben verlängern soll und darf? Haben Ihre Nächsten von Ihnen erfahren, welche Risiken und Belastungen Sie bereit sind, in solchen Situationen auf sich zu nehmen? Gibt es für Sie Grenzen des Erträglichen?
Patientenverfügung
Wenn Sie noch einen Schritt weitergehen und Ihre Vorstellungen schriftlich festhalten wollen, können Sie das mit einer Patientenverfügung tun. Eine Patientenverfügung muss sehr hohen Ansprüchen in vielerlei Hinsicht genügen. Weshalb? Stellen Sie sich vor, Sie seien in der umgekehrten Situation und haben eine Patientin oder einen Patienten in einem lebensbedrohenden Zustand vor sich liegen, die oder den Sie nicht kennen und die oder der sich nicht zur Behandlung äußern kann. Sie müssen sich auf schriftliche Aussagen einer Patientenverfügung verlassen. Sie müssen aus der Verfügung herauslesen, was diese Person in dieser aktuellen Situation entscheiden würde, wie gerne sie weiterleben möchte, unter welchen Umständen, mit welchen mit der Behandlung verbundenen Risiken und Belastungen. Sie müssen sicher sein, dass die vor Ihnen liegende Person genau verstanden hat, was sie verfügt hat, dass die Person sich der Konsequenzen bewusst ist, sie die Verantwortung dafür übernommen hat und dass dies immer noch ihrem aktuellen Willen entspricht. Sie sehen, dass eine Patientenverfügung weitreichende Konsequenzen hat und dass ein Behandlungsteam sich gut versichern muss, dass die Patientenverfügung valide ist. Das heißt, dass keine Zweifel darüber bestehen, dass die verfügende Person diese aus freiem Willen verfasst hat. Das Behandlungsteam muss sich sicher sein, dass die Verfügung aktuell ist, auf die vorliegende Situation angewendet werden kann und auf gut informierten Entscheidungen der unterzeichnenden Person beruht. Eine valide Patientenverfügung muss also sehr differenzierte Auskünfte geben über die Therapieziele der unterzeichnenden Person. Sie darf keine Widersprüche enthalten und sie muss auf die aktuelle Situation anwendbar sein.
Ein Beispiel: Sie drücken aus, dass Sie gesund sind, sehr gerne leben, gerne reisen, Sport treiben und das Erwachsenwerden Ihrer Kinder erleben möchten, aber Sie möchten nicht reanimiert werden. Nun verunfallen Sie mit Ihrem Auto, sind bewusstlos und werden durch die Ambulanz in die Notfallaufnahme gebracht. Sie haben einige Knochenbrüche und Prellungen, aber keine lebensbedrohlichen Verletzungen. Auf der Notfallstation erleiden Sie einen Herzstillstand. Eine Reanimation könnte Ihr Leben retten, und nach der Heilung der Knochenbrüche könnten Sie Ihr Leben wie vorher leben. Auf welche Aussage soll sich das Behandlungsteam nun stützen?
Ein weiteres Beispiel: Es könnte sein, dass Sie urteilsunfähig sind, weil Sie an der Beatmungsmaschine auf einer Intensivpflegestation liegen. Das Behandlungsteam bescheinigt Ihnen zwar gute Prognosen für ein Überleben, aber eine hohe Wahrscheinlichkeit einer dauerhaften schweren körperlichen Behinderung. Es besteht also große Hoffnung auf ein Überleben, aber ebenfalls ein hohes Risiko, dauernd immobil und auf pflegerische Unterstützung angewiesen zu sein. Was soll geschehen?
Wenn Behandlungsentscheidungen für urteilsunfähige Menschen zu deren Wohl und in ihrem Interesse getroffen werden müssen, ohne dass zuvor eine differenzierte Patientenverfügung erstellt wurde, bedeutet das eine große Herausforderung sowohl für vertretungsberechtigte Personen als auch für das behandelnde Team. Theodore Otto-Achenbach widmet sich im Beitrag »Vertreterentscheidungen – Advance Care Planning für urteilsunfähige Menschen« dieser Thematik.
Warum eine Beratung beim Erstellen einer Patientenverfügung?
Eine valide Patientenverfügung soll Auskunft darüber geben, welches Ihr Therapieziel in Notfall- oder Krisensituationen ist, wie viel Risiko Sie einzugehen bereit sind und wo Ihre persönlichen Grenzen des Erträglichen sind. Eine Patientenverfügung «plus» nach den Standards von Advance Care Planning erstellen Sie gemeinsam mit einer zertifizierten ACP-Beratungsperson. Das ist eine geschulte Fachperson, die Ihre Überlegungen und Ihren Willen gemeinsam mit Ihnen in medizinische Behandlungsziele übersetzt. Das «plus» steht dafür, dass die Patientenverfügung mithilfe einer ACP-Beraterin erstellt wurde – im Gegensatz zu Patientenverfügungen, die eine Person alleine ausgefüllt hat. Eine ACP-Beraterin wird Ihren Willen so zu Papier bringen, dass Behandlungsteams diesen verstehen, nachvollziehen und nach Möglichkeit umsetzen können. Eine gute Beratungsperson wird Sie auf Unklarheiten und Widersprüchlichkeiten ansprechen, aber sie wird Sie nie zu Entscheidungen drängen, im Gegenteil. Sie wird Ihnen helfen, einen persönlichen Entscheidungsprozess anzustoßen, der Sie weiterbringt und der auch nie zu Ende geht, solange Sie leben. Sie werden im Laufe Ihres Lebens Ihre Entscheidungen immer wieder überdenken und aufgrund sich verändernder Lebensumstände und -perspektiven neu festlegen.
Christina Buchser beschreibt in ihrem Beitrag »Auch unser Tipi ist ein guter Ort zum Sterben«, wie sie eine Beratung bei einer ACP-Beraterin erlebt hat.
Im Beitrag »Man muss es im Voraus besprechen« von Gabriela Meissner gibt Dr. med. Peter Steiger, leitender Arzt der beiden Intensivstationen für Traumatologie und Brandverletzungen und Stv. Institutsdirektor des Instituts für Intensivmedizin am Universitätsspital Zürich, Auskunft darüber, unter welchen Voraussetzungen Patientenverfügungen zu den richtigen Behandlungsentscheidungen führen können.
Wann ist der richtige Zeitpunkt, um eine Patientenverfügung zu erstellen?
Ein wichtiger Grundsatz bei der gesundheitlichen Vorausplanung ist die Freiwilligkeit. Niemand kann Sie zwingen, Verfügungen für gesundheitliche Therapieziele festzulegen. Nicht einmal die Auseinandersetzung mit diesen Fragen ist zwingend – auch nicht beim Eintritt in ein Heim oder in ein Spital. Bei einem Heimeintritt ist die Frage, ob die Bewohnerin oder der Bewohner in einem Notfall wiederbelebt werden will, in vielen Alters- und Pflegeheimen Standard. Oft wird diese Frage gestellt, ohne deren Bedeutung zu erklären, ohne die Konsequenzen eines Ja oder Nein umfassend darzulegen. So bleibt die Entscheidungsbasis z.B. für eine Herz-Lungen-Wiederbelebung vielfach unklar. Das kann dazu führen, dass die betreuenden Fachpersonen das Alter, bestehende Krankheiten, Lebensumstände oder -perspektiven als Entscheidungsgrundlagen heranziehen.
Es empfiehlt sich, die erste Patientenverfügung in einer stabilen Lebensphase zu verfassen, wenn keine akute Krankheitssituation oder Krise vorliegt. Sie sollten in der Lage sein, ruhig und entspannt über Ihre Lebensperspektiven und -ziele nachzudenken, ohne dass Sie von Ängsten oder Panik geleitet werden. Trotzdem können Sie in eine Situation geraten, in der rasche Entscheidungen zu Behandlungszielen und Maßnahmen notwendig sind, die Ihnen keine Zeit lassen. In einer solchen akuten Situation macht es Sinn, sich auf das aktuelle Therapieziel zu fokussieren und mit Ihrer Ärztin oder ihrem Arzt die Behandlung zu besprechen.
Behandlung bei schwerer und unheilbarer Krankheit
Im Falle einer Krankheit können Sie sich von Fachpersonen über Behandlungsmöglichkeiten beraten lassen und die für Sie bestmögliche Therapie planen. Auch hier sind Sie frei und bestimmen selbst, ob und welche der vorgeschlagenen Behandlungen Sie annehmen wollen. Als mündige und urteilsfähige Person tragen Sie letztlich die Verantwortung. Eine Patientenverfügung tritt hier nur an die Stelle Ihrer aktuellen Entscheidungen, wenn Sie aufgrund einer gesundheitlichen Krise nicht in der Lage sind, selbst zu entscheiden.
Bei schwerer Krankheit sind oft mehrere Fachpersonen in die Behandlung involviert. In einer solchen Situation ist Ihre klare Aussage, welches Ihr Behandlungsziel ist, welche Risiken und Belastungen Sie in Kauf nehmen wollen, wie sehr Sie am Leben hängen und unter welchen Umständen Sie auf lebensverlängernde Maßnahmen verzichten wollen, ganz wesentlich. Dies ist wichtig für die Art der Behandlung, die Sie erhalten, wie auch für die Behandlung in einer Notfall- und Krisensituation, in welcher Sie selbst nicht entscheiden können. Um dies zu erreichen, sind laufende Absprachen und eine Koordination der verschiedenen Fachpersonen entscheidend, damit Sie die Ihren Therapiezielen und Wünschen bestmöglich entsprechende Behandlung und Pflege erhalten. Das Gespräch über diese existenziellen Lebensfragen und -ziele und die genaue Dokumentation der daraus folgenden Behandlungswünsche stehen ganz im Zentrum. Betreuungspläne oder Notfallpläne als ein Element einer vorausschauenden Behandlungsplanung nach ACP, die laufend aktualisiert werden, sind dafür hilfreiche Instrumente.
Im Beitrag »Notfallplanung in der Palliative Care« beschreibt Dr. Andreas Weber, worauf er als Palliativmediziner achtet und wie er schwer kranke und sterbende Menschen und deren Angehörige entsprechend deren Behandlungszielen betreut und begleitet. Dabei wird deutlich, dass eine sorgfältige persönliche Standortbestimmung, die Klärung eigener Werte und Wünsche und die Abwägung von möglichen Behandlungswegen in einer ruhigen Gesprächssituation erfolgen muss, nicht in einer Krise. So kann das Behandlungsziel gemeinsam mit dem Patienten und seinen Angehörigen besprochen und festgehalten werden. Dieses ist maßgeblich für das weitere Vorgehen, auch in möglichen Krisensituationen. Durch eine vorausschauende Notfallplanung und das Bereitstellen der notwendigen Medikamente und Materialien können alle Beteiligten in Krisen ruhig und ganz im Sinne des Patienten handeln.
Sabine Arnold begleitet in ihrer Reportage »Noch einmal nach Morcote reisen oder nicht mehr aufwachen« die Pflegefachfrau Liselotte Vogt bei einem Beratungsgespräch mit einer schwer kranken Patientin.
Nicht nur für die Betroffenen selbst, auch für Angehörige sind Notfall- und Krisensituation oft traumatische Erlebnisse, die verarbeitet werden müssen. Wenn die Krisensituation sogar zum Tod eines geliebten Menschen führt, können Bilder der eigenen Hilflosigkeit und Angst lange im Gedächtnis haften und oft auch Schuldgefühle auslösen. Eine Patientenverfügung «plus» kann helfen, den Krankheitsverlauf gemeinsam besser zu bewältigen und auch als Angehörige eine handelnde Rolle einzunehmen. Wenn Angehörige nach dem Tod eines Menschen sagen können: »Genauso hat sie es sich gewünscht!«, dann hat ACP ein wesentliches Ziel erreicht.
Die Entwicklung von Advance Care Planning
Advance Care Planning und damit verbunden die Patientenverfügung «plus» stoßen in der ganzen Schweiz auf großes Interesse, sowohl beim Bund, bei Fachpersonen als auch bei vielen Menschen, die für sich persönlich eine valide Patientenverfügung erstellen wollen. Zum Schluss noch einige Worte zur Entwicklung von Advance Care Planning in der Schweiz.
Entwicklung in der Schweiz
Im Rahmen der gesundheitlichen Prioritäten des Bundesrates und der Strategie »Koordinierte Versorgung« hat das Bundesamt für Gesundheit BAG das folgende Ziel festgehalten: Der Wille eines wohlinformierten Patienten soll bei fortschreitender Erkrankung einerseits den Behandlungsplan aller Beteiligten leiten, andererseits in Situationen des Notfalls und der länger andauernden oder dauerhaften Urteilsunfähigkeit ebenso die Behandlungsentscheidungen leiten.7
Eine interprofessionelle Arbeitsgruppe von ÄrztInnen, Pflegefachpersonen, TheologInnen und JuristInnen hat 2018 unter der Leitung des BAG und palliative ch ein Rahmenkonzept »Gesundheitliche Vorausplanung mit Schwerpunkt Advance Care Planning«8 erarbeitet, das sich auf die internationalen und nationalen Forschungsergebnisse stützt und diese in konkrete Projekte in der Schweiz umsetzt.
Das Bildungszentrum am Universitätsspital Zürich bietet seit 2016 verschiedene Fortbildungen für ACP-Beratende und Ärzte an, diese werden auch von einigen anderen Bildungsstätten in der ganzen Schweiz übernommen. Das Interesse der Fachpersonen, aber auch des Publikums ist groß, und die Nachfrage nach Beratungsangeboten steigt ständig.
Das Team der klinischen Ethik am Universitätsspital Zürich unter der Leitung von Prof. Tanja Krones entwickelt seit 2015 zusammen mit der Sektion palliative zh+sh ein webbasiertes Programm für die Erfassung und Sicherung von ACP-Patientenverfügungen «plus» und Notfallplänen. Dieses wird von vielen Kliniken, Beratungsstellen, Hausarztpraxen und ambulanten Palliative-Care-Teams in der Schweiz angewendet. Eine Liste der Beratungsstellen finden Sie unter www.pallnetz.ch/ACP.
Angesichts des großen Interesses und der steigenden Nachfrage einerseits nach Ausbildungsplätzen und andererseits nach Beratungsangeboten soll eine Trägerschaft für Advance Care Planning in der Schweiz gegründet werden, die diese Entwicklung koordiniert. Das webbasierte Programm könnte die Aufnahme von Patientenverfügungen und Notfallplänen ins elektronische Patientendossier ermöglichen. Gleichzeitig soll die Thematik in der Fachwelt breit diskutiert werden. Die Entwicklung von Advance Care Planning steht in einem engen Zusammenhang mit einer breiten Bewegung von mündigen und gut informierten PatientInnen, die für eine persönliche Verantwortungsübernahme für die eigene Gesundheit, ein menschengerechtes Gesundheitswesen und eine menschenorientierte Medizin einstehen.
Entwicklung in Deutschland
In Deutschland wird Advance Care Planning bereits seit einigen Jahren umgesetzt, unter dem Begriff »Behandlung im Voraus planen«. Expertinnen und Experten aus Pflege, Sozialdienst, Hausarzt-, Intensiv- und Palliativmedizin, Geriatrie, Ethik, Theologie und Soziologie haben eine Fachgesellschaft gegründet,9 legen Standards für die Beratungen und Formulare fest, bieten Ausbildungslehrgänge für ACP-Beratende und ACP-Ausbildnerinnen und Ausbildner an. Sie führen Studien in verschiedenen Settings und Fachveranstaltungen durch. Die ACP-Expertinnen und -Experten in der Schweiz arbeiten eng mit den deutschen Kolleginnen und Kollegen zusammen. Wir lernen gegenseitig voneinander und orientieren uns an den gemeinsam erarbeiteten Standards.
Der Beitrag »Geschichte der gesundheitlichen Vorausplanung« von Tanja Krones und Barbara Loupatatzis gibt eine Übersicht über die Entwicklung des Umgangs mit existenziellen Fragestellungen in der Medizin und die Erstarkung des Begriffes der Patientenautonomie – weltweit.