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1.6.4 Persönlichkeitsbeeinträchtigende wahre Tatsachenbehauptungen

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Bei wahren Tatsachen muss eine Einzelfallabwägung zwischen Meinungsäußerungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz erfolgen, wobei das Abwägungsergebnis von der Frage abhängt, in welcher Sphäre die Äußerung den Betroffenen berührt. Dabei werden – mit etwas unterschiedlicher Terminologie – die Intimsphäre, die Privatsphäre, die Sozialsphäre und die Öffentlichkeitssphäre unterschieden. Die Äußerung ist grds. nur dann rechtswidrig, wenn sie die Intim- oder Privatsphäre betrifft und – soweit die Privatsphäre betroffen ist – sich in der Abwägung nicht durch ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit rechtfertigen lässt.

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Die Intimsphäre umfasst den letzten unantastbaren Bereich menschlicher Freiheit.[197] Der Schutz der Intimsphäre wird grds. als absolut angesehen.[198] Dazu gehören insbesondere Vorgänge aus dem Sexualbereich[199] sowie nicht wahrnehmbare körperliche Gebrechen oder gesundheitliche Zustände (z.B. HIV-Infektion und Ergebnisse medizinischer Untersuchungen).[200] Intime Gespräche sind ebenfalls geschützt, auch dann wenn sie am Arbeitsplatz geführt werden.[201] Juristische Personen haben keine Intimsphäre.[202] Schwierig kann die Abgrenzung zur Privatsphäre sein. Die Zuordnung hängt maßgeblich davon ab, inwieweit auf Einzelheiten eingegangen wird. So trifft der bloße Hinweis auf ehebrecherische Beziehungen im Allgemeinen nur die Privatsphäre.[203] Auch kann die – wahrheitsgemäße – Berichterstattung über das Bestehen einer sexuellen Beziehung zweier Prominenter nicht die Intimsphäre betreffen, es sei denn, es werden wiederum intime Details dieser sexuellen Beziehung geschildert. Aus der Intimsphäre rührende Vorgänge können eine soziale Dimension erlangen. So z.B., wenn aus einer intimen Beziehung ein Kind hervorgeht und die Frage diskutiert wird, wer der Vater ist. Vertreten wird aber auch, dass die Vaterschaftsfrage Gegenstand der Privatsphäre sei.[204]

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Der Schutz von Intimsphäre oder auch Privatsphäre versagen, wenn die Betroffenen ihre Intim- oder Privatsphäre selbst öffentlich ausgebreitet haben. Der Schutz entfällt – jedenfalls teilweise –,[205] wenn sich jemand selbst damit einverstanden zeigt, dass bestimmte, gewöhnlich als privat geltende Angelegenheiten öffentlich gemacht werden,[206] etwa indem er Exklusivverträge über die Berichterstattung aus seiner Privatsphäre abschließt[207] oder sich in die Öffentlichkeit drängt.[208] Gleiches kann für die Intimsphäre gelten, z.B. für die Veröffentlichung von Nacktfotos.[209]

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Die Privatsphäre umfasst den Bereich, zu dem andere nur Zugang haben, soweit er ihnen gestattet wird. Der Schutzbereich ist räumlich, thematisch und zeitlich bestimmt.[210] Er umfasst insbesondere den häuslichen und familiären Bereich. Bsp. sind etwa die Auseinandersetzung mit sich selbst in Tagebüchern,[211] die vertrauliche Kommunikation unter Eheleuten,[212] den Bereich der Sexualität,[213] sozial von der Norm abweichendes Verhalten,[214] Krankheiten, sofern sie nicht ohne weiteres öffentlich sind[215] sowie in der Regel religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt dabei auch die Vertraulichkeit privaten E-Mail-Verkehrs; allerdings ist die Veröffentlichung rechtswidriger beschaffter oder erlangter Informationen von der Meinungsfreiheit der Presse umfasst und Gegenstand der Abwägung.[216] Dabei kommt es dann maßgeblich auf den Zweck der angegriffenen Äußerung und auf das Mittel an, z.B. ob es sich um einen Beitrag im geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage handelt.[217]

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Die Privatsphäre ist nicht absolut geschützt. Die Veröffentlichung ist zulässig, wenn eine alle Umstände des konkreten Falles berücksichtigende Interessenabwägung ergibt, dass das Informationsinteresse gegenüber den persönlichen Belangen des Betroffenen überwiegt.[218] In dieser Interessenabwägung können die verschiedensten Punkte einzubeziehen sein, z.B. die soziale Stellung des Betroffenen oder das öffentliche Interesse an den Lebensumständen eines Stars. So vermittelt das Persönlichkeitsrecht seinem Träger gerade keinen Anspruch darauf, öffentlich nur so dargestellt zu werden, wie es ihm selbst genehm ist.[219] Es gewährleistet insbesondere nicht, dass der Einzelne nur so dargestellt und nur dann Gegenstand öffentlicher Berichterstattung werden kann, wenn und wie er es wünscht.[220]

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Die Sozialsphäre umfasst die nach außen in Erscheinung tretende Sphäre der Person, in der das Verhalten von dieser Person von jedermann wahrgenommen werden kann, es aber nicht bewusst der Öffentlichkeit zugewendet ist. Darunter fällt bspw. die berufliche oder politische Betätigung einer Person[221] oder die Betätigung in einer sozialen Gemeinschaft auf öffentlichen Straßen.

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Ist die Sozialsphäre berührt, so kommt dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit ein grds. Vorrang zu; wer sich im Wirtschaftsleben oder bspw. in der (Verbands-)Politik betätigt, muss sich in weitem Umfang der Kritik aussetzen.[222] Die Schwelle zur Persönlichkeitsrechtsverletzung wird bei der Mitteilung wahrer Tatsachen über die Sozialsphäre regelmäßig erst überschritten, wo sie einen Persönlichkeitsschaden befürchten lässt, der außer Verhältnis zu dem Interesse an der Verbreitung der Wahrheit steht.[223] Das Persönlichkeitsrecht verleiht keinen Anspruch darauf, nur so in der Öffentlichkeit dargestellt zu werden, wie es genehm ist.[224] Darüber hinaus bleibt eine Berufung auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht versagt, wenn sich der Grundrechtsträger in freier Entscheidung gerade der Medienöffentlichkeit aussetzt, z.B. in dem er öffentliche Veranstaltungen besucht, die erkennbar auf ein großes, öffentliches Interesse stoßen; die Medien dürfen auch – daran anknüpfend – kommentierende Bemerkungen knüpfen.[225] Ein Recht, in selbst gewählter Anonymität zu bleiben, besteht demgegenüber nicht.[226] Auch Straftaten und strafrechtliche Ermittlungsverfahren gehören zur Sozialsphäre. Letztlich muss auch hier eine Einzelabwägung stattfinden, wenn auch viel dafür spricht, dass berechtigte Interessen der Öffentlichkeit den Persönlichkeitsschutz in der Regel überwiegen werden. Straftaten gehören zum Zeitgesehen, dessen Vermittlung Aufgabe der Presse ist; bei der Abwägung verdient für die tageaktuelle Berichterstattung über Straftaten das Informationsinteresse im Allgemeinen den Vorrang.[227] Insbesondere bei schweren Gewaltverbrechen ist daher ein über bloße Neugier und Sensationslust hinausgehendes Informationsinteresse an näherer Information über die Tat und ihren Hergang, über die Person des Täters und seine Motive sowie über die Strafverfolgung anzuerkennen.[228] Aber auch ein an sich geringes Interesse der Öffentlichkeit über leichte Verfehlungen kann im Einzelfall durch Besonderheiten, etwa in der Person des Täters oder des Tathergangs aufgewogen werden.[229] Zudem kann zu berücksichtigen sein, dass die Geringfügigkeit eines Tatvorwurfs zugleich geeignet sein kann, die Bedeutung der Persönlichkeitsbeeinträchtigung zu mindern.[230] Auch kann der Umstand von Bedeutung sein, dass die wahre Tatsache – möglicherweise aufgrund einer breiten Presseberichterstattung – bereits der Öffentlichkeit bekannt ist, so dass das Gewicht ihrer Weiterverbreitung durch das angegriffene Medium gegenüber dem Ersteingriff gemindert ist.[231] Gleichzeitig kann aber der Verweis auf Parallelveröffentlichungen das vom Betroffenen angegriffene Medium nicht generell entlasten.[232] Anders mag es aber z.B. bei Stigmatisierung, Ausgrenzung oder Prangerwirkung sein[233] oder Gefährdung der Resozialisierung eines Straftäters.[234] Zwar gewinnt mit zeitlicher Distanz zur Straftat das Resozialisierungsinteresse zunehmende Bedeutung; einen uneingeschränkten Anspruch, mit der Tat „allein gelassen zu werden“ erwächst aber nicht; maßgeblich bleiben die konkreten Umstände des Einzelfalls.[235] Auch nach Strafverbüßung eines Straftäters bleibt es aber für ein Online-Archiv grds. zulässig, einen Alt-Beitrag, in dem der Straftäter ursprünglich rechtmäßig namentlich genannt war zum Abruf bereit zu halten.[236] Ein anerkennenswertes Interesse der Öffentlichkeit besteht nicht nur über das aktuelle Zeitgeschehen, sondern auch an der Möglichkeit, vergangene zeitgeschichtliche Ereignisse anhand der unveränderten Originalberichte in den Medien zu recherchieren.[237]

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Schließlich besteht die Öffentlichkeitssphäre, in der das Verhalten des Betroffenen von jedermann Kenntnis genommen werden kann oder sogar Kenntnis genommen werden soll. Hier besteht in aller Regel kein persönlichkeitsrechtlicher Schutz. Typisches Bsp. ist das öffentliche Auftreten von Politikern oder Künstlern.

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