Читать книгу Lust auf wehrlose Hexen - Anne Pallas - Страница 7
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ОглавлениеNachdem ich bei Scotland Yard angerufen hatte, streifte ich mir mit einer zeitlupenhafte Bewegung den Bademantel von meinen Schultern. Ich holte meine Kleidung und zog mich langsam an. Verzweiflung lag um meine schattigen Augen. Williams Tod ging mir entsetzlich nahe. Es schnitt mir tief in die Seele hinein, machte mich unendlich traurig, vermittelte mir das schreckliche Gefühl einer ekelhaften Leere und einer fürchterlich quälenden Einsamkeit.
Verzweifelt stand ich vor dem Leichnam. Wie war es zu diesem Mord gekommen? Warum hatte ich nichts gehört? Was hatte sich abgespielt?
Solche Wunden konnte kein normaler Mensch anrichten. Die Bestie hatte zugeschlagen, wie bereits in zwei Fällen zuvor. Die CEDIS war informiert worden, dass ein Dämon oder ein Werwolf in London mordet. Daraufhin wurde ich von Julie Waldenfels, meiner Chefin, nach England geschickt. Leider war ich mit den Ermittlungen nicht vorangekommen. Und jetzt gab es ein drittes Opfer, und das war ausgerechnet William gewesen, der Mann, mit dem ich eine leidenschaftliche Beziehung führte.
Ich blickte erneut seinen Leichnam an. Der zerfetzte Hals würde auf einen Werwolf schließen lassen. Aber das intelligente Handeln, wie zum Beispiel das lautlose Öffnen der Terrassentür, war nicht durch eine solche Bestie zu schaffen. Ein Werwolf hätte alles zerstört, ohne Rücksicht auf Geräusche zu nehmen. Dieses geplante Handeln ließ eher auf einen Dämon schließen. Aber ein Dämon hätte beim Morden nicht dieses blutdurstige Vorgehen gewählt, sondern die Taten diskreter ausgeführt.
Ich war leicht ratlos. Wer oder was mordete in London? Und warum suchte er eine so große öffentliche Aufmerksamkeit?
Mein Mund war trocken. Ich hatte Schluckbeschwerden. Hinter meiner bleichen Stirn bildeten sich Legionen von Fragen, die ich nicht zu beantworten vermochte.
So schön hatte der Abend begonnen. So grauenvoll war er zu Ende gegangen! Was ich geliebt hatte, hatte ich mit einem einzigen brutalen Schicksalsschlag für immer verloren.
Ich zweifelte daran, dass ich einem anderen Mann jemals die gleichen innigen Gefühle entgegenbringen konnte. Den Tränen nahe, wandte ich mich um und nahm mein Handy aus der Handtasche.
Diesmal wählte ich die Nummer meiner Chefin. Julie Waldenfels war fast immer erreichbar, bei Tag und bei Nacht. Sie schien niemals zu schlafen, schien niemals müde zu sein, wirkte stets vital und von einem Arbeitseifer beseelt, wie ich es bei keinem anderen Menschen vorfand.
Auch diesmal klang ihre Stimme so kräftig wie immer.
„Anne!“, rief sie erfreut aus. „Wie geht es Ihnen?“
„Mir ist zum Heulen“, antwortete ich ehrlich.
Meine Chefin kannte mich besser als jeder andere Mensch auf der Welt. Seit dem Tod meiner Eltern übernahm sie eine Art Mutterrolle bei mir. Ich vertraute ihr vollends. Sie hatte stets Verständnis für meine Probleme gezeigt. Es tat mir gut, mit jemanden zu reden, der mir aufrichtig und teilnahmsvoll zuzuhören verstand.
„Was ist passiert?“, fragte Julie Waldenfels besorgt.
„Sie wissen, was zwischen Sir William Mowbray und mir läuft?“
„Ich habe aus diversen Andeutungen so einiges deutlich herausgehört. Ehrlich gesagt, ich befürchtete ständig, dass Mowbray Sie mir eines Tages wegschnappt.“
Eine eiskalte Hand legte sich um mein heißes Herz.
„Sie brauchen keine Angst mehr zu haben, Chefin.“
„Hat er Ihnen den Laufpass gegeben? Oh, Anne, das täte mir aufrichtig leid für Sie.“
„Nein. Er ist ermordet worden! Die Bestie von London hat ein weiteres Mal zugeschlagen“, presste ich gequält hervor. Ich hatte mir jedes einzelne Wort mühsam abringen müssen.
„Oh, mein Gott!“, entfuhr es ihr.
Ich erzählte ihr, wie der Abend verlaufen war. Sie hörte aufmerksam zu, ohne mich zu unterbrechen.
„Es tut mir sehr leid“, sagte sie, als ich geendet hatte. „Wie muss Ihnen im Augenblick zumute sein.“
„Mir ist hundeelend.“
„Das kann ich verstehen. Ich weiß, dass ich damit nichts ändern kann, wenn ich Ihnen sage, dass Sie mein ganzes Mitgefühl haben, Anne.“ Sie seufzte. „Es ist schon zum Kotzen. Manchmal versetzt uns das Leben Tiefschläge, die so schmerzhaft sind, dass wir meinen, wir könnten sie nicht verkraften.“
„William ist nun schon das dritte Opfer der Bestie“, sagte ich frostig.
Ich versuchte klar zu denken, drängte meinen bohrenden Schmerz zurück und gab mir Mühe, den Mord mal nur als Kriminalfall zu betrachten.
„Konnten Sie schon etwas herausfinden?“, sagte Julie Waldenfels.
„Nur was wir bereits wissen. Die Bestie setzt sie sich mit ihrem Opfer zunächst in Verbindung, um Geld zu verlangen“, antwortete ich.
„Folglich muss sich der Mörder auch mit Sir Mowbray in Verbindung gesetzt haben.“
„Ich habe ein ungutes Gefühl. Hier laufen größere Dinge ab als nur eine einfache Erpressung. Warum sollte ein Dämon oder Werwolf wegen Geld morden?“
„Hat Ihnen William etwas von einer Erpressung erwähnt?“
„Nein.“
„Aber er hatte doch Vertrauen zu Ihnen, Anne.“
„Vielleicht nahm er die Drohung nicht ernst.“
„Das wäre eine Erklärung.“
„Ich werde den Fall aufklären, Chefin!“
„Die Zuständigkeit liegt bei Scotland Yard. Die CEDIS wurde zwar eingeschaltet, darf aber nur diskret ermitteln. Es darf in London keine Hysterie wegen einem Dämon oder Werwolf entstehen. Also seien Sie weiterhin vorsichtig und schweigsam. Alle Informationen nur an mich. Die Sache kann unter Umständen sehr gefährlich werden, Anne.“
„Ich werde allen Gefahren trotzen“, erwiderte ich mit loderndem Blick. Ich schob mein zartes Kinn trotzig vor, war entschlossen, nicht eher zu ruhen, bis ich die Bestie zur Strecke gebracht hatte.
„Vielleicht sollte ich Sie nicht allein in dieses Abenteuer gehen lassen. Der letzte Auftrag in Schottland hat Sie viel Kraft gekostet“, sagte Waldenfels besorgt.
„Ich brauche keine Hilfe!“, entgegnete ich kampflustig.
„Robin Barnes und Hendrik Hudson sind zurzeit verfügbar. Ich könnte die beiden nach London schicken. Sie würden sich freuen, wenn sie Sie unterstützen könnten.“
Mit Robin Barnes hatte ich gerade einen schwierigen Auftrag in Schottland erfolgreich abgeschlossen. Henrik Hudson war bei früheren Fällen zuverlässig an meiner Seite gewesen. Die beiden gehörten zu den besten Agenten der CEDIS, ich konnte ihnen vertrauen. Gerade in dieser Situation konnte ich die Stütze der beiden Kollegen gut gebrauchen.
„Robin und Hendrik sind mir stets willkommen, Chefin“, sagte ich leise.
„Ich schicke sie gleich morgen früh nach London, mit sämtlichen Unterlagen, die ich über die Bestie auftreiben kann.“
„Vielen Dank. Sie sind mir wirklich eine große Hilfe.“
„Quatsch!“, erwiderte Waldenfels, als befürchte sie mit einem Mal, zu weich vor mir dazustehen. „Ich tue es vor allen deshalb, weil es unsere Aufgabe ist, die Menschen vor den Höllenwesen zu beschützen.“
Mit sich vollauf zufrieden betrat Thalon zur selben Zeit seine finstere Behausung. Er machte im Flur Licht, nachdem er die Tür gewissenhaft hinter sich zugedrückt hatte. Er zog seinen Regenmantel aus und warf ihn über einen Kleiderhaken aus weißem Kunststoff. Dann schlüpfte er aus den leichten Schuhen und rutschte in bequeme Pantoffel. Vor dem Garderobenspiegel verharrte er einen kurzen Augenblick lang und betrachtete sein Gesicht. Sein dämonisches Aussehen hatte sich zurückgewandelt. Nun sah er wie ein langweiliger Mensch, wie ein Buchhalter aus. Niemand hätte in ihm die Bestie von London vermutet.
Plötzlich klingelte sein Handy.
„Ja“, meldete sich die Bestie.
„Ist er tot?“
„Ja, sicher!“
„Das wird allen anderen Opfern eine Lehre sein. Künftig werden Sie alle bezahlen! Ich brauche das Geld dringend für die Klinik.“
„Ja, Meister“, antwortete Thalon.
„Was ist mit Baring?“
„Er wird bezahlen, ich bin sicher.“
„Gut, ich zufrieden mit dir.“
„Danke, Meister.“
Dann erfolgte ein Klicken, der Anrufer hatte das Gespräch beendet.
Kichernd nickte der skrupellose Mörder. Er liebte seine Aufgabe, das blutige Morden lag in seiner Natur. Er hätte es den ganzen Tag tun dürfen.
Wenn nur der Meister nicht wäre! Er gab die Befehle vor.