Читать книгу Die Melodie unserer Zukunft - Anne Barwell - Страница 8
Kapitel 3
Оглавление»Ich finde, der Elternabend ist gut gelaufen«, sagte Ella und brach damit die unangenehme Stille beim Abendessen am folgenden Freitag. Sie gab Joel die Schüssel mit gegrilltem Gemüse.
»Ich dachte, du würdest nicht vorschlagen, dass ich beim Konzert auftrete.« Joel nahm die Schlüssel, tat sich eine großzügige Portion auf und reichte sie dann an Marcus weiter, der rechts von ihm saß. »Ich hatte dir gesagt, dass ich noch darüber nachdenke.«
Marcus entschied, nichts zu sagen. Joel war schweigsam gewesen, als er zum Abendessen gekommen war, und nach den Blicken zu urteilen, die Ella und Darin wiederholt wechselten, war das nicht normal. Hoffentlich würden sie herausfinden, was los war. Immerhin kannten sie Joel besser als er.
»Ich habe es nicht vorgeschlagen«, sagte Ella. »Das war Adelaide und dann waren alle anderen völlig begeistert davon. Ein Elternteil kennt dich von der Uni und hat sich an ein Konzert erinnert, das du damals gegeben hast.«
»Natürlich war sie's«, murmelte Joel. »Ich bin am nächsten Morgen in die Schule gekommen und alle haben über etwas geredet, dem ich nicht einmal zugestimmt habe! Nicht nur das, aber die Kinder sind ganz begeistert. Wenn ich es jetzt nicht durchziehe, werde ich mich richtig mies fühlen.«
»Ich dachte, du vermisst es aufzutreten«, sagte Darin.
»Ja, aber das Drumherum nicht.« Joel attackierte ein Stück Süßkartoffel mit seiner Gabel und ließ sie dann auf seinen Teller fallen. »Ich habe seit Jahren nicht mehr ernsthaft geübt und ich werde immer sehr nervös, wenn ich nicht vorbereitet bin. Ich habe immer dafür gesorgt, dass ich ein Stück in- und auswendig konnte. Ich bin überhaupt kein Fan davon, mich vor einem Auftritt zu fühlen, als müsste ich mich übergeben. Was für ein Vorbild wäre das für die Kinder?«
»Dann such dir etwas aus, bei dem du dich sicher fühlst«, schlug Darin vor. »Der Großteil des Publikums wird nicht wissen, ob du ein schwieriges Stück spielst oder nicht.«
»Ich würde dich sehr gern spielen hören, Onkel Joel«, sagte Isabel. Sie hatte den Erwachsenen schweigend zugehört und die Unterhaltung mit gerunzelter Stirn verfolgt. »Du sagst mir immer, dass ein Auftritt nichts damit zu tun hat, wie viele Fehler man macht, sondern dass man weiterspielen soll, als hätte man gar keine gemacht.«
Joel brachte ein Lächeln zustande. »Das sage ich wirklich, nicht?«
Marcus entschied, dass es Zeit war, seinen Senf dazuzugeben, auch wenn seine Meinung nicht viel wert war. »Ich hätte keine Ahnung, wie schwierig ein Stück ist. Ich bin beeindruckt von jedem, der etwas spielen kann.«
»Danke«, murmelte Joel. Er errötete, nahm seine Gabel wieder in die Hand und schubste das wehrlose Süßkartoffelstück auf seinem Teller herum.
»Gut, da wir das geklärt haben, sagst du uns jetzt, was wirklich los ist?« Darin sprach beiläufig, aber er warf Joel einen vertrauten Blick zu. Marcus hatte ihn einige Male gesehen, einmal als er Darin erklärt hatte, dass er ihn umbringen würde, wenn er seiner Schwester das Herz brach.
Darin hatte ihm diesen Blick zugeworfen – eine Mischung aus Unglauben und Ich werde deinen Bullshit nicht hinnehmen –, bevor er ihn hinter einem Lachen verborgen hatte. Dann hatte er Marcus gesagt, dass er Ella von ganzem Herzen liebte und wenn jemand sie verletzte, würde es nicht Marcus sein, um den derjenige sich sorgen müsste.
Joel warf Marcus einen Blick zu und sagte nichts.
»Soll ich gehen?«, fragte Marcus. »Ich werde es nicht persönlich nehmen, wenn du vor mir lieber nicht über ein privates Thema sprechen möchtest.« Er hob die Schultern. »Immerhin kennst du mich nicht so gut.«
»Ich will dich nicht damit belasten –«, begann Joel.
»Ich gehe das Eis für den Nachtisch holen«, sagte Isabel fröhlich. »Onkel Marcus, hilfst du mir?« Sie warf ihrer Mutter einen Blick zu. »Wir haben Eis, oder? Ich habe gestern Abend welches im Tiefkühlfach gesehen. Onkel Marcus?«
Marcus zögerte. Er hatte es ernst gemeint, als er gesagt hatte, dass er gehen würde, falls Joel über etwas Privates sprechen wollte, aber er zog es vor, Joel die Entscheidung zu überlassen. Manchmal konnte es hilfreich sein, die Perspektive eines Außenstehenden auf eine Situation zu hören. »Joel?«
»Deine Entscheidung.« Joel zuckte mit den Schultern. »Eis klingt wunderbar, Issy. Danke.«
»Ich bleibe«, sagte Marcus.
Joel wartete, bis Isabel den Raum verlassen hatte. »Sorry«, sagte er. »Ich wollte später darüber sprechen, aber ich bin seit gestern ziemlich neben der Spur und es sieht so aus, als könnte es nicht warten.«
Darin nickte. Weder er noch Ella sagten etwas, also schwieg Marcus ebenfalls.
»Ich bin gestern Abend im Supermarkt mit jemandem zusammengestoßen.« Joel atmete tief durch. »Bin wortwörtlich mit meinem Einkaufswagen in sie reingefahren. Ich habe mich entschuldigt und bin natürlich sofort rückwärts gegangen, aber...«
»Aber?«, fragte Ella sanft nach, als Joel ins Schweigen verfiel.
»Molly Wakeman war die Sekretärin meines Vaters, als ich ein Kind war.« Joel trank einen großen Schluck Wasser. »Sie hat mich sofort erkannt und eine Unterhaltung angefangen, als hätten wir uns erst gestern gesehen.«
Marcus runzelte die Stirn. Er verstand nicht, wo das Problem war. »Sie klingt wie eine nette Dame«, sagte er langsam.
»Ja, das ist sie.« Joel biss sich auf die Lippe. Er sah Marcus an und musterte dann seinen Teller, als hätte Marcus etwas sehr Falsches gesagt. »Mein Dad und ich haben seit Jahren nicht mehr miteinander gesprochen«, sagte er und mied Marcus' Blick weiterhin. »Er hat mich aus seinem Haus – und seinem Leben – geworfen, als ich ihm gesagt habe, dass ich schwul bin.«
»Das tut mir so leid.« Marcus war nicht sicher, was er sonst sagen sollte. Er hatte von anderen gehört, die ähnliche Erlebnisse durchgemacht hatten, aber seine eigenen Eltern hatten seine Sexualität akzeptiert und waren immer sehr freundlich zu seinen Partnern gewesen, die er ihnen vorgestellt hatte. Verdammt, sie behandelten selbst Garth noch immer, als würde er zur Familie gehören. »Das muss... schwierig gewesen sein«, fügte er schließlich hinzu, mehr um die Stille zu brechen als alles andere.
»Claude – Joels Dad – hat sich bei der ganzen Sache wie ein echtes Arschloch verhalten«, sagte Darin. »Er ist ein sehr sturer Mann, ganz wie sein Sohn.«
Joel stieß einen Atemzug aus. »Wusstest du, dass mein Dad Herzprobleme hat?«, fragte er Darin.
»Scheiße, nein.« Darin sah aus, als hätte Joels Frage ihn überrascht. »Woher sollte ich das wissen? Ich rede nicht mit ihm. Du hast mich gebeten, es nicht zu tun, also mache ich es nicht.«
»Er ist okay, oder?«, fragte Ella. Sie klang nachdenklich. »Vielleicht ist es Zeit, dass ihr zwei die Vergangenheit hinter euch lasst und über alles sprecht.«
»Bernadette hat nichts gesagt, als wir vor ein paar Tagen telefoniert haben.« Joel klang eher wütend als aufgewühlt. »Scheiße, warum verschweigt meine Schwester mir so etwas? Er ist immer noch mein Dad, selbst wenn er sich nicht so verhält. Ich habe nicht erwartet, so etwas von jemandem zu erfahren, den ich seit Jahren nicht mehr gesehen habe.« Er schob seinen Stuhl zurück. »Sorry. Ich bin gleich wieder da, okay?«
»Gebt ihm ein paar Minuten und dann geh ich ihm nach«, sagte Darin. »Sorry, Marcus. Joel gehört zu den Männern, die ihr Herz auf der Zunge tragen, und trotz allem ist Claude immer noch...«
»Er ist immer noch sein Vater«, beendete Marcus den Satz, als Darin verstummte. »Es gibt keinen Grund, sich zu entschuldigen. Wäre ich an seiner Stelle, wäre ich ziemlich durcheinander.«
»Ja, ich auch.« Darin seufzte und stand vom Esstisch auf. »Esst zu Ende. Joel wird nicht weit weg sein.«
»Es ist okay«, sagte Marcus. »Lasst euch Zeit.« Er trank einen Schluck Wasser und schüttelte den Kopf. »Armer Kerl«, murmelte er.
»Ja«, sagte Ella. »Ich habe Joel kennengelernt, als er und Darin schon zusammengewohnt haben, aber immer wenn etwas mit seiner Familie passiert, ist er fertig mit der Welt. Es ist wirklich eine Schande. Joel ist ein echt netter Mann und würde alles für andere tun. Er verdient es nicht, so behandelt zu werden.«
»Niemand verdient es, so behandelt zu werden.« Marcus wünschte, er könnte etwas tun, um zu helfen. Joel schienen seine Schüler wirklich wichtig zu sein und er wirkte wie ein anständiger Mann. Marcus hatte genug von Menschen, die das eine sagten und etwas ganz anderes taten. Joel war eine erfrischende Abwechslung zu diesem ganzen Mist und zu sehen, wie er litt, zerriss Marcus das Herz.
»Ja, ich weiß«, sagte Ella. »Ich habe versucht, ihn zu überzeugen, mit seinem Dad zu sprechen und ihm noch eine Chance zu geben, aber er weigert sich. Er hat Darin nie im Detail erzählt, was sein Vater gesagt hat, aber seiner Reaktion nach zu schließen, war es schlimm. Joel und sein Dad haben sich sehr nahegestanden und es muss mindestens zwanzig Jahre her sein, dass sie zuletzt miteinander gesprochen haben.«
»Ist es nur sein Dad, der ein Problem damit hat, dass er schwul ist?«, fragte Marcus.
Ella nickte. »Ich habe seine Schwester ein paar Mal getroffen. Bernadette ist nett, aber sie geht dem Problem mit ihrem Vater aus dem Weg. Soweit ich weiß, ist der alte Mann ziemlich aufbrausend. Joel trifft sich regelmäßig mit Bernadette und seiner Mutter, aber erst seit etwa fünf Jahren oder so. Lange Zeit waren nur Darin und ich seine Familie.«
Was ist mit Reed?
Marcus hätte die Frage beinahe laut gestellt, hielt sich aber noch rechtzeitig zurück. Wenn Ella Reed trotz all der Jahre, die er mit Joel zusammen gewesen war, nicht als Teil ihrer Familie angesehen hatte, musste es einen Grund dafür geben. Es war auch interessant, dass Joels Versöhnung mit seiner Schwester und seiner Mutter ungefähr zum Zeitpunkt seiner Trennung von Reed passiert war.
Joel blickte aus dem Fenster auf den morgendlichen Verkehr, warf einen Blick auf seine Uhr und unterdrückte ein Gähnen. Obwohl er am vergangenen Abend nicht spät von Darin und Ella nach Hause gekommen war, hatte es eine Weile gedauert, bis er endlich eingeschlafen war.
»Hast du dich schon entschieden?« Die Kellnerin, Wendy, schenkte ihm ein Lächeln, das schnell zu einem Stirnrunzeln wurde, als Joel mit den Schultern zuckte und erneut auf seine Uhr sah. »Ich bin mir sicher, dass sie bald kommen, Joel. Soll ich dir eine Tasse Kaffee bringen, während du wartest?«
»Danke, Wendy«, sagte Joel. Er war samstags ein regelmäßiger Gast im Willis Street Café, daher kannte er die Namen des ganzen Servicepersonals. »Ein Kaffee klingt gut, und ich bin mir sicher, dass sie nicht mehr lang brauchen.«
Sein Handy kündigte ihm eine Nachricht seiner Schwester an.
Fast da. Wurden von einem Unfall bei der Newlands-Abfahrt aufgehalten. Suchen jetzt nach einem Parkplatz.
Er antwortete mit einem lächelnden Emoji und legte sein Handy weg. Wendy stellte ihm eine Tasse Kaffee hin und er trank langsam daraus.
Seine Schwester und seine Mutter lebten beide in Tawa, daher wechselten sie sich normalerweise darin ab, zweimal pro Monat zu ihrem Samstagsbrunch zu fahren. Sie hatten Wellington City als Treffpunkt gewählt, da es für beide Parteien auf halber Strecke lag. Joel hatte angeboten, sie irgendwo in Tawa zu treffen, aber seine Mutter hatte darauf bestanden, dass es so zweckmäßiger wäre.
Joel vermutete, dass es weniger mit Zweckmäßigkeit zu tun hatte und mehr damit, dass sein Vater samstags nicht in die Stadt fuhr, da er es vorzog, eines der örtlichen Rugby-Spiele anzusehen. Der Zeitpunkt und Ort ermöglichten es seiner Mutter, Joel zu treffen, ohne seinem Vater davon erzählen zu müssen.
Seine Mutter war schon immer ein wenig passiv-aggressiv gewesen. Ein Problem offen anzusprechen, war noch nie ihr Stil gewesen. Nachdem Joel ausgezogen war, hatte sie Jahre gebraucht, bevor sie ihn direkt kontaktiert hatte, und selbst dann hatte sie nie darüber gesprochen, warum er ausgezogen war. Joel vermutete, dass seine Schwester das erste Treffen organisiert hatte, aber sie hatte es nie zugegeben und Joel hatte nicht gefragt.
Auch wenn er es normalerweise vorzog zu wissen, wo er stand, war das eine der wenigen Situationen, in denen Unwissenheit ein Segen war.
Jill hatte sich aus dem Streit zwischen ihrem Ehemann und ihrem Sohn herausgehalten. Joel fragte sich oft, wieso sie sich nie für ihn eingesetzt hatte, aber sie hatte sich auch nie direkt auf die Seite ihres Mannes gestellt oder ihre Meinung zu der Situation geäußert.
Joel hatte nie mit seiner Mutter über seine Sexualität gesprochen. Jedes Mal, wenn er Reed erwähnt hatte, hatte sie das Thema gewechselt oder ihn als Joels Freund bezeichnet. Sie hatten einander nie kennengelernt. Reed hatte sich nie die Mühe gemacht, obwohl Joel ihn ein paar Mal zum Brunch eingeladen hatte, und ehrlich gesagt, war es so einfacher.
»Joel!« Bernadette rief seinen Namen von der Tür und blieb dann stehen, um ein paar Worte mit Wendy zu wechseln, bevor sie sich Joel gegenübersetzten. Er hatte einen Tisch im Inneren des Cafés ausgewählt statt draußen, was er meistens tat. Im Moment war das Café ruhig, aber zur Mittagszeit war mehr los. Früher einmal war an diesem Ort ein Musikgeschäft gewesen und das Wandgemälde an einer Wand zeigte Noten und verschiedene Instrumente vor dem Hintergrund des Hafens.
Joel fand es entspannend und er nahm an, dass Bernadette den Treffpunkt wegen ihrer gemeinsamen Leidenschaft für Musik gewählt hatte. Vor Jahren hatte sie Bratsche gespielt, aber während Joel sich für Musik als Beruf entschieden hatte, hatte sie Betriebswirtschaft studiert. Sie hatte ihr Instrument nie weggegeben, aber seit sie von zu Hause ausgezogen war, um zu studieren, hatte sie es nicht mehr angerührt.
»Wo ist Mum?«, fragte Joel.
»Ihr Handy hat geklingelt, als ich den Parkschein geholt habe, daher hat sie mir gesagt, dass ich vorgehen soll.« Bernadette studierte die Speisekarte, obwohl sie jedes Mal dasselbe Gericht bestellte.
»Gut«, sagte Joel. »So haben wir Zeit, uns zu unterhalten, bevor sie kommt.«
Bernadette spähte über die Speisekarte hinweg und hob eine Augenbraue. »Was ist los?«, fragte sie. »Du siehst müde aus. Schläfst du schlecht?«
»Keine Ahnung, woran das liegen könnte. Du?« Joel legte seinen Kopf schief und starrte sie finster an. So viel zu seinem Plan, seinen Vater subtil in die Unterhaltung einfließen zu lassen, nachdem sie eine Weile miteinander gesprochen hatten.
»Wieso sollte ich?« Bernadette musterte ihn einen Moment lang und strich sich dann eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht. Während Joel mit seinem dunklen Haar nach seinem Vater kam, war Bernadette blond wie ihre Mutter, aber die Geschwister hatten beide die hellblauen Augen ihres Vaters geerbt.
»Ich habe vor ein paar Tagen im Supermarkt Mrs. Wakeman getroffen und sie hat mir von Dad erzählt.« Joel nickte Wendy zu, als sie eine Tasse Chai Latte vor Bernadette hinstellte. »Danke, Wendy«, sagte er, bevor Bernadette sprechen konnte.
»Ja, danke, Wendy«, echote Bernadette. »Es geht ihm gut, Joel, ehrlich«, sagte sie, sobald Wendy ihren Tisch verlassen hatte. »Wenn das etwas Ernstes gewesen wäre, hätte ich dich sofort angerufen.«
»Hättest du?«, fragte Joel kälter als beabsichtigt.
»Natürlich hätte ich das.« Bernadette legte kurz ihre Hand auf Joels und zog sie dann zurück, als er auf die Geste nicht reagierte.
Joel wusste, dass er sich wie ein Arschloch benahm, aber verdammt, das tat weh. »Mrs. Wakeman hat angenommen, dass ich es schon wusste. Wie viele andere Leute wussten es vor mir? Er ist trotzdem noch mein Vater, Bernie.«
»Hättest du alles stehen und liegen lassen und wärst an sein Bett geeilt, wenn ich dich angerufen hätte?« Bernadette passte ihre Stimme Joels kühlem Tonfall an. Sie schnaubte, als er mit den Schultern zuckte. »Ich habe nichts anderes erwartet. Ganz ehrlich, ihr beide seid euch so ähnlich. Einer von euch muss in dieser Sache nachgeben.« Sie wandte sich zur Tür, als die Türglocke die Ankunft ihrer Mutter ankündigte. »Ich habe echt die Nase voll von diesem Problem. Das geht schon lang genug so.«
»Er könnte sich entschuldigen«, sagte Joel. »Ich bin nicht freiwillig gegangen. Er hat mich rausgeworfen und wie zur Hölle sollte ich nachgeben? Ich bin schwul. Es ist ja nicht so, dass ich damit aufhören kann, nur weil es ihm nicht gefällt.«
»Ja, das weiß ich, aber –«
»Tust du das wirklich? Du warst in Otago an der Uni, als es passiert ist. Du hast nicht gehört, was er gesagt hat.« Joel zuckte mit den Schultern und verschränkte die Arme vor seiner Brust. Bernadette hatte während des Studiums ihren Ehemann kennengelernt und sich nach ihrer Hochzeit mit ihm in Christchurch niedergelassen. Vor zehn Jahren war sie zurück nach Wellington gezogen und sie hatte keine besonderen Anstalten gemacht, sich mit Joel zu treffen, erst nachdem Reed nach Australien gegangen war. Reed und Bernadette hatten sich nicht gut miteinander verstanden, weshalb es für Joel einfacher gewesen war, Situationen zu meiden, in denen sie alle zusammen sein mussten. Er und seine Schwester hatten zu viele Jahre damit verbracht, sich via SMS und E-Mails zu unterhalten, während sie versucht hatten, die beiden Probleme zu meiden, die zwischen ihnen im Raum standen – Joels Partner und die Ablehnung von Joels Sexualität durch ihren Vater. »Morgen, Mum. Soll ich dir einen Tee bestellen?«
Jill setzte sich neben Bernadette und sah zwischen ihren Kindern hin und her. »Oh je«, sagte sie. »Ihr habt gestritten, oder? Ich wünschte, das würdet ihr nicht tun.«
»Wir sind nicht mehr fünf, Mum«, murmelte Bernadette. »Ich werde dir eine Kanne Tee bestellen und Joel kann dich auf den neusten Stand bringen.« Sie warf Joel ein nicht ganz entschuldigendes Lächeln zu und flüchtete dann zur Theke, statt die Kellnerin herüberzuwinken.
»Feigling«, murmelte Joel. »Wie geht's Dad?«, fragte er seine Mutter.
»Oh je«, sagte Jill erneut. Sie streifte ihren Mantel ab, sodass er über der Rückenlehne ihres Stuhls hing. »Es geht ihm gut, Liebling. Es war eine Warnung, dass er einen Gang zurückschalten muss, das ist alles. Du weißt, wie hart dein Vater arbeitet, und er hatte in letzter Zeit wirklich viel zu tun, besonders nach dem letzten Erdbeben.«
Claude Ashcroft betrieb ein Bauunternehmen. Neben dem Bau neuer Wohngebäude und Bürokomplexe hatte das Unternehmen einen Ruf für qualitativ hochwertige Restaurationen älterer Gebäude, besonders solche, die als Denkmäler galten. Nach den Erdbeben in Christchurch hatten sie viel zu tun gehabt, da Unternehmen ihre Gebäude möglichst schnell vor weiteren Beben stabilisiert wissen wollten. Das letzte Erdbeben im November hatte gezeigt, dass noch mehr Gebäude in Wellington verstärkt werden mussten. Claude beaufsichtigte einen Großteil der Arbeiten seiner Firma. Er war noch nie gut darin gewesen, Aufgaben an andere abzugeben.
»Wird er sich zurücknehmen?«, fragte Joel.
»Es ist Dad«, sagte Bernadette, während sie zurück an ihren Platz glitt. »Natürlich nicht. Ich habe dir Tee bestellt«, sagte sie zu ihrer Mutter.«
»Danke, Liebling.« Jill nahm die Speisekarte und sah hinein. »Ich nehme heute ein Omelette«, sagte sie, als würde sie etwas Neues bestellen und nicht dasselbe Gericht wie jedes Mal, wenn sie hier aßen.
Wendy kam mit einem Bestellblock zu ihnen herüber. »Ich sehe, dass ihr bestellen wollt. Dasselbe wie immer, Mrs. Ashcroft?« Sie notierte die Bestellung. »Und für dich auch, Bernadette?«
Bernadette nickte. »Ja, danke.«
»Ich nehme das große Frühstück«, sagte Joel.
»Du lässt das Mittagessen wieder ausfallen, oder?«, fragte Jill und musterte ihn über die Ränder ihrer Brillengläser hinweg.
»Das soll ein Brunch sein, Mum«, erklärte er. »Aber ja, ich habe heute viel zu erledigen. Wir veranstalten in ein paar Monaten ein Benefizkonzert in der Schule. Ich muss die Musikstücke für den Chor und das Orchester arrangieren, damit wir anfangen können zu proben.«
»Arbeite nicht zu viel.« Jill seufzte. »Ich mache mir Sorgen um dich. Du hast nur gearbeitet, seit dein Freund Reed gegangen ist.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich dachte, ihr beide wart so gute Freunde. Es ist eine Schande, dass er dieses Stellenangebot in Australien bekommen hat.«
»Er war nicht nur ein Freund, Mum. Er war mein Partner«, sagte Joel. Er hatte keine Lust, unangenehmen Unterhaltungen aus dem Weg zu gehen. Nach der Woche, die er gehabt hatte, war er nicht in Stimmung dafür.
Zu seiner Überraschung verdrehte Jill die Augen. »Das weiß ich, Liebling. Du hast glücklich gewirkt, als ihr zusammen wart. Ich hoffe, du wirst nicht zu lange allein sein. Es ist nicht gut, allein zu sein, weißt du.« Sie lächelte Bernadette an. »Ich sehe, wie glücklich deine Schwester mit ihrem Keith und den Jungs ist. Natürlich will ich dasselbe für dich.«
»Diesen Eindruck hast du mir bisher nie vermittelt«, murmelte Joel.
»Oh, und du musst mir sagen, wann das Konzert stattfindet«, fuhr Jill fort, als hätte er nichts gesagt. »Es ist so lange her, dass ich bei einem Konzert war, und –«
»Ich weiß es zu schätzen, dass du kommen willst, aber das ist wirklich nicht nötig.« Das Letzte, was Joel wollte, war seine Mutter im Publikum. Besonders, wenn er sich darauf vorbereiten musste, ein Solo zu spielen.
Jill strahlte. »Natürlich ist es das!« Sie beugte sich vor, als würde sie ein tiefes und dunkles Geheimnis enthüllen. »Ich weiß, dass es deinem Vater gut gehen wird, aber ich verstehe das als Warnung für uns beide. Immerhin wissen wir alle nicht, wie lange wir noch haben, und mir ist bewusst, dass ich so viele Jahre deines Lebens verpasst habe. Denkst du nicht, dass es Zeit wird, dass ich das wiedergutmache?«