Читать книгу Die Drachenkinder von Nicaragua - Annika Holm - Страница 7

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David wachte nie von selbst auf. Nein, da hatte er keine Chance. Immer schaffte es ein anderer, der erste zu sein, zum Beispiel einer seiner kleineren Brüder, der dann auf seinen Bauch sprang oder ihn an den Füßen kitzelte. Heute früh war es Ernesto, der auf Davids Schultern saß. Er prustete vor Lachen, als David seinen Kopf hob und ihn mit seinen schwarzen Haaren am Bauch kitzelte.

„Weiter, weiter! Noch einmal!“

David stöhnte und versuchte, wieder einzuschlafen. Ernesto gab aber nicht auf. Er grapschte Davids Haare und spielte mit seinem dicken Schopf. David öffnete die Augen und beurteilte die Lage. Das Licht im Zimmer war noch grau, also noch etwas Zeit zu schlafen.

„Laß es sein“, zischte er laut genug, um Ernesto zu erschrecken, aber noch leise genug, um nicht den Rest der Familie zu wecken.

Ernesto umarmte David, kauerte sich dicht an seine Schultern und blieb eine ganze Weile ruhig liegen.

David konnte aber nicht mehr einschlafen. Er seufzte, schob Ernesto etwas zur Seite und lauschte den Schlafgeräuschen um sich herum. Ganz hinten aus der Ecke, wo seine Mutter zusammengekauert schlief, vernahm er ruhige Atemzüge. Daneben war der leere Schlafplatz von Ernesto, und vom unteren Ende des Bettes hörte er das Pfeifen von Pepe und Carmen. Die Hanfseile der Hängematte knirschten, sobald sich Oscar im Schlaf bewegte. Im Klappbett an der Seite röchelten Karla und Dora um die Wette, beide kämpften noch mit der gleichen hartnäckigen Erkältung. Draußen im Hof wühlte das Schwein in der Erde. Die Hühner waren ihm wohl dabei im Weg, denn sie gackerten plötzlich ganz aufgeregt. Halb sechs las David auf der Uhr, die er auch nachts nie abnahm.

Es war so, als ob er es laut ausgesprochen hätte, denn im selben Augenblick saß seine Mutter kerzengerade im Bett und fragte: „Ist es schon halb sechs?“

Ohne eine Antwort abzuwarten, kroch sie über die schlafenden Kinder hinweg auf den Boden. Sie tastete mit den Händen ihren Rücken ab, verzog ihr Gesicht, schlich über den Erdboden und öffnete vorsichtig die Tür zum Hof.

Als David das Geräusch des laufenden Wassers hörte, befreite er sich aus Ernestos Griff und setzte sich auf die Bettkante. Durch die Tür hindurch konnte er sehen, wie seine Mutter sich das Wasser über Gesicht und Hände goß. Sie sah müde aus, aber sie war mehr als nur müde. Seine schöne Mutter mit dem aufrechten strammen Körper, seine Mutter mit den jungen fröhlichen Augen, die jeden zum Mitlachen ansteckten, seine Mutter stand nun im Licht der frühen Morgendämmerung, und David konnte sehen, wie sehr sie sich verändert hatte. Sie war sehr mager, und man spürte förmlich, wie sich ihr Körper gegen jede Bewegung wehrte, als ob jeder Schritt und jeder Handgriff schmerzte. Er fühlte einen Anflug von Angst in sich aufkommen und ging hinaus in den Hof.

„Wie geht es dir, Mutter?“

Ernesto war in diesem Augenblick auch in den Hof getreten, hüpfte herum und wiederholte die Frage: „Wie geht es dir, Mutter?“

Mutter lächelte etwas und ging über den Hof zu dem Platz unter ein paar losen Dachbalken, der die Küche darstellte.

„Gut, ich bin nur etwas müde.“

Sie öffnete eine Dose, blickte hinein und verschloß sie seufzend, bückte sich über einen Topf auf der Erde und erhob sich wieder.

„Wir haben keinen Mais. Ich habe vergessen, daß er gestern zu Ende ging.“

„Nein“, dachte David, „vergessen hast du das bestimmt nicht. Aber was hätte es schon ausgemacht, selbst wenn du dich daran erinnert hättest? Wir hatten auch gestern kein Geld.“

Doch er sagte nichts, und Mercedes sprach weiter mit sich selbst, während sie suchte.

„Na ja. Wir haben ein paar Bananen, das muß reichen. Sie machte Feuer zwischen den Steinen, die ihr als Herd dienten, und stellte den Topf darauf. Sie goß einige Tropfen Öl in den Topf und begann, die Bananen zu schälen. Das zischende Geräusch der bratenden Bananen erreichte David, als er sich gerade am Wasserhahn wusch.

„Ist das das letzte Öl?“ fragte er.

„Nein, wir haben noch ein paar Löffel.“

David seufzte. Er hatte vorgehabt, heute direkt zur Schule zu gehen. Er konnte es kaum erwarten, Isabel und Victor das neue Lied vorzustellen, das er am gestrigen Abend noch zu später Stunde fertig geschrieben hatte. Es war das Lied, das noch für das Kabarett fehlte, und er war der Meinung, es sollte die beste und lustigste Nummer im Programm werden. Er malte sich genau aus, wie Isabel dazu singen würde und wie er und Victor währenddessen die Geschichte mimen würden. Eigentlich fehlte noch eine Person, um das Stück perfekt zu machen. Es war aber nun nicht mehr zu ändern, es war zu spät, um noch eine vierte Person zu finden, da nur noch eine Woche bis zum Fest übrigblieb.

In der hinteren Hosentasche der verschlissenen blauen Jeans steckte der Notizblock mit dem neuen Text. Er strich zufrieden darüber, als er seine Hose anzog. Sie würden staunen, daß er fertig geworden war. Er malte sich Victors bewundernden Blick und Isabels Freude aus. Er mußte lächeln. Doch das Lächeln erstarb, als ihm seine schlafenden Geschwister wieder in den Sinn kamen. Er konnte nicht direkt zur Schule gehen. Ja, die Frage war, ob er überhaupt zur Schule gehen konnte. Aber er wollte gehen, er mußte einfach gehen. Er überlegte, daß er jetzt am Morgen einen Stapel Zeitungen verkaufen könnte, wenn er sich beeilte. Und mit einem kleinen bißchen Glück würde er am Nachmittag in der Werkstatt ein paar Reparaturarbeiten machen dürfen. Das würde wenigstens ein bißchen Geld einbringen. Er könnte das alles schaffen, vielleicht sogar noch die Probe am Abend. Sollte er Oscar zum Zeitungsaustragen mitnehmen? Er blickte zweifelnd zur Hängematte hinüber, wo sein vier Jahre jüngerer Bruder gerade aufzuwachen schien. Nein, allein konnte er schneller fertig werden, als wenn Oscar mithalf.

Mit ein paar eiligen Schritten verließ David das Zimmer. Er fischte sich eine Banane aus dem Topf über dem Feuer, aber sie war noch zu heiß, um sie zu essen. Er warf sie zur Kühlung in die Luft und teilte seiner Mutter mit: „Ich hole jetzt einen Packen Zeitungen. Sag Oscar, daß er meine Schulsachen mitnehmen soll, wenn er losgeht.“

Die Drachenkinder von Nicaragua

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