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Schon als Kind fielen mir im Winter die dicken, runden Büschel in den Bäumen auf, die aussahen wie große Vogelnester. Zu Weihnachten hingen Mistelzweige in meinem Elternhaus in der Türfüllung. Den Brauch, daß sich ein Pärchen unter einem solchen Mistelbusch küssen muß, fand ich als Halbwüchsige nur peinlich. Die Mistel selbst jedoch übte eine eigenartige Faszination auf mich aus. Sie war rätselhaft. Sagenumwoben. Unergründlich. Etwas Besonderes.
Meine zweite intensive Begegnung mit der Mistel fand zu Beginn meines Berufslebens als Journalistin Mitte der achtziger Jahre statt. Mein Kollege und Mentor Dietrich Beyersdorff war damals dabei, die Gesellschaft für Biologische Krebsabwehr mit aus der Taufe zu heben. Und ich bekam hautnah mit, wie vielen Anfeindungen Menschen ausgesetzt waren, die sich für eine qualifizierte naturheilkundliche Begleitbehandlung mit der Mistel einsetzten – ob als Betroffener, Arzt oder Heilpraktiker. Meine Fragen zu Wirkung und Wirksamkeit, Studien und Anwendungserfahrungen mit einer Misteltherapie bei Krebs blieben damals jedoch überwiegend unbeantwortet.
Die dritte und entscheidende Begegnung mit der Mistel ergab sich 1999, als meine Freundin und Berufskollegin Angelika Blume, die 1992 an Brustkrebs erkrankt war, erneut mit Krebszellen zu kämpfen hatte, diesmal in der Lunge. Bei der Suche, was ihr neben der Chemotherapie noch helfen könnte, kamen wir im Gespräch auf die Mistel. Angelika berichtete, daß sie schon nach der ersten Diagnose eine Misteltherapie ausprobiert habe, damals aber mit einer starken Hautrötung an der Einstichstelle sowie geröteten, juckenden Handflächen reagiert habe. Ihr Fazit: Offenbar vertrage sie die Mistel nicht. Da es aber kaum brauchbare Informationen und im Buchhandel rein gar nichts über eine Misteltherapie gebe, habe sie diese Behandlung wieder abgebrochen. Also lag es nahe, das Thema aufzugreifen und zu recherchieren. Vor diesem Hintergrund entstand die erste Fassung dieses Buches, die 1999 im Rowohlt Verlag, Reinbek, erschien (»Die Mistel – Heilpflanze in der Krebstherapie«).
Im Zuge der Recherchen haben wir herausgefunden, daß Angelika seinerzeit wahrscheinlich einfach nur falsch behandelt worden ist. Ihre Reaktion war keine Allergie, sondern die Antwort ihres Körpers auf ein vermutlich zu hoch konzentriertes Mistelpräparat. Sie hat dann ab 1999 erneut eine Misteltherapie unter der qualifizierten Anleitung eines erfahrenen Misteltherapeuten gemacht, und diesmal vertrug sie die Behandlung ausgezeichnet. In den anderthalb Jahren, die ihr noch blieben, war der Tag, an dem sie ihre Mistelspritze bekam, immer ein besonders wichtiger Tag. Die Mistel, so sagte sie, verhelfe ihr zu vielen inneren Bildern, die ihr Leben bereicherten, ihr Ruhe und Sicherheit vermittelten.
Als die dritte Auflage des Buches 2005 abverkauft war, wollte der Rowohlt Verlag es nicht neu auflegen. Anne Rüffer, meine Verlegerin in Zürich, mit der ich schon für das Buch »Was kann ich selbst für mich tun? Patientenkompetenz in der modernen Medizin« zusammengearbeitet habe, zögerte nicht lange, als sie erfuhr, daß die Rechte frei sind. Und so erscheint das Buch nun in einer völlig überarbeiteten, aktualisierten Fassung, in der wir vor allem auch die vielen Studien berücksichtigen konnten, die in der Zwischenzeit publiziert worden sind.
Die Informationen in diesem Buch sollen Sie in die Lage versetzen, eine Misteltherapie bewußt und kompetent anzugehen – Sie sollen wissen, worauf Sie sich einlassen. Und möglicherweise bietet Ihnen die Lektüre auch den Anstoß, sich neu und anders mit der Krebserkrankung auseinanderzusetzen.
Hamburg, im Oktober 2006
Annette Bopp