Читать книгу Das Ehepaar und ANDERE Geschichten - Annerose Scheidig - Страница 8
ОглавлениеMit dem Essen im Tank
über gelbgereiften Mais
der Hunger sieht zu
Begegnung im Aufzug
„Pssst!“ Das war das Erste was sie wahrnahm, als sich die Aufzugtür öffnete. Ihr gesenkter Blick, der den korrekten Einstieg nicht verfehlen wollte, erhob sich langsam und vor ihr standen vier Personen mit Aktenkoffern und Schultaschen.
Zwei Personen durfte sie schon vor ein paar Tagen kennen lernen. Es waren Mitschülerinnen der Umschulungsmaßnahme, die sie zurzeit besuchte.
Die Tür schloss sich wieder. Die Gespräche setzten sich erneut und gleichzeitig mit dem Fahrstuhl in Gang. Die beiden Aktenkofferträger tauschten einige Worte miteinander, räusperten sich kurz und schwiegen wieder. Die beiden Damen flüsterten unentwegt weiter, zumindest die eine, die ihren Kopf immer wieder kontrollierend hin und her bewegte.
An dem Blick der Zugestiegenen, Margarete war ihr Name, konnte die mit Nachdruck Sprechende nur unschwer ein gewisses Desinteresse erkennen. Was hätte die Zugestiegene von den Gesprächsfetzen im Fahrstuhl auch halten sollen?
Und doch, dieses „Pssst“ machte Margarete unfreiwillig neugierig. Sie ahnte, dass es etwas mit ihr zu tun haben könnte. Bei nächster Gelegenheit würde sie die kleine dunkelhäutige Schönheit selbst danach fragen. Das nahm sie sich fest vor, in der Hoffnung, diese erinnere sich auch an diesen Augenblick.
Der Aufzug hielt eine Etage tiefer als die Drei auszusteigen hatten. Hier befand sich das Büro der Geschäftsleitung der Maßnahme, die die Schülerinnen besuchten. Bis auf Margarete und die zierliche Gestalt stiegen alle aus, auch Sandra, sonderbarerweise. Das war der perfekte Zufall, die erhoffte Gelegenheit, gleich nachzufragen. Und irgendwie schien zwischen den beiden Frauen ein unbewusstes Vertrauensverhältnis zu bestehen, denn die hübsche Rassige erklärte sogleich und leicht verlegen, dass sie Araberin sei.
„Na und?“, fragte Margarete überrascht. „Musst du dich dafür schämen? Du kannst eh nicht verheimlichen, dass du südländischer Herkunft bist. Dich verrät schon allein deine Haut, dein rassiges Aussehen.“ Dabei lächelte sie die andere an und fügte hinzu: „Okay, genau zuordnen könnte ich dich allerdings nicht. Aber was soll’s? Mir ist das nicht wichtig!“
Kurze Pause.
„Du sprichst ein sehr gutes Deutsch. Da könnte ich glatt vergessen, dass du Araberin bist.“ Margarete lächelte ihre Mitschülerin erneut freundlich an. Sie wollte noch einmal unterstreichen, dass es ihr wirklich nichts ausmachte, dass die Abstammung der Anderen, eine andere als die ihre ist; auch wollte sie in der Unterhaltung bleiben.
Die junge Frau lächelte zurück und erklärte stolz: „Wir leben schon viele Jahre in Deutschland. Ich habe hier von Anfang an die Schule besucht . . .“
Beide schwiegen plötzlich und lauschten fragend dem Fahrgeräusch des Aufzugs nach. Irgendetwas schien hier nicht mehr zu stimmen. Der Fahrstuhl hielt in der elften Etage, öffnete die Tür, doch niemand stieg ein und sie beide mussten hier nicht raus. Also drückte eine von ihnen wieder die Acht und sie warteten, was wohl als nächstes passieren würde.
Margarete erkannte das als ein Zeichen; also sprach sie schnell und genau das an, was sie sich vorher noch nicht zu fragen wagte: „Sag mal, warum solltest du vorhin nicht weitersprechen, als ich den Fahrstuhl betrat?“
Die junge Frau, fasst noch ein Mädchen, sah verlegen zu Boden, verstummte für einen Moment und meinte schließlich kaum hörbar: „Wegen des Golfkriegs, den USA und, und überhaupt . . . Es ist mein Land, aus dem ich komme, mein Land!“
„Hm und was hast du, ich meine, du persönlich damit zu tun?“, wollte Margarete jetzt wissen. „Hast du den Krieg begonnen, gewollt, etwa verursacht? Hast du irgendwie, irgendwas zu verantworten?“, fragte sie, die jetzt Tiefbetrübte ihr gegenüber stehend, erstaunt weiter.
„Sandra meinte, ich könnte eventuell genau deswegen Nachteile in der Klasse haben, dass ich vielleicht ausgegrenzt werde. Die Gespräche laufen nur noch um den Golfkrieg, man ergreift Partei, urteilt und verurteilt.“
„Ja sicher tun sie das, ist doch klar! Aber um Partei zu ergreifen, muss man sich schon recht gut auskennen. Und dann hat das mit dem Einzelnen immer noch nichts zu tun!“
Margarete war jetzt etwas aufgebracht, und leicht säuerlich auf Sandra, wegen dieser dummen Bemerkung.
Immer diese Vorurteile, dieses Einschüchtern! Wird das nie ein Ende haben? Was um alles in der Welt kann das Volk schon ausrichten, wenn die Politik versagt, wenn sie Krieg führen will. Es werden immer die Schwachen zu Opfern werden, wenn Mächtige ihre Macht beweisen wollen, ging es Margarete durch den Kopf.
Und, schnell noch ein paar Worte, ungestört: „Du, wir müssen gleich aussteigen. Nur mal kurz eine Frage. Glaubst du an Gott?“
„Ja!“
„Dann weißt du sicher auch von Adam und Eva!“
„Ja!“
„Siehst du, und so sind wir doch letztendlich alle Schwestern und Brüder!“
„Ja.“
„Das ist für mich die Basis, worauf ich erst einmal aufbaue, wenn ich Fremde kennen lerne. Was kümmert es mich, wenn sich andere streiten? Lassen wir, du und ich, uns unsere Freundschaft friedlich beginnen, ohne Angst, ohne Vorurteile. Dann werden wir weitersehen.“ Margarete sah ihre Mitschülerin aufmunternd an; die hübsche Rassige erwiderte irgendwie befreit ihren Blick.
Der Aufzug blieb endlich auf der richtigen Etage stehen und die beiden Frauen konnten knapp vor Unterrichtsbeginn den Klassenraum betreten. Sie lächelten sich noch einmal kurz zu, bevor sie ihre Plätz einnahmen.
An diesem Vormittag flogen etliche Tornados in den Süden.