Читать книгу Raubvögel über dem Rauneckhof - Anny von Panhuys - Страница 5

II.

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Auch die leidvollsten Stunden gehen vorüber, auch die schwersten Tage können nicht verweilen, und so waren schon einige Wochen verflossen, seit Herbert Rauneck auf dem kleinen Dorffriedhof gebettet worden war.

Er schlief in der Familiengruft zwischen seiner Mutter und seiner Frau, zu Füßen seines Vaters und seiner Großeltern.

Täglich, gleichviel bei welchem Wetter, wanderte Ilse nun zum Friedhof und betete.

Sie fühlte sich oft so grenzenlos einsam, und ihre hübschesten Stunden am Tage waren es, wenn sie mit Inspektor Werdenberg eine Gutsangelegenheit besprach oder die Mittagsmahlzeit mit ihm gemeinsam einnahm.

Schon bei ihrem Vater hatte Ulrich Werdenberg stets an ihrem Mittagstisch teilgenommen, und Ilse dachte gar nicht daran, das zu ändern.

Um so mehr aber beschäftigten sich die lieben Nächsten damit.

Man klatschte und tratschte, es gehöre sich nicht, daß der Inspektor tagtäglich am Tische der jungen Herrin sitze, als sei er der Gatte.

Eines Tages hörte auch Hermine Seydel davon.

Sie ärgerte sich sehr darüber, sagte aufgebracht zu ihrem Mann: „Wie schlecht sind doch die Menschen. Es ist eine große Gemeinheit von den bösen Zungen, der armen Ilse was am Zeug flicken zu wollen, weil sie, wie sie es von jeher gewohnt, mit dem Inspektor gemeinsam zu Mittag ißt.“

Dr. Seydel machte eine unbestimmte Gebärde.

„Aber, liebe Hermine, es ist doch eine alte Geschichte, der Klatsch ist ein Wegelagerer, er stürzt sich auf jeden, der ihm nicht klug ausweicht. Und dann bin ich selbst auch der Meinung, Ilse Rauneck ist noch zu jung, um so allein zu hausen. Sie ist reich genug, sich eine Gesellschafterin leisten zu können. Es gibt so nette, liebe, ältere Damen. Wenn so eine Respektsperson auf dem Rauneckhof käme, müßten die Klatschtanten, die in diesem Fall wohl nicht alle männlichen Geschlechts sind, verstummen. Rate doch Ilse zu einer Gesellschafterin, könntest dich ja sogar in der Angelegenheit bemühen.

Frau Hermine machte sich am Nachmittag auf nach dem nur eine Viertelstunde vom Dorf entfernten Gutshof und traf Ilse bei der Lektüre eines landwirtschaftlichen Werkes.

„Sie wachsen allmählich in Ihre Rolle als Gutsherrin hinein“, lobte Hermine Seydel, den langen Titel des dickleibigen Buches lesend. Sie nahm die Einladung zum Kaffee an, und als der dunkle Trank in den Tassen dampfte, brachte sie das Gespräch langsam auf das Thema, um dessentwegen sie heute hierher gekommen.

Ilse lächelte ein wenig.

„Ach, liebste Frau Doktor, ich verspüre nicht das mindeste Verlangen nach einer Gesellschafterin. Ich habe außerdem gehört, man kann dabei tüchtig reinfallen. Sehen Sie, wie unangenehm wäre es zum Beispiel, wenn so eine dame d‘honneur ihren Ehrenposten bezieht und es stellt sich nach kurzer Zeit heraus, sie ist eine unangenehme Person. Dann habe ich sie auf dem Halse und es kostet nachher allerhand Mühe und Arbeit, sie wieder los zu werden. Nein, nein, ich fühle mich allein ganz wohl. Sie besuchen mich ja öfter und Inspektor Werdenberg auch.“

„Um den handelt es sich ja gerade“, platzte Hermine Seydel heraus, undiplomatisch wie sie nun einmal war.

Ilse sah die ihr am Kaffeetisch Gegenübersitzende mit großen Augen an.

„Ich begreife wirklich nicht, was Sie meinen. Weshalb brauche ich denn gerade eine Gesellschafterin, weil Sie mich öfter besuchen und der Inspektor auch?“

Die Ältere machte ein etwas betretenes Gesicht.

„Ich falle immer gleich mit der Tür ins Haus“, klagte sie sich an, „aber das Drumherumreden liegt mir nicht. Also kurz heraus, liebstes Ilsekind, man klatscht, weil der Inspektor des Mittags an Ihrem Tische mit ißt und kein Anstandswauwau dabei sitzt.“

Ilse konnte nicht anders, sie mußte lachen.

„In welchem Jahrhundert leben wir denn eigentlich? Heutzutage, wo Männlein und Weiblein zusammen turnen, baden und wandern, ist‘s doch wohl wirklich nicht mehr nötig, daß sich eine Mündige eine Gesellschafterin nimmt.“ Sie wurde ernst. „Ulrich Werdenberg kam auf den Rauneckhof, als ich erst elf Jahre alt war, er gehört doch hierher, wie — ach, ich weiß keinen rechten Vergleich. Nein, liebe Frau Doktor, so gut Sie es mit mir meinen, ich möchte keine Gesellschafterin. Eine Verwandte, eine befreundete Dame, nun ja, so eine Gesellschaft wäre vielleicht ganz angenehm, aber eine Fremde würde nur eine Störung bedeuten. Also mögen die Leute klatschen, wenn es sie langweilt, hören sie auch wieder auf.“

„Beste Ilse, Sie haben beinahe recht, aber auch nur beinahe! Sie würden sich sicher sehr bald an eine nette Gesellschafterin gewöhnen.“ Frau Hermine zuckte die Achseln. „Es wäre ja auch nicht für immer. Eines Tages werden Sie heiraten und dann sind Sie sowieso nicht mehr allein.“

Ilse war leicht errötet.

Weshalb brauchte sie heiraten? Der Rauneckhof bedurfte keines Herrn, solange Ulrich Werdenberg hier blieb.

Und hatte er nicht gesagt, er würde den Hof nie verlassen, sie müßte ihn denn selbst fortweisen.

Sie Ulrich Werdenberg fortweisen!

Im ganzen Leben nicht, und wenn sie beide so alt würden wie Methusalem.

Hermine Seydel nahm an, Ilse schweige solange, weil sie über die Gesellschafterinfrage nachdachte. Sie drängte: „Sagen Sie ja, liebe Ilse, ich bin dann gern bereit, in Frankfurt nach einer geeigneten Dame Umschau zu halten. Ich habe morgen doch dort zu tun.“

Ilse hatte wirklich keine Lust zum Jasagen, aber ein glattes Nein wollte ihr auch nicht mehr über die Lippen, denn die freundliche Doktorsfrau meinte es nur gut mit ihr, dessen war sie sicher.

Sie wich aus: „Ich möchte mir Ihren Vorschlag noch ein bißchen überlegen, noch ein paar Tage, so von allen Seiten, wissen Sie, Frau Doktor. Da ich aber ebenfalls einiges in der Stadt besorgen möchte, können wir ja morgen zusammen fahren. Im Wagen. Wenn es Ihnen recht ist?“

„Natürlich ist es mir recht“, erwiderte Hermine Seydel lebhaft. „Ich fahre doch tausendmal lieber in Ihrem bequemen Mercedeswagen, als in dem vollgestopften Zug dritter Güte. Und im übrigen lassen Sie sich nur Zeit, meinen Vorschlag wegen einer Gesellschafterin gründlich zu überlegen.“

Sie nahm sich aber vor, Ilse Rauneck morgen während der einstündigen Autofahrt noch ordentlich zuzureden.

Doch sie hatte auch am nächsten Tage wenig Glück damit.

Ilse sagte: „Ich möchte es mir gewissenhaft überlegen, ich kann mich noch nicht entschließen.“

Man machte allerlei Besorgungen und dann besuchte Frau Hermine Bekannte, indes Ilse noch einige Einkäufe erledigte.

Um sechs Uhr wollte man sich am Hauptbahnhof wieder treffen, wo auch das Auto warten sollte.

Ilse war zuerst zur Stelle und sie spazierte in der Nähe des Autos auf und ab.

Sie dachte, Hermine Seydel würde ja wohl auch bald kommen.

Die Zeit würde ihr beim Warten kaum lang werden. Es war ganz amüsant, das bunte Leben und Treiben am Bahnhofsplatz zu beobachten.

Eine Dame kam ihr entgegen, ein paar flimmernde, rötliche Löckchen drängten sich seitlich unter dem kleinen schwarzen Samthut hervor, ein glatter Tuchmantel betonte noch die Überschlankheit der Figur.

Ilse blieb stehen, schaute der anderen wie wartend entgegen.

Und nun sahen sie sehr hellblaue Augen an, leuchtend rote Lippen öffneten sich zu einem erstaunten Ausruf.

„Ilse, wahrhaftig, das ist ja Ilse Rauneck! Wenn es auch schon fast vier Jahre her ist, seit wir bei Frau von Dorp in Wiesbaden im Pensionat zusammen waren, so hast du dich doch wenig seither verändert. Das heißt, damals sahest du eigentlich ein bißchen derber, ländlicher aus. Schmaler bist du geworden, verfeinerter.“

Sie streckten sich beide erst jetzt die Hände entgegen und Ilse fragte: „Du bist wohl auf der Durchreise hier, Jutta, wenn ich nicht irre, wohnst du doch in Berlin?“

Jutta Linden seufzte sehr betont.

„Ich wohnte dort, ja. Mit meinen Eltern. Aber sie starben vor zwei Jahren, Geld blieb keins, und ich muß mir meinen Lebensunterhalt selbst verdienen. Ich bin Gesellschafterin bei einer, mit Respekt zu sagen, ganz niederträchtigen alten Baronin, die mich abscheulich schikaniert. Am liebsten möchte ich ihr davonrennen. Aber wohin soll unsereins rennen? Laufe ich dem einen Drachen weg, so laufe ich wahrscheinlich einem anderen zu. Außerdem ist es sehr schwer, eine neue Stellung zu finden.“

Ilse sah, an den langen, wie dünne goldene Fäden schimmernden Wimpern glänzten ein paar Tränen.

Sie empfand Mitleid.

Wie gut hatte sie es doch eigentlich dagegen. Materielle Sorgen kannte sie nicht und sie brauchte sich nicht schikanieren lassen in Abhängigkeit und Dienstbarkeit.

Jutta Linden fragte leise: „Um wen trägst du Trauer, Ilse?“

Ilse gab Antwort.

Jutta Linden nickte.

„Stehst also auch allein in der Welt! Hoffentlich brauchst du nun nicht auch bei des Teufels Großmutter unterzukriechen, wie ich.“ Ihre Augen überflogen wie prüfend Ilses Kleidung. „Anscheinend hast du es nicht nötig. Du stammst aus einer Gärtnerei oder so was ähnlichem, nicht wahr?“

Ilse schüttelte den Kopf.

„Ich bin die Herrin vom Rauneckhof. Vaters Vorfahren wandelten sich durch Generationen zu Gutsherren. Der Hof liegt eine gute Stunde von hier.“ Sie wies leicht auf den Wagen. „Ich bin mit dem Auto hier und warte noch auf eine Dame, die mit mir hergekommen ist.“

Jutta Lindens Augen hatten sich förmlich geweitet.

„Das ist dein eigenes Auto? O, du lieber Himmel, Herrin eines Gutshofes und Besitzerin eines prachtvollen Autos bist du! Ja, da hast du es gut. Wie armselig kommt sich unsereins dagegen vor!“

Jutta Linden war klug genug, sich das heftige Neidgefühl, das sie empfand, nicht anmerken zu lassen.

Sie hatte damals in der Pension ja keine Ahnung davon gehabt, daß Ilse Rauneck aus besonders wohlhabendem Hause stammte. Eine Art Bauernmädel, das gute Manieren lernen sollte, hatte sie in ihr gesehen, weil Ilse so überaus einfache Kleider getragen und ihr Äußeres etwas ländlich gewesen.

Sie hatte sich damals auch kaum um sie gekümmert, denn damals war sie selbst noch das verwöhnte Bankierstöchterchen gewesen.

Sie galt als tonangebend in der Pension der Frau von Dorp.

„Besuche mich doch bald einmal“, schlug Ilse vor, „ich würde mich sehr freuen.“

„Wie gerne käme ich“, gab Jutta zurück, „aber meine Brotgeberin wird es mir kaum erlauben. Keinen Schritt soll ich aus dem Hause tun, wenn es nicht in ihrem Auftrage geschieht. Heute mußte ich zu ihrer Modistin und bin auf dem Weg nach Hause. Wir wohnen am Rathenauplatz. Wenn ich Erlaubnis erhielte, wäre der Besuch bei dir ein Glück für mich. Aber es wird wohl nichts daraus werden.“

„Dann muß diese Baronin ja eine Tyrannin sein!“ rief Ilse empört. „Arme Jutta, du tust mir wirklich sehr leid, ich möchte dir gerne helfen.“

Jutta Linden stieß erregt hervor: „Wenn du das könntest, Ilse, o, wenn du das könntest! Ich wäre dir unendlich dankbar. Aber du wirst darauf vergessen und ich kann ja auch keine Hilfe von dir verlangen.“

Ilse faßte einen raschen Entschluß.

„Ich weiß nun allerdings nicht, ob du das, was ich dir anbieten möchte, als Hilfe empfinden würdest“, begann sie etwas zögernd. Fuhr schneller fort: „Ich habe keine Verwandten, stehe ganz allein, und man riet mir, eine Gesellschafterin ins Haus zu nehmen. Ich zögerte jedoch, weil ich unwillkürlich vor einer fremden xbeliebigen Dame zurückscheue. Doch wenn du dich freimachen kannst und willst, Jutta, dann kannst du auf den Rauneckhof übersiedeln unter dem Titel einer Gesellschafterin. In Wirklichkeit aber werden wir wie gute Freundinnen leben. Es wird dir auf dem Rauneckhof gefallen, glaube ich.“

Ilse hatte impulsiv und warmherzig gesprochen.

In die fast porzellanweißen Wangen Jutta Lindens stieg ein mattrosiger Schein.

Sie lächelte zwar, aber innerlich quälte sie Wut.

Also den Posten einer Gesellschafterin bot ihr die Bauernliese an. Wirklich sehr generös war sie!

Hatte diese Gans denn kein Verständnis dafür, wie ihr jetzt zumute war?

Sie, damals die Gefeiertste in der Pension, sollte nun bei der, die dort am wenigsten gegolten, als Gesellschafterin antreten.

Und sie durfte ihr nicht einmal stolz den Rücken wenden, sondern mußte das herbeigequälte Lächeln festhalten, denn sie dachte nicht daran, das Angebot auszuschlagen.

Sie murmelte: „Mein ganzes Leben hindurch würde ich dir verpflichtet sein für deine große Güte.“

Ilse bot ihr die Rechte.

„Also es gilt! Wann aber darf ich dich auf dem Rauneckhof erwarten?“

„In vierzehn Tagen“, erfolgte die schnelle Antwort. „Ich kündige meiner siebenzackigen Madame noch heute.“

Ilse langte eine Visitenkarte aus ihrem Handtäschchen und reichte sie Jutta.

„Bitte, schreibe mir vorher, wann ich dich mit dem Auto abholen lassen soll!“

In Juttas Augen blitzte es flüchtig auf. Sie sagte: „Du bist die Güte selbst, nie werde ich dir diesen Liebesdienst vergessen.“

Ilse wehrte ab.

„Unsinn, ich bin ja nur eine Egoistin, die froh ist, die Gesellschafterinfrage so praktisch lösen zu können.“

Eben kam Hermine Seydel und schaute ein wenig erstaunt, Ilse nicht allein zu finden.

Ilse stellte vor, fügte hinzu: „Jutta Linden ist Gesellschafterin, sie hat es aber schlecht getroffen. Deshalb habe ich meiner früheren Mitpensionärin vorgeschlagen, meine Gesellschafterin zu werden, und sie hat angenommen.“

Hermine Seydel war ehrlich verblüfft und ließ sich das deutlich anmerken.

„Aber nein, liebe Ilse, das geht doch nicht. Das hat doch keinen Sinn. Fräulein Linden ist viel zu jung für Sie. Sie müssen an eine ältere Dame denken.“

Juttas sehr helle Augen ruhten mit kaltem Glitzern auf dem dicklichen Gesicht Hermine Seydels, doch schon in der nächsten Sekunde wandte sich ihr Blick Ilse zu.

„Du siehst, es wäre zuviel Glück für mich gewesen. Nimm innigen Dank für deinen guten Willen.“

Mit erlöschender Stimme hatte sie es gesprochen.

Ilse nahm ihre Hand.

„Es bleibt bei unserer Abmachung, Jutta, meine gute Frau Doktor ist nur zu besorgt um mich. Wir wollen sie überzeugen, daß deine Jugend besser zu mir paßt, als irgend ein Altjüngferchen oder eine mittelalterliche Frau.“

Jutta Linden konnte hinreißend lächeln. Sie wußte das genau und erprobte es nun an Hermine Seydel.

Und für den Augenblick verfehlte das bestrickende Lächeln auch seine Wirkung nicht.

Hermine Seydel sagte: „Ich kann Sie verstehen, liebe Ilse, ich meinte eigentlich auch nur, Sie brauchen jemand, der nach außen hin gewissermaßen Mutterstelle an Ihnen vertritt.“

Jutta Linden erklärte mit ihrem reizvollen Lächeln, dazu fühle sie sich vollkommen befähigt.

„Sie werden sehen, Frau Doktor, mit welcher Sorgfalt ich Ilse Rauneck betreuen und ihr alles Unangenehme fern halten werde“, versicherte sie. „Übrigens glaube ich etwas älter zu sein wie Ilse“, fügte sie hinzu. „Ich bin im vorigen Monat zweiundzwanzig Jahre geworden, habe also die Reife einer Respektsperson.“

„Du bist also ein Jahr älter als ich“, verwunderte sich Ilse, „ich finde, du siehst jünger aus.“

Hermine Seydel fand das ebenfalls.

Ihr Blick fiel auf die Bahnhofsuhr.

„Liebe Ilse, wir wollen uns verabschieden, ich muß nach Hause. Mein Alterchen macht ein höllisch ungemütliches Gesicht, wenn der Abendbrottisch nicht pünktlich gedeckt ist.“

Ilse reichte Jutta Linden die Rechte.

„Also bald auf Wiedersehen, du weißt ja Bescheid.“

Auch Hermine Seydel reichte Jutta die Hand, und dann nahmen beide im Auto Platz, der Chauffeur im tadellosen braunen Dreß fuhr los.

Ilse hatte noch einmal zurückgewinkt. Sie sah Jutta wiederwinken und lehnte sich nun bequem in den Wagen zurück.

Ein Weilchen herrschte Schweigen im Auto, dann meinte Frau Hermine: „Wenn ich ganz ehrlich sein soll, bedrückt mich der Pakt, den Sie eben geschlossen haben. Ich rate Ihnen, machen Sie die Geschichte wieder rückgängig, denn diese Jutta Linden paßt nicht auf den Rauneckhof.“

Ilse blickte sehr verwundert.

„Aber sie schien Ihnen doch zu gefallen, Sie meinten doch, vielleicht hätte ich recht.“

Hermine Seydels Stirn umwölkte sich.

„Allerdings, das tat ich. Aber um bei der Ehrlichkeit zu bleiben, diese Linden hat ein Lächeln, das chloroformiert einen, man spricht dann wie betäubt etwas hin, worüber man sich nachher selbst wundert.“

Ilse neigte zustimmend den Kopf.

„Das stimmt, und ein bißchen ist es mir wohl auch so ergangen. In der Pension bei Frau von Dorp nannte man das ‚Juttas Sirenenlächeln‘. Aber im übrigen machen Sie sich keine Gedanken, liebe Frau Doktor, ich male es mir sehr nett aus, das ständige Zusammensein mit ihr. Die Arme wird von der alten Dame, bei der sie Gesellschafterin ist, schwer drangsaliert und müßte ohne mich doch vorläufig dort aushalten, weil sie nicht weiß wohin. Auch wollte sie heute schon ihrer Dame kündigen. Meinetwegen! Nein, es muß bei der Abmachung bleiben.“

Hermine Seydel unterdrückte jede weitere Bemerkung.

Es war ihr schon öfter aufgefallen, wenn Ilse Rauneck sich einmal irgend etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann bestand sie darauf.

Und genau betrachtet, lohnte die Angelegenheit wohl gar keine langen Erörterungen. Wenn Jutta Linden später nicht so war, wie Ilse sich jetzt dachte, nun, dann konnte sie von ihr ja wieder weggeschickt werden. In solchen Fällen war man nobel und zahlte ein Vierteljahrsgehalt extra.

Ilse aber freute sich wirklich auf das Kommen Jutta Lindens.

Sonderbar war das eigentlich, sann sie, wenn sie zuweilen an ihre Mitpensionärinnen gedacht, so war Jutta kaum dabeigewesen. Jutta dünkte ihr damals in Wiesbaden eine Weltdame, sie hatte Scheu vor ihr empfunden. Es hieß, ihr Vater sei ein steinreicher Bankier. Jutta war auch nur ein paar Monate mit ihr in Wiesbaden zusammen, sie war eines Tages nach Berlin zu den Eltern abgereist, allgemein beneidet, weil sie immer wieder erzählt hatte, welche Gesellschaften, Toiletten und Vergnügungen auf sie daheim warteten.

Und jetzt hatte sie das verwöhnte Mädchen so wiedergefunden.

Sie bereute es nicht, ihr ohne vieles Überlegen den Platz auf dem Rauneckhof angeboten zu haben. Sie erwies ihr und sich selbst einen Gefallen damit.

Nun würden ja hoffentlich die Klatschschwestern verstummen, nun würde ja bald eine dritte Person mit Ulrich Werdenberg und ihr zu Tisch sitzen.

Wenn es nicht zu komisch wäre, daß man dabei überhaupt etwas gefunden, dann wäre es wahrhaftig zum Ärgern.

Ulrich Werdenberg war ihr guter Freund, der treue Verwalter ihres Besitztums, nichts anderes.

Aber das war sehr viel, sie wußte es zu schätzen und würde es immer zu schätzen wissen.

Hermine Seydel erzählte beim Abendessen ihrem Manne von Jutta Linden.

Er nickte: „Mit ihrem etwas plötzlichen Entschluß hat ja Ilse Rauneck sozusagen den gordischen Knoten zerhauen. Also, es wird in Kürze eine Gesellschafterin auf dem Rauneckhof geben. Und weshalb soll sie nicht jung sein? Ich kann es Ilse nicht verdenken, wenn sie eine ungefähr gleichaltrige Gefährtin vorzieht. Jugend gehört nun einmal zur Jugend, und wo es sonst schon so still ist auf dem Hofe, noch dazu im Trauerjahr.“

Frau Hermine nahm einen Schluck Tee.

„Das alles ist richtig, aber Jutta Linden hat etwas, was mir nicht gefällt, ohne daß ich erklären könnte, was es eigentlich ist. Weißt du, ich möchte sie nicht immer um mich haben, aber sie ist sehr hübsch, glaube ich.“

Er lachte belustigt.

„Du glaubst? Aber Hermine, das mußt du doch wissen.“

Sie lachte herzlich mit.

„Nein, das weiß ich wirklich nicht. Sie kommt mir jetzt nachträglich vor wie etwas Schillerndes, Gleitendes, Glattes, was rasch an mir vorübergerutscht ist.“

Er lachte jetzt so sehr, daß er sich verschluckte.

„Liebste Hermine, bitte, höre auf in Bildern zu sprechen, denn das verstehst du wirklich nicht! Eine junge Dame, die dir nachträglich vorkommt wie etwas Schillerndes, Gleitendes, Glattes, das rasch an dir vorübergerutscht ist, der Vergleich ist zum Heulen komisch. Nun bin ich direkt gespannt, diese Jutta Linden kennen zu lernen. Ich möchte sie auch mal schillernd, glänzend und glatt an mir vorüberrutschen sehen. Famos denke ich mir das. Herminchen, du hast entschieden Poesie im Leibe!“

Die gutmütige Frau ließ sich gern ein bißchen von ihrem Manne necken.

Sie hatten sich beide einmal aus aufrichtiger Liebe geheiratet, und waren einander gut geblieben durch die fünfunddreißig Jahre ihrer Ehe.

Am nächsten Tage, als Ulrich Werdenberg zu Tisch kam, hörte er von Ilse Rauneck das Neueste.

Er erschrak. Wie schade war es, daß nun bald eine Fremde an dieser Mahlzeit teilnehmen würde.

Es war so wunderschön, mit Ilse allein in dem niedrigen, behaglichen Eßzimmer zu sitzen, sich einbilden zu dürfen, er gehöre zu ihr.

Das fremde Gesicht bedeutete eine Störung.

Aber Ilse war so einsam, etwas Gesellschaft war ihr wohl zu gönnen.

Er sagte irgend so etwas.

Ilse sah ihn offen an.

„Ach nein, das ist nicht der Grund, daß ich Jutta Linden gebeten, zu mir zu kommen. Es ist eigentlich nur ein Zugeständnis an den Klatsch. Mir wurde hinterbracht, man hielte sich darüber auf, daß Sie und ich allein am Mittagstische säßen! Nicht wahr, das ist sehr drollig? Als ob etwas dabei wäre, wo Sie doch schon so lange auf dem Hofe sind, und wir beide uns ganz bestimmt nicht ineinander verlieben würden. Aber die Menschen sind manchmal wirklich zu blöd, nicht wahr?“

Ulrich Werdenberg bestätigte: „Ja, die Menschen sind manchmal zu blöd.“

Um seinen scharfgezeichneten Mund setzte sich dabei ein Lächeln fest, das ihm selbst weh tat.

Er dachte, es war nur gut, daß Ilse Rauneck nichts von seiner Liebe ahnte, sonst hätte sie vielleicht darüber gelacht wie über einen guten Witz.

Die junge Herrin des Rauneckhofes aber plauderte harmlos weiter.

„Ich denke es mir sehr nett, wenn Jutta Linden hier mit mir leben wird. Aber Sie dürfen sich nicht in sie verlieben, denn dann würde ich Sie vielleicht verlieren. Inspektoren, die sich verheiraten, pachten sich dann zumindest gern einen eigenen Hof. Jutta ist nämlich sehr hübsch, oder vielleicht sogar schön. Von sehr aparter Schönheit. Es gibt nicht viele Frauen von ihrer Art. Ich jedenfalls habe noch keine gesehen, die ihr ähnelt.“

Ulrich Werdenberg dachte: Mochte diese Jutta Linden an Schönheit selbst die Konkurrenz mit Helena aufnehmen, durch deren Reize einst der Trojanische Krieg entfacht wurde, ihn würde das sehr kühl lassen. In seinen Augen war und blieb Ilse Rauneck die Liebste und Schönste auf der ganzen Welt.

Ilse sah ihn fragend an.

„Sind Sie nun nicht sehr gespannt, Jutta Linden kennen zu lernen, Herr Inspektor?“

„Ich kann das nicht gerade behaupten“, gab er zurück, „aber ich habe wohl im allgemeinen überhaupt zu wenig Interesse für Frauen.“

„Es scheint mir auch so“, lächelte Ilse, „aber deshalb bin ich doppelt neugierig, was Sie zu der neuen Hausgenossin sagen werden.“

Pünktlich erhielt Ilse Nachricht, wann und wo das Auto in Frankfurt am Main Jutta Linden abholen möge und so erwartete denn die Herrin des Rauneckhofes eines Vormittags die neue Hausgenossin.

Sie hatte ihr das eigene Schlafzimmer eingeräumt, weil es besonders hübsche Tapeten hatte und freundlich sowie groß war. Hatte allerlei Möbel hineinstellen lassen, die es besonders behaglich machten.

Jutta Linden sollte es auf dem Gutshof gefallen.

Raubvögel über dem Rauneckhof

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