Читать книгу Entspannt Mutter sein - Annemarie Pfeifer - Страница 7
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Supermütter gesucht
Gesucht – ideale Mutter“, titelte einmal eine Modezeitschrift in großen Lettern. Mit diesem Wettbewerb sollte das Interesse der Käuferinnen geweckt werden, und großzügige Preise winkten jenen Frauen, die der Redaktion besonders gute Mütter nennen konnten. Interessant war, welche Kriterien die Zeitschrift für diesen Wettbewerb anlegte: „Damit meinen wir jene Frauen, die ruhig, geduldig und hingebungsvoll ihre Aufgabe als Mutter erfüllen.“
Ich kann mir jedoch vorstellen, dass viele Mütter tausend Gründe fanden, warum sie für diesen Preis nicht infrage kämen … Wenn sie nur schon an die hitzigen Diskussionen am Mittagstisch dachten, waren sie sich sicher, dass diese nicht in das Bild einer guten Mutter passten. Da wäre man schnell disqualifiziert.
Noch immer ranken sich viele Vorstellungen und Erwartungen um die ideale Mutter, nicht zuletzt auch, weil heutzutage ein Kind zum Superprojekt hochstilisiert wird, das man mit großer Umsicht plant und organisiert.
Druck von allen Seiten
Doch die Realität holt die junge Mutter rasch ein – auch wenn sie noch so gut plant und organisiert. Natürlich erlebt man unendlich viele innige Momente mit seinem Kind, doch jeder Tag ist auch eine Herausforderung. Denn das Familienleben ist deutlich anspruchsvoller als ein Bürojob und manche Tage sind mit jeder Art von Pannen gepflastert. Täglich muss man erleben, dass die Kinder keine vorprogrammierten Roboter sind, die man per Fernbedienung von einer Aufgabe zur andern lotsen kann. Der Erziehungsalltag ist anstrengend: Hundertmal sagt man dasselbe und auch dann klappt es nicht immer.
Ich selbst stieg damals sehr optimistisch in den Job als Familienfrau um. Für eine erfahrene Lehrerin ist die Betreuung eines einzigen Kindes doch ein Kinderspiel, nahm ich an. Leider war aber um 15 Uhr die Arbeit nicht beendet und es gab auch keine freien Nachmittage und Wochenenden mehr. Im Gegenteil, abends stieg der Stresspegel von Stunde zu Stunde an. Sehr bald war mir klar, dass Mütter harte Knochenarbeit leisten.
Als Mutter hat man oft den Eindruck, von den vielen Erwartungen und Ansprüchen von außen regelrecht ausgepresst zu werden. Man bekommt Sätze zu hören wie diese:
„Und diesen Fraß soll ich essen?“
„Nie hast du Zeit für mich.“
„Was – meine Lieblingsjeans sind immer noch nicht gewaschen?“
„Alle anderen dürfen bis zwei Uhr morgens in die Stadt, nur ich nicht, das ist gemein!“
Sind Ihnen solche Sprüche nicht auch allzu gut bekannt? Alle wollen etwas von Ihnen – und wer interessiert sich für Ihr Ergehen?
Dazu gesellen sich die Forderungen der Tiefenpsychologie, die von den Müttern Unmögliches verlangt. Nur wenn Mütter ihre Kinder zärtlich lieben und eng an sich binden, sie aber gleichzeitig nach dem exakten psychologisch erforschten Zeitplan in die Unabhängigkeit entlassen, wachsen sie nach Meinung mancher Fachleute ohne seelische Schäden zu ausgeglichenen Menschen heran. Bei einem derart anspruchsvollen Jobprofil kann man nie alles recht machen!
Nicht immer sind es die Forderungen der anderen, die uns in Atem halten. Denn jeder Mensch nimmt die Erwartungen von außen durch den Filter seiner eigenen Lebenseinstellung auf. Dazu gehören Ansprüche wie:
• „Ich muss es allen recht machen.“
• „Ich darf keine Fehler machen.“
• „Ich muss immer verfügbar sein.“
Wer nach diesen oder ähnlichen Lebensmottos lebt, wird die Aufgaben der Mutterschaft unweigerlich als schwere Bürde erleben. Oft sperren wir uns mit überhöhten Forderungen an uns selbst eigenhändig in ein Gefängnis von Minderwertigkeit und Selbstvorwürfen ein.
Glücklicherweise sind wir jedoch diesen vielen Anforderungen nicht hilflos ausgeliefert. Wir können den Druck auf uns reduzieren, indem wir unsere Ideale kritisch hinterfragen und unrealistische Erwartungen über Bord werfen.
Fünf überhöhte Ideale
Viele Vorstellungen von Schwangerschaft und Mutterschaft werden von Generation zu Generation überliefert und haben manchmal beinahe magischen Charakter. Und nicht selten erwartet man unterschwellig, dass man durch die Tatsache der Mutterschaft von einer normalen, durchschnittlichen Frau über Nacht zu einem beinahe überirdischen Wesen wird, welches seine eigenen Emotionen zu jeder Zeit kontrollieren kann und alle seine eigenen Träume und Wünsche den Erwartungen des Kindes unterordnet. Mit dem Wachstum des Bauches, den Veränderungen im Hormonhaushalt, dem Erlebnis der Geburt und dem Stillen des Säuglings sollen sich ganz neue Fähigkeiten und Charakterzüge entfalten. Die unternehmungslustige, lebensfrohe und lebhafte Frau soll sich über Nacht in das Idealbild der ruhigen, hingebungsvollen und allwissenden Mutter verwandeln. Gleichzeitig soll die Mutter weiterhin eine attraktive und interessante Partnerin sein, die Karriere macht und ihre eigenen Wünsche erfüllt. Was für ein hohes Ziel!
Ideal Nr. 1:
Gute Mütter befriedigen die Bedürfnisse ihrer Kinder
In der Tat kennt eine Mutter ihr Kind am besten. Sie hat es rund um die Uhr versorgt, ist zu allen Nachtstunden aufgestanden und hat freudig die kleinsten Entwicklungsschritte begrüßt. Sie kennt seine Gelüste und Abneigungen, seine Essgewohnheiten und Krankheiten. Eine Mutter hat tatsächlich oftmals einen sechsten Sinn. Ein Blick in die vordergründig unschuldigen Augen ihres Kindes genügt ihr, und sie weiß, wer die Scheibe im Nachbarhaus zerschlagen oder wer die Schokoladenkekse stibitzt hat. Und schon am Zuknallen der Tür erkennt sie den Seelenzustand der heimkehrenden Tochter.
Doch erahnen gute Mütter tatsächlich immer intuitiv, was ihr Kind braucht, so wie es ein Psychoanalytiker während eines Kongresses forderte?
„Ein kleines Kind verfügt nicht über die Worte, mit denen es sich mitteilen könnte. Es kann nur dadurch kommunizieren, dass es eine bestimmte emotionale Reaktion herbeiführt. Wenn dieser Affekt von der Mutter aufgegriffen und verstanden wird, kann sie das, was das Kind ihrer Meinung nach erlebt, in Worte fassen … Ist die Mutter eine Frau, die ihren emotionalen Hunger, ihre Ambivalenz, ihren Hass oder irgendeinen anderen Aspekt ihrer selbst nicht akzeptiert, wird sie nicht einfühlsam auf die Botschaften des Kindes reagieren, und das Kind wird sich missverstanden und alleingelassen fühlen.“5
Kinder brauchen also nach Meinung dieser Fachleute das absolute Verständnis durch ihre Mutter, welche mit sich und der Welt vollkommen im Reinen ist. Wer ist das schon? Wer hat nicht manchmal dunkle Stunden, in denen man das schreiende Baby am liebsten abgeben würde? Doch wenn eine Mutter nicht dauernd ein positives Gefühl zum Kind aufrechterhalten kann, muss sie laut diesem Psychologen fürchten, dass ihr Kind Schaden nehmen könnte. Sie sollte in der kindlichen Seele lesen wie in einem offenen Buch und wissen, was es nötig hat – denn gute Mütter kennen ihre Kinder durch und durch.
Ideal Nr. 2:
Gute Mütter leben nur für ihre Kinder
Kinder brauchen ihre Mutter, daran zweifelt wohl niemand. 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr benötigen sie Fürsorge und Aufmerksamkeit, besonders, wenn sie klein sind. Doch sind Mütter das Schicksal ihrer Kinder, wie das die Lehren der Tiefenpsychologie behaupten?
„Wir fangen eben erst an zu verstehen, wie absolut nötig die Mutterliebe für das Neugeborene ist. Die körperliche Gesundheit des Erwachsenen wird in der Kindheit begründet, aber die seelische Gesundheit des Menschen bewirkt die Mutter in den ersten Wochen und Monaten des Lebens … Das Vergnügen, das man bei dem unsauberen Geschäft der Säuglingspflege empfinden kann, ist auch für das Kind von lebenswichtiger Bedeutung.“6
So etwas konnte wohl nur ein Mann schreiben, der noch nie ein Baby gewickelt hat! Welche Mutter (oder welcher Vater) hat in den ersten anstrengenden Wochen nach der Geburt immer voller Freude diese „unsauberen Geschäfte“ erledigt? Hat ihr Kind nun deshalb Schaden gelitten?
David Winnicott, ein angesehener Psychologe, schrieb die oben zitierten Worte in einer wissenschaftlichen Abhandlung in den 1970er Jahren. Sie stehen stellvertretend für das Dilemma, das die damals neuen Lehren der Tiefenpsychologie auslösten und das bis heute seine Wirkung entfaltet: Die Mutterliebe wird als prägende Erfahrung für ein Kind beschrieben – das ist gut so. Doch diese richtige Feststellung kann übersteigert werden und Mütter auch heute noch stark verunsichern. Anscheinend wird Mama zur Gefahr für das Kind, falls sie sich ihm zu wenig zuwendet oder auch mal negative Gefühle ihm gegenüber entwickelt. Diese unterschwellige Drohung treibt viele Mütter zu Höchstleistungen. Sie gönnen sich kaum eine Verschnaufpause und sind allzeit abrufbereit. Das Kind wird beispielsweise jahrelang im Ehebett einquartiert, damit es ja keine Verlassenheitsgefühle entwickelt. Selbstverständlich hat sich die Mutter damit abzufinden, dass sie über Jahre an Schlafentzug leidet und das Paar dadurch auf intimes Zusammensein verzichten muss.
Darf eine Mutter neben ihrem Kleinkind noch anderen Interessen nachgehen? Wohl kaum – denn das Kind könnte dadurch Schaden nehmen.
Ideal Nr. 3:
Gute Mütter haben erfolgreiche und gesunde Kinder
„Unsere Kinder sollen es einmal besser haben als wir.“ Das wünschen sich die meisten Eltern. Doch leise schwingt oft auch die Vorstellung mit, dass die Kinder es einmal besser machen sollen. Heute stellt man sehr hohe Anforderungen an das Wunschkind. Schon im Mutterleib untersucht man durch pränatale Diagnostik, ob das werdende Wesen gesund ist. Besteht auch nur der Verdacht einer Behinderung, steht es der Schwangeren frei, das Kind „wegmachen“ zu lassen. Eltern, die ihr behindertes Kind annehmen möchten, stehen zunehmend unter Druck, weil sie der Gesellschaft unnötige Kosten aufbürden. Gute Mütter haben gesunde Kinder.
Darf dann das Kind tatsächlich das Licht der Welt erblicken, beginnt das große Erziehungswerk der Eltern. Schon Kleinkinder sollen fachgerecht und ausgiebig gefördert werden. Und man glaubt es kaum, aber das beginnt bereits mit der Frage, ob ein Kind Windeln tragen soll oder nicht. Ein neuerer Trend bürdet den Müttern auf, immer zu wissen, wann das Kleine mal muss, denn Windeln könnten es einengen. Deshalb wird auf Windeln verzichtet, und man wäscht dem Kind zuliebe die Bettwäsche, den Teppich oder das eigene T-Shirt, wenn – wie zu erwarten ist – das kleine „Geschäft“ danebengeht. Meist ist es eine Frage der Zeit, bis frau zu den Windeln wechselt. Nur leider muss sie deshalb in der Kunst der Erziehung bereits eine erste Niederlage verkraften.
Später werden dann gute Schulleistungen als Tor zu einem erfolgreichen Leben gesehen. Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat in einer groß angelegten Studie die Lebenssituation der Eltern untersucht. In einer Zusammenfassung schreibt Christine Henry-Huthmacher7 dazu: „Der Druck, schon beim Kleinkind nur keine Chance auszulassen, da sie sonst ihrer heutigen Elternpflicht, das Kind optimal zu fördern, nicht gerecht werden, scheint allgegenwärtig. Dieser Bildungsdruck setzt sich im Grundschulalter fort: Eltern unternehmen enorme Anstrengungen und investieren viel Geld in private Anbieter, damit ihr Kind gute Noten erhält … Damit die Kinder den Anforderungen der Schule gerecht werden können, helfen fast 40 Prozent der Eltern häufig bis regelmäßig bei den täglichen Hausaufgaben.“ Nicht selten übernehmen vor allem die Mütter diesen Job – und damit wird der Erfolg ihrer Kinder zu ihrem eigenen Erfolg.
Doch wird die Mutter, die geduldig zu ihrem auffälligen „ADHS-Kind“ steht, die stundenlang mit ihrem schwach begabten Kind übt, die jahrelang für ihr drogensüchtiges Kind betet, auch in die Liste der Top-Mütter eingetragen werden? Wohl kaum – denn gute Mütter haben erfolgreiche Kinder.
Ideal Nr. 4:
Gute Mütter machen ihre Kinder glücklich
Moderne Kinder müssen so ausgerüstet werden, dass sie sich bestmöglich verwirklichen können. Tag für Tag fährt Mama eine Art inneren Radar aus, um zu ergründen, was das Kind heute alles braucht. Sie ist die Partnerin, die geduldig alles ausdiskutiert, Therapeutin, die feinfühlig auf das empfindliche Seelenleben des Töchterchens eingeht, Spielgefährtin, die es zu kreativem Spiel animiert, Lehrerin, die mit ihm ausdauernd Vokabeln paukt, Chauffeuse, die es zu seinen vielfältigen Freizeitaktivitäten fährt, Modeberaterin, die es mit den begehrten Markenkleidern ausstattet, Troubleshooterin, die alle möglichen Schwierigkeiten aus dem Weg räumt, Bodyguard, der es von den Widrigkeiten des Lebens fernhält, und die Märchenfee, die darauf achtet, dass seine Bedürfnisse möglichst rasch befriedigt werden. Die heutige Kindheit will fachmännisch inszeniert sein. Denn Kinder spielen nicht mehr ganze Nachmittage in Haus und Garten, während Mama die Wäsche bügelt. Und wenn dann die Kinder trotz des mütterlichen Mammuteinsatzes Probleme haben, unglücklich oder unzufrieden sind, tragen die Mütter trotz allem die Schuld – denn gute Mütter machen ihre Kinder glücklich.
Ideal Nr. 5:
Gute Mütter machen keine Fehler
Die moderne Psychologie schildert Kinder oft als sehr verletzliche, hilflose Wesen, deren Entwicklung ganz von der Fürsorge ihrer Mutter abhängig sei. Besonders im zarten Säuglingsalter könne jeder Fehler und jedes negative Gefühl fatale Folgen haben und unheilbare Wunden in die zerbrechliche kindliche Psyche schlagen. Nervöses Verhalten, Ängste und Schulschwierigkeiten könnten vor allem auf eine Ursache zurückgeführt werden: Erziehungsfehler der Mutter. Diese Meinung ist heute zum Allgemeingut geworden. Letzthin erzählte mir eine Kollegin von der drogensüchtigen Tochter einer Frau aus unserem Bekanntenkreis. Als ich später über dieses Gespräch nachdachte, merkte ich, dass unsere Gedanken nicht nur voller Mitgefühl bei dieser Familie weilten. Im Gegenteil. Fast automatisch landeten wir bei der allzu häufigen Frage: Was haben die wohl falsch gemacht? Große Probleme werden schließlich durch große Fehler verursacht. Deshalb sind gute Mütter fehlerlos.
Raus aus dem Dauerstress
Durch sehr hohe Erwartungen an sich selbst versetzt man sich in Dauerstress. Erwartungen wirken wie eine Peitsche, sie treiben gnadenlos an und lassen uns nicht zur Ruhe kommen. Vor allem dann, wenn eine Mutter glaubt, dass sie allein für das Glück und den Erfolg des Kindes verantwortlich sei, erlegt sie sich eine fast unerträgliche Last auf. Denn tief in ihr drin bohrt es unerbittlich: Eigentlich müsste ich es noch besser machen.
Überhöhte Ideale wirken wie Treibmittel für Schuldgefühle, denn sie erzeugen viele Misserfolgserlebnisse. Normale Probleme, wie sie in jeder Familie irgendwann auftreten, werden dann als Niederlage gesehen statt als normale Herausforderung, die es zu bewältigen gilt. Fällt ein Kind aus dem erwarteten Rahmen, stellt sich sofort die quälende Frage: Was habe ich bloß falsch gemacht? Außerdem lädt man damit auch eine Bürde auf die Kinder, die jederzeit den mütterlichen Erwartungen entsprechen müssen. Es ist aber unmöglich, auf längere Zeit das perfekte Familienleben zu führen.
Manchmal kommen mir Mütter vor wie Leistungssportlerinnen. Täglich werfen sie sich in den Wettkampf mit der Zeit, bringen frühmorgens die Kinder in die Kita oder in die Schule, eilen zur Arbeit, zaubern etwas Essbares auf den Tisch, überwachen die Hausaufgaben, schlichten Streit, erledigen die Einkäufe, arbeiten im Haushalt, empfangen den müden Ehegatten und, und, und … Spätabends sinkt frau erschöpft ins Bett. So weit, so gut. Wenn man sich zusätzlich aber noch damit abquält, was man hätte besser machen können, ist die Grenze der Belastbarkeit irgendwann überschritten.
Stellen Sie sich vor, dass Sie im Hochsprung an einem Wettkampf teilnehmen. Täglich würden Sie trainieren und die Latte langsam immer höher legen. Zuletzt haben Sie die Marke von zwei Metern erreicht und schwingen sich unter Aufbietung aller Kraft darüber. Ist es realistisch zu erwarten, dass Sie dies jeden Tag erreichen? Unmöglich!
Wie hoch legen wir die Latte im Familienleben? Verlangen wir von uns, im übertragenen Sinn, dass wir ständig die Zwei-Meter-Grenze knacken müssen?
Idealistische Vorstellungen verringern das Selbstwertgefühl, denn man wird durch sie ständig seinem Unvermögen gegenüberstehen. Mit jedem neuen Misserfolg wird die quälende Gewissheit noch fester zementiert: Ich bin eine Versagerin. Deshalb ist es befreiend, wenn wir uns vom Ballast unerreichbarer Ideale trennen und sie durch realistische Vorstellungen und Ziele ersetzen.
Mögliche realistische Ziele:
• Kann man alle Bedürfnisse der Kinder stillen? Nein! Wir leben nicht im Paradies und Kinder können an Schwierigkeiten wachsen. Eltern können nur das weitergeben, was sie selbst besitzen, und an jedem einzelnen Tag kann man nur das leisten, wozu die Kraft reicht. Das gilt besonders für Alleinerziehende, die ihr Bestes geben, aber eine Mutter kann nun einmal den Vater nicht vollständig ersetzen. Glücklicherweise leben sie nicht auf einer Insel, und die Kinder sind eingebettet in diverse Beziehungen, die ihre Defizite ausgleichen können.
• Soll man nur für die Kinder leben? Nein! Mütter und Kinder brauchen ihren Freiraum zur persönlichen Entwicklung. Zwar benötigen die Kinder in den frühkindlichen Jahren viel zeitliche Zuwendung, doch später übernehmen Schule und Freunde einen großen Teil der Tagesstruktur. Nehmen Sie sich jeden Tag Zeit für Ihr Kind, ermutigen Sie es bei seinen Aufgaben, drücken Sie aus, wie wertvoll es ist. Dieser Schatz an Zuwendung wird es den ganzen Tag über begleiten.
• Ist Erfolg beliebig machbar? Nein! Jedes Kind kann nur diejenigen Gaben entfalten, die ihm Gott mitgegeben hat. Es ist hinlänglich erwiesen, dass beispielsweise Intelligenz zu einem beträchtlichen Teil vererbt ist. Auch mit intensivem Lerntraining kann der Lernerfolg nicht beliebig verbessert werden. Zeigen Sie deshalb Ihrem Kind, dass Sie auch auf seine praktische oder soziale Intelligenz stolz sind. Suchen Sie gemeinsam mit Ihrem Kind seinen individuellen Weg. Das ist echter Erfolg!
• Haben meine Kinder ein Recht auf Glück? Nein! Glück kann nur durch eine innere Lebenshaltung gefördert werden. Zufriedenheit entsteht nicht im Schlaraffenland, sondern sie muss an den kleinen Freuden des Alltags eingeübt werden. Sofortige Befriedigung der Wünsche hingegen führt zu Unzufriedenheit. Lassen Sie sich durch die Tränen der Kinder nicht niederdrücken oder gar erpressen. Natürlich können wir versuchen, unseren Kindern eine möglichst geordnete und liebevolle Kindheit zu schenken. Es wird aber immer wieder dunkle Täler geben, durch die sie sich durchkämpfen müssen.
In der modernen Psychologie spricht man heute von einem Grundbedürfnis, dass Kinder realistische Grenzen gesetzt bekommen. So schreibt der Psychiater Luca Hersberger in seinem Buch Heilsame Beziehungen8: „Grenzen gehören auch zu den Grundbedürfnissen, wobei sie in einem gesunden Ausmaß – nicht zu viel, nicht zu wenig – und nicht strafend umgesetzt werden sollen.“ Davon soll später die Rede sein.
• Müssen Eltern perfekt sein? Nein! Durch Fehler werden auch Sie klug. Und Ihre Kinder lernen durch Sie, wie sie tragende Beziehungen gestalten können. Eltern bereiten ihre Kinder da auf die Herausforderungen des Lebens vor, wo sie nicht immer mit Samthandschuhen angefasst werden. Zu Hause lernen sie in einer geschützten Umgebung, wie sie auch widrigen Umständen entgegenstehen können.
Manchen Frauen liegen die Aufgaben der Mutterschaft mehr, anderen weniger. Manche Frauen haben ein super Händchen für Babys, andere fahren im Umgang mit Jugendlichen zu ihrer Hochform auf. Auch die innere Verbundenheit ist nicht zu jedem Kind gleich. Bei einem Kind besteht eine Seelenverwandtschaft, ein anderes wird man nie richtig verstehen können. Glücklicherweise bietet der Ehemann meistens eine Ergänzung bei der Betreuung der Kinder. Und weil die Kinder erstaunlich anpassungsfähig sind, holen sie sich bei dem jeweiligen Elternteil intuitiv das, was sie brauchen.
Mütter sind ein Leben lang Lernende, und deshalb ist es gut, wenn sie sich auch außerhalb der Familie Rat holen, wenn sie nicht mehr weiterwissen. Entspannen Sie sich also und nehmen Sie Abschied von Ihren zu hohen Ansprüchen an sich selbst!
Supermütter in der Bibel?
Menschen, die nach den Werten des christlichen Glaubens leben möchten, setzen sich nicht selten unter einen erhöhten Druck, denn sie möchten nicht nur den Menschen, sondern auch Gott gefallen. Sie haben als Ideal verinnerlicht, dass in einem christlichen Umfeld alles harmonisch abläuft. Ein Blick in die Familiensagas des Alten Testaments zeigt allerdings eine ganz andere Realität. Haben Ihre Kinder schon mal eins ihrer Geschwister ermordet? Die Urmutter Eva musste genau das verkraften, als ihr Sohn Kain seinen Bruder Abel aus Eifersucht erschlug. Welch eine Tragödie!
Später begegnen wir Rebekka. Sie liebte ihren Sohn Jakob mehr als seinen Zwillingsbruder Esau, und sie schreckte nicht davor zurück, ihren Mann zu belügen und ihrem Lieblingssohn das Familienerbe zu erschleichen. Esau war darüber so wütend, dass er seinen Bruder ermorden wollte, und so musste Jakob lange Zeit im Exil leben. Erst viele Jahre später versöhnten sich die beiden Brüder. Wie konnte Rebekka so parteiisch sein?
Leider hat Jakob selbst aus seiner eigenen tragischen Geschichte nicht viel gelernt, denn er zog seine beiden jüngsten Söhne Josef und Benjamin den zehn älteren Söhnen vor. Er verwöhnte seine kleinen Lieblinge, kleidete sie in exquisite Gewänder und erließ ihnen die Arbeit. Schließlich waren die älteren Söhne über diese Vorzugsbehandlung so erzürnt, dass sie Josef kurzerhand nach Ägypten in die Sklaverei verkauften und ihrem Vater erzählten, dass ihr kleiner Bruder von einem wilden Tier getötet worden sei.9
Unglaublich! Dagegen ist heutzutage die durchschnittliche Familie trotz der alltäglichen Reibereien ein Hort von Frieden und Sicherheit.
Selbst Maria entsprach nicht dem Mutterideal. In der Bibel finden wir Hinweise, dass sie ihren besonderen Sohn Jesus nie richtig verstehen konnte.
Werden diese Eltern verurteilt? Nein, ihre Fehler werden nur sachlich erwähnt und als normaler Bestandteil einer unvollkommenen Welt betrachtet. Mir ist keine Stelle in der Bibel bekannt, in der die Mütter für die Probleme der Kinder zur Rechenschaft gezogen werden. Aber eines zieht sich durch all diese biblischen Familiengeschichten: Gott selbst greift in die Schicksale ein und schenkt, dass die Kinder trotz ihrer unvollkommenen Mütter zu ganz besonderen Menschen heranwachsen.
Gute Mütter sind also keine Übermenschen, sondern normale Frauen mit ihren Möglichkeiten und Grenzen, Stärken und Schwächen:
• Sie bemühen sich, die Kinder zu verstehen, aber sie sind keine Hellseherinnen.
• Sie erziehen nach bestem Wissen und Gewissen, aber sie sind keine fehlerlosen Profis.
• Sie kümmern sich um ihren Nachwuchs, aber sie sind nicht die einzige Bezugsperson.
• Sie versuchen, die Kinder glücklich zu machen, aber sie sind keine Glücksfee.
• Sie opfern den Kindern viel Zeit, aber sie geben ihr eigenes Leben nicht völlig auf.
Frauen, die ihre Idealbilder ehrlich hinterfragen, sich realistisch einschätzen und zu ihren Fehlern stehen, werden befreit bemerken, dass ihre Schuldgefühle schwinden und die ganze Familie aufatmen kann. Sie werden selbstbewusst zu ihren Fehlern stehen und dabei ihre vielen Stärken nicht vergessen.
5 Chyes, M., zitiert in Swigart, J.: Von wegen Rabenmutter … Die harte Realität der Mutterliebe, Knaur, München 1993.
6 Winnicott, D., Kind, Familie, Umwelt, Ernst Reinhard Verlag, München und Basel 1976.
7 Henry-Huthmacher, C., Eltern unter Druck, http://www.kas.de/wf/de/3313023/;, aufgerufen am 02. 08. 2016.
8 Hersberger, L., Heilsame Beziehungen – Wenn christlicher Glaube und Schematherapie sich ergänzen, ArteMedia, Basel 2016.
9 Die dramatischen und ehrlichen Familensagas des Volkes Israel sind im 1. Buch Mose überliefert.