Читать книгу Aber ich bin doch selbst noch ein Kind! - Annette Weber - Страница 6

Оглавление

Schweigend gingen Laura und Coral neben- einander her. Jetzt, wo sie die Schule hinter sich gelassen hatten, ging es Laura schon besser. Nur ein Gedanke hatte sich fest in ihren Kopf gebohrt. Laura wusste nicht so recht, wie sie anfangen sollte. „Sag mal, Coral …“

„Hm?“

„… der Vitali hat da so einen blöden Spruch gemacht. Über schwanger sein und so.“

„Das ist doch ’n Vollidiot.“

„Klar.“ Laura sah auf ihre Schuhe. „Trotzdem muss ich immer dran denken.“

„Woran? An eine Schwangerschaft?“

Coral wurde hellhörig. Auf was wollte Laura jetzt hinaus?

„Meinst du, es könnte sein?“

„Quatsch!“ Coral wurde das Gespräch unheimlich. „Jedenfalls nicht, wenn du nicht mit jemandem rumgemacht hast. So haben sie es uns jedenfalls im Aufklärungsunterricht beigebracht.“ Coral kicherte, als sie an den Unterricht dachte. Herr Dinger hatte damals mit ziemlich verlegenem Gesicht ein Kondom über einen Besenstiel gezogen und sich dabei total einen abgebrochen. Schließlich hatte Sven die Sache übernommen. „Sonst kapiert das hier doch keiner“, hatte er gesagt.

Laura ging schweigend neben Coral her.

Das fiel Coral jetzt plötzlich auf.

„Oder hast du mit jemandem geschlafen?“ Coral fand die Frage fast überflüssig.

Laura hatte noch nie einen festen Freund gehabt. Sie war nur total auf diesen eingebildeten Jonas abgefahren. Aber mit dem war doch nichts gewesen. Nur ein bisschen Rumknutschen auf dem letzten Stadtfest.

Laura holte tief Luft.

„Ich hab mit jemandem geschlafen“, piepste sie jetzt.


Coral blieb auf der Stelle stehen.

„Bist du bescheuert? Mit wem?“

„Mit Jonas.“

„Ich fass es nicht. Wann denn? Wo denn?“ Coral konnte sich gar nicht wieder beruhigen. „Ach“, Laura winkte bedrückt ab. Es war nicht besonders toll gewesen, dieses erste Mal.

In der Bravo hatte es sich immer so romantisch angehört. Mit Blumenduft und Aromatee und Kuschelrock-CD und Streicheln und Küssen und „Ich liebe dich“ und so. Die Wirklichkeit war immer anders.

Die Wirklichkeit war „komm schon“ und „stell dich nicht so an“, und „was ist denn schon dabei“, und „ich pass schon auf“.

Dann dieser stinkende Gerümpelkeller in Jordans Haus. Und die Angst, dass jemand kommt. Oder dass es Spinnen oder Ratten gibt. Und dieses alte unbequeme Sofa, das so modrig roch. Und Jonas mit einer Alkoholfahne. Aber wenn sie nein gesagt hätte, wäre alles sofort wieder vorbei gewesen.

So allerdings hatte es auch nicht länger gehalten. Schon am nächsten Tag hatte Jonas gesagt, er müsste sich das alles noch mal überlegen. Und erst mal hätte er für ein Treffen keine Zeit. Klausuren und so.

„Laura!“ Coral hatte sie jetzt fest am Arm gefasst. „Du hast doch verhütet, oder? Dieser blöde Typ hatte doch wohl ein Kondom dabei, oder?“

Laura antwortete nicht. Die Angst schnürte ihr die Kehle zu.

Was, wenn sie wirklich schwanger war?

„Es kann eigentlich nicht sein“, murmelte sie. „Er hat gesagt, er passt auf, und …“

Coral schlug sich vor den Kopf. „Das darf doch nicht wahr sein! Aufpassen. Das steht ja wohl in jeder Bravo, dass man das nicht glauben kann. Und dann musst du doch auch wegen Aids … “

Jetzt wurde es Laura doch zu viel.

„Halt doch die Klappe!“, rief sie verzweifelt. Und jetzt drehte sich plötzlich wieder alles. So schnell, dass sich Laura an Coral klammerte.

„Komm, da vorne ist ’ne Bank.“

Coral führte ihre Freundin zu dem kleinen Park hinüber. Sie setzten sich. Coral legte ihren Arm um Laura.

„Süße. Laura! Beruhige dich! Und jetzt sag mal, wann das ungefähr war.“

„Sonntag nach dem Stadtfest. Am 9. Juni.“ Coral zog ihr Handy heraus und klickte den Kalender auf.

„9. Juni, heute haben wir den 15. August.“

Sie zog die Stirn kraus. „Hast du deine Tage bekommen?“

Laura schüttelte den Kopf.

Das Thema war ihr peinlich. Auch wenn sie mit Coral über alles Mögliche sprach, über ihren Körper redeten sie doch nicht so viel. „Scheiße!“ Laura schluckte. „Eins sage ich dir“, flüsterte sie. „Wenn ich schwanger bin, bring ich mich um.“


Am nächsten Morgen klingelte Lauras Wekker schon um halb sechs. Aber das wäre gar nicht nötig gewesen. Laura hatte sowieso kein Auge zugemacht. Leise stand sie auf, schlich zu ihrer Schreibtischschublade und holte den Schwangerschaftstest hervor.

Frau Rodriguez, Corals Mutter, hatte ihn ihr gestern geschenkt, nachdem Coral sie in das Geheimnis eingeweiht hatte.

„Ich habe immer einen da“, hatte sie gesagt. „Falls sich noch mal ein neuer Rodriguez ankündigt.“

„Mama!“, hatte Coral geschrien. „Bist du verrückt? Doch nicht noch einer!“

Und Frau Rodriguez hatte sich geschüttelt vor Lachen.

Laura beneidete Coral oft um ihre Mutter.

Sie war dick, warmherzig und immer fröhlich. Ihre eigene Mutter war viel komplizierter. Besonders nach der Trennung von Lauras Vater hatte sie viel geweint und war unglücklich gewesen. Und als dann Tobias, Lauras 10-jähriger Bruder, zum Vater in eine andere Stadt gezogen war, war sie kaum noch zu ertragen gewesen – immer traurig und schlecht gelaunt. Aber dann hatte sie Heinz kennen gelernt und sich in ihn verliebt. Und seit drei Monaten lebte dieser Heinz jetzt bei ihnen in der Wohnung. Seitdem war ihre Mutter fast so wie früher. Glücklich und vergnügt.

Nur Laura fand es jetzt ungemütlich.

Sie mochte diesen Heinz nicht so gerne.

Er war ein ziemlicher Wichtigtuer. Außerdem war es komisch, einem fremden Mann in der Wohnung zu begegnen.

Der Test war ein Urintest, den man nur vor dem Frühstück durchführen sollte.

Laura hatte alles dafür bereitgelegt. Ein altes sauber gespültes Marmeladenglas, den Teststreifen und die genaue Beschreibung.

Sie nahm das Glas und ging damit auf die Toilette. Beim Wasserlassen fing sie etwas Urin mit dem Glas auf und tauchte den Streifen in die Flüssigkeit. Jetzt musste sie fünf Minuten warten.

Fünf Minuten.

Eine Ewigkeit.

Eine Zeit, in der das Leben nicht wusste, ob es sich für die eine oder für die andere Seite entscheiden sollte.

Hoffentlich entschied es sich für die andere.


Unruhig starrte Laura auf den roten Strich im runden Sichtfenster des Teststreifens.

Wenn sich neben diesem Strich in dem runden Sichtfenster auch noch ein Strich im eckigen Fenster bildete, war sie schwanger. Wahrscheinlich jedenfalls.

Und wenn nicht, war sie frei.

Fünf Minuten Zeit, über sein Leben nachzudenken. Und über dieses andere Leben, das nicht sein soll.

Und über Jonas.

Warum hatte sie sich nur auf ihn eingelassen? Er liebte sie nicht. Jedenfalls war das anzunehmen. Er hatte es jedenfalls nie gesagt.

Nur, dass er heiß auf sie wäre. Mit ihr schlafen wollte. Sie sexy fände. Aber mit Liebe hatte das nicht so viel zu tun.

Coral hatte sie gewarnt. „Ich kann mir vorstellen, dass das ein ganz schöner Macho ist. Lass den lieber sausen. Nachher macht der mit jeder rum, und du bist total fertig.“

Aber Laura wollte ihn haben. Und was hatte sie jetzt davon?

Laura war so in Gedanken, dass sie beinahe die Zeit vergessen hätte. Fünf Minuten waren um. Sie zog den Teststreifen heraus und starrte darauf.

Sie starrte und starrte.

Neben dem dicken roten Strich hatte sich ein weiterer feiner Strich im eckigen Fenster gebildet.

Unmöglich.

Lauras Hände zitterten.

Was hatte das zu bedeuten? Was um Himmels Willen hatte das zu bedeuten?

Aber sie wusste es genau. Sie hatte den Beipackzettel schon tausendmal durchgelesen. Sie wusste, was der kleine rote Strich zu bedeuten hatte.

Sie war schwanger.

Aber ich bin doch selbst noch ein Kind!

Подняться наверх