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Prolog Das blaue Zimmer I Winter 1954/1955

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Stell dir vor: eine alte Frau und das Meer.

Die Frau war alt, und man ahnt nicht einmal mehr, welche Schönheit sie einst war. Das Meer war kalt und wild und glich jetzt nicht der blauen Idylle des Sommers. Und das Haus, in dem sie sich befand, war einst als Feriendomizil gebaut worden und keineswegs geeignet, den Winter hier zu verbringen – geschweige denn, hier krank zu sein oder hier zu sterben.

Alter und Krankheit sind Abrissmeister der Individualität. Wie Babys einander ähneln, ist es bei Menschen am Ende ihres Lebens auch. Nur die, die dort bleiben, wo sie aufgewachsen sind, entgehen diesem Schicksal ein wenig. Wenigstens solange es um sie herum noch Menschen gibt, die wissen, wie sie einst in der Blüte ihres Lebens gewesen sind. Doch diese Frau war nicht dort geblieben, wo sie geboren war. Im Gegenteil. Sie hatte sich durch das Schicksal, durch ihre Unruhe oder durch eine Kombination von beidem über die ganze Welt jagen lassen. Und jetzt, angeschwemmt auf der anderen Seite des Erdballs, konnte in diesem klappernden und zugigen Meerespalast niemand mehr von ihrer Jugend oder von ihrer Schönheit zeugen, von all ihren früheren Leben und Liebsten, von ihren Toten oder von dem phantastischen, dramatischen, farbenprächtigen Film, der ihr Leben gewesen war.

Tag und Nacht schlugen die Wellen gegen die Felsen unterm Haus. Und oben, im blauen Zimmer, wütete, ebenso ungestüm und hartnäckig, die Krankheit. Langsam schrumpfte das Leben zu einer Frage von Monaten, Wochen, Tagen; der nächsten Minute, dem nächsten Atemzug. Solange sie nur weiteratmete, lebte sie noch. Solange sie nachts aufwachte und das Meer hörte, lebte sie noch.

Eigentlich existierte diejenige, die sie wirklich war, jetzt nur noch in dem kleinen Stapel vergilbter Fotos neben ihrem Bett. Und in ihren Erinnerungen, umhertanzend zwischen den anstürmenden und wieder verebbenden Wellen des Meeres und der Schmerzen; aufflackernd in den Flammen des Herdfeuers, das die letzten Monate Tag und Nacht in Gang gehalten wurde. Denn wenn man keine Zukunft mehr hat – was bleibt anderes, als von der Vergangenheit zu träumen?

Die amerikanische Prinzessin

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