Читать книгу Eucharistische Anbetung - Anneliese Herzig - Страница 7

ANNÄHERUNG ERFAHRUNGEN, FRAGEN, IRRITATIONEN UND AUSBLICK

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1981 habe ich mein theologisches Grundstudium mit einer Diplomarbeit über eucharistische Anbetung abgeschlossen.9 Das Thema war damals nicht gerade „modern“, sondern schien eher ziemlich verstaubt. Natürlich gab es die Praxis in den Pfarrgemeinden, aber sie wurde mehr oder weniger als Überbleibsel einer vergangenen Zeit und als Hindernis in der Ökumene betrachtet, weil sie in anderen christlichen Kirchen und Gemeinschaften nicht praktiziert oder sogar dezidiert abgelehnt wird. Auf die Spur dieses Themas bin ich durch die Begegnung mit der Spiritualität von Charles de Foucauld gekommen und habe dafür bei meinem Professor offene Ohren gefunden. In der Einleitung zu dieser Arbeit habe ich zunächst kurz die historische Entwicklung skizziert und sie mit Blick auf die Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils mit dem Satz geschlossen: „Eucharistische Frömmigkeit sollte nun wieder zur ‚Messfrömmigkeit‘ werden“. Die Situationsanalyse habe ich dann – 1981 – mit folgendem Satz eingeleitet:

„Diese Entwicklung der letzten Jahrzehnte bringt es mit sich, dass vielen die Eucharistieverehrung außerhalb der Messe nicht mehr so selbstverständlich ist wie früher und dies oft gerade dort, wo eine vertiefte Messfrömmigkeit anzutreffen ist. So sind manche gewohnte Formen eucharistischer Verehrung sichtlich im Schwinden und finden besonders bei der jüngeren Generation keinen Anklang mehr. Andererseits gehen – vor allem ältere Menschen – die altgewohnten Wege weiter, ohne auf die durch das Zweite Vatikanum und die Liturgiereform veränderte Situation zu reflektieren. … Dennoch ist die Situation ambivalent. Parallel zum Beharren in alteingesessenen Formen sowie zur Ablehnung eucharistischer Anbetung … ist in manchen Kreisen der Kirche wieder ein verstärkter Zug zum Gebet vor dem Tabernakel zu verspüren.“10

Dieses von mir damals angesprochene Auseinanderklaffen ist meinem Eindruck nach seither noch stärker geworden. Zum einen ist im Leben vieler Pfarrgemeinden die Verehrung der Eucharistie außerhalb der Messfeier (in Form der Anbetung, der Sakramentsprozession oder des „Besuchs“ im Vorbeigehen) wohl noch deutlicher zu einer Randerscheinung geworden, die zwar durchaus weiterhin existiert und in der einen oder anderen Gemeinde etwas vitaler ist, meist aber nicht im Fokus pastoraler Bemühungen steht. Auf der anderen Seite gibt es ungefähr seit der Jahrtausendwende ein Wiederaufblühen der eucharistischen Anbetung in neuen geistlichen Gemeinschaften und Jugendbewegungen. In einem Interview habe ich dazu folgenden Satz gelesen: „Im Moment kann ich mir kaum eine Bewegung vorstellen, die erfolgreich wäre, ohne eucharistische Anbetung.“11 Namentlich zu nennen sind hier z. B. Jugend 2000, Emmanuel, die Nightfever-Bewegung12 oder das Werben um „24/7“, der Tag und Nacht durchgehenden Anbetung. „Abende der Barmherzigkeit“, die stets das Gebet vor den eucharistischen Gestalten mit einschließen, erfreuen sich oft großen Zuspruchs. Selbst bei Mega-Events wie beim Weltjugendtag darf eucharistische Anbetung nicht fehlen. Die Online-Enzyklopädie Wikipedia vermerkt ausdrücklich: „Die bisher größte eucharistische Anbetung mit ca. einer Million Gläubigen fand während der Vigil anlässlich des XX. Weltjugendtages in Köln unter Anwesenheit von Papst Benedikt XVI. statt.“13

Und da beginnen die Fragen, auch wenn ich mich natürlich über die Neubelebung der eucharistischen Anbetung freue, da ich einer Ordensgemeinschaft angehöre, die vom heiligen Alfons von Liguori inspiriert ist, für den sie eine wichtige Weise des Betens war. Sein Büchlein „Besuchungen des Allerheiligsten Altarsakramentes und der Gottesmutter Maria“ hat ja Generationen von Gläubigen begleitet. Aber: eine Million Menschen! Ist da noch etwas zu sehen von der Hostie in der Monstranz? Und was ist, wenn das wichtige Element des Schauens, das auch für die Entwicklung dieser Gebetsform entscheidend war, eigentlich für fast alle Betenden wegfällt? Ich will damit gar nicht in Frage stellen, dass die Vigil in Köln damals für viele Beteiligte eine intensive Gebetserfahrung war. Selbst Papst Benedikt XVI. schreibt über die beeindruckende Stille. Manchmal erlebe ich aber gerade bei solchen Großereignissen, dass die „Aussetzung“ einer größeren Feierlichkeit des Gebets zu dienen scheint. Betont wird dann zuweilen, dass „jetzt“ Jesus unter uns ist. Aber: Ist er denn sonst nicht da? Wenn der Tabernakel geschlossen ist, ist er dann nicht unter uns? Ist er nicht da, wenn wir beten und die Schrift lesen? Ist er nicht da, wenn wir im Gespräch über den Glauben sind? Ist er nicht an unserer Seite, wenn wir unser Leben als Christen und Christinnen zu gestalten versuchen und uns den Armen zuwenden? Ist er denn nicht „immer“ da (vgl. Mt 28,20)? Wozu aber dann eucharistische Anbetung? Geht es um einen „Event“? Oder spielen möglicherweise – wenn auch vielleicht unbewusst – sogar eher magische Vorstellungen eine Rolle14? „Dient“ die konsekrierte Hostie für Anbetungsstunden und Segen?

Es gibt noch andere Irritationen, z. B. im Bereich der theologischen und praxisbezogenen Literatur. Im Handbuch des Gebets „Theologie und Spiritualität des Betens“15, das 2016 erschienen ist, gibt es kein explizites Kapitel über eucharistische Anbetung, dafür Abschnitte über Schweigen, Küssen, Tanz, Musik, Exorzismus, Rosenkranz, Pilgern, Weinen, Beten mit Bildern und das Politische Nachtgebet. Auch das Thema „Anbetung“ erscheint nicht als solches im Inhaltsverzeichnis. Im kirchengeschichtlichen Überblick von Wolfgang Vogl wird eucharistische Anbetung nur in einer summarischen Aufzählung als spätmittelalterliche Gebetsform genannt, die in der Barockzeit weitergeführt worden ist.16 Allein die Benediktinerin vom heiligsten Sakrament, Mirijam Schaeidt, widmet ihm einen Abschnitt.17 Gleichzeitig gibt es in den letzten Jahren zwar eine ganze Reihe von Praxishandbüchern mit vielen Vorschlägen zur Gestaltung, die Hinweise zur theologischen Verortung sind aber meistens sehr kurz gefasst18. Parallel dazu existieren einige inspirierende theologische Überlegungen zu Eucharistie und eucharistischer Anbetung, die aber sprachlich und teilweise vom Umfang her einem kleinen Kreis von Lesern und Leserinnen vorbehalten sind.19

Noch etwas anderes fällt auf: Viele christliche Kirchen und Gemeinschaften kommen ohne eine Verehrung der Eucharistie außerhalb der Messe aus. In der Orthodoxie gibt es zwar die Liturgie der vorgeweihten Gaben, wodurch die Überzeugung zum Ausdruck kommt, dass die Gegenwart Jesu Christi auch nach der Feier fortdauert. Das „Schauen“ wird aber den Ikonen geschenkt, und es gibt kein Äquivalent zur Verehrung der Eucharistie außerhalb der Messe. In den protestantischen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften wird die eucharistische Präsenz unterschiedlich verstanden, und eine Verehrung außerhalb der Abendmahlfeier wird im Normalfall zumindest nicht für sinnvoll gesehen, wenn nicht überhaupt abgelehnt. Nur in der römisch-katholischen Kirche und in der anglikanischen Hochkirche gibt es diese Weise des Betens. Ist sie wirklich sinnvoll oder war es doch ein Irr- und Umweg der spiritualitätsgeschichtlichen Entwicklung, verbunden mit der Gefahr von magischen Einstellungen?

Von der römisch-katholischen Kirche aber wurde und wird die Verehrung Jesu Christi in der Gestalt der konsekrierten Hostie – denn im Normalfall dreht es sich nur um sie, da die Aufbewahrung des konsekrierten Weines schwieriger ist und das „Schauen“ wegfällt – auch außerhalb der Eucharistiefeier empfohlen und den Gläubigen ans Herz gelegt. Dazu nur einige wenige Beispiele aus päpstlichen Schreiben und Ansprachen der jüngeren Zeit:

In seiner Enzyklika Ecclesia de Eucharistia aus dem Jahr 200320 fordert Papst Johannes Paul II. nachdrücklich zur Praxis der Verehrung der Eucharistie außerhalb der Messe auf:

„Der Kult, welcher der Eucharistie außerhalb der Messe erwiesen wird, hat einen unschätzbaren Wert im Leben der Kirche. Dieser Kult ist eng mit der Feier des eucharistischen Opfers verbunden. Die Gegenwart Christi unter den heiligen Gestalten, die nach der Messe aufbewahrt werden – eine Gegenwart, die so lange andauert, wie die Gestalten von Brot und Wein Bestand haben21, kommt von der Feier des Opfers her und bereitet auf die sakramentale und die geistliche Kommunion vor22. Es obliegt den Hirten, zur Pflege des eucharistischen Kultes zu ermutigen, auch durch ihr persönliches Zeugnis, insbesondere zur Aussetzung des Allerheiligsten sowie zum anbetenden Verweilen vor Christus, der unter den eucharistischen Gestalten gegenwärtig ist23.

Es ist schön, bei ihm zu verweilen und wie der Lieblingsjünger, der sich an seine Brust lehnte (vgl. Joh 13,25), von der unendlichen Liebe seines Herzens berührt zu werden. Wenn sich das Christentum in unserer Zeit vor allem durch die ‚Kunst des Gebetes‘24 auszeichnen soll, wie könnte man dann nicht ein erneuertes Verlangen spüren, lange im geistlichen Zwiegespräch, in stiller Anbetung, in einer Haltung der Liebe bei Christus zu verweilen, der im Allerheiligsten gegenwärtig ist? … Von dieser Praxis, die das Lehramt wiederholt gelobt und empfohlen hat25, geben uns zahlreiche Heilige ein Beispiel. … Die Eucharistie ist ein unermesslicher Schatz: Nicht nur ihre Feier, sondern auch das Verweilen vor ihr außerhalb der Messe gestattet uns, aus der Quelle der Gnade zu schöpfen“ (Nr. 25).

Zum Jahr der Eucharistie (Oktober 2004 bis Oktober 2005) lud Papst Johannes Paul II. im Schreiben Mane nobiscum Domine zu einer wahrhaft „eucharistischen Spiritualität“ (Nr. 10) ein und hält fest:

„Wenn die Frucht dieses Jahres auch nur in der Verlebendigung der Feier der Sonntagsmesse und in der Förderung der eucharistischen Anbetung außerhalb der heiligen Messe in allen christlichen Gemeinschaften bestünde, hätte dieses Gnadenjahr ein bedeutsames Ergebnis erreicht“ (Nr. 29).

Auch im nachsynodalen Schreiben Sacramentum Caritatis von Papst Benedikt XVI. aus dem Jahr 2007 findet sich ein Abschnitt über die Verehrung der Eucharistie außerhalb der Messe. Er hebt die Einheit zwischen liturgischer Feier und Anbetung hervor. Gleichzeitig werden die sozialen Implikationen der eucharistischen Verehrung für ein „eucharistisch“ geprägtes Leben angesprochen:

„Der Akt der Anbetung außerhalb der heiligen Messe verlängert und intensiviert, was in der liturgischen Feier selbst getan wurde: ‚Nur im Anbeten kann tiefes und wahres Empfangen reifen. Und gerade in diesem persönlichsten Akt der Begegnung mit dem Herrn reift dann auch die soziale Sendung, die in der Eucharistie enthalten ist und nicht nur die Grenze zwischen dem Herrn und uns, sondern vor allem auch die Grenzen aufreißen will, die uns voneinander trennen‘“26 (Nr. 66).

Bei seinem Besuch in Altötting 2006 wandte sich Papst Benedikt XVI. an Ordensangehörige und Priester mit folgenden Worten, in denen mehr der Aspekt persönlichen vertrauensvollen Gebetes angesprochen wird:

„Ich darf […] ein schönes Wort von Edith Stein, der heiligen Mitpatronin Europas, zitieren, die in einem Brief geschrieben hat: ‚Der Herr ist im Tabernakel gegenwärtig mit Gottheit und Menschheit. Er ist da, nicht seinetwegen, sondern unseretwegen: weil es seine Freude ist, bei den Menschen zu sein. Und weil er weiß, dass wir, wie wir nun einmal sind, seine persönliche Nähe brauchen. Die Konsequenz ist für jeden natürlich Denkenden und Fühlenden, dass er sich hingezogen fühlt und dort ist, sooft und solange er darf‘ (Gesammelte Werke VII, 136f). Lieben wir es, beim Herrn zu sein. Da können wir alles mit ihm bereden. Unsere Fragen, unsere Sorgen, unsere Ängste, unsere Freuden, unsere Dankbarkeit, unsere Enttäuschungen, unsere Bitten und Hoffnungen. Da können wir es ihm auch immer wieder sagen: Herr, sende Arbeiter in deine Ernte. Hilf mir, ein guter Arbeiter in deinem Weinberg zu sein.“27

Auch für Papst Franziskus zählt die (eucharistische) Anbetung zu den großen Schätzen der römisch-katholischen Kirche. Er sieht in ihr unter anderem eine wichtige Motivationsquelle für das christliche Engagement und warnt – mit Berufung auf Papst Johannes Paul II. – vor einer privatistischen Spiritualität. In Evangelii gaudium(2013)28 schreibt er:

„Vom Gesichtspunkt der Evangelisierung aus nützen weder mystische Angebote ohne ein starkes soziales und missionarisches Engagement noch soziales oder pastorales Reden und Handeln ohne eine Spiritualität, die das Herz verwandelt. Diese aufspaltenden Teilangebote erreichen nur kleine Gruppen und haben keine weitreichende Durchschlagskraft, da sie das Evangelium verstümmeln. Immer ist es notwendig, einen inneren Raum zu pflegen, der dem Engagement und der Tätigkeit einen christlichen Sinn verleiht (vgl. Propositio, 36). Ohne längere Zeiten der Anbetung, der betenden Begegnung mit dem Wort Gottes, des aufrichtigen Gesprächs mit dem Herrn verlieren die Aufgaben leicht ihren Sinn, werden wir vor Müdigkeit und Schwierigkeiten schwächer und erlischt der Eifer. Die Kirche braucht dringend die Lunge des Gebets, und ich freue mich sehr, dass in allen kirchlichen Einrichtungen die Gebetsgruppen, die Gruppen des Fürbittgebets und der betenden Schriftlesung sowie die ewige eucharistische Anbetung mehr werden. Zugleich ‚gilt [es], die Versuchung einer intimistischen und individualistischen Spiritualität zurückzuweisen, die sich nicht nur mit den Forderungen der Liebe, sondern auch mit der Logik der Inkarnation […] schwer in Einklang bringe ließe‘ (Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Novo Millennio ineunte, Nr. 52). Es besteht die Gefahr, dass einige Zeiten des Gebets zur Ausrede werden, sein Leben nicht der Mission zu widmen, denn die Privatisierung des Lebensstils kann die Christen dazu führen, zu einer falschen Spiritualität Zuflucht zu nehmen“ (EG 262).

So bleibt am Ende ein zwiespältiger Eindruck zurück: Zum einen sind da die Empfehlungen des kirchlichen Lehramts und die neue Blütezeit in geistlichen Bewegungen und Gemeinschaften, zum anderen sind da vielerorts „Leerstellen“ im pfarrlichen Alltag. Auch ökumenische Rücksichten mögen hie und da zur Zurückhaltung mahnen. Die theologische Reflexion wird manchmal rasch übersprungen, um gleich zur schon gewohnten Praxis überzugehen.

Eucharistische Anbetung

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