Читать книгу Schwarze Perlen - Ein Fall für Klara und Ernst - Annette-Josefine Fischer - Страница 8

Märchen aus Tausendundeiner Nacht

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Toni Hustert warf sein Sakko in den Sessel und ließ sich auf sein Bett fallen. Er blickte auf einen beleuchteten Sternenhimmel, auf lange purpurne Vorhänge und auf kunstvolle Wandbilder aus Mosaik.

Die Einrichtungsgegenstände entsprachen alter orientalischer Kunst, mühevoll nachgebildet. Trotzdem hatte er in seiner Kabine das Gefühl, in einem Tingeltangel-Laden zu sein: Das war überhaupt nicht seine Welt. Aber was tut man nicht alles für eine Frau, für seine Frau! Inzwischen war er sich sicher, dass diese Ehe der größte Fehler in seinem Leben gewesen war. Mit eisiger Verachtung, betrachtete er das Bild von Laura, das er sich auf den Nachttisch gestellt hatte. Dann streifte er seine Schuhe von den Füßen und schleuderte sie quer durch die Kabine. Er hatte einen Plan, ja, einen guten Plan. So einfach würde sie ihm nicht davonkommen. Frauen – was sind das doch manchmal für einfältige, leicht zu durchschauende Geschöpfe! Er musste damals mit Blindheit geschlagen gewesen sein. Nein, niemals wieder in seinem Leben würde ihm so ein Fehler unterlaufen. Toni Hustert raffte sich auf und ging ins Bad, um sich frisch zu machen.

Währenddessen betrat Klara Wellinghaus ihre Kabine und drückte dem Steward ein Geldstück in die Hand, nachdem er das Gepäck abgestellt hatte.

„Danke sehr! Es ist ja traumhaft schön hier.“ Klara ließ ihren Blick über das Mobiliar schweifen und hielt inne.

„Nein, da steht ein Himmelbett! Oh und die Kabine ist viel größer, als ich dachte“, sprudelte es aus ihr heraus.

„Dann wünsche ich Ihnen einen angenehmen Aufenthalt und schauen Sie sich auch das Bord-Programm an, ich bin mir sicher, es ist auch etwas für Sie dabei.“

Der Steward lächelte und deutete mit einer leichten Handbewegung auf den kleinen Sekretär, der neben dem Bett stand. Klara betrachtete den netten, jungen Mann mit dem dunklen Haar, welches adrett gescheitelt war.

„Wenn Sie noch Fragen haben oder ein Problem auftaucht, mein Name ist Marc. Sie können mich jederzeit gerne ansprechen.“

Klara nickte dankbar. Ihr fiel das kleine Grübchen auf seinem Kinn ins Auge, was ihn ihr sehr sympathisch machte.

„Danke, Marc, wie freundlich von Ihnen! Aber sagen Sie, was ist das hier für eine Tür hinter dem Vorhang?“

Klara hatte ihre Frage noch nicht ganz ausgesprochen, da drückte sie auch schon energisch die Türklinke hinunter und ehe der Steward antworten konnte, stand sie bereits in der benachbarten Kabine. Peinlich berührt blickte sie auf einen ihr wohlbekannten Mann, der gerade dabei war, seine Koffer auszupacken.

„Ernst! Ja aber was machst du denn hier?“

Etwas verlegen stand sie auf der Schwelle und wusste nicht, ob sie jetzt laut lachen oder mit Ernst schimpfen sollte.

„Ist etwas nicht in Ordnung?“, fragte der Steward, der jetzt direkt hinter Klara stand und verwirrt zu Ernst blickte.

„Oh nein, junger Mann. Es ist alles wunderbar, genau so, wie ich es gebucht hatte. Alles bestens, vielen Dank, Herr – äh? …“

„Marc, ich bin der für Sie zuständige Steward.“

Klara lachte leise in sich hinein und der Steward verließ erleichtert die Kabine. Das sah Ernst wieder ähnlich. Sie war nun schon sehr gespannt darauf, was er diesmal wieder für eine Begründung präsentieren würde.

Ernst fing ihren Blick auf und hatte ihre Gedanken erraten. Es folgte eine ellenlange Ausführung über die Gefahren, die auch an Bord eines Kreuzfahrtschiffes lauern könnten und dass er auf keinen Fall irgendein Risiko eingehen wollte. Diese Verbindungstür sei wichtig, versuchte er ihr zu versichern, schließlich müsse er sofort zur Stelle sein, falls es ihr nicht gut ginge … Klara stöhnte.

Plötzlich ertönte die Stimme des Kapitäns im Lautsprecher.

Kapitän Helge Brunswiek gab den Befehl zum Ablegen. Die Reise begann. Wie auch Ernst, trat Klara auf den kleinen Balkon und blickte auf die Kulisse des Hamburger Hafens. Das Typhon gellte, es ging ihr durch Mark und Bein. Die Golden Suleika glitt leise und elegant zur Elbmündung und die warme Abendsonne leuchtete in den schönsten Rottönen am Horizont.

„Guten Abend, so sieht man sich wieder!“

Klara zuckte zusammen und blickte erschrocken auf den jungen Mann, der auf dem benachbarten Balkon stand und sie mit einem triumphierenden Lächeln betrachtete.

Klara räusperte sich und entgegnete schlagfertig: „Solange Sie mich nicht von Bord schubsen, ist ja alles in Ordnung. Ich wollte diese Reise eigentlich heil überstehen.“

Ernst zwang sich zu einem Lächeln und nickte kurz herüber. Damit war für Toni Hustert klar, dass das Gespräch für ihn beendet war.

„Schau mal, Klara, morgen um 20:00 Uhr ist ‚Captain’s Dinner‘. Das wäre für mich auch eine Premiere. Hier steht: Wir erwarten Sie am Eingang des Musiksalons auf Deck 10.“ Erwartungsvoll überreichte er Klara den Handzettel mit dem Programm des kommenden Seetages.

„Ach, so weit bin ich noch gar nicht. Ich bin erstmal froh, wenn wir heute Abend überhaupt das Restaurant finden“, antwortete Klara, während sie versuchte, ihre Frisur zu richten. Sie betrachtete sich im Spiegel und war ganz zufrieden mit ihrer Erscheinung. Das dunkelblaue Twinset mit der Kette aus Sterlingsilber war genau die richtige Kleidung für ein Abendessen.

„Meine Nachbarin hat mir gesagt, es wäre wichtig, rechtzeitig im Restaurant zu erscheinen. Wir sollten gleich aufbrechen, was meinst du?“

Ernst saß noch immer auf dem Balkon und blickte auf das wunderschöne Elbufer. Er nickte zustimmend und erhob sich gequält aus dem Stuhl. Er strich sich sein Sakko mit dem Pepitamuster zurecht und betrat Klaras Kabine.

„Wie gefällt dir die Kabine, bist du zufrieden?“

„Na, was für eine Frage! Es ist traumhaft schön hier, alles im orientalischen Stil. Wenn man da nicht gut schlafen kann? Ich bin schon ganz gespannt auf die Besichtigungstour morgen. Ich glaube wir werden einige Zeit brauchen, bis wir uns hier zurechtfinden. Das ist ja ein unglaublich großes Schiff.“

Klara zupfte ein letztes Mal an ihrer Jacke und nickte dann Ernst zu: „Komm, wir können gehen.“

„Ja, lass uns erstmal den Gang nach links zur Lobby nehmen, dann können wir das Restaurant einfacher finden“, sagte Ernst und schloss die Kabinentür.

Auf dem weichen royalblauen Teppich lief Klara wie auf Wolken. Der schmale Gang, mit den beleuchteten Gemälden mit orientalischen Motiven, wirkte wie ein Geheimgang in einem Palast. Klara begann ihren Urlaub zu genießen. Schließlich erreichte sie mit Ernst die Lobby, die sich über drei Etagen erstreckte. Gläserne Fahrstühle fuhren an der überdimensional großen Katzengöttin Bastet entlang ins Erdgeschoss. Indirekte Beleuchtung und Fackelimitate ließen die Lobby in unglaublichen Farben erstrahlen. Altägyptische Malereien zierten die Wände. Klara hatte das Gefühl, in einem Traum zu sein. Minutenlang stand sie da neben Ernst und konnte kein Wort sagen.

Erst das Rascheln von Ernsts Faltplan riss sie aus ihren Gedanken.

„Hast du so etwas schon einmal gesehen, Ernst?“

„Nein, Klara, es ist wunderbar. Ein wirkliches Erlebnis. Witzig nicht, die Menschen sehen von hier aus wie Ameisen.“

Ernst lachte und Klara freute sich sehr, ihren Freund hier an ihrer Seite zu haben. Sie blickte auf den Plan und sagte:

„Hier ist es, das Hauptrestaurant. Es geht über zwei Etagen. Wir müssen die Einkaufspassage entlanggehen und kommen automatisch darauf zu. Siehst du?“

Klara zeigte auf den grünen Punkt mit dem Pfeil, der auf das Restaurant hinwies.

Verwirrt von dem Labyrinth aus Fluren, Treppen und unzähligen Gängen erschienen Klara und Ernst endlich am Eingang des Restaurants, das den vielversprechenden Namen Marrakesh trug. Marrakesh, die Stadt, die Marokko ein Gesicht verlieh.

Ein Steward begrüßte sie freundlich und führte sie zu ihrem Tisch in einer kleinen Nische gegenüber von einem künstlichen Brunnen, der in bunten Farben leuchtete. Es waren noch zwei weitere Plätze eingedeckt, die bisher aber noch nicht belegt waren. Klara konnte einen wunderbaren, würzigen Geruch wahrnehmen, der erahnen ließ, was es hier für Köstlichkeiten zu essen gab.

„Tja, Klara, ich hoffe, wir bekommen angenehme Tischnachbarn, nicht wahr?“

„Ja, hoffentlich. Einen Tisch für zwei Personen scheint es hier nicht zu geben. Aber es ist ja auch eine gute Möglichkeit, andere Menschen kennenzulernen“, antwortete Klara, während sie Ernsts Gesichtszüge im fahlen Kerzenschein betrachtete. Was hatte sie doch für ein Glück, hier zu sein.

Ernst reichte Klara die Speisekarte und freute sich auf seine erste Mahlzeit an Bord. Klara war fasziniert von dem orientalischen Flair im Restaurant. Zahlreiche Bögen, Reliefs und Majolika-Kunstwerke gaben den Gästen das Gefühl, in einem fernöstlichen Paradies zu sitzen. Sprachlos blickte sie auf die Speisekarte, die ganz besondere kulinarische Genüsse zu bieten hatte. Hammelfleisch, Suppe mit Huhn, Pflaumen, Mandeln und Gemüse, Datteltörtchen und vieles mehr ließen ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen.

„Weißt du schon, was du nehmen möchtest, Ernst?“

„Nein, die Auswahl fällt mir ziemlich schwer, aber einen speziell zubereiteten Pfefferminztee sollten wir wirklich probieren.“

Ernst zwinkerte Klara zu.

In diesem Augenblick hörten sie die Stimmen von zwei sich streitenden Frauen, die zielsicher auf ihren Tisch zusteuerten.

„Evelyn, wie oft habe ich dir schon gesagt, dass rote Schuhe nicht zu dem rosa Kostüm passen. Man redet eben wie mit einem lahmen Gaul mit dir!“

Ein kühler Blick wandte sich Klara zu. Die Dame wechselte abrupt den Tonfall und begrüßte Ernst und Klara mit übertriebener Höflichkeit.

„Guten Abend. Wir möchten uns vorstellen. Ich bin Gerda von Barthausen und dies ist meine Schwester Evelyn.“

Sie strich mit einer charakteristischen Geste ihr schwarzes Etuikleid glatt und reichte Klara und Ernst ihre knochige Hand. Klara betrachtete die Schwestern, die sich sehr ähnlich sahen, bis auf die Tatsache, dass die eine groß und aristokratisch wirkte, während die andere eher klein und pummelig war. Auch schien das rosa Kostüm für eine Frau mit dieser Statur nicht die richtige Wahl gewesen zu sein.

„Sehr erfreut, Klara Wellinghaus, und das ist mein Freund Ernst Ostenhof.“

„Ha, Freund, wie aufregend!“ Evelyn von Barthausen verdrehte ihre Augen und kicherte. Trotz ihres fortgeschrittenen Alters hatte Klara das Gefühl, ein kleines naives Mädchen vor sich zu haben.

„Evelyn, bitte!“

Gerda von Barthausen funkelte ihre Schwester mit einem bedrohlichen Blick an, während sie sich setzten, und fuhr dann fort: „Ach, wissen Sie, meine Schwester Evelyn hat manchmal einen recht flachen Humor. Sie dürfen sich nichts dabei denken!“

Klara beobachtete, wie Evelyn von Barthausen errötete und verlegen auf ihren Platzteller blickte. Sie wunderte sich sehr, dass diese so gegensätzlich veranlagten Schwestern eine gemeinsame Reise unternahmen, bei der sie kaum Gelegenheit haben würden, sich aus dem Wege zu gehen. Denn das war ein entscheidender Nachteil einer Schiffsreise, im Vergleich zu einem Urlaub an Land. Es gab Grenzen der Bewegungsfreiheit. Diese Einschränkung war für Klara aber, bei einem Schiff dieser Größe, überhaupt kein Problem.

Das Menü wurde serviert und glücklicherweise waren alle so sehr mit dem Essen beschäftigt, dass ein Gespräch gar nicht erst aufkommen musste. Nach etwa einer Stunde kam der Steward und räumte die Teller ab. Nur Evelyn von Barthausen war noch immer mit ihrem Rotbarsch beschäftigt und sortierte akribisch Gräte für Gräte auf dem Tellerrand.

„Ist das Ihre erste Kreuzfahrt?“, fragte Ernst, der offensichtlich auch bemerkt hatte, dass ein harmonisches Tischgespräch nur unter erschwerten Bedingungen stattfinden konnte.

„Ja, das ist es. Es war natürlich meine Idee. Evelyn würde so etwas ja nie vorschlagen. Wie könnte sie auch.“

Gerda von Barthausen lächelte dünn und legte ihre Serviette an die Seite. Sie schien offensichtlich einen Widerspruch zu erwarten, aber Klara lenkte das Gespräch geschickt in eine andere Richtung.

„Das ist es für uns auch. Ich war nur sprachlos darüber, was man an Bord dieses Schiffes für Geschäfte und Lokalitäten vorfindet. Ich habe so etwas noch nie gesehen. Es ist ja wie eine richtige schwimmende Stadt, finden sie nicht auch?“

„Ja, ich finde es so aufregend. Die vielen Boutiquen und Geschäfte. Ich werde gleich morgen nachsehen, ob etwas für mich dabei ist“, sprudelte es aus Evelyn von Barthausen heraus, die einen sehr redseligen Eindruck machte.

„Ach Evelyn“, versuchte Gerda von Barthausen die beginnende Redeflut ihrer Schwester einzuschränken, „du solltest jetzt besser mit deinem Menü fertig werden. Wie du siehst, wird schon das Dessert serviert.“

Am Nebentisch beobachtete Klara zwei Ordensfrauen, die sich angeregt unterhielten. Eine der Nonnen fiel ihr besonders auf, weil sie sehr groß war, eine ungewöhnlich tiefe Stimme hatte und ihre Begleitung wütend anzischte. Die zweite Ordensfrau war eine schmale hagere Gestalt, mit einem von Sorgenfalten geprägten Gesicht. Sie schien die Situation mit unauffälliger Überlegenheit zu beherrschen und antwortete mit einer flachen, ausdruckslosen Stimme. Klara konnte zwar nur Gesprächsfetzen verstehen, aber sie war sich sicher, dass das Thema keinesfalls etwas mit ihren Aufgaben als Ordensfrauen zu tun hatte.

Klara wandte ihren Blick wieder ihrem Tisch zu und war froh, als Ernst Anstalten machte, das Abendessen zu beenden. Sie wollte sich schließllich nicht die Urlaubsstimmung von diesen merkwürdigen Tischnachbarn verleiden lassen.

Schwarze Perlen - Ein Fall für Klara und Ernst

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