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Karakil blieb stehen. Er hatte nicht vor, die Aufbahrungsräume zu besuchen, aber wahrscheinlich würde er hier finden, was er suchte. Er beschloss einen Versuch zu machen, musste wissen, ob sein Opfer bereits eingetroffen war.

Er schlug seinen Jackenkragen herunter, um sein Aussehen annehmbarer zu machen. Aus dem gleichen Grund kämmte er sein Haar und wischte sich das Gesicht mit einem Taschentuch sauber. Dann überquerte er die Straße, sah Licht im Inneren des Bestattungsinstituts und ging kurzentschlossen hinein.

Ein weicher roter Auslegeteppich, gedämpfte Beleuchtung, der überwältigende Duft von Blumen und leise Orgelmusik – dass waren seine ersten Sinneseindrücke. Nachdem er den kleinen Vorraum durchschritten hatte, befand er sich in einem Korridor, von dem mehrere Räume abgingen, die statt Türen Samtvorhänge hatten und mit Schildern markiert waren. Die Schilder bestanden aus durchsichtigem Plexiglas und hatten einen Schlitz an der Seite, in den eine Karte mit dem kunstvoll verschnörkelten Namen des jeweiligen Verblichenen geschoben werden konnte, der hinter dem Vorhang in Plüsch und Satin ruhte.

„Darf ich Ihnen behilflich sein?“

Karakil hatte nicht bemerkt, dass er schon am hinteren Ende des Durchgangs war, als er die Stimme hörte. Es war eine Stimme, die ihrer Umgebung völlig angepasst schien, und als er sich zur Seite wandte, sah er, dass auch der Sprecher in seine Welt passte.

Er war über einen Meter achtzig groß und dabei so mager, wie man es von einem Beerdigungsunternehmer erwartet. Dünn und knochig waren auch die langen Finger seiner Hände, die er vor sich verschränkt hatte, zweifellos in dem Bestreben, eine andächtige, dem Gebet zugeneigte Grundhaltung zu suggerieren. Aus seinem mageren Gesicht ragte eine lange krumme Nase, deren Spitze die Ebene des schmallippigen Mundes fast erreichte. Unter farblos-spärlichem Haar und ebensolchen Brauen lagen glanzlose Augen tief in ihren Höhlen. Hätte er nicht vor ihm gestanden und so unübersehbar auf eine Antwort auf seine Frage gewartet, hätte Karakil ihn für einen Leichnam gehalten.

„Ich fragte, ob ich Ihnen behilflich sein kann“, sagte der Mann.

„Äh, ja. Es ist Herr Cabulea“, antwortete die Schlange.

Der Name Cabulea stand auf dem Schild neben dem vorletzten Eingang links.

„Sind Sie ein Verwandter oder ein Freund der Familie?“

„Ich bin ... äh, ich war mit Herrn Cabulea befreundet, dem Verstorbenen.“

„Ausgezeichnet. Würden Sie bitte mit mir kommen? Die Familie ist gerade um ihren lieben Toten versammelt.“

Damit drehte er um und schritt auf den Vorhang neben dem Schild zu. Er zog den Vorhang zurück, schenkte Karakil ein wohlwollendes Lächeln und machte eine leichte Verbeugung in die Richtung des offenen Sargs, der inmitten von Blumenarrangements und brennenden Kerzen an der Rückwand des kleinen Raumes stand.

Karakil hatte keine Wahl. Er trat ein, ging auf den verstorbenen Herrn Cabulea zu, der ihn eigentlich genauso wenig interessierte, wie ein Sack Hafer in China.

Natürlich hatte er die drei Frauen und das pickelgesichtige halbwüchsige Mädchen gesehen, die rechts neben dem Sarg an der Wand standen. Nun kam die größte und dickste dieser Frauen ihm entgegen, ein weinerliches Lächeln im Gesicht.

„Wie nett, dass Sie gekommen sind. Ich glaube nicht, dass ich Sie kenne, denn mein verstorbener Mann hatte keine Freunde.“

„Ich kannte ihn nur wenig, habe ihn im Queens Club getroffen, als er einem Studenten auf der Herrentoilette den Schwanz gelutscht hat. Ihr Mann war ein super Bläser.“

„Äh. Bläser?“

„Sie sollten mit Ihrer Tochter darüber sprechen, die sicher auch eine prima Bläserin ist.“

„Meine Tochter spielt kein Instrument!“, sagte die Frau energisch und wandte sich ab.

Jetzt musste er seine Rolle weiterspielen. Also begab er sich zum Sarg und betrachtete den Toten. Der Mann war blass und etwa fünfzig Jahre alt geworden.

Nachdem er eine Minute neben dem Toten ausgehaart hatte, wandte er sich vom Sarg ab und zum Eingang. Die Sache würde nicht einfach sein. Ganz und gar nicht.

Er blickte unauffällig auf seine Uhr. Es war bereits kurz vor elf Uhr. Er brauchte dringend ein Versteck. Als er aufatmend aus dem Raum trat, fand er den Korridor leer vor. Vielleicht konnte er sich in einem der anderen Abteile verbergen.

Aber eine kurze Inspektion zeigte, dass in den drei Räumen Besucher waren, während drei weitere leer und stockdunkel vor ihm lagen. Er beschloss, es in einem der leeren Räume zu versuchen. Dann schlüpfte er mit pochendem Herzen in den nächstbesten und verbarg sich in den weiten Falten des zurückgezogenen Vorhangs. Gerade noch rechtzeitig, denn gegenüber von seinem Versteck, auf der anderen Seite des Korridors, hatte sich eine Türe langsam geöffnet, und nun waren mindestens zwei Leute im Korridor, obwohl nur einer von ihnen sprach. Es war die weiche, dumpfe Stimme des langen, ausgemergelten Bestattungsunternehmers. Die Person, zu der er sprach, ließ außer einem tiefen Grunzen nichts hören.

Schritte näherten sich seinem Versteck. Es gab ein kaum hörbares Klicken, und zwei Leuchtstoffröhren an der Decke flackerten auf, badeten den Raum in helles Licht. Jemand ging an seinem Versteck vorbei in den Raum. Der Schritt war ungleichmäßig und schleifend, wie wenn der Betreffende ein Bein nachzöge.

Karakil begriff, dass er in den Falten des Vorhangs ziemlich sicher war, solange er sich nicht bewegte. Aber plötzlich wurde er von Neugierde überwältigt und verlagerte sein Gewicht auf das andere Bein, schob vorsichtig seinen Kopf zur Seite und spähte hinter dem Vorhang hervor.

Er sah einen Mann, der weiße Kerzen aus den Ständern nahm, und in einen Sack warf. In seinen Gedanken hatte er das Wort »Mann« gebraucht, aber das war nicht passend. Von hinten sah die hünenhafte, bucklige Gestalt zwar entschieden männlich, aber mehr wie ein deformierter Affe aus. Vornübergebeugt wie er war, konnte man nicht schätzen, wie groß er aufgerichtet und mit geradem Rücken gewesen wäre, aber die Länge der Arme gab einen Hinweis, weil die Fingerspitzen fast den Teppichboden erreichten.

Er konnte das Gesicht des Mannes nicht erkennen, auch nicht viel vom Kopf, der bis auf eine wirre schwarze Haarmähne zwischen den mächtigsten Schultern vergraben war, die er je gesehen hatte. Während der Bucklige die Kerzen einsammelte, ließ er ab und zu ein leises Grunzen oder Knurren hören. Schließlich begann er sich schwerfällig umzudrehen, und Karakil zog seinen Kopf zurück und verharrte reglos hinter dem Vorhang.

Das Schlurfen der Füße näherte sich dem Durchgang, dann wurde das Licht gelöscht. Zwei weitere lange Sekunden, und die schleppenden, schlurfenden Schritte entfernten sich im Korridor.

Karakil rührte sich nicht. Er hörte, wie die Tür gegenüber geöffnet und wieder geschlossen wurde. Gleich darauf wiederholten sich die Türgeräusche. Neues Geschlurfe, dann andere Schritte und die Stimme des Inhabers. Beide entfernten sich durch den Korridor.

Nun hieß es warten. Er hörte, wie die Eingangstüre von außen verriegelt wurde. Das gesamte Personal schien das Gebäude verlassen zu haben. Er hoffte, endlich allein zu sein.

Er schlich durch den Korridor und öffnete vorsichtig eine Tür nach der anderen, bis er fand, wonach er suchte: Der schwarze Sarg, an deren Hülle das Siegel des Königs angebracht war, stand verdeckt an der Rückwand des Zimmers.

Er hatte die Information erhalten, dass in diesem Sarg Sidonia von Borcke während ihrer Aufenthalte in Bukarest die Nächte verbrachte.

Karakil war neugierig auf die Hexe, die vor vierhundert Jahren verbrannt worden war. Wegen angeblicher Unzucht. Er kannte die Geschichte der attraktiven Adligen, die nach ihrem Tod den Weg in die Hölle des Ostens gegangen war. Dort wurde sie schnell zu einer Ehefrau von König Baal. Und jede Gemahlin erhielt ein Amulett, dass sie als jemand Wichtiges auswies und ihr Schutz gewährte. Dieses Amulett war das Ziel der Schlange. Wenn er es besaß, könnte er sein neugefundenes Nest effektiv schützen.

Nach dem Diebstahl des Amuletts musste die Hexe beseitigt werden, und einem Unschuldigen die Tat in die Schuhe geschoben werden. Niemand sollte von seiner Existenz erfahren.

Vorsichtig näherte er sich dem schwarzen Sarg. Er legte den Kopf auf den Kasten und horchte. Ruhe. Die Hexe schien zu schlafen. Das war seine Hoffnung gewesen.

Er hob den Deckel an und blickte in die entstandene Öffnung. In der Dunkelheit konnte er nur die Umrisse eines Körpers erkennen. Nun spannte er seine Oberarmmuskulatur an und hob den Sargdeckel komplett in die Höhe, der in einer senkrechten Position einrastete.

Da lag sie vor ihm: Sidonia von Borcke.

Die Hexe schien tief zu schlafen, die Atmung war flach. Karakil wusste, dass er schnell zu handeln hatte. Ein so hochentwickeltes magisches Wesen besaß einen siebten Sinn, verfügte über Vorahnungen und ein inneres Warnsystem.

Er beugte sich über ihren Kopf und ließ seine Spucke auf ihre Lippen tropfen. Die Frau öffnete die Lippen und leckte den fremden Speichel ab. Sofort ließ er weitere Spucke in den offenen Mund fließen.

Karakil, die geflügelte dämonische Schlange, hatte Gift in seinem Speichel, mit dem er sowohl Menschen als auch magische Wesen sowohl körperlich als auch geistig lähmen konnte. Seine Opfer fielen in eine Art Starre und waren dem Angreifer wehrlos ausgeliefert.

Und die Hexe schluckte unbewusst, während sie tief schlief, das Schlangengift. Es würde nicht lange dauern, und die Frau wäre absolut wehrlos und ihm hilflos ausgeliefert. Seine sadistischen Fantasien drehten Purzelbäumen.

Als nächstes löste er das Amulett, dass an einer Kette um ihren Hals hing. Dieses magische Artefakt zeigte das Abbild von Baal, dem König der Hölle des Ostens. Kein Dämon würde es wagen, jemanden anzugreifen, der unter dem persönlichen Schutz eines Herrschers der Hölle stand. Er verstaute das Amulett in seiner Jacke.

Die Mission war erfüllt.

Nun konnte er seine sadistische Lust befriedigen!


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