Читать книгу Die verendete Geschichte - Anno Dazumal - Страница 3
1. Akne X - Ungelöste Rätsel: Der Leerkörper
Оглавление„Hartzlich willkommen in unserer Zauderschule! Ich bin Euer Lehrer, Herr Ipotter“, stellte sich ein relativ junger Mann den vor ihm sitzenden Schülerinnen und Schülern vor. Gelächter kam auf. „Sehr witzig. Nur gut, daß Ihr meinen Vornamen nicht wißt. Jedenfalls eins gleich zu Beginn: Ihr lernt hier nicht für das Leben, sondern einzig und allein für die Schule. Beginnen wir mit einer Versteigerung, äh, Steigerung: Wie lauten die Steigerungen des Wortes „leer“?“ erkundigte sich Herr Ipotter. „Leer, Lehrer, Lehrling“, antwortete Heiko Bold. Wieder war Gelächter zu hören. „Ganz genau. Immer schön lachen, denn das ist ja bekanntlich gesund. Meine Damen und Herren, vielleicht sollte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie sich in der 11. Jahrgangsstufe eines Gymnasiums befinden und dank der Politik in zwei Jahren diese Schule mit der Hochschulreife, dem Abitur verlassen werden“, ließ der Lehrer verlauten. Eiskaltes Schweigen herrschte im gut beheizten Raum. Die Stimmung war sogleich auf dem höchsten Tiefpunkt angekommen. Genau das hatten die jungen Leute nicht hören wollen. Schließlich wußten sie, daß selbst sie als vermeintliche Elite des Landes zukünftig mehr mit dem Arbeitsamt als mit dem Postamt zu tun haben würden. Auch Herr Ipotter fühlte sich unwohl in seiner Haut, was nicht etwa daran lag, daß er von einer Schönheitsoperation kam, oder lieber eine Frau gewesen wäre. Er hatte den Auftrag erhalten, die Klasse zu motivieren und Begeisterung zu entfachen, doch das war alles Andere als einfach. „Wie Ihr sicherlich wißt, gehöre ich hier zu den jüngeren Lehrern, die noch eher Verständnis für Euch und Eure Sorgen und Probleme haben. Also, was liegt Euch denn auf dem Herzen?“ versuchte er es auf die kumpelhafte Tour. „Ich habe Spielschulden!“ „Ich bin drogenabhängig.“ „Ich habe noch drei Leichen im Keller und weiß nicht wohin damit.“ Nach jenen Antworten wußte Stefan Ipotter, daß er in dieser Klasse keinen leichten Stand haben würde. Er kam sich so verloren vor wie ein Sozialarbeiter unter lauter Strafgefangenen, die ihn nicht ernst nahmen und am liebsten nichts mit ihm zu tun haben wollten. Na ja, so abwegig war jener Vergleich wiederum gar nicht, denn schließlich handelte es sich bei der Schulpflicht auch um einen Zwang, man konnte also nicht wirklich behaupten, daß die jungen Leute freiwillig auf den viel zu kleinen und unbequemen Stühlen saßen. „Bin ich hier wirklich richtig?“ dachte sich der Lehrkörper verzweifelt, denn der Funke wollte einfach nicht überspringen. Vor ihm saßen 25 junge Menschen, die später einmal die Führungspositionen des Landes besetzen sollten, doch aus seiner Sicht handelte es sich dabei lediglich um verzogene, pubertäre Gören und Vandalen, die nichts außer Blödsinn im Kopf hatten und überhaupt nicht wußten, was von ihnen erwartet wurde. Vielleicht war es aber auch einfach nur so, daß Stefan Ipotter der falsche Mann am falschen Platz war. Er war ein Langweiler, einer, dem man nicht länger als eine halbe Stunde zuhören konnte ohne einzuschlafen und er konnte nicht gut erklären. Nein, es war keineswegs so, daß er als Lehrer ein totaler Versager gewesen wäre, da gab es weitaus schlimmere Gestalten, die unter Anderem auch an der Zauderschule ihr Unwesen trieben. Jedoch war Herr Ipotter ebenfalls nicht gerade der Lehrer, den man auf Oberstufengymnasiasten, die ihre Nasen ja doch schon relativ hoch trugen, loslassen hätte sollen. So brachte er die erste Doppelstunde langweilig routiniert über die Runden und war erleichtert, als er das Klassenzimmer nach dem Gong schleunigst verlassen konnte. „Na, das kann ja heiter werden“, murmelte Reiner Dapfel nach der Veranstaltung angeödet. „Es hätte auch schlimmer kommen können. Herr Ipotter ist zwar ein Langweiler, aber wenigstens kein Sadist so wie unser ehemaliger Sportlehrer Klaus Thaler“, entgegnete Georg Elklang. „Der hätte lieber öfter alkoholfrei als hitzefrei nehmen sollen“, lästerte Carola Ster. Die Stimmung in der Klasse war weder gut noch schlecht, sie war schlut oder gecht, aber sie war da. Ein Jahr Herr Ipotter. Wer würde das ohne bleibende Schäden überleben?
Mercedes Demenz
„Na, wie war es in der Schule?“ wollte die Mutter wissen, die wieder einmal fürchterlich aufgetakelt auf dem Sofa lag und deren Alkoholkonsum dem örtlichen Getränkehändler das Überleben sicherte. „Langweilig wie immer“, waren die Worte von Hilde Menz. „Gut so. Wieso sollte es Dir besser gehen als mir?“ befand die Vogelscheuche, die sich einen weiteren Schluck aus der Pulle gönnte. „Mama, ich bin nicht krank, so wie Du. Ich bin jung, das Leben liegt noch vor mir und wartet sehnsuchtsvoll auf mich, während der einzige Mann, der auf Dich wartet, Jim Beam ist“, machte Hilde deutlich. Da erhob sich das Couchmonster langsam und sprach salbungsvoll folgende Worte der Verhöhnung, äh, Versöhnung: „Aber Hildelein, warum denn so aggressiv? Erzähl mir doch lieber erst einmal, wer Euer Klaßlehrer ist.“ „Herr Ipotter.“ „Oho. Ist er jung? Sieht er gut aus?“ „Keine Ahnung ob er Jungs ißt und ob er noch gut sieht. Jedenfalls trägt er keine Brille und er ödet mich an.“ Nach jenen Worten schickte sich Hilde Menz an, den Raum mit der alkoholgeschwängerten Luft zu verlassen, doch ihre Mutter hatte das übliche Lallbedürfnis, weshalb sie ihr hinterher torkelte und einmal mehr grandios von der Treppe herunterfiel. „Ja, ja, und die Politiker haben nichts Besseres zu tun, als die Minderjährigen vor dem Alkohol zu schützen. Die sollten sich lieber um die wirklichen Problemfälle kümmern“, kam Hilde in den Sinn, bevor sie sich in ihrem Zimmer einschloß, um ihre Ruhe zu haben. Das Leben war nicht leicht für ein 17jähriges Mädchen und eine alkoholabhängige Mutter war nicht unbedingt das, was man sich zum Geburtstag wünschte, aber nachdem drei Entziehungskuren phänomenal gescheitert waren, hatte Hilde die Hoffnung auf Besserung längst aufgegeben. „Dich soll doch der Alko holen!“ hatte sie ihrer Mutter einst während eines fürchterlichen Streits an den Suffkopf geworfen, doch das hatte jene mißverstanden und sich an einen Typen namens Arco rangemacht. Überhaupt, die Männer! Fast jeden zweiten Abend kam Heide Menz mit einer anderen männlichen Schnapsleiche nach Hause, um ihre sexuellen Triebe zu befriedigen. Anfangs hatte sie noch einigermaßen ansehnliche Männer mit heimgebracht, mittlerweile kamen nur noch Penner. Auch wegen denen sperrte sich Hilde regelmäßig in ihrem Zimmer ein, denn früher war es öfter mal vorgekommen, daß so ein „Bierpatriot“ „versehentlich“ in ihr Zimmer geschwankt war und sich, im Glauben es handele sich bei ihr um ihre Mutter, mit ihr paaren hatte wollen. Kurz und gut, Hilde hatte es nicht leicht und dementsprechend sehnsuchtsvoll wartete sie auf ihren 18.Geburtstag und auf den Tag, an dem sie das schöne Haus, in dem sie seit vielen Jahre lebte, endlich verlassen konnte. „Weißt Du, es wird immer schlimmer mit der Schnapsdrossel. Sie rülpst, furzt und pöbelt, manchmal erkennt sie mich nicht und will mich aus ihrem Haus rausschmeißen. Ich kann wirklich gut verstehen, warum mein Vater sie vor acht Jahren verlassen hat“, erzählte die Schülerin ihrer besten Freundin Erna Tur. „Jeder Spuk hat mal ein Ende. Vielleicht sollte Deine Mutter sich wirklich besser einen Betreuer suchen“, schlug Erna vor. „Ja genau. Am besten einen von den Typen, die hier immer die Klospülung ruinieren, so daß es im ganzen Haus stinkt. Daheim meine Mutter und ihre widerlichen Sauf- und Bettbrüder und in der Schule die Schlaftablette Ipotter. Das wird ein schreckliches Jahr“, befürchtete Heide. „Ach was! Das schaffst Du schon. Außerdem hast Du in einem Jahr Deinen Führerschein und dann kannst Du viel öfter von daheim weg. Deine Mutter darf den Mercedes eh nicht nutzen und für Dich ist er genau das richtige Auto.“ „Die versäuft ihn bestimmt noch, bevor ich ihn bekomme. Am liebsten würde ich einfach abhauen.“ „Cool bleiben. Alles halb so wild. Schließlich haben wir da ja auch noch ein paar ganz süße Jungs in der Klasse über uns.“ „Ach ja, die Jungs, ...“ schwärmte Hilde. Es folgte ein zweistündiges Frauengespräch über Männer, Klamotten, Make-up, Make-down, Drogen, Neuigkeiten, Artigkeiten, Altigkeiten, Dummheiten, Musik, Dessous und Tampons.
Das Direk-Tor
Natürlich hatte auch Stefan Ipotter einen Vorgesetzten, den man ihm vor die Nase gesetzt hatte. Direktor Tenguß war ein ruhiger, besonnener Mann, doch leider auch jähzornig und launisch. Schon des Öfteren war er mit Herrn Ipotter aneinandergeraten und nach wie vor war das Verhältnis der Beiden nicht das Beste, aber auch nicht das Zweitbeste, es lief eher unter ferner liefen. Herr Ipotter ignorierte seinen Chef so gut es ging und solange es gut ging, ging es ihm gut. Viktor Tenguß war streng, hielt sich aber für gerecht und unfehlbar, weshalb er auch fast nie fehlte. Die Schülerinnen und Schüler mochten ihn nicht sonderlich, aber das störte ihn wenig, denn sein Interesse galt in erster Linie den hübschen jungen Frauen und die hatten schnell erkannt, daß es sich immer wieder auszahlte, wenn man dem Herrn Direktor ein freundliches Lächeln oder auch mal ein Höschen zuwarf. Wann immer sich eine blendend aussehende Frau über irgendeinen Lehrer, eine angeblich zu schlechte Note, über schmutzige Toiletten oder freche Mitschüler beschwerte, stand Direktor Tenguß auf, um seinen Mann zu stehen und für Recht und Ordnung zu sorgen. Die Arbeit in der Schule tat ihm gut, denn bei sich zu Hause hatte er nichts zu sagen. Seine Frau hatte nicht nur Bügeleisen und Zügel fest in der Hand, sie machte ihn auch tagtäglich mit perfiden Psychotricks so fertig, daß er ein absoluter Befürworter der Ganztagsschule war und am liebsten auch an den Wochenenden Unterricht gegeben hätte. Sein Unterricht war anstrengend, denn er witterte überall Feinde. Die schönsten Frauen bekamen die besten Noten, die Jungen übersah er geflissentlich und die weniger attraktiven Mädchen ließ er ebenfalls links liegen. Mit anderen Worten: Viktor Tenguß war ein ganz normaler, völlig typischer Direktor eines Gymnasiums, wobei ich eine Schülergruppe natürlich nicht unterschlagen darf, der er ebenfalls seine besondere Aufmerksamkeit schenkte: Dabei handelte es sich um die Söhne und Töchter von wohlhabenden Eltern, welche wiederum der Schule alljährliche eine enorme Menge an Spendengeldern zukommen ließen. So kam es, daß manchmal die dümmsten Schüler die besten Noten bekamen, oder wenigstens das Klassenziel erreichten, obwohl sie nicht mal genügend Stroh im Kopf hatten, um dort oben ein Feuerchen zu machen. Solange Papi immer wieder mal einen dicken Scheck rüberwachsen ließ, hatte Direktor Tenguß überhaupt kein Problem damit, die geistigen Spastiker der Bonzen durchzuwinken. Nun aber hatte er ein ernstes Wörtchen mit einer jungen Referendarin zu reden und in jenes Gespräch wollen wir uns jetzt einklinken, wobei wir den Sabber, der Ficktor aus dem Mund lief und den Knüppel in der Hose, den er hoffentlich im Sack ließ, gutmütig übersehen. „Liebes Fräulein Rischke, ich weiß, Sie kommen frisch aus dem Studium und ich bin mir auch im Klaren darüber, daß es für Sie sehr schwer ist, sich an eine so aufmüpfige Klasse wie die 8b zu gewöhnen, aber mit Weinkrämpfen werden Sie dort nichts erreichen“, gab der Direktor zu verstehen. „Das sind Freudentränen. Ich mußte so lachen, als ein Schüler Sie parodiert hat, das war einfach genial“, erwiderte die Referendarin. Auf einmal flippte Tenguß aus: „Wer war die Sau? Ans Kreuz mit ihm! Wer wagt es, mich zu parodieren? Aber ich werde mit diesen marodierenden Schülerhorden schon noch fertig werden, eigenhändig werde ich all diejenigen verprügeln, die es wagen, sich über mich lustig zu machen!“ schrie der erregte Mann. „Na, da werden Sie bestimmt alle Hände voll zu tun haben, Herr Kollege“, mutmaßte der Biologielehrer Michael Tern, der älter als Tenguß war und nicht sonderlich viel Respekt vor jenem hatte. „Halten Sie doch die Klappe, Sie Kaulquappenschänder! Sie können mich mal!“ rief ihm der Direx hinterher. „In die Irrenanstalt bringen“, fügte Herr Ipotter hinzu und mit jenen Worten hatte sich der junge Mann selbst in die Schußlinie begeben. Tenguß lief feuerrot an und wollte auf seinen Untergebenen einprügeln, doch bevor es soweit kommen konnte, erlitt er einen Herzinfarkt und ging von dannen.
Muten gorgen!
Es war einer jener Tage wie aus dem Bilderbuch: Hilde Menz verließ am frühen Morgen ihr Zimmer, stolperte bereits auf der Treppe über eine der obligatorischen Alkoholleichen, wobei sie sich nicht sicher war, ob es sich bei dem übelriechenden Ekelpaket um ihre Mutter oder deren nächtlichen Begatter handelte und rollte schmerzhaft die Treppe herunter. Another day in paradise. Draußen schien die Sonne sich hinter dicken, schweren grauen Wolken gemütlich eine Ruhepause zu gönnen und drinnen lag überall der Müll rum, der für einen wunderbaren modernden Duft sorgte, welcher wiederum Hilde motivierte, das Haus so schnell wie möglich zu verlassen. Nachdem sie sich den Schlaf aus dem Gesicht gewaschen und gewisse unaufschiebbare wichtige Geschäfte zu ihrer vollsten Zufriedenheit erledigt hatte, verließ sie den Prachtbau, der einer billigen Kneipe immer ähnlicher wurde und ließ damit ihr bemitleidenswertes Familienleben hinter sich. Doch in der Schule angekommen, erreichte sie die für manche erfreuliche Nachricht sogleich: „Ding dong, der Rex ist tot!“ jubilierte einer der Fünftkläßler und hüpfte erfreut in der Gegend herum. „Das wurde aber auch allerhöchste Zeit. Ich konnte diesen Polizeischnüffelhund eh nie leiden“, gab Hilde zu. „Doch nicht der Rex, Du dumme Kuh! Direktor Tenguß ist gestorben“, klärte Heiko Bold sie auf. Da konnte Hilde nicht anders, sie mußte einfach grinsen. „Na das ist doch endlich mal eine gute Nachricht. Wie ist das passiert?“ erkundigte sie sich. Und so erfuhr auch sie die wundersame Geschichte vom plötzlichen Ableben des Schulvorstehers. „Schön langsam wird mir Herr Ipotter sympathisch“, meinte Reiner Dapfel anerkennend. „Ich finde Harry Potter zum Kotzen“, widersprach Brigitte Reisen. „Ich meine doch unseren Lehrer, den Zauderlehrer und nicht den englischen Zauberlehrling.“ „Ach so. Reiner Müll, was Du da absonderst.“ „Ich heiße Reiner Dapfel.“ „Schon gut, aber deswegen wird der Unterricht auch nicht interessanter. Unsereins hätte den Rektor auch zur Weißglut getrieben“, versicherte Brigitte, die unter ihren Mitschülern den spitzen Spitznamen „Bigitte“ innehatte, da sie sowohl Männer als auch Frauen ranließ und verschwand.
Als Herr Ipotter in der vorletzten Stunde in der 11.Klasse unterrichtete, erhoben sich die jungen Leute, als er den Raum betrat und applaudierten ihm stehend. „Vielen Dank für diesen herzlichen Empfang“, begrüßte Stefan Ipotter sein Publikum und nahm erst einmal gerührt und geschüttelt ein Vollbad in der vollauf begeisterten Menge. „Nachdem wir jetzt unseren größten Feind besiegt haben, wollen wir uns wieder der französischen Grammatik widmen“, verkündete er und so verflog die Begeisterung ob seiner heroischen Tat genauso schnell wie sie gekommen war. Nein, jener Lehrer hatte einfach nicht das Zeug zum Volkstribun und so entschlummerte Hilde einmal mehr sanft, träumte von dem Typen, in den sie gerade verknallt war und mit ihr hörten viele Andere nicht zu, sondern widmeten sich wichtigeren Dingen. Den Lehrer störte das wenig, denn immerhin fünf Leute arbeiteten mit und das genügte ihm völlig. Auch er hatte nach dem Tod des Direktors ein Problem weniger, schließlich war es Tenguß gewesen, der ihn immer wieder in Schwierigkeiten gebracht hatte, doch auch im Lehrerkollegium gab es einige Personen, mit denen Herr Ipotter so seine Probleme hatte. Das lag einmal daran, daß der junge Mann nicht gerade interessant, intelligent oder unterhaltsam war, aber ein weiterer Grund dafür war, daß sich an der Schule einige Gestalten tummelten, die sich zwar Pädagogen schimpften, aber keinen blassen Schimmer davon hatten, wie man Wissen vermittelt. So kam es relativ häufig zu Streitereien im Kollegium, die hin und wieder sogar in einer wüsten Prügelei ausarteten. Aber das war nichts Besonderes, denn an anderen Schulen lief es oft genauso ab, auch wenn das weder die Eltern noch die Medien hören und schreiben wollten. Schließlich ist Einbildung eine beliebte Bildung und für die Väter und Mütter war das Wichtigste, daß die Kinder aus dem Haus waren.
Time to say good Brei
Es war eine gigantische Beerdigung, denn die ganze Stadt war auf den Beinen, um dem überall hoch angesehenen, verblichenen Direktor Viktor Tenguß die letzte Ehre zu erweisen. Wunderbare Grabreden wurden gehalten, unzählige Krokodilstränen vergossen, die größten Kritiker des Krepierten stellten sich als seine treuesten Verbündeten dar und es wurde so viel gelogen, daß sich die Balken der Kirche derartig bogen, daß das Gotteshaus beinahe eingestürzt wäre. Seine Ehefrau, die ihn jahrzehntelang terrorisiert hatte, heulte wie eine Boje und die Schülerinnen und Schüler stimmten Trauerlieder an, obwohl sie sich Tage vorher noch jubelnd in den Armen gelegen waren, nachdem sie vom plötzlichen Ableben des Direktors erfahren hatten. Die Schizophrenie hielt also einmal mehr Einzug in die Wirklichkeit und so gab es ein pompöses Begräbnis mit allem Drum und Dran, sogar das Kultusministerium hatte einen Staatssekretär vorbei geschickt, der eine heftig benickte Rede hielt, in der er den großen Schulvorsteher als „herausragende Persönlichkeit“ würdigte, wobei von der Leiche zum Glück nichts aus dem Sarg herausragte, was jedoch andere Gründe hatte, auf die ich noch zu schreiben kommen werde. „Mein allerherzlichstes Beileid, gnädige Frau“, säuselte Herr Ipotter, doch die Ehefrau des Abgekratzten würdigte ihn keines Blickes. „Sie haben meinen Mann auf dem Gewissen“, zischte sie. „Aber nicht doch. Ich habe das Faß nur zum Überlaufen gebracht, die vorbereitende Zermürbung haben ja dankenswerterweise Sie übernommen.“ „Was erlauben Sie sich! Ich habe meinen Mann geliebt.“ „Sie haben ihn nach Belieben psychoterrorisiert. Sogar mir gegenüber hat er sich negativ über sie geäußert.“ „Sie Ekel! Erst bringen Sie meinen Mann ins Grab und jetzt wollen Sie auch noch mich über den Jordan schicken. Da bleibt mir ja die Spucke weg.“ „Immer mit der Ruhe, Frau Tenguß. Sie werden schon wieder ein Opfer finden, dem sie die letzte Lebensfreude aus den Gliedern saugen können“, verabschiedete sich der Lehrer und trottete davon. Empört blickten ihm viele Beerdigungsgäste hinterher, doch das Raunen der Menge verebbte recht schnell wieder, denn es folgten die üblichen Beileidsbezeigungen, die überwiegend heuchlerisch und nicht ernst gemeint waren. Danach begab sich die feine Gesellschaft zum Leichenschmaus und diejenigen, die sich schon immer gefragt hatten, warum das Beerdigungsmahl jenen merkwürdigen Namen hatte, wurden darüber aufgeklärt, denn sie verspeisten, natürlich ohne es zu wissen, den toten Körper des Schuldirektors. „Also so ein himmlisches Mahl habe ich bisher noch nie genossen. Das hätte Ihr Gatte noch erleben sollen“, befand der Staatssekretär, nachdem er sich mit der Zunge die Lippen geleckt hatte. „Man kann nicht alles haben“, entgegnete die Witwe knapp. Sie freute sich im Stillen darüber, daß sie sich ein paar hundert Euro gespart hatte, indem sie den Trauergästen statt eines tierischen Bratens ihren toten Gatten vorsetzen hatte lassen. Natürlich hatte der Koch zuerst protestiert, doch dann hatte er die Herausforderung, Menschenfleisch zuzubereiten, freudestrahlend angenommen, denn so eine Möglichkeit bekam man höchstwahrscheinlich nur einmal im Leben. „Wirklich sehr delikat. Was ist das, das wir gerade gegessen haben?“ wollte Biologielehrer Tern wissen. „Ach, das war ein veredelter Wildschweinbraten“, blockte die Witwe ab. „Unmöglich. Ich weiß wie Wildschwein schmeckt.“ „Dann war es halt ein anderes Tier. Spielt doch keine Rolle. Hauptsache, es hat allen geschmeckt.“ „Da haben Sie allerdings Recht“, gab er klein bei und ließ sich noch einen Nachschlag bringen. Hätte der gute Mann gewußt, daß er da mit sichtlichem Genuß seinen einstigen Rivalen, der ihm immer eine Koksnasenspitze voraus gewesen war, verspeiste, so wäre er garantiert in schallendes Gelächter ausgebrochen und hätte mit noch mehr Appetit zugelangt. Nur der alten Mutter des Direktors schien der Braten nicht so recht zu munden, was aber lediglich daran lag, daß sie ihre richtigen falschen Zähne im Altenheim vergessen hatte.
Was hast Du hier zu suchen?
Du brauchst Dich gar nicht zu verstecken, ich habe Dich bereits entdeckt. Du hast also diese Seiten bis hierher gelesen. Was fällt Dir eigentlich ein? Wer glaubst Du denn überhaupt, daß Du bist? Ja, ich weiß schon, Du hast mit Hilde Menz mitgelitten, weil sie eine alkoholkranke Mutter hat, aber warum leidest Du nicht mit ihrer Freundin Erna mit, die sich die ganze Scheiße tagtäglich anhören muß? Du hast Dich darüber gefreut, daß jener unsympathische Direktor aus dem Verkehr gezogen wurde, aber hast Du vielleicht schon mal daran gedacht, daß da ein unendlich trauriges Enkelkind seinen über alles geliebten Großvater verloren haben könnte? Du bedauerst die jungen Leute von der 11. Klasse, die den langweiligen Unterricht von Ipotter ertragen müssen, aber warum leidest Du nicht mit Stefan, der die gelangweilten Gesichter der Schülerinnen und Schüler ertragen muß? Du mokierst Dich hier darüber, daß das Wort Leichenschmaus wörtlich genommen wurde, aber denkst Du eigentlich auch an die Vegetarier, die jenen Happen nicht genießen durften, weil alle geglaubt hatten, daß es sich um Tierfleisch handelte? Was erlaubst Du Dir eigentlich? Liest hier so eine kranke Geschichte und erwartest wohl auch noch Ernsthaftigkeit, Logik, Sinn und Verstand? Blätterst hier durch das Werk eines Irren und erlaubst mir nicht mich zu irren oder einmal mehr geistig zu verirren. Es zwingt Dich doch niemand, diese Scheiße hier zu lesen. Komm schon, wirf diese Blätter in den Papierkorb und widme Dich wichtigeren Dingen! Ich kann auch ohne Dich leben!
So, das war also jetzt etwas, das sich jede Autorin und jeder Autor im Grunde des eigenen Herzens wünscht, doch niemand traut es sich: Leser/in beschimpfen. Glaub mir, es ist toll, Dich so frontal anzugehen, denn Du kannst Dich nicht wehren. Klar, Du kannst jetzt aufhören zu lesen, aber mal ehrlich: Wir wissen doch Beide, daß Du das nicht tust, sonst wärst Du nicht an dieser Stelle hier angelangt. In Wirklichkeit wollen wir Beide überhaupt nicht wissen, wie diese Geschichte weitergeht. Ist ja auch egal, ob Hilde Menz endlich einen Freund kriegt und ob ihre Mutter Werbung für Brauereien machen wird. Spielt auch keine Rolle, ob Herr Ipotter endlich eine Frau findet, die ihn nicht mit Fesseln am Bett festbindet. Ich muß Dich enttäuschen, denn dieses Buch hier ist die Ausgeburt des Schwachsinns. Diese Geschichte, die eben erst begonnen hat, ist nur eine von vielen und zum Schluß wird die ganze Scheiße auch noch kräftig durcheinander gerührt, Du kannst Dich also noch auf jede Menge Irrsinn gefaßt machen. Also, werte Leserin, geschätzter Leser, überlege Dir gut, was Du tust und ob Du Dir diesen Schwachsinn hier noch länger antust. Vielleicht solltest Du statt dessen lieber Deine Einkommenssteuererklärung machen oder einen Punk überfallen. Noch kannst Du dem Wahnsinn entkommen, fliehe jetzt oder werde genauso verrückt wie ich, was ja hin und wieder auch ganz abwechslungsreich sein kann. Auf alle Fälle verspreche ich Dir eines: Das hier war erst der Anfang, es wird noch doofer, noch flacher, noch kranker und noch inhaltsloser. Noch kannst Du Dich diskret zurückziehen und niemand wird es merken, doch später werde ich Dich in meine Geschichten mit einbeziehen, ganz egal ob Dir das paßt oder nicht, da kenne ich nichts. Also, noch einmal ganz langsam für Schnellchecker: Entweder Du verpißt Dich hier und jetzt, dann wirst Du vermutlich auch keine bleibenden Schäden zurückbehalten, oder Du wagst Dich in die Abgründe des menschlichen Daseins und wirst zurückkehren in eine gespenstische Welt, die Du nicht mehr verstehst oder die Dich nicht mehr versteht. Ich habe Dich jedenfalls gewarnt, die Entscheidung liegt bei Dir. Überlege Dir die Sache gut, denn später gibt es kein Zurück mehr. Wenn Du glaubst, daß Du das halbe Buch lesen und dann für immer zur Seite legen kannst, dann hast Du Dich getäuscht. Dieses Buch wird Dich bis an Dein Lebensende verfolgen, zumindest dann, wenn Du während des Lesens auf einmal stirbst. Na gut, das also als kleine Warnung zwischendurch, nun liegt die Entscheidung ganz bei Dir.
Neue Besen lehren gut
Wer geglaubt hatte, daß jede oder jeder besser als der verspeiste Direktor Tenguß sein würde, hatte sich gründlich getäuscht. Es hatte fast den Anschein, als ob es doch irgendwie mit dem Parteibuch zusammenhängen würde, wer da auf dem Direktorstuhl Platz nehmen sollte, zumindest hatte das in Bayern eine jahrzehntelange Tradition. Es spielte zwar eine Rolle, doch keine große, denn ein Feindbild wurde letztlich nur durch ein neues ersetzt, denn ohne Feindbilder fehlte halt eine gewisse Würze im Leben. Stefan Ipotter saß mit seinem guten Bekannten Martin Tenfleck in einer Kneipe und wieder einmal drehte sich alles um das Thema Erziehung. „Glaub mir, Stefan, paradoxe Erziehung, das ist der Weg zum Ziel. Fordere Deine Kinder auf, zu rauchen, zu saufen und den ganzen Tag fernzusehen und sie werden genau das nicht tun“, behauptete Tenfleck. „Ich habe keine Kinder“, erwiderte Ipotter. „Das ist auch ein großes Glück für die Menschheit. Hör zu! Was interessiert Kinder am meisten? Alles was verboten ist. Was folgt daraus? Verbiete ihnen die Dinge, die Du für wichtig hältst, wie Schulbücher lesen, Gemüse essen und so weiter und so fort.“ „Aber das ist doch Unsinn. Kinder sind schlau, die durchschauen das.“ „Was ich damit sagen will: Viele Dinge werden für die Kids nur interessant, weil sie verboten sind. Verstehst Du? Wie oft ist es schon vorgekommen, daß die Kinder genau so geworden sind, wie es die Eltern nicht wollten? Unzählige Male! Das liegt daran, weil da subtil Druck auf die Frecker ausgeübt wird und den beantworten sie mit Gegendruck.“ „Mag sein, aber wenn ich ehrlich bin, mich interessiert das alles nicht sonderlich. Ich mache nur meinen Job, was aus den Leuten später wird, ist mir im Grunde scheißegal, denn beeinflussen kann ich es eh nicht und wenn doch, dann auch nicht so, wie ich möchte.“ „Stefan, Du bist ein Ignorant. Gerade Du als Lehrer hast im Gegensatz zu mir als Bürokaufmann die Möglichkeiten, Einfluß auf die künftige Generation zu nehmen und was machst Du? Ein gelangweiltes Gesicht und wahrscheinlich einen genauso spannenden Unterricht.“ „Wenn ich ein Entertainer wäre, dann wäre ich nicht Lehrer geworden, sondern zum Fernsehen gegangen.“ „Das kannst Du so auch. Als Nachrichtensprecher.“ „Martin, ich möchte gerne über andere Dinge reden. Über Erziehung und den Mist muß ich eh schon viel zu oft nachdenken und quasseln.“ „Na toll. Worüber sollen wir reden? Deine Briefmarkensammlung oder Deine Frauengeschichten?“ „Sehr witzig. Ich möchte gerne über den Sinn des Lebens sprechen.“ „Ja dann tu das doch. Aber trink lieber erst noch ein Bier.“ Es folgten noch etliche weitere alkoholische Getränke und eine Stunde später erhob sich Martin Tenfleck von seinem Platz und teilte den anderen Kneipenbesuchern Folgendes mit: „Alle mal herhören! Halten Sie mal für eine Minute die Klappe und hören Sie zu, wenn uns Herr Ipotter den Sinn des Lebens erklärt.“ Tatsächlich wurde es still und so begann der Genannte zu philosophieren: „Das Leben hat keinen Sinn, aber wir geben ihm einen. Eigentlich müßten wir uns darüber beschweren, aber bei wem? Auf einmal sind wir in dieser Welt und wissen nicht warum. Und irgendwann sterben wir und wissen auch nicht warum. Deswegen sollten wir uns hier jeden Abend die Gehirnzellen wegsaufen, damit wir nicht länger darüber nachdenken müssen, was das Leben für einen Sinn hat. Prost!“ Nach jenen weisen Worten aus dem Munde eines leicht Betrunkenen erhöhte sich der Bierkonsum auf der Stelle, doch als der Wirt herbei kam und Ipotter bat, doch öfter mal so eine Rede zu halten, entgegnete jener: „Tut mir leid, aber solche genialen Sätze sind einmalig, die kann man nicht beliebig oft wiederholen. Ich hatte gerade eine Vision. Die Vision von einer Welt, in der alle Menschen sich betrinken und glücklich sind.“ Nach jenen Worten fiel Herr Ipotter vom Stuhl und verlor das Bewußtsein. Doch das kam öfter vor, deshalb beunruhigte es Tenfleck nicht sonderlich. Wahrlich, Lehrer war kein einfacher Beruf und dennoch gab es genügend Leute, die es werden wollten. Herr Ipotter war einer davon.
Ein gans normaler Tag
Es gab viele Dinge in ihrem Leben, die Hilde Menz störten, doch es war nicht so leicht, dagegen vorzugehen. Sie fand sich zu klein und zu dick, wobei das ihre subjektive Einschätzung war, die nur wenige teilten. Außerdem hatte sie ein relativ geringes Selbstbewußtsein, was wiederum dazu führte, daß sie von Anderen mehr hielt als von sich, was oft nicht der Realität entsprach. Jedenfalls hatte Hilde keine Ahnung, was sie nach dem Abitur studieren sollte und eigentlich wollte sie auch gar nicht darüber nachdenken. „Hilde, bring mal die leeren Flaschen zum Getränkemarkt!“ befahl ihre Mutter und so machte sich die Tochter auf den Weg, wobei sie ziemlich zu schleppen hatte. Du standst draußen auf der Straße und sahst ihr zu, aber Du konntest und wolltest ihr nicht helfen. Das war ihr Leben, da mußte sie schon alleine durch. „Schönen guten Tag!“ begrüßte der Getränkehändler sie mit einem freundlichen Grinsen. Immerhin handelte es sich bei Hilde um die Tochter seiner besten Kundin und vielleicht würde sie später auch mal so viel konsumieren, denn Vorbilder werden oft nachgeahmt. Andererseits bedauerte der Mann die junge Frau, denn es war sicher nicht einfach, mit so einer Mutter zusammenzuleben. Aber von irgendwas mußte auch er leben und da waren zu viele Gefühle nur hinderlich, schließlich ging es ihn nichts an, was und wieviel seine Kunden tranken, Hauptsache sie kauften fleißig bei ihm ein. „Manchmal würde ich die ganzen Flaschen am liebsten an die Wand schmeißen“, keuchte Hilde, während sie jene zurückgab. „Aber das ist doch auch keine Lösung. Wäre schade um das Flaschenpfand und die Scherben wären auch sehr gefährlich“, sagte er dazu. „Mag sein. Doch irgendwann reicht es halt. Ich meine, wie lange geht das jetzt schon so? 15 Jahre, 20 Jahre?“ „Das kann ich Dir ganz genau sagen: Deine Mutter begann kurz nach Deiner Geburt mit dem Alkohol trinken, vorher hat sie hier nur Saft gekauft. Irgendwie schien sie es nicht mehr zu ertragen, bei ihrem Mann nicht mehr allein im Mittelpunkt zu stehen.“ „Na toll. Wollen Sie damit etwa sagen, daß ich daran schuld bin, daß meine Mutter Alkoholikerin geworden ist?“ „Nein, das nicht. Ich habe Dir nur gesagt, wann es mit dem Trinken bei ihr losging und warum. Vielleicht hätte sich Dein Vater mehr um seine Frau kümmern sollen.“ „Mischen Sie sich gefälligst nicht in unsere Familienangelegenheiten ein!“ zischte Hilde genervt und verließ das Geschäft. Lächelnd blickte der Getränkehändler ihr nach. „Die kann einem wirklich leid tun. Aber hat nicht jeder seinen schweren Rucksack durchs Leben zu tragen? Das ist wie bei der Bundeswehr. 20 Kilo Marschgepäck, für die Einen sind es 50, für die Anderen vielleicht zehn, kommt immer drauf an, wie gut man gebaut ist. Na ja, ich kann es eh nicht ändern und wenn der ihre Alte so weiter säuft, dann kann ich mir bald einen zweiten Neuwagen leisten“, freute sich der Mann in Gedanken.
Derweil war Hilde nach Hause zurückgekehrt und dort auf eine relativ ansprechbare Frau Menz getroffen, die ihr sofort das Geld für die zurückgebrachten Flaschen abknöpfte. „Sag mal, wie lange willst Du eigentlich noch saufen?“ fragte ihr Hilde direkt ins Gesicht. „Bis ich tot umfalle“, lautete die Antwort. „Na prima. Du bist wirklich die beste Mutter, die man sich vorstellen kann.“ „Ich weiß.“ „Lange halte ich das nicht mehr aus“, dachte sich Hilde verzweifelt und zog sich auf ihr Zimmer zurück.
Keine Angst, Hilde, Deine Rettung naht, auch wenn Du noch nichts davon weißt. Ich kenne Deine Zukunft und deswegen werde ich Dich aus Deiner verzwickten Lage befreien, versprochen. Währenddessen begab sich Heide Menz zum Bierkasten, um mal wieder den üblichen Pegel zu erreichen, der ihr dabei half, jene Tage zu überstehen. Eigentlich hätte ihr Leben nicht so enden müssen, doch nach der Geburt ihrer Tochter hatte sie ihren Beruf aufgegeben und das Dasein als Hausfrau und Mutter hatte ihr mit der Zeit die letzte Lebensfreude geraubt. Doch wer trug die Schuld an dem ganzen Dilemma? Alle, niemand, König Alkohol? Ich weiß es nicht.
Die Schule lebe hoch!
Endlich mal ein Tag, wie ihn sich gelangweilte Schülerinnen und Schüler vorstellten. Kein sinnloser Unterricht, sondern Hochschulinformationstag. Alle waren bestens gelaunt und ertrugen es sogar, von Stefan Ipotter begleitet zu werden, denn wenigstens hielt er an solchen Tagen überwiegend die Klappe. Herr Ipotter wunderte sich schon ein wenig darüber, daß seine Klasse aufgeweckter als sonst war, doch er hätte es sich niemals eingestanden, daß das etwas mit ihm zu tun haben könnte. Man ignorierte ihn geflissentlich und so zogen die jungen Leute von einer Studiengangsvorstellung zur nächsten, holten sich Infos und Broschüren, hörten sich Geschwall an und verbrachten einen angenehmen Tag. „Ach ja, die Hochschule“, begann Herr Ipotter zu sinnieren. „Was waren das für Zeiten, als ich dort noch Student war, so lange ist das ja noch gar nicht her und es hat sich auch noch nicht sonderlich viel verändert. Es war eine schöne Zeit, auch wenn ich nicht so viel gelernt habe, schließlich waren die Partys viel wichtiger. Damals hatte ich meine ersten Erfahrungen mit illegalen Drogen, es war herrlich. Vielleicht sollte ich öfter mal was rauchen, damit ich den Schulalltag eher ertrage.“ Nach jenen gesetzesüberschreitenden Gedanken setzte er seinen Weg durch die mächtigen Hallen fort und spürte, daß etwas zu Ende ging. Du liefst geradewegs an ihm vorbei, doch er beachtete Dich überhaupt nicht, denn er war in Gedanken versunken. Außerdem wäre es höchst zweifelhaft gewesen, ob er Dich erkannt hätte, denn so gut kanntest Du ihn auch wieder nicht, schließlich waren viele Jahre seines Lebens vergangen gewesen, in denen Du rein gar nichts mit ihm zu tun gehabt hattest. Hin und wieder traf Herr Ipotter auf ein paar bekannte Gesichter, doch viel mehr als Smalltalk kam dabei nicht heraus. „Schon erstaunlich. Aus den Augen, aus dem Sinn. Vor ein paar Jahren hat man noch fast jeden Tag zusammen verbracht und heute tut man so, als kenne man sich nur zufällig von einem gemeinsamen Urlaub her“, dachte sich der großartigste Lehrer aller Zeiten und bedauerte das insgeheim. Was das Gesetz der Nähe doch alles ausmachte. Übrig geblieben war nur noch Show. Alle taten so, als gäbe es in ihrem Lehrerdasein keinerlei Probleme und alle wußten, daß sie sich gegenseitig in die Tasche logen. Doch das gehörte halt mal zum guten Ton, aber plötzlich traf Herr Ipotter auf seinen ehemaligen Professor, dessen Vorlesungen fast genauso langweilig wie Stefans Unterricht gewesen waren. „Na, junger Mann, wie läuft es denn so bei Ihnen?“ erkundigte sich die graue Eminenz gönnerhaft. „Ich kann nicht klagen“, antwortete Ipotter. „Nur gut, daß Sie kein Anwalt sind, sonst hätten Sie da ein Problem. War nur ein Scherz. Aber jetzt mal im Ernst: Ich habe das von Ihrem Direktor in der Zeitung gelesen und in der Boulevardpresse stand, daß ein Streit mit Ihnen zu seinem Herzinfarkt geführt hat. Wie kommen Sie damit klar?“ „Darüber habe ich noch überhaupt nicht nachgedacht. Ich war nur einer von Vielen, Direktor Tenguß war bereits extrem erregt, als ich ihn ansprach.“ „Ja, hätten Sie denn in diesem Fall nicht einfach die Klappe halten können?“ „Im Nachhinein ist man immer schlauer. Es wäre aber zu schade um meinen Witz gewesen. Wissen Sie, wenn mir schon einmal ein guter Spruch einfällt, dann muß ich den auch rauslassen dürfen.“ „Aber es ist ein Mann deswegen gestorben.“ „Aber doch nur, weil er sich so darüber aufgeregt hat. Er hätte schließlich auch darüber lachen können.“ „Schon gut, ich konnte den Kerl ja auch nicht leiden. Trotzdem hat Ihr Ruf mächtig gelitten“, erklärte der Professor zum Schluß, bevor er weiter trottete. Leicht pikiert schaute Herr Ipotter ihm nach. Derweil saßen und standen viele seiner Schülerinnen und Schüler in einem Vorlesungssaal und lauschten den Worten eines Mannes, der sie irgendwie faszinierte, was wohl kaum an seinem Äußeren lag. Die Art, wie er sprach und was er sagte, beeindruckten die jungen Leute extrem. Wenn das die Hochschule sein sollte, dann war sie echt cool. Der Mann vor der Tafel zog alle Register seines rhetorischen Könnens.
Ehe der Hahn dreimal kräht ...
Prof. Dr. Dr. Dr. Cock stolzierte durch den Raum, schüttelte hier eine Hand, klatschte da eine Zuhörerin ab, er war einfach überall und dabei redete er auch noch die ganze Zeit. Und wie er redete! Mal war seine Stimme fast nicht vernehmbar, plötzlich durchdrangen seine Worte mit immenser Lautstärke den ganzen Raum, auf einmal fing er zu singen an, Sekunden darauf zeigte er den Ausschnitt eines Films, während er einer Zuhörerin interessiert in den Ausschnitt blickte, später präsentierte er einige spezielle rhetorische Tricks und als es ganz kurz unruhig wurde, meldete er sich folgendermaßen zu Wort: „Schenken Sie mir bitte einen Augenblick!“ Dabei zwinkerte er etlichen Leuten im Saal deutlich zu. Das Publikum war begeistert. Prof. Dr. Dr. Dr. Cock machte Werbung für einen deutschlandweit einmaligen Studiengang mit dem interessanten Namen Kommunikationsfüsiliogie, von dem er andauernd erzählte. Er unterhielt die Zuhörerschaft mit faszinierenden Exkrementen, äh, Experimenten, flirtete mit dem weiblichen Publikum und machte der deutschen Übersetzung seines Nachnamens alle Ehre. Stehende Ovationen der jungen Leute belohnten ihn für seinen überzeugenden Auftritt und es war absehbar, daß sich einige der Zuhörerinnen und Zuhörer für jenen Studiengang, der einen tiefen Einblick in die Abgründe der menschlichen Seele und Kommunikation versprach, bewerben würden. Cock hatte also seine Pflicht erfüllt und dementsprechend für Nachschub gesorgt. Selbstzufrieden rauchte er eine Havanna und redete selbstbewußt irgendwelche jungen Leute an, denn er hatte keinerlei Berührungsängste und dank seiner rhetorischen und schauspielerischen Fähigkeiten wußte er, daß ihm niemand das Wasser würde reichen können. Als ihm dann aber doch eine junge Frau ein Glas Wasser reichte, dankte er ihr recht freundlich und setzte daraufhin zu einem kleinen Monolog an: „Eine wirklich gelungene Veranstaltung, das Ganze hier. Schön, daß auch ich meinen bescheidenen Teil dazu beitragen durfte. Ich hätte ja überall hingehen können als Professor, doch ich habe mich ganz bewußt für eine kleinere Stadt in den neuen Bundesländern entschieden, denn dort kann man noch etwas Neues erschaffen und aufbauen“, waren seine Worte. Gebannt starrten ihn viele junge Leute an, die fasziniert von jenem scheinbar selbstbewußten Mann waren, der da so locker vom Hocker aus dem Nähkästchen plauderte. „Nicht, daß Sie jetzt meinen, ich als Professor würde in irgendeiner Hierarchie über Ihnen stehen. Ganz im Gegenteil. Ich sehe mich als Dienstleister an und Sie sind meine Kunden und wie Sie sicherlich wissen, ist der Kunde immer der König.“ Solche Worte sorgten dafür, daß ihm die Herzen zuflogen und er genoß die Aufmerksamkeit und die Sympathie, die ihm zuteil wurden, denn er brauchte das alles so dringend wie ein Fisch das Wasser. „Ist es nicht wahnsinnig schwer, in so einem Elitestudiengang als Student zu bestehen?“ erkundigte sich ein junger Mann vorsichtig. Cock blickte ihn direkt an und sprach: „Sie schaffen das - versprochen.“ Ein Raunen ging durch die Menge. Da war endlich mal ein Professor zum Anfassen, der auch gerne mal hinlangte, kein abgehobener Elfenbeintürmer, sondern einer, der die Sprache der Jugend verstand und teilweise auch selbst in seinem Wortschatz spazierenführte. „Wow! So ein cooler Professor! Dieses Studium dort ist bestimmt geil“, glaubte eine junge angehende Abiturientin. Zum Abschluß setzte Prof. Dr. Dr. Dr. Cock sein überall bekanntes und hochgeschätztes Siegerlächeln auf und verkündete: „So, jetzt muß ich aber wirklich los, liebe Freunde. Schließlich habe ich ja inzwischen auch noch einen weiteren Studiengang gegründet, den Sie auch kennenlernen können, nachdem Sie mit Ihrem Erststudium fertig sind.“ Daraufhin verließ er die staunende Zuhörerschaft, die mit offenem Mund seinen Ausführungen gefolgt war. „Das ist halt ein Mann“, stellte eine blonde Frau beeindruckt fest. Zwei weitere Frauen wären beinahe in Ohnmacht gefallen, doch gerade noch waren sie bei Bewußtsein geblieben. Was für eine Show!
Bonjour Tristesse - Gute Schuhe dritte Fresse
Wenige Tage später erlebten ungefähr 20 Studentinnen und Studenten des Studiengangs Kommunikationsfüsiliogie ihren guten alten Prof. Dr. Dr. Dr. Cock, wie sie ihn zu ihrem Bedauern leider schon kannten. Er war launisch und das hieß an jenem Tag nichts Gutes, denn er hielt im wahrsten Sinne des Wortes eine Vorlesung, was bedeutete, daß er schlicht und einfach aus seinem Skript vorlas. Das tat er mit der Leidenschaft eines Arbeitslosengeld II-Empfängers, der dazu verdonnert worden war, die heruntergefallenen Blätter zusammenzukehren. Nur gut, daß der langweilige Spuk ein schnelles Ende fand, denn 15 Minuten vor dem regulären Ende der Vorlesung hatte der Professor keinen Bock mehr und schickte die gelangweilte Zuhörerschaft frühzeitig nach Hause, womit er sich wenigstens ein paar Sympathiepunkte verdienen konnte. Nach der Vorlesung unterhielten sich Thomas Kerade und Holger Stensaft ein wenig über das eben Gehörte: „Na ja, man kann nicht immer in Hochform sein“, verteidigte Stensaft sein Idol. „Mag sein. Trotzdem: Das Skript lesen kann ich genausogut daheim. Dazu brache ich nicht extra in die Hochschule“, fand Kerade. „Ach, der Cock wollte bestimmt nur austesten, wie wir auf sowas reagieren. Der arbeitet bestimmt mit allen füsiliogischen Tricks.“ „Na ja, wenn er so weitermacht, dann kann er bei seiner nächsten Vorlesung die Zuhörer alle persönlich mit Handschlag begrüßen.“ Was aber war mit dem übel gelaunten Prof. Dr. Dr. Dr. Cock los? War ihm etwa eine Laus über die Leber gelaufen? Nein, lediglich sein Kollege und Rivale Prof. Dr. Schwalldoof. Früher waren Cock und Schwalldoof mal ein Team, aber nie intim gewesen, doch das war lange her. Gemeinsam hatten sie den Studiengang Kommunikationsfüsiliogie gegründet, in der Hoffnung, damit Ruhm und Ehre zu erlangen. Leider war aus den großen Plänen nichts geworden und so dümpelte in der grauen Stadt, die schon viele Ostdeutsche gen Westen verlassen hatten, alles vor sich hin. Klar, jedes Jahr bewarben sich mindestens 400 Leute für die gut 30 Studienplätze, doch irgendwie war die ganze Sache in den Kinderschuhen steckengeblieben. Man improvisierte auch nach acht Jahren immer noch und hatte einige Fächer völlig fehlbesetzt, was die Studentinnen und Studenten zwar alljährlich monierten, doch das hatte zu nichts geführt. Jedenfalls hatten sich Cock und Schwalldoof irgendwann fürchterlich zerstritten, so daß sie sich nur noch siezten und so gut es ging aus dem Weg gingen. Irgendwie verständlich, denn auf keinem Misthaufen gibt es zwei Hähne, auch wenn es, wie in diesem Fall, ein ziemlich großer Misthaufen war. Trost fand Cock lediglich bei seiner Leidens- und Lebensgefährtin Aspyrin, die ihm die schweren Stunden ein wenig versüßte. Jedenfalls hing der Haussegen an der Hochschule mächtig schief und so buhlten Cock und Schwalldoof um die Gunst ihrer Studenten. Jene verfolgten das abstruse Treiben mit Schaudern und Interesse, doch viel wichtiger waren ja sowieso die Inhalte, von denen Schwalldoof mehr als genug zu bieten hatte. Es gab da auch noch einen Dritten im Bunde, Prof. Dr. Kabale, der sich klugerweise dezent im Hintergrund hielt und sein eigenes Ding durchzog, ohne sich besonders um die beiden Kampfhähne zu kümmern, so daß er sich von jenen auch nicht instrumentalisieren ließ. „Ich habe die Schnauze voll. Andauernd werden mir Steine in den Weg gelegt, es ist ein endloser Kampf. Wissen Sie, ich arbeite über 80 Stunden in der Woche, manchmal sogar 30 am Tag, irgendwann kann auch ich nicht mehr“, erzählte ein erschöpfter Prof. Dr. Dr. Dr. Cock, hoffentlich habe ich kein Dr. vergessen, sonst werde ich bestimmt verklagt, einer mitfühlenden Studentin, die eigentlich schon längst in einer zur selben Zeit stattfindenden Vorlesung sein wollte, doch der verzweifelte Mann hatte sie nicht ziehen lassen. „Vielleicht sollten Sie mal mit jemandem darüber reden. Ich finde, Professor Schwalldoof wäre ein geeigneter Therapeut“, äußerte sich die Studentin. Da lief Cock rot an, rang nach Luft, schrie „Neiiiiiiiin!“ und sank auf seinen Chefsessel.
Probieren geht über Studieren
Du willst wissen, wie es ist zu studieren? Hmmh, da fragen wir doch mal einen, der sich damit auskennen sollte, vielleicht mich? Nun ja, es kommt ganz drauf an, ob man studiert, um ausgebildet und eingebildet zu werden, oder ob man studiert, um nicht arbeiten zu müssen. Das heißt, Du kannst dauernd lesen und lernen, wiederholen und ausarbeiten, oder Du machst einfach nichts, legst Dich auf die faule Haut und machst Dir eine schöne Zeit. Das sind die beiden Extreme, dazwischen gibt es selbstverständlich jede Menge Grautöne. Aber wieso bist Du immer noch hier? Eigentlich wollte ich schon seit zwei Seiten keine/n Leser/in mehr haben und endlich für mich alleine sein. Was soll die Scheiße? Glaubst Du etwa, ich schreibe, um Dich zu unterhalten? Das könnte Dir so passen, das wäre ja noch schöner. Ich therapiere mich hier lediglich selbst und dabei will ich nicht gestört werden, verstanden? Also wirklich, unerhört sowas! Hast wohl sonst nichts zu tun, was? Zu wenig Arbeit, zu viel Zeit. Nimm Dir mal ein Beispiel an Prof. Dr. Dr. Dr. Cock! Der ist halt ein cooler Typ, oder etwa nicht? Was der drauf hat, da sind ja Hollywood-Schauspieler ein Dreck dagegen. Der muß sich jeden Cent seines Gehalts knallhart erarbeiten. Ach ja, warum eigentlich immer diese Unterbrechungen? Natürlich damit ich mich nicht langweile. Ist doch immer noch besser als Werbung, oder etwa nicht? Du bist müde? Um so besser, dann leg diesen Mist hier endlich in die brennende Mülltonne und verdirb Dir nicht länger Deine Augen und Dein Gemüt damit. Ich werde mich auch gleich zurückziehen und Musik hören, bin ja schließlich keine Tippse. Ob ich meine Geschichten erlebe oder erfinde? Natürlich Beides. Die Mischung macht’s. Selbstverständlich gibt es solche Wunderprofessoren in der Realität nicht, das wäre ja nicht auszudenken. Wo hört die Satire auf und wo fängt die Wirklichkeit an? Zugegeben, irgendwo in Deutschland gibt es tatsächlich ein kleines gallisches Dorf, das unbesiegbar ist, weil ein Druide mit einem grauen Bart immer seinen Zaubertrank mixt und ihn daraufhin alleine austrinkt, um danach göttliche Vorlesungen zu halten, aber das sind doch alles nur die Einfälle eines Irren, welcher Professor hat schon drei Doktortitel, eben! Alles nur Theater, ich habe lediglich einen kleinen Hirnriß, was fast so toll wie ein Filmriß oder ein Außenrist ist, doch letzten Endes wählen nur die allerdümmsten Kälber ihren Rinderwahnsinn selber. In diesem Sinne. Pfüat Di!
So, jetzt aber wieder zu Dir: Schon mal studiert? Und? Wie isses? Wie war’s? Wie wird’s sein? Ach, Du auch nix Deutsch, so wie ich. Macht nichts. Kannst auch als Legastheniker Professor werden und tolle Skripten schreiben, das garantiere ich Dir. Mußt die Scheiße ja dann nicht lesen oder verständlich erklären, angearscht sind immer die Anderen. Und sonst? Na ja, mein Betreuer hat recht wenig Zeit für mich, deswegen kann ich hier unbeaufsichtigt am Computer sitzen und wirres Zeug in die Tasten hämmern, bis ich endlich eine wärmere Zwangsjacke bekomme, denn es ist verdammt kalt hier drin und draußen erst recht. Also, um es mal kurz auf den Doppelpunkt zu bringen: Studieren ist geil! Ich muß es wissen, sonst hätte ich nicht drei Studiengänge verschlissen, schon gerissen, oder beschissen? Scheißegal, denn noch sitze ich hier und schreibe diesen Krampf, bis ich endlich einen Schreikrampf oder einen Schreibkampf bekomme und wenn Du das hier liest, und es auch noch genießt, dann bist Du ein Sadist, damit Ihr es nur wißt. Na ja, immer noch besser als gar kein Hobby, doch genug gesülzt, die Vogelgerippe nach der Vogelgrippe liegen neben der Kinderkrippe und die Bettler werden auch immer schlanker, müssen die jetzt etwa den Gürtel ebenfalls enger schnallen, doch warum ist eine Gürtelrose etwas Schlimmes, wenn doch ein Gürtel und eine Rose für sich ganz in Ordnung sind? Hallo, bist Du immer noch da? Also gut, ich gebe es auf, ich werde Dich einfach nicht los. Meinetwegen, dann lies halt weiter, spielt eh keine Rolle, vielleicht gibst Du ja irgendwann doch noch auf und wenn nicht, dann ist das im Grunde Dein Problem.
Drum prüfe wer sich vorm Meister befindet
Die Kugelschreiber flitzten nur so über die Schreibblöcke, eifrige Gehirne ratterten auf Hochtouren, Schweiß allerorten, doch es war fast schon mythisch: Vorne, ein großartiger Mensch, ein kommender Nobelpreis- und bereits ein heutiger Pulloverträger, eine phänomenale Erscheinung, ausgestattet mit einem Meisterhirn, kurz: Professor Doktor Schwalldoof. Er übertraf sich wieder einmal selbst, jonglierte mit den diversesten Theorien, verknüpfte sie mühelos, unternahm Gedankensprünge, begann mit der kommunikationsfüsiliogischen Kritik von Theorien, die er noch nicht mal erklärt hatte. Es war eine Orgie intellektueller Selbstbefriedigung, die da einmal mehr vonstatten ging, es gab nichts zu verstehen, sondern es galt, die erleuchtete Weisheit des großen Meisters in sich aufzusaugen, um mit ihr und dem Universum eins zu werden. Nach seinen, in höheren Sphären stattgefundenen, geistigen Ergüssen, kam Schwalldoof kurz auf die Erde nieder und beglückte das gebannte Publikum mit folgenden genialen Sätzen: „Ich weiß, daß man meine Skripte kaum versteht, mir geht es da genauso wie Ihnen, zum Glück brauche ich sie nicht mehr lesen. Ich habe sie seinerzeit unter Drogeneinfluß geschrieben, sie wurden mir von meinem Guru Bolzkampf eingeflüstert. Aber egal, Sie werden eh nie so klug wie ich und außerdem müssen Sie zu mir in die mündliche Prüfung, wo ich Sie auf Herz und Nieren prüfen werde, denn ich bin ja auch noch Doktor. Jetzt aber wieder zurück in die Welt der Füsiliogie ...“ Nach der unverständlichen Vorlesung moserte Thomas Kerade nur rum: „Also ich hab’ überhaupt nichts kapiert und dem Kerl ist das auch noch scheißegal. Vielleicht sollten wir mal eine Skriptenverbrennung veranstalten, um diesen Schlaufuchs von seinem hohen Roß herunterzuholen.“ „Immer langsam reiten. Das wäre Blasphemie. Du mußt Dir einfach mehr Mühe geben. Ohne Schweiß kein Preis“, erwiderte Holger Stensaft. „So ein Scheiß. Dem kannst Du nicht zuhören, sein Skript kann man nicht lesen, was soll der Müll? Da kann ich ja gleich nichts tun.“ Und das tat er dann auch, aber er war nur einer von 13, die gingen.
Es war soweit. Mündliche Prüfung bei Schwalldoof. Viele hatten gelernt wie verrückt und es machten Gerüche und Gerüchte die Runde, daß etliche Leute weinend aus der Prüfung herausgekommen waren. Da es sich dabei meist um Frauen gehandelt hatte, beschloß eine besonders coole Frau, daß sie auf keinen Fall weinen würde, was immer der Typ da drin sie fragen oder mit ihr anstellen sollte. Eisenhart ging sie in sein Büro, doch auch sie kam heulend und gebrochen wieder heraus. „Was war los?“ wurde sie gefragt. „Es war furchtbar. Am Anfang lief alles noch ganz gut, aber als er merkte, daß er mich mit seinen bohrenden Fragen und seinen Füso-Tricks nicht aus der Reverstasche locken kann, da hat er zu abscheulichen Mitteln gegriffen. Er hat sich auf einmal ein Stück von seinem linken Zeigefinger abgebissen und da konnte ich nicht mehr anders, da mußte ich einfach drauflos heulen“, berichtete sie. Lieber Oral B als mündliche Prüfungen, verzeih bitte die Schleichwerbung.
Ganz anders bei Cocki im Cockpit. „Ah ja! Holger Stensaft!“ „Den hab’ ich schon mitgebracht“, stellte der Student klar und überreichte dem Professor eine Flasche Bier. Danach unterhielten sich die Beiden ganz zwanglos über diverse Philosophen und quatschten ein wenig über Sprache und was sich manche dabei denken und damit hatte es sich. Ja, das waren die kleinen, aber feinen Unterschiede. Aber mal ehrlich, es gibt wesentlich Interessanteres als so einen Studiengang am Arsch der Welt, zum Beispiel eine Werbeagentur. In einer von denen hatte sich ein Student zwecks Praxissemester beworben und er war an zwei ganz große Vertreter ihrer Zunft geraten. Werbegenies, die mehr im Kopf hatten als Andere auf ihrem Frühstückstisch. Giganten der Fernsehfilmunterbrechungsunterhaltung, Virtuosen der humorvollen Witzwerbung, Wortakrobaten, Satzbastler, Buchstabensalatdresseure, kurz und gut es handelte sich um zwei Menschen, wie sie artiger und größer nicht sein konnten.