Читать книгу Ein ganzes Hundeleben lang. - Anni Leineweber - Страница 6

Das große Warten.

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Das neue Jahr war schon zwei Monate alt. Die Entscheidung war gefallen, wir blieben dabei, wir wollten eine Hündin.

Unsere Spaziergänge entwickelten sich zu reinsten Tierexpeditionen. So wie wir früher durch unsere Tochter Kontakt zu Menschen mit Kindern bekamen, so richteten wir nun unsere Aufmerksamkeit auf Hundebesitzer in unserem Umfeld. Es war uns bislang nicht aufgefallen, wie viele Hunde tatsächlich in unserer Nachbarschaft lebten. Zwei Terrier, beides Rüden, die aber ständig wegen ihres störrischen Wesens an der Leine gehalten wurden. Ein Collie, eine Hündin, ganz lieb und gehorsam. Ein Pudel, schon älter, jenseits von Gut und Böse. Mit allen diesen Hunden dürfte eine Hündin keine Probleme bekommen. Ein Pekinese, mehr Schoßhund, der leider kaum laufen durfte, weil sein Besitzer ihn zum Pieseln immer auf die Wiese trug und von dort schnell wieder zurück. Das Geschlecht blieb uns ein Rätsel. Eine „reinrassige Promenadenmischung“, ein Rüde, kastriert, ebenfalls kein Problemhund. Ein kleiner weißer Spitz, lieb aber absolut unerzogen, ein Rüde. Ein Dalmatiner, sportlich, gut erzogen, Rüde, aber außer Kontrolle, wenn ein fremder Hund ins Spiel kam.

Wir kamen ins Grübeln. Aber nach Abwägung des Für und Wider blieben wir bei unserem Wunsch nach einer Hündin. Das teilten wir Ende Februar Familie Beier mit. Jetzt ging es in die nächste Runde. Herr Beier hatte uns darüber informiert, dass er sich jetzt umhört, wo eine Hündin trächtig ist oder ein Wurf geplant wird. Wir hatten ja noch etwas Zeit. Eine Hündin trägt ungefähr zwei Monate, wie bei Menschen schon mal ein paar Tage mehr oder weniger. Dann sollten die Welpen mindestens acht bis zehn Wochen bei der Mutter bleiben, bevor sie zu den neuen „Eltern“ umziehen können.

Ende März klingelte das Telefon, und Herr Beier teilte uns mit, dass in Koblenz Mitte April ein Wurf erwartet würde. Die Hundeeltern seien von guter Abstammung, sodass wir davon ausgehen könnten, dass gescheiter Nachwuchs zu erwarten wäre. Also hofften wir auf diesen Wurf. Die Spannung stieg.

Mein Mann hatte Anfang April Geburtstag. Sein letzter im aktiven Berufsleben. Es wurde natürlich gefeiert, und immer gibt es Probleme mit den Geschenken. Dieses Jahr hatte ich mich schon gewundert, warum keiner bei mir nachfragte, was das Geburtstagskind sich wünschte. Umso erstaunter waren wir über den Einfallsreichtum der Gäste. Die Augen meines Mannes wurden von Geschenk zu Geschenk größer.

So etwas hatte er noch nie erlebt. Wenn es sonst Bücher, Museums-Eintrittskarten oder Grappa, seinen Lieblingsschnaps, gab, waren es diesmal ein Edelstahl-Futternapf für den Hund, eine Bürste für den Hund, ein Kamm, nicht für meinen Mann, nein, natürlich für den Hund. Ein Buch mit dem Titel „Der Golden Retriever“ war auch dabei. Das Buch kannten wir schon, Sie wissen ja, die vielen Bücher der Familie Sohn. Aber dieses gehörte jetzt meinem Mann. Die anderen Bücher mussten wir ja wieder zurückgeben. Tja und zum Schluss gab es noch ein Fahrrad, denn Hund und Herr brauchen ja Bewegung. Eigentlich hätten wir den Gästen, da der Geburtstag ganz im Zeichen des Hundes stand, Hundekuchen servieren müssen. Davon haben wir dann aber zum Wohle der Gäste Abstand genommen.

Es versteht sich von selbst, dass das Hauptthema des Abends Hundegeschichten waren. Es ist erstaunlich, was man plötzlich von den Leuten so alles erfährt, was früher kein Thema war. Äußerst amüsant. Nun war die Aussteuer für den Hund fast komplett. Hundedecke, Halsband und Leine waren auch schnell besorgt. Was jetzt noch fehlte, war der Hund.

Am 17. April rief Herr Beier an. Jetzt ist es soweit, dachten wir! Aber leider war es keine schöne Nachricht. Der Wurf in Koblenz war da. Sieben Welpen, nicht sehr viele, aber auch nicht unnormal. Aber, und das war das Problem, nur eine Hündin war dabei, und die wollte der Züchter selber behalten. Schade! Herr Beier wollte weiter Ausschau halten. Zwei Tage später rief er wieder an. „Sind Sie bereit, nach Schweden zu fahren?“, war seine Frage. Ein toller Wurf von einer bestens bewerteten Hündin. Viele Auszeichnungen auf Ausstellungen, aber das war uns doch ein bisschen weit. Also ging das Warten weiter.

Ende April ein Wurf in Aachen. „Die Jungen habe ich gesehen, damit können Sie keinen Blumentopf gewinnen“, war seine Botschaft. Nachtigall, ick hör dir trapsen, was ging da in seinem Kopf herum. Hatten wir nicht deutlich genug zum Ausdruck gebracht, dass wir keine Lust hatten, auf Ausstellungen zu gehen. Sollte sein Einsatz nur darauf zurückzuführen sein, dass er insgeheim doch hoffte, unsere Meinung würde sich ändern? Das mussten wir klären. „Lieber Herr Beier, bitte akzeptieren Sie doch, dass wir nur einen Familienhund haben wollen, ansonsten nichts.“ Seine Antwort lautete: „Sie wären nicht die Ersten, die Ihre Meinung ändern, wenn der Hund erst mal da ist. Warten Sie es doch mal ab.“ Okay, wenn er meint. Seine Suche ging weiter, und unsere Spannung stieg wieder an.

Lange hörten wir nichts. Wir hatten schon Sorge, er hätte es sich doch anders überlegt, nachdem wir noch einmal unser Desinteresse an Ausstellungen kundgetan hatten. Mitte Mai, es war mein Geburtstag, immer noch keine Nachricht. Jetzt wollten wir wissen, was los ist, und riefen bei Beiers an. Wir erfuhren von Frau Beier, dass ihr Mann mit einer Hündin in Schweden war, um sie dort von einem Rüden decken zu lassen. Wir sollten uns keine Sorgen machen, wir wären nicht vergessen. Wenige Tage später rief er an. Er wollte wissen, ob wir noch ein paar Wochen länger auf einen Hund warten würden, denn wenn das mit ihrer Hündin geklappt haben sollte, könnten wir von diesem Wurf eine Hündin bekommen. Für uns hätte das aber bedeutet, mindestens bis Mitte September warten zu müssen. Nun gut, wenn wir vorher sowieso keinen Hund bekämen, würden wir das auch überleben.

Mit meinen Urlaubsplänen für Juni, bei gleichzeitiger Betreuung unseres Familienzuwachses, schien das ja sowieso nichts mehr zu werden. Doch es kam alles anders. Die Hündin war leer geblieben, und somit waren keine Welpen zu erwarten. So fingen wir wieder von vorne an.

Wir dachten schon darüber nach, ob wir nicht noch jemanden, der sich auskannte, um Mithilfe bei der Suche bitten sollten. Dann endlich tat sich wieder etwas.

Herr Beier hatte auf einer Versammlung von einem zu erwartenden Wurf Ende Mai gehört, im hohen Norden in der Nähe von Flensburg. Das war eine Entfernung, die zu bewältigen war. Außerdem hatten wir Freunde in dieser Gegend, bei denen längst mal wieder ein Besuch fällig war. Wir bekamen den Namen von der Züchterin, Frau Mary Bourry, offensichtlich eine Engländerin.

Man unterscheidet beim Retriever zwischen englischer und dänischer Linie. Es würde zu weit führen, darauf näher einzugehen, denn ich will ja kein Buch über Hunderassen schreiben. Wir bekamen die Telefonnummer und sollten in den nächsten Tagen dort anrufen. Von wegen in den nächsten Tagen. Herr Beier hatte das Gespräch noch nicht ganz beendet, wählte mein Mann schon die Nummer. Verdammt spannend, was würden wir wohl jetzt erfahren? Das Klingelzeichen war zu hören, einmal, zweimal, dreimal, da wir höfliche Menschen sind, legten wir nach dem achten Klingeln auf. Schade, leider keiner da. „Vielleicht habe ich falsch gewählt“, tröstete mein Mann sich selbst. Also versuchten wir es erneut, und diesmal ganz langsam. Unsere Spannung war kaum zu ertragen, noch einmal, wieder nichts.

Das nützte alles nichts, wir mussten uns noch etwas gedulden. „Wir versuchen es heute Abend noch einmal“, ermunterten wir uns selbst. Gesagt, getan. 17.30 Uhr, jetzt wollten wir es wissen.

Spannung, es läutet, zweimal, dreimal, Totenstille. Plötzlich erklang aus dem Hörer: „Bourry!“ Vor Schreck versagte meinem Mann fast die Stimme. Aber er fing sich schnell wieder, ein Räuspern, und los ging‘s: „Ja, guten Abend, entschuldigen Sie bitte die späte Störung.“ So ein Blödsinn, es war früh am Abend oder später Nachmittag. „Wir rufen aus der Nähe von Köln an und haben gehört, dass Sie Junge erwarten.“ Mein Gott, was soll die Frau denken, mein Mann sprach, als hätte er noch nie telefoniert. Aber erstaunlicher Weise reagierte unser Gegenüber sehr aufgeschlossen und konterte perfekt: „Nicht ich, aber eine meiner Hündinnen.“ „Ja, wir hätten gerne eine Hündin und wollten fragen, ob das wohl machbar ist?“

Da wurde die Stimme am anderen Ende schon etwas merkwürdiger. Sie sagte ziemlich forsch zu meinem Mann: „Wie stellen Sie sich das denn vor, ich kenne Sie doch gar nicht, ich kann Ihnen am Telefon nicht einfach einen Hund verkaufen.“ Alle Achtung, das saß! Mein Mann suchte nach Worten. Mehr entschuldigend als informativ sprach er weiter: „Aber Herr Beier hat uns doch gesagt, dass wir bei Ihnen nachfragen sollten.“ „Ach so, Sie sind das, ja da hat er von gesprochen“, so Frau Bourry weiter, „ja den Herrn Beier kenne ich gut, wenn der Sie an mich verwiesen hat, sieht das schon ganz anders aus.“ „Kennen Sie Herrn Beier persönlich?“, fragte sie weiter. „Ja, ja“, reagierte mein Mann, wie aus der Pistole geschossen. „Seit über einem halben Jahr sucht er mit uns.“ Das war falsch, denn er suchte für uns nach einem Hund. „Da er bis jetzt aber noch nicht das Richtige gefunden hat“, sprach Theo weiter, „gab er uns Ihre Telefonnummer.“ Frau Bourry überlegte. Dann sprach sie weiter: „Wie können wir das denn machen, ich würde Sie ja gerne mal kennen lernen. Ich sehe mir die zukünftigen Hundebesitzer gerne vorher an, um dann aus dem Wurf auch das richtige Tier auszuwählen.“ „Kein Problem“, erwiderte mein Mann sofort, „sind Sie am Wochenende da, dann kommen wir vorbei.“ Der Mann hat Nerven, mal einfach vorbeikommen, immerhin gut 500 Kilometer, dachte ich so für mich. Aber wenn es der Sache dient. Frau Bourry schien beeindruckt und meinte, dass sie uns die Strecke nicht zweimal zumuten wolle, es würde reichen, wenn wir die Strecke fahren würden, um den Hund abzuholen. Dann klärte sie uns über ein paar Dinge auf.

Zum einen wüsste sie nicht, wie der Wurf ausfallen würde. Eine Vorbestellung für zwei Hündinnen hätte sie schon. Es müssten in diesem Wurf also mindestens drei Hündinnen sein, damit wir auch eine bekommen könnten. Dann erklärte sie uns, dass der Welpe möglichst morgens, am Tag X, abgeholt werden müsste. Dies hatte den Grund, dass der Hund sich ein wenig an die neue Situation gewöhnen sollte, bevor die Nacht käme und das Tier sich alleine überlassen bliebe.

Dann sollten wir ein guterhaltenes Frotteehandtuch mitbringen. Sie erklärte uns, dass sie jedem Welpen ein Handtuch mitgibt, das den Geruch der Mutter und Geschwister hat, um dem kleinen Wesen noch etwas Heimisches mit auf den Weg zu geben. Unser Handtuch sollte dann im Austausch bei ihr bleiben. Falls wir mit dem Auto kämen, sollten wir Vorkehrungen treffen, damit dem Hund auf der Fahrt nichts passiert. Aber wir sollten auch darauf gefasst sein, dass dem Kleinen bei der Fahrt schlecht werden könnte. Wir verblieben so, dass Frau Bourry uns informiert, wenn der Wurf da ist. Der Zeitpunkt war für den 29. Mai berechnet. Es bedeutete noch gut zehn Tage warten. Aufregende Tage. Immer wenn das Telefon läutete, glaubten wir an die erlösende Nachricht.

In der Zwischenzeit hatte ich noch einmal über meinen Urlaubsbeginn nachgedacht und den Termin auf frühestens Ende Juli, Anfang August verlegt. Zum Glück gab es wenigstens damit keine Probleme. Im Grunde hatten wir aber ein gutes Gefühl. So nah waren wir noch nie an unserem Ziel. Wir hofften, dass es dieses Mal klappte.

Die weitere Zeit war mit Vorbereitungen für die Abschiedsfeier zur Pensionierung meines Mannes ausgefüllt. Tag um Tag verging.

Heute war der 29. Mai. Sollte unser „Ersatzkind“ schon geboren sein?

Irgendwie versuchten wir, uns das vorzustellen. An die Geburt unserer Tochter erinnerten wir uns, als wäre es gestern gewesen. Aber das ist ja was ganz anderes. Ich habe als 12- oder 13-jährige einmal dabeisein dürfen, als kleine Ferkel zur Welt kamen. War das zu vergleichen? Jedenfalls hatten wir ein schönes Gefühl der Vorfreude.

An diesem und auch am nächsten Tag hörten wir nichts. Unsere Gedanken kreisten aber ständig um das gleiche Thema. Heute war der 31. Mai. Ein altes Lied besagt, am 30. Mai ist der Weltuntergang, sie war natürlich nicht untergegangen. Ob denn unser Welpe schon das Licht der Welt erblickt hatte. Zu gerne hätten wir bei Frau Bourry angerufen und nachgefragt. Aber wir wollten uns ja nicht unbeliebt machen, also verkniffen wir uns einen Anruf. „Geduld, nur Geduld“, sagten wir uns immer wieder. Ein weiteres Sprichwort besagt: „Was lange währt, wird endlich gut!“

Aber dann, abends um 20.10 Uhr, klingelte das Telefon. Beide stürmten wir zum Apparat. Mein Mann, der sonst immer ruft: „Gehst du?“, war schneller. Ich merkte die Fröhlichkeit in seiner Stimme. „Guten Abend, Frau Bourry, ach ja, das ist aber schön, ja wirklich, und, alle gesund? Ach wie schade, das tut mir aber leid. Das ist toll, darüber freuen wir uns aber sehr, natürlich, das verstehen wir ja, ist gut, Frau Bourry. Ja natürlich, Frau Bourry, okay, Frau Bourry, bis dann. Und noch einen schönen Abend und vielen Dank für ihren Anruf, Frau Bourry.“ Mein Mann hing den Hörer auf und schwieg.

Ich hatte alles gehört, aber nichts verstanden. Alles Mögliche konnte ich mir aus diesen Gesprächsfetzen zusammenreimen. Aber was war denn nun wirklich die Botschaft dieses Gespräches? „Nun los“, drängte ich meinen Mann, „nun sprich schon, spann mich nicht so lange auf die Folter. Was ist, ist der Wurf da, hat es geklappt, nun sag doch schon was!“ Ich ärgerte mich, dass unser Uralttelefon, im Vergleich zum heutigen Standard, nicht über eine Mithörfunktion verfügte, dann wäre ich jetzt schon schlauer. So musste ich förmlich betteln, bis er sich endlich bequemte und mir erzählte, was er gerade erfahren hatte.

„Also, es ist so“, legte er sichtlich gerührt los. „Der Wurf ist da. Heute um sieben Minuten vor halb drei ging es los. Es gab 12 Welpen, erstaunlich viele, leider ist einer kurz nach der Geburt gestorben. Es sind vier Hündinnen dabei, und somit bekommen wir auf jeden Fall eine mit.“ „Juhu“, jubelte ich los und dazwischen. „Wir sollen uns aber jetzt noch etwas gedulden, bevor wir Genaueres erfahren. Die ersten Tage muss sie sich intensiv um die Welpen kümmern und wenn sich die ersten Unruhen gelegt haben, ruft sie uns wieder an, und wir besprechen die Einzelheiten.“ „Wir sollen also nicht ständig anrufen und fragen, was die Kleinen machen?“ „Wir sollen auf ihren Anruf warten.“ „Ganz schön hart“, sagte ich. Wenn die Frau wüsste, wie aufgeregt und gespannt wir sind. Das ist wie Weihnachten, die Geschenke liegen unterm Weihnachtsbaum, und man muss erst noch in die Christmette.

„Aber nun sei mal nicht ungerecht“, ermahnte mein Mann mich, „es ist doch schon toll, dass sie uns gleich darüber informiert, dass der Wurf da ist, und uns die Zusage gibt, dass wir an unserem Ziel angekommen sind. Wenn jetzt nichts Außergewöhnliches mehr passiert, haben wir in spätestens zehn Wochen Familienzuwachs.“ Das war uns ein Glas guten Wein wert. Wir saßen noch bis spät in den Abend im Wohnzimmer und machten Zukunftspläne. Als mein Mann der Meinung war, dass wir jetzt doch mal langsam zu Bett gehen sollten, sagte ich „Nein, du musst erst noch mit dem Hund raus“ und grinste mir einen. Das war der erste Vorgeschmack auf das, was uns demnächst erwartete. Aber noch hatten wir ja Schonzeit. Jedoch an den Gedanken konnten wir uns schon mal gewöhnen. Das wird eine ganz schöne Umstellung werden, wenn wir demnächst auch die Bedürfnisse unseres neuen Familienmitgliedes berücksichtigen müssen. Aber wir wollten es so, und noch verlief unser Leben in gewohnten oder in fast gewohnten Bahnen.

Es hatte sich schon was geändert. Schließlich war mein Mann inzwischen im Ruhestand und konnte sich morgens, wenn ich mich aus dem Bett quälte, noch mal umdrehen, was er auch sichtlich genüsslich tat. Er erledigte zu Hause dafür am Tag schon Dinge, die sonst üblicherweise für abends oder das Wochenende liegen blieben.

Das hatte auch sein Gutes. So verging die Zeit, Woche um Woche. Langsam wurden wir wieder ungeduldig und fragten uns, warum Frau Bourry sich nicht meldete. Sie hatte von den nächsten Tagen gesprochen, nun waren es schon über zwei Wochen. Aber was soll‘s, sie hatte gesagt, dass sie anruft, dann wird sie es auch tun. Wir hatten ja keine Ahnung, wieviel Arbeit auf einen zukommt, wenn man so einen Haufen Welpen zu versorgen hat.

Mein Mann kam auf die Idee, bei Familie Beier anzurufen und ihnen die freudige Nachricht mitzuteilen. „Schön, das ist eine gute Nachricht“, fand Frau Beier. Wenn Sie die Kleine haben, können Sie ja mal bei uns vorbeikommen und sie uns vorstellen.“ „Das werden wir gerne tun, denn wir verdanken Ihnen ja ganz schön viel.“ „Das können wir gar nicht wiedergutmachen“, war die Antwort meines Mannes.

„Ach wissen Sie“, kam es aus dem Hörer zurück, „wenn Sie nur halb so zufrieden mit Ihrem Hund sind, wie wir es mit unseren sind, ist das Dank genug. Das ist ein gutes Aushängeschild für diese Hunderasse und somit auch für uns. Für uns Züchter und Tierliebhaber ist es wichtig, dass die Tiere, die wir züchten, in gute Hände kommen, und die Besitzer anderen vermitteln, wie zufrieden sie sind. So hat dann jeder etwas davon. Durch ihre Einstellung werden andere Menschen auf diese Rasse aufmerksam und werden sich dafür interessieren“, erwiderte Frau Beier. Das konnte mein Mann nur bestätigen. Gute Erfahrungen und das Glück der Familie Sohn mit ihrer Schila hatten uns ja erst auf den Golden Retriever aufmerksam gemacht.

Daraufhin nahm mein Mann nach dem Gespräch mit Frau Beier den Telefonhörer gleich noch mal zur Hand und rief Familie Sohn an, um auch ihnen die schöne Nachricht mitzuteilen.

Herr Sohn und mein Mann führten ein längeres Gespräch, in dem mein Mann von Herrn Sohn noch ein paar Tipps und Tricks mitnahm. Unsere Telefonrechnung war in diesem Monat um einiges höher als normal. Damals war nicht nur der Golden Retriever ziemlich unbekannt, auch die Telefonflatrate gab es noch nicht.

Die Zeit verging, nichts tat sich. Inzwischen war es Ende Juni. Die Welpen waren vier Wochen alt. Was dachte sich Frau Bourry eigentlich dabei, uns so lange schmoren zu lassen. Wir spielten mit dem Gedanken, jetzt doch mal anzurufen. Aber wir zügelten unsere Ungeduld weiterhin schweren Herzens.

Inzwischen ist es Ende der ersten Juli-Woche. Freitagabend. „Jetzt reicht’s“, sagte ich zu meinem Mann. „Wir sitzen hier auf heißen Kohlen, nun komm schon, nimm den Hörer in die Hand und ruf mal an! Wir müssen langsam wissen, wo wir dran sind. Es kann ja wohl nicht sein, dass Frau Bourry anruft und sagt: ‘So, morgen können Sie den Welpen holen.‘ Wir müssen uns ja auch ein bisschen darauf einrichten.“ Aber mein Mann blieb hart: „Ich rufe nicht an, wenn du nicht warten kannst, dann rufe selber an!“ Das ließ ich mir nicht zweimal sagen.

Es dauerte und dauerte, ich überlegte schon einzuhängen. Dann kam jemand an den Apparat. Hoppla, eine Männerstimme! Warum auch nicht? Es wird wohl einen Herrn Bourry geben. Ich sagte, wer ich bin und worum es geht. Ich fragte nach Frau Bourry. „Die ist mit dem Tierarzt im Welpenzimmer, die kann jetzt nicht“, hörte ich aus dem Hörer. Dann vernahm ich im Hintergrund eine Stimme, auf die Herr Bourry reagierte. Er schien die Sprechmuschel zuzuhalten, weil ich nicht verstehen konnte, was er sagte. Plötzlich eine Frauenstimme am Apparat. „Ich hatte Sie doch gebeten zu warten, bis ich mich melde. Der Tierarzt ist da zum Tätowieren, ich habe jetzt wirklich keine Zeit. Ich melde mich morgen bei Ihnen.“ Klatsch! Ich hätte gerne mein eigenes Gesicht gesehen. Wahrscheinlich sah ich wie ein begossener Pudel aus. Damit aber nicht genug, mein lieber Mann fand tröstende Worte: „Du bist es selber schuld.“ Ich war „begeistert“ und zog mich mit einem Buch in meinen Schmollwinkel zurück. Der restliche Abend verlief äußerst ruhig.

Samstag, früh morgens! Das darf nicht wahr sein, ich hörte das Telefon läuten. Welcher „Geisteskranke“ ruft denn um halb acht bei einem rechtschaffenen Menschen an. Ich werde einen Teufel tun und jetzt ans Telefon rennen. Aber es läutete erbarmungslos. In Gedanken zählte ich mit: 14, 15, 16. So langsam stieg die blanke Wut in mir hoch. Total verschlafen fragte mein Mann: „Wer ist das?“, drehte sich um und schlief weiter. Meine Antwort: „Wenn ich jetzt an den Apparat gehe, kann derjenige was erleben.“ Gesagt, getan. Ich schoss aus dem Bett. Ich nahm den Hörer ab und polterte sofort los: „Ist das nötig, am Samstagmorgen so penetrant irgendwo anzurufen?“ Ich erstarrte vor Schreck, nicht etwa die Polizei, nein, es erklang ein mittelprächtiges „Guten Morgen, Bourry“. Wie war das mit dem begossenen Pudel? Dieses Mal Teil zwei. „ Mein Gott“, erwiderte ich, „was sind Sie früh dran.“ Und prompt bekam ich die Quittung. „Daran müssen Sie sich gewöhnen, wenn der Welpe erst bei Ihnen ist.“ „Na klar“, antwortete ich, jetzt hell-wach, „ja wenn er da ist, aber noch ist er nicht da“, konnte ich gerade noch reagieren. „Aber darüber wollte ich ja mit Ihnen reden“, sprach Frau Bourry weiter, als wäre nichts gewesen. „Wie meinen Sie das?“ fragte ich, als hätte sie von IT, dem Außerirdischen, gesprochen. „Haben Sie ein wenig Zeit, dann könnten wir jetzt über die Einzelheiten sprechen“, sagte Frau Bourry. „Ja klar, ich würde nur gerne meinen Mann dazu holen.“

„Wenn es jetzt nicht passt, kann ich gleich noch mal anrufen“, schlug Frau Bourry vor. Ich konnte jetzt einen Kaffee vertragen und machte den Vorschlag, selber in ein paar Minuten zurückzurufen. „Na gut“, erwiderte mein Gegenüber, „tun Sie das!“ Es ging alles in Windeseile. Meinen Mann aus dem Bett gescheucht, Kaffeemaschine angestellt, gewaschen und Zähne geputzt und etwas angezogen. Wie wenn eine Stoppuhr lief, ging alles in hohem Tempo vonstatten. Knapp 15 Minuten vergingen, und wir saßen mit einem großen Kaffeebecher in der Hand am Telefon. Selbstverständlich übernahm mein Mann das Gespräch. Er hielt den Hörer etwas von seinem Ohr weg, wir saßen auf dem Sofa, und ich konnte mithören und auf eventuelle Fragen reagieren.

Es waren tolle Neuigkeiten, die Frau Bourry uns mitzuteilen hatte. Die Welpen hatten sich besser als erwartet entwickelt. Die gestrige Untersuchung war ein voller Erfolg. Die Kleinen seien schon richtig flügge, sodass sie in Erwägung zöge, die Welpen schon mit acht Wochen abzugeben. Noch bevor die Frage kam, ob wir das möglich machen könnten, hatte ich gerechnet. Das bedeutet Ende Juli oder, genauer gesagt, heute in genau drei Wochen. Mein Mann antwortet ruck, zuck: „Für uns kein Problem.“ Schnell wurde der Termin besprochen, samstags morgens, bis spätestens elf Uhr bei ihr.

Einige Punkte folgten im Schnelldurchlauf. Denken Sie an das Handtuch. Sie brauchen für den Welpen nichts zu fressen und zu trinken auf der Fahrt, das verträgt er nicht. Treffen Sie Vorsorge, dass der Welpe gut die Fahrt übersteht. Eventuell sollte jemand mit dem Tier hinten sitzen, damit er sich nicht so einsam fühlt. Es kann sein, dass er Angst hat. Bringen Sie ein kleines Nickituch mit. Kein Halsband, das ist noch zu früh. Durch das Tuch gewöhnt er sich daran, dass er etwas am Hals trägt. Lauter gutgemeinte Ratschläge, für die man dankbar sein kann, wenn man keine Ahnung hat.

Natürlich wurde auch über Geld gesprochen. Die Summe, die wir für unseren Golden bezahlten, ist heute kein Thema mehr. Allerdings sollte es jedem klar sein, dass gute „Ware“ auch ihren Preis hat. Ein verantwortungsbewusst gezüchteter Hund, der nicht im Hinterhof, als eine Rasse von vielen, gezüchtet wurde, hat seinen Preis. Natürlich gibt es auch hier schwarze Schafe. Gut vorbereitet, zählten wir die Tage, bis wir endlich unser „Abenteuer Hund“ starten konnten.

Unsere Freunde in der Nähe von Flensburg wurden über den Termin unseres Besuches informiert. Sie freuten sich mit uns, aber auch darüber, dass wir uns mal wieder bei ihnen sehen ließen. Der hohe Norden ist ja doch etwas abgelegen, um mal eben vorbeizukommen. So schlugen wir zwei Fliegen mit einer Klappe.

Meinen Urlaub konnte ich ohne Probleme zum passenden Zeitpunkt antreten, und so lief alles wie geschmiert. Unsere Wohnung haben wir vor unserem Start auf Hundetauglichkeit überprüft. Bodenvasen oder teure Perserteppiche sollte man vorsichtshalber in Sicherheit bringen, hatten wir aber keine. Der neue Mitbewohner ist wahrscheinlich sehr ungestüm, aber mit Sicherheit nicht stubenrein. Pampers für Hunde gibt es nach meinem Wissen nicht. Allerdings würde ich sie auch nicht für sinnvoll halten. Im Vertrauen gesagt, für unsere Tochter gab es auch keine Pampers. So etwas kannte man zu dieser Zeit noch nicht. Aber wir haben sie auch ohne „stubenrein“ bekommen. Aber Spaß beiseite. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass der Welpe nicht sofort seine Verdauung oder seinen Harndrang kontrollieren kann. Wie schnell er aber sauber wird, liegt zu einem großen Teil an seinem neuen Besitzer. Darüber später mehr.

Nun endlich ging es los! Wir fuhren am Freitagmorgen nach Flensburg. Der Verkehr war zum Glück nicht so stark, sodass wir gut durchkamen. Unsere Freunde erwarteten uns bereits mit Kaffee und Kuchen. Wir hatten einen schönen Nachmittag und Abend. Aber so ganz waren wir mit unseren Gedanken nicht vor Ort. Die Spannung in uns war spürbar und nicht zu übersehen. Wir waren froh, als es Zeit zum Schlafengehen war, damit endlich der langersehnte Tag anbrach.

Dann endlich war es soweit. Nach dem recht frühen Frühstück, das ich samstags noch nie zu so früher Zeit ersehnt hatte, sind wir gleich aufgebrochen. Natürlich nicht, ohne uns zu bedanken. Aber vor allem nicht, ohne uns zu entschuldigen für unsere geteilte Aufmerksamkeit. Aber unsere Freunde wären keine Freunde, wenn sie das nicht verstanden hätten. Sie machten uns sogar noch das Angebot, die Kleine zu holen und zurückzukommen, um dann erst morgen, Sonntag, zurückzufahren. Doch das lehnten wir ab. Es wären zu viele neue Eindrücke auf einmal für die kleine Motte gewesen. Wir wussten ja nicht, was alles auf uns zukommen würde. Zum Glück!

Um kurz vor zehn standen wir bei Bourrys vor der Türe. Wir hatten es auf Anhieb gefunden und entschieden uns gleich reinzugehen, denn es hieß ja, bis spätestens um elf. Ein schönes Anwesen. Mit klopfenden Herzen klingelten wir. Der erste Eindruck sollte gut ausfallen, also lächeln. Eine Frau mittleren Alters öffnete uns. Frau Bourry, irgendwie hatte ich sie mir anders vorgestellt. Für eine „Hundemutter“ fast etwas zu elegant. Aber sehr freundlich und entgegenkommend, als ob sie wüsste, was in uns vorging und wie aufgeregt wir waren. Ohne großes Vorgeplänkel kam sie zur Sache: „Dann kommen Sie mal mit!“

Es war ein sehr warmer Tag, und so hatte sie die Welpen draußen in einem Freilauf untergebracht. Ich war erstaunt, wie sauber es überall war. Hatte Frau Beier nicht gesagt, Hundehaare, überall Hundehaare. Aber gut, vielleicht war alles wegen unseres Besuchs vorher gereinigt worden. Es war mir egal.

Dann standen wir endlich vor dem Freilauf. Aber nicht lange. Frau Bourry öffnete die Türe und forderte uns auf, in den Freilauf zu gehen. War das süß. Kleine Welpen sind was Tolles, und hier waren gleich acht auf einmal. Drei waren schon abgeholt. Es wimmelte nur so. Allerdings war das Muttertier auch im Freilauf und beäugte uns recht misstrauisch. Es spürte wohl, dass gleich wieder eines seiner Kinder entführt würde. Aber so leid einem das auch tut, das ist der Lauf der Dinge. Ich hätte sie gerne getröstet und ihr erzählt, wie sehr wir uns auf ihr Kind freuen und dass wir ganz gut für es sorgen wollen. Aber hätte sie das verstanden? So blieb mir nur, sie ein wenig zu kraulen.

Frau Bourry holte mich mit den Worten: „Sie wollten ja eine Hündin“, aus meinen Gedanken. Ich hörte noch, wie mein Mann sagte: „Das ist aber schwer, wie sollen wir denn da das Richtige finden?“ Aber Frau Bourry klärte die Situation sehr schnell. „Hier sind zwei Hündinnen, ich habe die beiden, die für Sie in Frage kommen, gekennzeichnet. Die beiden mit dem grünen Klecks auf dem Rücken, zwischen denen können Sie sich entscheiden.“

Tatsächlich, zwei waren grün gekennzeichnet. Zwei waren rot, drei blau gekennzeichnet. Eines war ohne Zeichnung. Wie wir dann erfuhren, blieb das ungezeichnete in der Familie. Schön, dann blieb dem Muttertier ja wenigstens eines erhalten. Das tröstete mich sehr. Frau Bourry forderte uns auf, die beiden grünen Welpen etwas zu beobachten und uns dann zu entscheiden. Na die traute uns ja was zu. Es war ein ganz schön lebhaftes Treiben in dem Gehege. Es waren Spielsachen verstreut, die mehr oder weniger Beachtung fanden. Für ein paar Welpen schienen wir aber das beste Spielzeug zu sein. Dabei konnten wir die unterschiedlichsten Temperamente beobachten. Einige balgten miteinander und mittendrin ziemlich kess ein grüner. Den hatte mein Mann gleich ins Herz geschlossen.

Mir hingegen war ein grüner Welpe an der Seite aufgefallen, der es etwas schwerer hatte, sich gegenüber den anderen durchzusetzen. Der wurde geschupst und überrannt. Der kleine Zwerg tat mir richtig leid, und ich sagte zu Theo: „Bitte, lass uns den nehmen, den können wir beschützen.“ Aber mein Mann hatte sich schon für den Frechen entschieden, der passte besser zu ihm, meinte er. Es wäre ja zu einfach gewesen, wenn wir tatsächlich mal auf Anhieb einer Meinung gewesen wären. Alles Bitten half nichts. Letztendlich war der Hund für meinen Mann, und somit sollte er auch die Entscheidung treffen. Also kam der Frechdachs raus aus dem Freilauf, und mein Mann trug ihn ins Haus. Mit Tränen in den Augen folgte ich ihm. Noch ein Blick zurück, die Kleine in der Ecke und der traurige Blick des Muttertiers verfolgten mich noch eine ganze Zeit. Mein weiches Herz machte mir mal wieder zu schaffen. Auch jetzt, wo ich es schreibe und mich daran erinnere, stehen mir Tränen in den Augen.

Ich wurde dann schnell abgelenkt, als wir wieder im Haus waren. Frau Bourry nahm das Kleine auf den Arm. Sie zeigte uns die Tätowierung im Ohr und erklärte uns, dass unser Hund daran immer zu erkennen sein wird. Die Nummer ist registriert in den Papieren, in die wir jetzt noch ihren Namen eintragen würden. Wo immer der Hund in Erscheinung tritt, man kann ihn über die Nummer identifizieren. Die Chips, die heute den Tieren eingesetzt werden, gab es damals noch nicht. Frau Bourry drückte das kleine Wesen an sich, und man merkte, dass es auch ihr nicht leicht fiel, es abzugeben.

Dann fragte sie uns, ob wir schon einen Namen überlegt hätten. Ich sagte spontan „Frechdachs“. Worauf Frau Bourry meinte: „Letztendlich können Sie Ihren Hund nennen, wie Sie wollen.“ Es müsste aber einen offiziellen Namen für die Papiere geben. Ein Teil müsste aus dem „Zwingernamen“ bestehen, das ist der gewählte Name des Züchters, und einem offiziellen Namen des Hundes. Ihr Züchtername war Happy-Golden, und dann sollte der Name des Hundes folgen. Sie erklärte uns, dass unser Hund aus einem „ M“-Wurf stamme. Das bedeutet, M ist der dreizehnte Buchstabe im Alphabet, und es war der dreizehnte Wurf von dieser Züchterin. „Wenn Sie möchten, kann ich Ihnen ein paar Namen vorschlagen, die sehr gut passen würden. Vielleicht gefällt Ihnen einer davon.“

Sie nannte uns fünf Namen, alles englische, sie war schließlich Engländerin. Ein Name gefiel uns auf Anhieb, und zwar uns beiden, man kann es kaum glauben. Der Name klang wie Musik in unseren Ohren, und was uns gleich auffiel, den hatten wir noch bei keinem Hund gehört. Der Name war „MERCY“! Kommt aus dem Englischen und bedeutet „Gnade“. So ein schöner Name. Damit stand fest, der Name war „happy-golden Mercy“. Was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnten, dieser Name wurde dem Hund allemal gerecht. Bestimmt wird mir jeder Leser später zustimmen, wenn er die Geschichte unserer Mercy kennt. Aber warten wir es ab.

Laut Frau Bourry habe Mercy bereits die ersten Impfungen erhalten und mit zirka 12 Wochen brauche sie die nächsten. Das sind Impfungen gegen Tollwut, kennt sicher jeder, dann gegen Staupe, eine Viruserkrankung, und gegen verschiedene andere Erkrankungen. Entwurmt war sie auch schon. Die Impfungen und das Entwurmen sollten regelmäßig wiederholt werden, durchschnittlich einmal im Jahr. „Suchen Sie sich einen guten Tierarzt, der ist sehr wichtig“, folgte der nächste Rat. „Das Tier und auch Sie sollten Vertrauen zu ihm haben.“ Aber darüber hatten wir uns noch keine Gedanken gemacht. Das konnten wir bei Familie Beier erfragen.

Dann erklärte sie uns, dass es wichtig sei, die ersten Wochen vorsichtig zu sein bei Kontakten mit anderen Hunden. Das Immunsystem sei noch nicht voll ausgeprägt, und darum sollten wir uns die Hunde, mit denen Mercy spielt oder Kontakt hat, genau ansehen. Wenn sie gepflegt sind und aus bekannten Familien kommen, kein Problem, aber herrenlose Hunde sollte man die erste Zeit von ihr fernhalten. Auch die Plätze, wo sie ihre „Geschäfte“ macht, sollten nicht zu stark von anderen Hunden besucht sein, da auch hier eine Ansteckungsgefahr bestehen könnte. Ab dem vierten Lebensmonat und nach den Folgeimpfungen sei das kein Thema mehr. Aber übermäßige Vorsicht sollten wir nicht an den Tag legen, damit der Hund sich normal entwickeln könne.

Na ja, dann werden wir mal sehen, wie wir das regeln. Es hörte sich aber schwieriger an, als es im Endeffekt war. Als nächstes standen die Themen „Ausführen“ und „Stubenrein werden“ auf dem Gesprächsplan. Frau Bourry erklärte uns, wie wichtig es ist, gerade den Welpen häufig, etwa alle zwei Stunden, draußen auf ein und denselben Platz zu bringen, damit er Pipi und, wenn nötig, Häufchen machen kann. „Am besten immer an demselben Platz, damit er lernt, was er da soll. Ganz wichtig ist, dass sie ihn nach dem Erfolg auch loben. Überhaupt ist es wichtig, ihn immer zu loben, wenn er etwas gut gemacht hat. Das gefällt ihm, und da er Ihnen gefallen will, wird er sich das ganz schnell merken.“ Weiter hörten wir, dass wir morgens und abends in etwa die gleichen Zeiten einhalten sollen, damit der Hund lernt, wann die Nachtruhe kommt und wie lange er morgens auf den ersten Auslauf warten muss. Der Hund kennt sicher nicht die Uhr, aber sein Zeitgefühl zeigt dem Hund, wie auch anderen Tieren, wann es wofür Zeit ist. Dazu wird es einiges im weiteren Teil der Geschichte zu lesen geben. Ein ganz schön spannendes Thema.

„Aber was machen wir nachts“, fragte mein Mann, „den Wecker stellen und auch rausgehen?“ „Nein, nein“ sagte Frau Bourry, „das wäre falsch. Wenn das dem Tier gefällt, holt es Sie jede Nacht raus. Sie werden lernen müssen zu unterscheiden, wann das Tier Not hat und wirklich raus muss, das Quengeln aus Langeweile ist was anderes. Aber bis Sie das erkennen, wird Ihnen noch mancher nächtliche Spaziergang bevorstehen. Legen Sie sich vorsichtshalber immer etwas zum Überziehen bereit. Aber fürs Erste habe ich vorgesorgt.“

Sie deutete auf ein paar ausgebreitete Zeitungen in ihrer Küche. Dann nahm sie Mercy und setzte sie darauf. Und siehe da, prompt floss ein Bächlein. „Das haben die Kleinen schon gelernt. Wenn nichts mehr geht, ist die ‚Zeitungswiese‘ das Notklo“, erklärte uns Frau Bourry. Auf so eine Idee muss man erst mal kommen. Ob das bei uns zu Hause wohl auch funktioniert? Wir werden es erleben.

Die nächsten Ratschläge bezogen sich auf die Ernährung. Wir bekamen einen Speiseplan für die ersten vier Wochen. Frühstück: Schwarzbrot mit Leberwurst, dann Welpenfutter, die Tagesration auf zwei Portionen verteilt, eine für mittags und eine für abends. Darunter kann man Bioflocken mischen. Welpenmilch, das ist Pulver, das man mit Wasser anrührt, anstelle von Wasser. Aber auch immer mal wieder Wasser anbieten, damit die Umstellung langsam erfolgt. Einmal pro Woche Magerquark mit etwas Banane und Apfel. Dann mal wieder ein Eigelb über das Futter. Einmal pro Woche etwas Sonnenblumenöl dem Futter beimischen, was gut für das Fell ist. Der Speiseplan war ganz schön abwechslungsreich. „Später können Sie auch mal Pansen oder Herz abkochen, mit etwas Fleischbrühe und Futterflocken mischen. Oder mal Reis mit Fleisch.“

Es ist eine weit verbreitete Meinung, dass es dem Hund egal ist, was er zu fressen bekommt. Unsere Erfahrung ist eine ganz andere. Wenn ich unserem Hund zwei Dinge angeboten habe, hat er sich immer für das entschieden, was er am liebsten mag. Also doch Feinschmecker?

„Seien Sie vorsichtig mit Knochen“, gab Frau Bourry uns zu bedenken. „Geflügelknochen sind absolut tabu. Auch Knochen, die splittern wie Röhrenknochen. Das hat schon manchem Tier das Leben gekostet oder qualvolle Zeiten bereitet. Ansonsten müssen Sie sehen, wie es weitergeht. Sie werden das schon machen.“ Wie schwer uns das fallen würde, konnten wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen. Wenn man keine Ahnung hat und nichts falsch machen will, hat man irgendwann immer mal ein Problem.

„So, ich glaube, das ist alles, was ich Ihnen mit auf den Weg geben kann“, hörten wir Frau Bourry sagen. “Wir machen jetzt noch ein Abschiedsfoto, und dann sollten Sie sich auf den Weg machen. Sie müssen ja noch ein ganz nettes Stück fahren. Ach so, da fällt mir noch was ein. Das Handtuch, das nehmen Sie mit, darin ist der Geruch, den das Tier kennt. Heute Nacht sollten Sie den Welpen in ein Zimmer sperren, in dem er keinen Schaden anrichten kann. Ein Zimmer, welches Sie gut putzen können. Mit Sicherheit wird es heute Nacht ein Malheur geben. Denken Sie an die Zeitungen. Heute nichts mehr zu fressen geben, wenn Sie zu Hause sind, noch etwas zu trinken, und das reicht.“

So, nun wurde es Ernst. Jetzt übergab man uns die ganze Verantwortung. So viel hatten wir gelesen, gehört und geglaubt zu wissen. Plötzlich aber hatten wir das Gefühl, die dümmsten Menschen unter der strahlenden Sonne zu sein. Also, dann Augen zu und durch. Schnell wurde noch das Foto gemacht. Bei Frau Bourry kullerten ein paar Tränen. Alles Gute und viel Glück wurde gewünscht, und dann standen wir da, mitten im feindlichen Leben. Unsere Freude und Zuversicht waren gegen Unsicherheit ausgetauscht. Aber es gab kein Zurück, und das wollten wir ja auch nicht.


Ein ganzes Hundeleben lang.

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