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Kapitel 3
Zeisler, Knopf & Partner

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„Die Büroräume von Zeisler, Knopf & Partner sind direkt in der Innenstadt, am Niederwall, in allerbester Lage“, sagt Müller. „Wir haben mit Friedrich Knopf gesprochen, Zeislers Kompagnon. Der scheint ein freundlicher und umgänglicher Mann zu sein - die Wände in seinem Büro sind gepflastert mit Bildern seiner Frau, seiner Kinder und seines neugeborenen Enkelsohns.“

Ach, Müller. Bloß weil sich jemand Bilder von seiner Familie an die Wand hängt, ist er ein guter Mensch?

„Das erste, was er uns fragte, war: ‚Sind sie wegen Hans Zeisler hier? Ist ihm was passiert?’ Wir waren natürlich ein bisschen baff, aber Knopf hat uns erklärt, dass Zeisler sonst jeden Morgen um viertel nach sieben mit der Arbeit anfängt, pünktlich wie ein Uhrwerk. Aber heute hat um zwanzig nach acht die Mitarbeiterin angerufen, mit der er gerade in einem Unternehmen am Stadtrand von Bielefeld eine Due Diligence Prüfung durchführt. Sie hat gesagt, dass Zeisler dort nicht aufgetaucht ist und sich auch auf seinem Handy nicht meldet. Ihm war sofort klar, dass da etwas nicht in Ordnung ist.“

„Wie lange kennt er Zeisler schon?“, frage ich mit vollem Mund. Ich kaue einen mehligen Apfel aus der Kantine, bei dem jeder Bissen in meinem Mund in kleine fauligschmeckende Bröckchen zerfällt.

„Seit über dreißig Jahren. Die beiden Männer haben zusammen studiert und waren dann in derselben Kanzlei angestellt, bis sie beschlossen haben, sich mit einer eigenen Firma selbständig zu machen. Er war natürlich ziemlich schockiert, als wir ihm erklärt haben, was passiert ist.“

„Hat er eine Idee, warum Zeisler an der Raststätte war?“

„Er hatte eine ziemlich einfache Erklärung“, sagt Müller. „Die ist durchaus plausibel, beantwortet aber nicht unsere eigentlichen Fragen. Knopf meint, dass Zeisler wahrscheinlich auf der Rückfahrt nach Hause war von der Firma, bei der er die Due Diligence durchführt - einem Elektronikunternehmen, das in der Nähe der Autobahn liegt - und nur noch eben tanken wollte.“

„Moment mal“, wirft Trimmer ein, „es war Sonntagnacht um zwei, und der Mann soll bei der Arbeit gewesen sein?“

„Das haben wir natürlich auch eingewandt. Aber laut Knopf war Zeisler ein absolutes Arbeitstier, und es war für ihn völlig normal, bis spät in die Nacht hinein und auch am Wochenende zu arbeiten. Im Übrigen erwartete er das wohl auch von seinen Angestellten. Seine engsten Mitarbeiter waren ebenfalls am Sonntag bei dieser Firma. Sie heißen Frank Pohlmeier und Mechthild Rabe.“

„Und was genau haben sie dort gemacht?“, will ich wissen.

„Dazu wollte oder konnte uns Knopf nicht viel sagen. Ich vermute, ersteres ist der Fall. Er war sehr verschlossen in Bezug auf alles, was die Kanzlei angeht, wollte uns nicht Zeislers Akten oder Berichte einsehen lassen und hat uns auch verwehrt, sein Büro zu durchsuchen oder seinen Laptop mitzunehmen. Das alles ist Eigentum der Kanzlei und nur mit Durchsuchungsbeschluss zu haben, hat er uns deutlich gemacht. Ich bin mal gespannt, ob sich die Staatsanwaltschaft traut, uns die entsprechenden Dokumente auszustellen.“

„Hatte der Mann auch ein Privatleben?“, erkundigt sich Trimmer. Ich frage mich nicht zum ersten Mal, was einer wie er wohl genau unter Privatleben versteht. Zu Hause vor dem Fernseher ins Sofapolster pupsen oder mit den Kumpels in der Kneipe Bier kippen und sexistische Witze reißen wahrscheinlich.

„Nicht wirklich, wie es aussieht“, sagt Müller. „Laut Knopf hat Zeisler nur für seinen Beruf gelebt, ohne engere persönliche Beziehungen. Eine Familie hatte er nicht, abgesehen von einer Schwester, die in Frankfurt am Main lebt und ebenfalls Anwältin ist. Die Geschwister sollen aber ein distanziertes Verhältnis gehabt haben. Sie telefonierten wohl ab und zu, haben sich aber schon seit Jahren nicht mehr gesehen. Das einzige nennenswerte Interesse, das Zeisler neben seinem Beruf hatte, war, Filme mit seiner Handkamera zu machen.“

„Was für Filme?“, frage ich.

„Das konnte Friedrich Knopf nicht so genau erklären. Spezielle Themen hatte Zeisler dabei wohl nicht. Er hat alles Mögliche gefilmt und ist wohl oft mit seiner Kamera einfach auf der Straße oder im Büro herumgelaufen und hat die Leute genervt. Knopf meint, dass es ihm mehr ums Filmen selbst gegangen ist als um die Inhalte.“ Müller greift nach seinem Kaffeebecher und räuspert sich. Er redet sonst selten so lange an einem Stück. „Insgesamt kriegt man den Eindruck, dass Zeisler ein wenig geselliger und nicht sehr netter Mensch war - arrogant, aufbrausend und herrisch. Er hat auch seine Mitarbeiter nicht mit Samthandschuhen angefasst, deshalb hat es einiges an bösem Blut gegeben bei Zeisler, Knopf & Partner über die Jahre. Unter anderem auch zwischen Zeisler und der Frau, die für eine Weile die dritte Partnerin in der Kanzlei war, Annemarie Kloppstock. Die beiden müssen heftig aufeinander geprallt sein, wobei sie sich anscheinend in Unnachgiebigkeit und Rechthaberei nichts nachstanden. Kein Wunder also, dass die Zusammenarbeit nicht von allzu langer Dauer war ...“

„Die Dame hätte also einen Grund, sich an Zeisler zu rächen“, hält Trimmer fest.

„Möglich“, sagt Müller. „Allerdings ist Annemarie Kloppstock anscheinend weich gefallen: laut Friedrich Knopf hat sie nach ihrem Ausscheiden aus der Firma sofort eine Position in einer Kanzlei in Hannover gefunden - ebenfalls als Partnerin und wohl mindestens ebenso ertragreich. Aber ich denke, wir sollten das nicht für bare Münze nehmen, uns mit ihr auf jeden Fall noch persönlich unterhalten.“

Er wendet sich an Nicola. „Habe ich noch irgendwas vergessen?“

Sie lässt in aller Ruhe den Blick über die Aufzeichnungen in ihrem Notizbuch gleiten, schlägt langsam eine Seite um, guckt noch ein bisschen und sagt dann: „Nur eins.“ Sie nimmt die Oberlehrerinnenbrille ab und lässt sie an einem Bügel zwischen Daumen und Zeigefinger der rechten Hand schwingen. „Letzten Mittwoch, also am 13. Oktober, hat jemand in Zeislers Auto eingebrochen, in der Tiefgarage unter den Räumen der Kanzlei. Die Scheibe der Beifahrertür wurde eingeschlagen und das Handschuhfach durchwühlt, aber gestohlen wurde nichts. Interessant ist, dass Zeisler keine Anzeige bei der Polizei erstattet hat, was überhaupt nicht zu seinem Charakter passt. Friedrich Knopf sagt, dass Zeisler erst wütend im Büro herumschrie, dann aber zur allgemeinen Überraschung nichts weiter unternommen hat. Nur die Scheibe hat er noch am selben Tag austauschen lassen.“

„Wird die Garage nicht bewacht?“, frage ich.

„Eigentlich schon“, sagt Nicola. „Das ist die zweite Merkwürdigkeit. Es gibt Überwachungskameras, aber die waren wegen Wartungsarbeiten die ganze letzte Woche außer Betrieb. Es gibt zwar einen Wachmann, aber der hat seine Kabine auf einer anderen Ebene der Garage. Erst bei seinem Rundgang um 15:30 Uhr hat er die Alarmanlage von Zeislers Auto gehört, aber da war niemand mehr auf dem Parkdeck zu sehen.“

„Diese Garage ist doch öffentlich zugänglich, oder?“, fragt Trimmer.

Nicola nickt.

„Dann war es vielleicht nur ein Fall von Vandalismus.“

„Vielleicht. Aber es war wohl das erste Mal, dass dort so etwas vorgefallen ist.“

Müller sagt: „Auf jeden Fall müssen wir noch mit anderen Kollegen von Zeisler sprechen, damit wir uns ein besseres Bild von ihm und seiner Arbeit machen können. Ich denke dabei zuerst an die Mitarbeiter Pohlmeier und Rabe. Hannah und Nicola, ihr solltet heute Nachmittag zu dieser Firma fahren, wo die beiden gerade arbeiten. Wie heißt sie nochmal?“

„Trixitech“, sagt Nicola.

„Eine dritte Person, die für uns interessant ist, ist Zeislers Sekretärin. Sie heißt Sabine Seller und ist heute Morgen nicht im Büro erschienen. Angeblich ist ihr Kind krank. Ruft sie an, sie soll so bald wie möglich hier vorbeikommen.“

„Okay“, sage ich.

Müller wendet sich an Trimmer. „Peter, du machst mir bitte eine komplette Computerrecherche zu allem, was sich über Zeisler und Glembowski finden lässt. Und wenn du damit fertig bist, suchst du heraus, welche Informationen wir zum Suizid von dem Lehrling Joachim haben - den Fall muss ja jemand aus unserm Haus damals bearbeitet haben.“

Trixitech liegt in einem gut gepflegten, aber seelenlosen Gewerbegebiet am Stadtrand, durch das sich frisch asphaltierte, gerade Straßen ziehen, auf denen aber nur vereinzelte Autos und überhaupt keine Fußgänger unterwegs sind. Um kurz vor zwei Uhr heute morgen, als Zeisler hier abgefahren sein muss, dürfte das Gelände völlig ausgestorben gewesen sein.

Das Gebäude der Firma ist ein moderner Bau mit viel Glas und Chrom und grünen Pflanzen auf den Fluren. Im Vorbeigehen, während wir dem Pförtner folgen, der uns zu den beiden Anwälten von Zeisler, Knopf & Partner bringt, zupfe ich an einem Blatt. Es ist aus Plastik.

Als wir bei dem Raum ankommen, den unser Führer den ‚Datenraum’ nennt, ist es auch mit Helligkeit und Tageslicht vorbei, denn wir finden uns in einer fensterlosen Kammer mit zimmerdeckenhohen Aktenregalen an den Wänden wieder. Der Raum sieht aus, als werde er normalerweise als Archiv genutzt und sei nur eher schlecht als recht in einen Arbeitsplatz umfunktioniert worden für die Zeit, in der die Anwälte in der Firma auf Materialsuche sind. In die Mitte des Zimmers hat man einen kleinen Tisch gequetscht, auf den kaum die zwei Laptops passen, an denen fleißig tippend Zeislers Mitarbeiter sitzen. Hier drin mehrere Tage mit Aktenstudium zu verbringen, muss ein ziemlicher Alptraum sein.

Ein Blick in Mechthild Rabes Gesicht bestätigt meine Vermutung. Sie sieht hundemüde aus, blass mit dunklen Augenringen, die sich auch durch eine offenbar hastig aufgeschmierte Foundation nicht richtig verbergen lassen. Sie hat einen akkurat geschnittenen hellbraunen Bubikopf und trägt ein blaues Kostüm, das teuer aussieht, aber auch unbequem. Der Stoff spannt um Hüfte und Busen, als habe sie in letzter Zeit zugenommen, versuche das aber zu ignorieren, indem sie sich verbissen in die zu eng gewordenen Klamotten zwängt.

Ihr Kollege Frank Pohlmeier dagegen ist ein langer Schlacks, der in Jeans und Polohemd dasitzt und dem die blonden Haare zu Berge stehen, als sei er vor ein paar Minuten erst aus dem Bett gefallen. Rabe und Pohlmeier dürften beide etwa Mitte dreißig sein, aber sein entspannter Aufzug lässt ihn auf den ersten Blick um Jahre jünger aussehen.

„Wir wissen schon, was passiert ist“, sagt Pohlmeier und erhebt sich. „Friedrich Knopf hat uns angerufen.“

... und euch angewiesen, bloß keine Firmengeheimnisse auszuplaudern, denke ich seinen Satz zu Ende. Mechthild Rabe begrüßt uns mit einem dieser schlabbrigen Mädchenhändedrücke, nach denen man den Wunsch verspürt, sich die Handfläche an der Hose abzuwischen. Ich frage mich, ob ihr mitleiderregendes Aussehen wohl auch mit Trauer oder zumindest Bestürzung über den Tod ihres Chefs zusammenhängt, oder nur den Räumlichkeiten und der Arbeit geschuldet ist.

„Gibt es hier irgendwo einen Ort, wo man sich entspannter unterhalten kann?“, frage ich. „Hier drin wird man ja klaustrophobisch.“

Pohlmeier lacht übertrieben, als hätte ich einen tollen Witz gemacht. „Ja, schrecklich, nicht wahr? Nachdem Sie zwei Tage hier drin gesessen haben, wissen Sie nicht mehr, ob draußen Tag oder Nacht ist. Aber Trixitech hat einen hübschen Aufenthaltsraum für die Mitarbeiter, der so new-economy-mäßig aufgemacht ist. Da könnten wir uns reinsetzen.“ Seine Hände spielen ununterbrochen mit einem Kugelschreiber. Klick, Mine rein. Klick, Mine raus.

Mechthild Rabe meint, sie könnten doch ihre Laptops nicht einfach so unbewacht im Datenraum stehen lassen, aber Pohlmeier winkt unbekümmert ab. Es werde schon niemand etwas klauen, während die Polizei nebenan sei. Sie ist nicht überzeugt, guckt sauertöpfisch und packt ihren gesamten Kram zusammen, um ihn mitzunehmen, während er einfach alles stehen und liegen lässt.

Im Flur hinter ihnen herlaufend fixiere ich die zwei verspannten Nackenpartien. Diese so gegensätzlichen Kollegen sind beide extrem angespannt und auf der Hut - eine schlechte Voraussetzung, um etwas Brauchbares aus ihnen herauszukriegen.

Als wir den Aufenthaltsraum betreten, wird mir klar, was Pohlmeier mit ‚new-economy-mäßig’ gemeint hat. Riesige rote Sofas stehen herum, im Regal liegen Brettspiele, es gibt eine Kaffeemaschine zum kostenlosen Selbstbedienen, ein Dartboard hängt an der Wand, und den Fokus in der Mitte des Raums bildet - ein Kicker! Vielleicht spielt uns der Zufall hier in die Hände.

„Ich habe schon ewig nicht mehr gekickert“, sage ich, „lasst uns doch schnell ein Spiel machen, bevor wir hier anfangen“.

Trimmer würde jetzt meckern, mit Zeugen oder potentiell Verdächtigen vor der Befragung erst mal eine Runde zu kickern, sei keine seriöse Polizeiarbeit. Aber der ist zum Glück nicht hier. Nicola zieht zwar erst spöttisch die linke Augenbraue hoch - das ist einer ihrer Ticks - nickt mir dann aber kurz zu. Sie hat verstanden. Mechthild Rabe, der diese Entwicklung der Dinge eindeutig unangenehm ist, wirft ein, sie habe das noch nie gemacht, sie könne es nicht, und es sei ja jetzt auch nicht die richtige Zeit für so was. Aber Frank Pohlmeier springt sofort begeistert zum Kicker und legt los. Da bleibt ihr nichts anderes übrig, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen.

Das erste Match gewinnen Nicola und ich 10:2. Zum einen liegt das an Mechthilds Unvermögen. Denn selbst wenn Frank drei Spielerreihen übernimmt und sie nur den Torwart bedienen muss, schafft sie es nicht, auch nur einen einzigen Schuss abzufangen. Dafür haut sie sich zwei Dinger ins eigene Netz. Zum anderen aber ist Nicola für dieses Ergebnis verantwortlich. Sie entpuppt sich als halbprofessionelle Kickerin und ballert dem gegnerischen Team die Bälle nur so um die Ohren. Nur weil sie sich schließlich etwas zurücknimmt, kommt es überhaupt dazu, dass wir zwei Gegentore kassieren.

Pohlmeier, von der krassen Niederlage und seiner nutzlosen Teamgefährtin sichtlich genervt, fordert Revanche. Wir mischen die Teams neu, um mehr Gerechtigkeit herzustellen. Diesmal unterliegen Frank und ich den beiden anderen in einem hart umkämpften Spiel mit 10:8, was sogar Mechthild ein kleines Lächeln auf das erschöpfte Gesicht zaubert. „Das macht ja sogar Spaß“, sagt sie und wischt sich den Schweiß von den Pausbäckchen.

Obwohl Frank noch weiterkickern möchte - er würde wohl alles tun, um die Befragung noch mehr hinauszuzögern - machen wir uns schließlich einen Kaffee und setzen uns auf die roten Sofas. Erst jetzt fällt mir auf, was an diesem New-Economy-Raum nicht ins Bild passt: außer uns hängt niemand darin herum, um in entspannter Spielatmosphäre seiner Kreativität freien Lauf zu lassen. Die Mitarbeiter von Trixitech fühlen sich in der gegenwärtigen Wirtschaftslage wohl doch sicherer, wenn sie ihre Schreibtische nicht verlassen.

Nicola setzt ihre Brille auf und zückt das Notizbuch, ein eindeutiges Zeichen, dass wir nun zum offiziellen Teil unseres Besuchs übergehen. Ich sehe mit Bedauern, wie die eben noch erregt-erhitzten Gesichter unserer beiden Gegenüber sofort wieder einen reservierten, geschäftsmäßigen Ausdruck annehmen. Sie sind eben auch Profis.

„Was ist das eigentlich genau, was Sie hier machen?“, fragt Nicola.

„Eine Due Diligence“, antwortet Mechthild Rabe.

„Aha“, sage ich. „Vielleicht könnten Sie noch mal etwas näher ausführen, worum es dabei geht?“

„Es handelt sich um eine Prüfung, die vor einer Unternehmensübernahme gemacht wird. So eine Art Stärken-Schwächen-Analyse des Betriebs, der zum Verkauf steht“, erklärt Pohlmeier.

„Und wer hat Sie beauftragt, diese Untersuchung zu machen? Jemand von Trixitech?“

Er schüttelt den Kopf. „Nein, der Auftrag kommt immer vom kaufinteressierten Betrieb. Der möchte wissen, welche Risiken mit einem Kauf verbunden sind oder sein könnten. Aber Trixitech muss natürlich kooperieren, indem sie uns hier einen Raum einrichten, in dem wir alle Dokumente einsehen können, die für uns interessant sind.“

„Okay“, sage ich, noch immer nicht ganz sicher, ob ich richtig verstanden habe. „Trixitech wird also verkauft?“

„Steht zum Verkauf“, korrigiert er mich. „Ob der Kauf tatsächlich zustande kommt, hängt unter anderem davon ab, was in unserem Bericht steht.“

„Und wer ist nun also ihr Auftrageber?“, möchte Nicola wissen.

„Claxton Industries.“

Dieser Name sagt sogar mir etwas, denn Claxton ist einer der internationalen Giganten der Unterhaltungselektronik. Trixitech, erklärt Pohlmeier, produziere hochwertige Heimstereoanlagen, und diese Sparte sei für Claxton wohl ein vielversprechender Expansionspfad. Während er so plaudert, rutscht Mechthild Rabe angespannt auf dem Sofa herum. Es ist nicht zu übersehen, dass der Kollege für ihren Geschmack viel zu offen über die Einzelheiten ihres Arbeitsauftrags plaudert.

Nicola bohrt ungerührt weiter. „Was wird denn in ihrem Bericht stehen? Welche Risiken birgt der Kauf von Trixitech?“

Pohlmeier holt Luft, um zu einer Antwort anzusetzen. Aber bevor er weiterquasseln kann, schaltet sich Mechthild ein. „Erstens“, sagt sie, „gibt es noch gar keinen Bericht. Bisher haben wir nur das Material zusammengetragen, zum Teil gesichtet und uns Notizen gemacht. Zweitens, selbst wenn der Bericht fertig ist, kann nur unser Auftraggeber entscheiden, wer ihn einsehen darf.“

Wir versuchen noch ein paar Fragen zu Trixitech und dem Verkauf, aber Mechthild hat jetzt das Zepter sicher in der Hand und schmettert alles mit solcher Entschiedenheit ab, dass wir uns damit abfinden müssen, hier erstmal nicht weiterzukommen.

Ich wechsle also das Thema. „Wie verstanden Sie sich denn mit ihrem Chef?“

„Sehr gut“, sagt Rabe. Für mein Gefühl kommt die Antwort ein bisschen zu schnell. „Herr Dr. Zeisler war einer der besten Unternehmensrechtler Deutschlands.“

Pohlmeier sagt nichts. Er dreht an dem dicken Siegelring an seinem Finger.

Nicola klopft vielsagend mit dem Ende des Kugelschreibers auf ihr Notizbuch. „Herr Pohlmeier?“

„Na ja“, bringt er schließlich heraus, „besser, sie erfahren es von mir als von jemand anderem ...“ Sein Seitenblick auf Rabe macht deutlich, von welchem anderen wir etwas erfahren könnten.

„Also?“, ermutige ich ihn, als seine Rede wieder stockt.

„Ich habe mich am Sonntagabend mit Zeisler gezofft. Er hat erwartet, dass wir rund um die Uhr fürs Büro zur Verfügung stehen, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Schon vorher habe ich ab und zu Probleme mit ihm deswegen gehabt. Ich sage nicht, dass ich jeden Abend um fünf nach Hause gehen will, aber zumindest die Wochenenden möchte ich schon frei haben - schließlich habe ich ja auch noch ein Privatleben.“

„Am Sonntag ist dieser Streit also eskaliert?“

„Ja. Samstag waren Zeisler, Mechthild und ich von früh morgens bis um 23 Uhr hier. Gestern hat er uns auch wieder einbestellt. Die ganze Zeit saßen wir im Datenraum, ohne Licht und frische Luft. Nicht mal eine Zigarettenpause hat Zeisler mir erlaubt. Um 20 Uhr hatte ich eine der Akten fertig durchgesehen und habe angefangen, meinen Laptop zusammenzupacken. Er sagt: ’Was machen sie da, Herr Pohlmeier?’ Ich sage: ‚Ich gehe nach Hause.’ Da schreit er mich an, wann ich nach Hause ginge, dass entscheide immer noch er, es wären noch genügend weitere Schriftstücke im Raum, um mich für die ganze Nacht zu beschäftigen. Er war immer so, der Zeisler, super unhöflich und jähzornig. Da ist mir der Kragen geplatzt, ich habe zurückgebrüllt. Dass er ein lausiger Chef ist, ein Arschloch und Menschenschinder und so weiter. Lauter Sachen, die man zu seinem Chef nicht sagen sollte, schon gar nicht zu so einem wie Zeisler. Dann bin ich rausgelaufen, in mein Auto gestiegen und nach Hause gefahren.“

„Haben Sie danach noch etwas von Zeisler gehört?“

„Nein, das war auch nicht nötig. Mir war klar, dass das mein letzter Arbeitstag bei Zeisler, Knopf & Partner gewesen war. Er hätte mich gefeuert, daran gibt es keinen Zweifel. Heute bin ich nur hergekommen, um mich zu entschuldigen und zu betteln, dass er mir trotzdem ein vernünftiges Arbeitszeugnis schreibt. Sonst hätte ich in Bielefeld nie wieder eine Stelle in einer Kanzlei gefunden. Hätte er aber wahrscheinlich nicht gemacht, selbst wenn ich auf Knien zu ihm gerutscht wäre.“

Nicola und ich wechseln einen Blick. Für Frank Pohlmeier kam Zeislers Tod also gerade rechtzeitig als Rettung vor dem Jobverlust. Immerhin legt er die Karten offen auf den Tisch - aber vielleicht auch nur, damit wir die Geschichte nicht aus Mechthilds Mund hören. Ich frage nach seinem Alibi.

„Jetzt glauben Sie natürlich, ich hätte ihn umgelegt, aus Wut.“ Er will uns seine Intelligenz demonstrieren, zeigen, dass er durchschaut, wie wir denken. „Habe ich aber nicht. Nur bestätigen kann das auch niemand. Ich bin von Trixitech direkt nach Hause gefahren, habe mich vor den Fernseher geworfen und ein paar Gläser Wein getrunken. Dann bin ich ins Bett gegangen, um zehn oder halb elf. Ich war einfach fertig, ich wollte nur noch schlafen.“

Nicola möchte von Mechthild Rabe wissen, was nach Pohlmeiers Abgang passierte.

„Herr Dr. Zeisler und ich haben weitergearbeitet, und zwar noch bis um kurz nach ein Uhr nachts.“

„Sie haben ihren Kollegen also nicht unterstützt bei seiner Rebellion gegen den Chef ?“, frage ich.

Sie guckt mich verdutzt an. „Natürlich nicht. Ich habe kein Problem mit meiner Arbeit. Wenn man einen Job in einer renommierten Kanzlei annimmt, dann weiß man, was einen erwartet in Bezug auf lange Arbeitszeiten, Stress und beeinträchtigtes Privatleben. Dafür verdient man gut und hat Chancen auf eine anständige Karriere. Ich habe mich dafür entschieden und akzeptiere die Nachteile. Wenn Frank mit seiner Berufswahl hadert, dann ist das sein Problem, er muss die Konsequenzen tragen - ich muss mich damit nicht solidarisieren.“

Pohlmeier schnauft geringschätzig, aber ihrer Position kann man eine gewisse Logik nicht absprechen. Er sagt, ‚Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass’, und sie meint, ‚wer A sagt, muss auch B sagen’. Ich verstehe seine Frustration und habe Sympathie für sein Aufbegehren, aber letztendlich beeindruckt mich ihre Konsequenz mehr.

„Um kurz nach eins sind Sie zusammen mit Zeisler gegangen?“, setzt Nicola die Befragung fort.

„Ja, eben“, mischt sich Pohlmeier ein, „wie bist du denn überhaupt nach Hause gekommen? An den anderen Tagen habe ich dich ja immer in meinem Auto mitgenommen. Bist du etwa mit Zeisler gefahren?“

So läuft der Hase also, denke ich. Pohlmeier ist ein kleiner Stinker, der seiner Kollegin die kritischen Bemerkungen über seinen mangelnden beruflichen Ergeiz nun damit heimzahlen möchte, dass er sie uns als Verdächtige hinstellt.

Mechthild Rabe bleibt cool und verzieht keine Miene. „Nein, Dr. Zeisler fuhr ja nach Hause nach Oerlinghausen und ich musste nach Bielefeld zurück. Ich habe mir ein Taxi gerufen. Das hat mich so gegen halb zwei hier abgeholt.“

Nicht sehr nett von Zeisler, dass er keinen kleinen Schlenker durch Bielefeld machen konnte, um seiner Mitarbeiterin nach einem langen Arbeitstag die Heimfahrt zu erleichtern. Aber nach allem, was wir bisher über ihn erfahren haben, wundert es mich wenig. Ich notiere Taxibetrieb und Uhrzeit - wenn sie die Wahrheit sagt, werden wir diese Fahrt ohne Probleme zurückverfolgen können.

„Als mein Taxi kam, war Dr. Zeisler übrigens noch im Gebäude“, fügt sie dann noch hinzu. Das ist das erste Häppchen an Information, das sie uns liefert, ohne direkt danach gefragt worden zu sein. „Denn als wir den Datenraum gerade verlassen wollten, kam Rainer Schulz-Franke herein, und die beiden fingen an, sich zu unterhalten.“

„Wer ist das denn?“, frage ich, einigermaßen verblüfft darüber, wie viele Leute sich spät in der Nacht noch in dieser Firma herumgetrieben haben.

Mechthild Rabe erklärt, Rainer Schulz-Franke sei der Gründer und Besitzer von Trixitech.

„Worüber hat er mit Zeisler gesprochen?“, fragt Nicola.

„Ach, dies und das“, antwortet Rabe ausweichend. Plötzlich ist ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit wieder verschwunden. „Wie die Arbeit voranginge und so weiter. Ich habe nicht viel von dem Gespräch mitbekommen, denn mein Taxi kam, und ich bin raus.“

Ich sehe, wie Nicola diese Aussage in ihrem Notizbuch vermerkt und doppelt unterstreicht. Damit wäre der Besitzer von Trixitech der letzte Mensch, von dem wir wissen, dass er Zeisler in der vergangenen Nacht noch lebend gesehen hat.

In diesem Moment richtet Pohlmeier, der uns gegenüber sitzt, seine Augen auf einen Punkt hinter unseren Köpfen und flüstert: „Wenn man von Teufel spricht ...“

Wir wenden uns um. Tatsächlich hat der Mann, der gerade den Raum betreten hat, etwas Merkwürdiges, irgendwie Unheimliches an sich. Auf den ersten Blick gleicht er eher einem Clown als Luzifer - in Hawaiihemd und gelben Jeans sieht er aus, als sei er gerade aus einem Farbkasten geklettert. Aber bei näherem Hinsehen will das fahle, eingefallene Gesicht über dem kreischend bunten Hemd so gar nicht zu der Lockerheit passen, die die Aufmachung wohl suggerieren soll. Die Haut des Mannes wirkt spröde und ledern, das quietschblaue Jackett, das er über die Schultern geworfen hat, schlottert um den ausgemergelten Körper - ein irritierendes Kontrastbild zu der Wurstpelle, in der Mechthild Rabe uns entgegengetreten ist.

„Ich heiße Sie herzlich willkommen in meiner Firma“, ruft er mit einer hohen Fistelstimme und eindeutig aufgesetztem Enthusiasmus. „Natürlich wäre es mir lieber gewesen, Sie hätten mich direkt über Ihren Besuch informiert, statt dass ich davon über meinen Pförtner erfahren muss. Wer hat schon gern die Polizei im Haus, selbst wenn sie in so angenehmer Erscheinung auftritt.“ Er lächelt süßlich.

Nicola steht auf. Ich bleibe sitzen.

„Herr Schulz-Franke, nehme ich an“, sagt sie. „Gut, dass Sie zu uns kommen, wir hätten Sie sonst auch gleich aufgesucht. Uns ist da nämlich gerade ein interessantes Detail zu Ohren gekommen ...“

Sie erklärt Schulz-Franke, warum wir hier sind. Sein Gesicht zeigt erst einen Zug von Erleichterung, der aber zunehmend in Besorgnis umkippt. Seine falsche Freundlichkeit ist wie weggeblasen. Nur widerwillig nimmt er, Nicolas Aufforderung folgend, Platz auf einem der roten Sofas. Rabe und Pohlmeier verlassen uns in Richtung Datenraum.

„Ich hoffe, dass Sie Ihre Arbeit hier trotzdem noch ernst nehmen!“, ruft Trixitechs Firmenchef den beiden nach, seine Stimme überschlägt sich fast. Zu uns gewandt fügt er hinzu: „Nicht, dass es jetzt ewig dauert, bis die Due Diligence abgeschlossen ist.“

„Sie haben wohl keine Zeit zu verlieren mit dem Verkauf“, merkt Nicola an.

Er ruckelt am Hawaiihemdkragen, bis der in aufrechter Position steht. Dann sagt er von oben herab: „So einen Firmenverkauf macht man nur einmal im Leben. Wenn da mittendrin der wichtigste Paragraphenreiter stirbt, ist das für mich ausgesprochen unangenehm.“ Zumindest hält sich Rainer Schulz-Franke nicht mit Gefühlsduselei oder gespielter Betroffenheit auf.

Ich sage: „In diesem Fall ist der Anwalt aber nicht einfach gestorben, sondern umgebracht worden. Und Sie scheinen der Letzte zu sein, der ihn gestern Nacht noch lebend gesehen hat.“

„Ich mag der Letzte sein, von dem Sie wissen, dass er Zeisler gesehen hat“, sagt er spitzfindig, „aber das liegt nur daran, dass Sie noch nicht genug gesucht haben. Mein Vorschlag: Sie machen sich an die Arbeit, anstatt Ihre und meine Zeit mit diesem sinnlosen Besuch zu vergeuden.“

Nicola kritzelt kleine geometrische Figuren in ihr Büchlein. Die hochnäsige Art von Schulz-Franke geht ihr genauso auf die Eier wie mir, und sie macht keine Anstalten, das zu verbergen. „Wissen Sie was?“, sagt sie. „Genau das tun wir hier - unsere Arbeit. Und sagen Sie uns noch eins: Ist das normal, dass Sie um fast zwei Uhr nachts noch hier in der Firma sind?“

Die Frage ist leider ein Eigentor, an seinem zufriedenen Gesichtsausdruck sehe ich, dass er auf sie geradezu gehofft hat.

„Das ist durchaus normal. Als Firmenchef hat man nämlich keine geregelten Arbeitszeiten. Leute wie Sie können sich gar nicht vorstellen, wie das ist, am laufenden Band 16-Stunden-Tage zu schieben. Ach, was sage ich, locker auch mal 20 Stunden und mehr ... Aber ohne das kommt eine Firma nicht auf die Beine. Unternehmertum und Opferbereitschaft, diese zwei Worte sollten sich eigentlich reimen ...“

Die geballte Ladung Selbstzufriedenheit macht uns für einen Moment sprachlos. Es entsteht eine Pause, in der wir uns beide erst mal fassen müssen. Mit Trimmer passiert mir das nie. Wenn ich mit ihm Zeugen vernehme fallen wir, ohne das absprechen zu müssen, in ein Good-Cop-Bad-Cop Muster. Wir ticken einfach so fundamental unterschiedlich, dass die Sympathien ganz von allein entgegengesetzt verteilt sind und keiner von uns für seine Rolle viel schauspielerisches Talent benötigt. Mit Nicola fehlen mir diese elementaren Gegensätze der Persönlichkeit. So angenehm das in anderer Hinsicht ist - die Befragung macht es nicht unbedingt leichter.

Jetzt zum Beispiel habe ich das Gefühl, ein bisschen gegensteuern zu müssen, und versuche es mal mit Freundlichkeit. „Dann sind Sie ja sicher froh, dass Sie durch den Verkauf der Firma bald mehr Freizeit haben werden“, säusele ich, „und die Früchte ihrer harten Arbeit endlich genießen können.“ Als der Satz raus ist, bin ich ein bisschen besorgt, ob ich zu dick aufgetragen habe, aber Schulz-Franke ist viel zu stolz auf sich, um Ironie zu wittern.

„Oh ja“, sagt er. „Nicht nur mehr Freizeit, sondern auch ein paar Millionen mehr auf dem Konto. Um fair zu sein, muss man sagen, dass sich das Leute wie Sie natürlich auch nicht vorstellen können.“ Er erwartet nicht, dass wir in sein Lachen einfallen. „Ich werde die Sonnenuntergänge auf Barbados genießen, während Sie sich vielleicht mal eine Woche Sommerferien auf Wangerooge leisten können. Das nennt man ausgleichende Gerechtigkeit.“

Nicola versucht, das Gespräch wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. „Worüber haben sie gestern Nacht mit Hans-Hermann Zeisler gesprochen?“

„Über nichts. Das war nur ein bisschen Smalltalk, zur Beziehungspflege. Ich habe mich erkundigt, wie die Arbeit läuft, wann sie fertig sein wird. Ob sie alles haben, was sie für einen zügigen Abschluss brauchen und so weiter.“

„Und?“

„Er hat gesagt, dass sie bis Mittwochabend fertig sind. Außerdem hat er meine ausgezeichnete Buchführung und die Firmenstruktur gelobt. Herr Zeisler war ja ein erfahrener Anwalt, der hat Qualität erkannt, wenn er sie gesehen hat.“ Dieser Pfau denkt jetzt natürlich, er könne uns alles Mögliche erzählen über Zeislers angebliche Lobeshymnen, schließlich war niemand bei dem Gespräch dabei. „Gegen zwanzig vor zwei ist Zeisler dann gegangen“, schließt er. „Und ich zehn Minuten später.“

„Kann das jemand bezeugen? Ihr Pförtner?“

„Mein Pförtner hat um 23 Uhr Dienstschluss“, sagt Schulz-Franke. „In dieser Firma ist der Chef immer der Letzte, der das Haus verlässt.“

„Wo hast du so Kickern gelernt?“, frage ich Nicola draußen. „Das war ganz große Klasse.“

„Großer Bruder mit vielen coolen Freunden.“ Sie grinst. Das Kompliment ist gut angekommen. „Einer von denen hatte einen Kicker im Keller.“

„Hmm“, sage ich. Ich kann mir vorstellen, dass Nicola eine nette Attraktion für die coolen Freude ihres Bruders war. Auf der Rückfahrt zum Polizeipräsidium setze ich sie am Kindergarten ihrer Tochter ab, denn es ist spät geworden.

Müller und Trimmer sind noch im Büro. Trimmer sitzt mit zufriedenem Gesichtsausdruck vor seinem Rechner, anscheinend hat er etwas entdeckt, was ihm Freude macht. Das verheißt nichts Gutes. Müller erzählt mir, dass Jutta Glembowski in der Zwischenzeit in der Gerichtsmedizin war und die Leiche ihres Mannes identifiziert hat.

“Ich habe das zum Anlass genommen, mal ein bisschen den Hintergrund der Frau zu checken“, schaltet sich Trimmer ein, der jetzt seinen Trumpf ausspielen will. „Sie hat uns doch erzählt, sie würde keiner beruflichen Tätigkeit nachgehen. Dabei hat sie uns ein sehr interessantes Detail aus der Vergangenheit verschwiegen: Jutta Glembowski - damals hieß sie noch Jutta Sattelbach - hat eine Schauspielausbildung gemacht und auch ein paar Jahre als Schauspielerin gearbeitet. Natürlich hatte sie nur mäßigen Erfolg - wer sollte die auch im Fernsehen angucken wollen - und hat dann hauptsächlich als Synkronsprecherin gearbeitet. Mit ihrer Heirat hat sie auch das aufgegeben, vor fast 20 Jahren.“

„Na und?“, frage ich. „Ist das verboten?“ Besonders beeindruckend finde ich Trimmers Erkenntnisse nicht. „Die Filme muss ich mir mal angucken“, sage ich zu Müller. „Die Stimme dieser Frau ist einfach eine Wucht. Wenn sie bei einer Telefonsexagentur arbeiten würde, wäre ich Stammkundin ...“

Trimmer unterbricht mich. Er ist unzufrieden, dass mich seine Auskünfte so wenig verstört haben. „Worauf ich hinaus will: die Show, die sie heute Morgen abgezogen hat, war ja ganz eindrucksvoll, und als sie heute Nachmittag hier war, hat sie noch mal einen draufgelegt. Der gute Doktor Brandner war so gerührt, dass er selbst fast geheult hätte. Aber wir sollten nicht vergessen, dass das alles vielleicht doch nur ein gut gespieltes Theaterstück ist.“

Ich frage, ob er wenigstens zu Glembowski und Zeisler irgendetwas Interessantes herausgefunden hat. Er schüttelt den Kopf. „Beides völlig unbescholtene Bürger, wie es aussieht. Wir haben nichts über sie vorliegen.“

„Was ist mit dem Lehrling Joachim?“

„Joachim von Stritzki. Selbst die Klempner sind heutzutage schon adlig ... Zu dem habe ich noch nicht viel. Der Kollege, der den Selbstmord damals untersucht hat, ist gerade auf Fortbildung außerhalb von Bielefeld.“

Müller schnauft ärgerlich. „Diese ewigen Fortbildungen machen nichts als Schwierigkeiten.“

„Müller, Müller“, sage ich. „Für so ein Statement könnte ich dir die Gewerkschaften auf den Hals hetzen. Fortbildung unser Recht und unsere Pflicht, so steht es in der Dienstordnung.“

„Pass bloß auf“, sagt er, „sonst lernst du mich noch von einer ganz anderen Seite kennen.“

Das sagt Müller immer, wenn ich ihn aufziehe. Aber es wirkt nicht, weil ich weiß, dass er keine andere Seite hat, vor der ich mich fürchten müsste.

„Ein paar Fakten habe ich aus den Akten“, fährt Trimmer fort. „Joachim von Stritzki hat sich am 3. September erhängt. Er wurde von seinem Bruder gefunden, in einer Fabrikruine in einem alten Industriegebiet. Er war 19 Jahre alt, letzte Woche hätte er seinen zwanzigsten Geburtstag gehabt. Am Mittwoch kommt der Kollege zurück, dann werden wir mehr wissen. Ich habe schon organisiert, dass er dann mit einem von uns rausfährt zu der Fabrik.“

„Wer ist der Kollege?“, frage ich.

„Banse“, sagt Trimmer. „Ich dachte, vielleicht könnte Nicola das machen? Dann lernt sie Gottfried gleich ein bisschen kennen ...“ Er guckt schief und ein wenig unterwürfig zu Müller herüber.

Guter Versuch, aber darauf wird Müller nicht anspringen. Ich schlage die Augen nieder und untersuche mit meinem Finger ein kleines Loch in meinem rechten Hosenbein, als hätte ich es gerade erst entdeckt. In Wirklichkeit ist es dort schon, seit ich diese Hose habe. Gottfried Banse ist ein freundlicher älterer Kollege, bekannt als gewissenhafter Ermittler, der jedes Staubkörnchen von oben und unten betrachtet, bevor er seine Schlüsse zieht. Im Grunde ist es für uns ein Glücksfall, dass er Joachims Fall untersucht hat. Leider ist Banse aber außerdem ein ausgemachter Schwätzer. Wenn man ihn zufällig auf dem Flur trifft, sollte man alle weiteren Verpflichtungen für den Tag um mindestens zwei Stunden verschieben. Wer mit Banse auf eine Tatortbesichtigung fährt, sollte lieber Ohropax einpacken, um keinen permanenten Gehörschaden durch Überlastung zu riskieren.

Müller lacht. „Wenn ihr glaubt, dass ich Nicola ins offene Messer laufen lasse, dann habt ihr euch getäuscht. Hannah?“

Ich blicke auf und versuche auszusehen, als hätte ich keinen Schimmer, worum es gerade geht.

„Ich weiß, wie sehr dich Gottfried schätzt“, sagt Müller. „Fahr du mit ihm.“ Er grinst. Jetzt hat er doch noch seine kleine Rache für meine Bemerkung zu den Gewerkschaften.

Trimmer grinst auch, weil es ihm doch noch gelungen ist, mich zu ärgern.

„Vielleicht macht Banse ja eine Fortbildung zur effizienten Kommunikation mit Kollegen und am Mittwoch kommt alles ganz anders, als ihr denkt“, sage ich. Aber glauben tue ich das selbst nicht.

In Sippenhaft

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