Читать книгу Raubvögel über dem Rauneckhof - Anny von Panhuys - Страница 6

III.

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Jutta Linden drückte sich bequem in die Polster des eleganten Mercedeswagens und fuhr einer neuen Etappe ihres Daseins entgegen.

Hoffentlich fand sie nun ein bißchen Ruhe. Hoffentlich spielte sich Ilse nicht allzu sehr als die Herrin, die Brotgeberin auf, wie die Baronin Wildhard und vor ihr die alte Direktorswitwe Mohr, und vor ihr die kränkliche Rentiere Buschmann, und vor ihr —

Ach was, nur nicht daran denken, wie oft sie schon ihre Stellung hatte wechseln müssen.

Sie ließ sich nicht herumkommandieren, es lag ihr nicht.

Aber Ilse Rauneck brauchte, wenn es sich umgehen ließ, gar nichts davon zu wissen, daß sie, bevor sie als Gesellschafterin nach Frankfurt kam, sich schon bei anderen Damen in anderen Städten versucht hatte.

Ilse Rauneck machte auf sie nicht den Eindruck einer besonderen Menschenkennerin.

Vielleicht boten sich ihr dadurch auf dem Hofe allerlei kleine Vorteile.

Seitdem das glänzende elterliche Heim gewissermaßen über Nacht zusammengebrochen, hatte sie gelernt, immer nach Vorteilen für sich auszuspähen. Immer stand sie auf dem Sprunge, sich in irgendeine sorglose Existenz hineinzuretten.

Jutta Linden hatte die eine Fensterscheibe heruntergelassen, die frische Luft, die von den Taunusbergen herwehte, tat ihr gut. Sie atmete sie tief in die Lungen.

So ein Auto wie dieses hatte ihr bei den Eltern auch zur Verfügung gestanden. Es war wunderschön, sich so bequem dahintragen zu lassen.

Immer näher kamen die Berge, schoben sich wie Kulissen vor, und dann erwuchs, hinter Gehöften und ein paar rasch durchfahrenen Dörfern, ein mächtiger Gebäudekomplex, überragt von einem alten runden Turm.

Eine hohe Mauer umgab das Ganze.

Jutta Linden nahm an, es müsse der Gutsbesitz irgendeines Feudalherrn sein.

Bald würde nun wohl auch der Rauneckhof auftauchen.

Aber was bedeutete denn das? Der Chauffeur steuerte das Auto direkt auf die breite Einfahrt des großen Gutes zu?

Das war doch nicht etwa der Rauneckhof, unter dem sie sich zwar ein Gut vorgestellt, weil Ilse geäußert, ihres Vaters Vorfahren waren Bauern, die sich durch Generationen zu Gutsherren wandelten, aber sie war weit entfernt davon gewesen, ein derartiges Besitztum zu erwarten.

Gallebitterer Neid erfüllte sie.

Kaum der Beachtung wert dünkte ihr Ilse Rauneck damals in der Pension.

Wie sehr sie sich doch geirrt hatte.

Das Auto hielt vor einer niedrigen Freitreppe, auf der eben Ilse erschien und Jutta herzlich willkommen hieß.

Der Chauffeur belud sich mit dem großen Kabinenkoffer der Angekommenen und trug ihn ins Haus, und Ilse geleitete die überschlanke Jutta in ihr Zimmer, ließ sie dann allein, nachdem sie ihr erklärt, in einer halben Stunde würde gegessen und sie würde sie dazu abholen.

Jetzt hatte Jutta Linden Muße, sich umzusehen.

Ein sehr hübsches Zimmer hatte ihr Ilse gegeben, sie durfte damit zufrieden sein, stellte sie fest.

Alles duftete förmlich vor Sauberkeit. Die schneeweißen Tüllgardinen vor den Fenstern und die ebenso weißen Vorhänge am Frisiertisch. Glänzend polierte Möbel aus der Biedermeierzeit gab es, dazu ein paar Porträts aus jenen Tagen.

Ein großer Teppich deckte vollständig den Boden und ein niedriger, bemalter Kachelofen strömte behagliche Wärme aus.

Das Neidgefühl in Jutta Linden war etwas zurückgedrängt worden vor dem Behagen, das die Umgebung in ihr auslöste.

Sie setzte den Hut ab und bürstete ihr rotgoldenes Haar leicht nach hinten.

Wundervoll war der Haaransatz über der niedrigen, wie aus feinstem bläulichweißem Porzellan geformten Stirn. Vor den kleinen schön geformten Ohren lagen lange eigenwillige Löckchen, und der vielleicht ein wenig zu schmale Hals trug das Köpfchen so stolz und frei, wie den einer Fürstin.

Jutta trat’ an das eine Fenster.

Sie gewann einen Blick in den Park, der um diese Jahreszeit kahl und öde schien. Durch die Baumstämme sah sie hellgraue Steinfiguren schimmern.

Sie dachte, wie schön es hier sein müßte im Frühling und Sommer.

Sie trat nun an das Fenster der anderen Wand und erblickte über ein Stückchen Hof den alten runden Turm, der ihr vorhin bei der Herfahrt besonders aufgefallen war.

Eine verrostete Wetterfahne saß hoch oben und bewegte sich leicht.

Es klopfte. Ilse stand auf der Schwelle.

„Nun, bist du schon ein bißchen heimisch hier geworden?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, meinte sie: „Aber das geht natürlich doch nicht so schnell! Komm nur, Jutta, jetzt wollen wir essen gehen, du wirst sicher Hunger haben. Und bei Tisch lernst du auch gleich Inspektor Werdenberg kennen, der meines Vaters rechte Hand gewesen.“

Sie faßte die etwas Kleinere unter und führte sie durch verschiedene lange Gänge nach dem Eßzimmer.

Sie ließ Jutta zuerst eintreten.

Ulrich Werdenberg befand sich bereits im Zimmer.

Er verbeugte sich etwas kurz vor Jutta Linden, und es fuhr ihm wie ein schmerzlicher Ruck durch die Glieder, so unangenehm und unsympathisch war sie ihm.

Er fand, diese allzu hellen Augen im Kranz der langen Wimpern unter den schmalen, dunklen Brauen, die viele wohl schön nennen würden, hatten so kaltglitzernden Glanz, der nicht zu der Jugend Jutta Lindens paßte.

Sie war nicht die richtige Gefährtin für die warmherzige Ilse Rauneck, das glaubte er jetzt schon zu wissen.

Eine Gefährtin für Ilse stellte er sich ganz anders vor.

Jutta Linden trug ein dunkelblaues Samtkleid, die milchweiße Haut, das rotgoldene Haar wurden dadurch äußerst wirkungsvoll gehoben.

Doch dem Manne gefiel Jutta Linden gar nicht, er empfand starke Abneigung gegen sie.

Ilse beobachtete ihn heimlich, aber sein Gesicht hatte jetzt etwas Verschlossenes, man konnte nicht davon ablesen, welchen Eindruck Jutta auf ihn gemacht.

Ulrich Werdenberg fühlte sich heute bei Tisch beengt. Die hellen Augen störten ihn, mehrmals begegnete er ihrem Blick. Ihm war es, als wandere der Blick zwischen Ilse und ihm hin und her wie in stummer Frage.

Er fand das dreist.

Er, der sonst nach Beendigung des Mahles so gern ein bißchen sitzen geblieben und sich unterhalten hatte, eilte sich heute fortzukommen. Unter dem Vorwande, eine wichtige Besorgung im Dorfe zu haben.

Und als er dann ins Dorf hinüberging, ärgerte er sich über sich selbst. Wie durfte man sich nur von einem ersten Eindruck so beeinflussen lassen, wie er es getan! Das war eigentlich reichlich kindisch für seine Jahre, und im Grunde war es wohl überhaupt nichts anderes als ein Ausfluß von Eifersucht auf diese Fremde, die da plötzlich so selbstverständlich mit am Tische saß.

Die schönste und liebste Stunde des Tages ward ihm dadurch zerstört, und deshalb grollte er Jutta Linden, trotzdem sie doch keinerlei Schuld traf.

Ilse hatte ihm erzählt, Jutta Linden stammte aus reichen Verhältnissen und habe sich dann mit einem Male, unvermittelt, der gemeinen brutalen Alltagsnot gegenübergesehen.

Man mußte ihr also wohl das warme Plätzchen auf dem Rauneckhofe gönnen.

Ein Selbstsüchtling war er!

Er konnte doch auch nicht immer mit Ilse Rauneck allein am Tische sitzen, sowieso mußte das ja einmal zu Ende gehen. Der Hof würde doch gewiß in absehbarer Zeit wieder einen Herrn bekommen.

Er preßte die Lippen fest aufeinander in jähem Schmerz. Ein Herr auf dem Rauneckhofe bedeutete, daß Ilse heiratete.

Er vermochte sich das gar nicht vorzustellen, und doch würde es einmal geschehen. Ilse Rauneck war jung, hübsch und reich, wenn erst das Trauerjahr herumgegangen, stellten sich sicher die Freier zu Dutzenden ein.

Er schritt hastiger aus. Wozu jetzt schon soviel daran denken, es würde ihm noch weh genug tun, wenn es erst soweit war.

Weshalb war Ilse kein armes Mädelchen, damit er es an sein Herz nehmen konnte!

Er mußte am Doktorhause vorbei, das eins der ersten Dorfhäuser war, wenn man aus der Richtung des Gutes kam.

Frau Hermine stand an einem der spiegelblanken Fenster und klopfte sehr energisch mit dem Knöchel gegen die Scheibe, winkte ihm.

Er machte halt, wartete, bis sich das Fenster öffnete.

„Die Gesellschafterin ist heute angekommen“, eröffnete sie die Unterhaltung, „ich sah das Auto vorbeifahren. Haben Sie Fräulein Linden schon kennengelernt, Herr Inspektor? Ich bin nämlich ein bißchen neugierig zu erfahren, wie sie Ihnen gefällt.“

Ulrich Werdenberg druckste herum.

„Du lieber Himmel, ich habe sie ja erst einmal gesehen, heute bei Tisch, und noch keine zehn Worte mit ihr gewechselt. Wie kann man da ein Urteil fällen.“

Hermine Seydel merkte sofort, der Inspektor wich einer direkten Antwort aus.

Sie tippte ihm mit dem Zeigefinger ihrer Rechten fest auf die Stelle, wo unter seiner grünbraunen Flauschjoppe wohl das Herz schlug.

„Ich möchte ja nicht wissen, was Sie von ihrem Charakter halten, mich interessiert es nur, wie sie Ihnen äußerlich gefällt. Denn ich meine, eine Alltagserscheinung ist Jutta Linden nicht. Und mich interessiert auch besonders das Urteil eines männlichen Wesens. Wir Frauen gucken unsere Mitschwestern doch meist anders an wie Ihr Männlichkeiten.“

Ulrich Werdenberg mußte wider Willen flüchtig lächeln.

„Na ja“, nickte Hermine Seydel, das Lächeln mißverstehend, „Sie strahlen schon bei dem Gedanken an die Linden. Also sind Sie entzückt von ihr. Ich glaube, vom Männerstandpunkt aus betrachtet, ist sie sehr schön.“

Ulrich Werdenberg schüttelte ernst den Kopf. „Nein, Frau Doktor, wenigstens was mich angeht, irren Sie sich sehr. Ich finde Fräulein Linden nicht schön. Sie ist mir zu kalt und künstlich. Ich weiß nicht recht, auf welche Weise ich Ihnen erklären soll, wie ich es meine. Vielleicht kennen Sie diese hypermodernen Figuren der verschiedensten Porzellanmanufakturen, man sieht sie auch in Frankfurt ausgestellt. Auffallend schmale weibliche Gestalten mit riesigen Augen und rötlichem Haar. Entweder sind sie Hexe betitelt oder Dämon, oder Sphinx oder Teufelin. Was weiß ich! Jedenfalls steht immer so ein Titel darunter, der einem gar keine Lust macht, dem Original einer dieser Figuren im Leben zu begegnen.“

Er hatte noch einiges hinzufügen wollen, nun aber brach er plötzlich ab. Was hatte er denn nur geredet? Vor ein paar Minuten hatte er noch behauptet, nach seiner bisher sehr flüchtigen Bekanntschaft mit Jutta Linden kein Urteil fällen zu können, und nun verurteilte er schon fest darauf los.

Frau Hermine schmunzelte: „Jetzt weiß ich Bescheid, Herr Inspektor, und da ich finde, Sie haben recht, können Sie sicher sein, ich erzähle es nicht weiter, was Sie eben gesagt haben. Es bleibt unter uns.“ Besorgt fügte sie hinzu: „Das Engagement dieser Gesellschafterin war eine Übereilung von Fräulein Ilse, ich glaube nicht, daß die beiden sich besonders gut verstehen werden bei längerem Beisammensein.“

Ulrich Werdenberg nickte und verabschiedete sich mit kräftigem Händedruck. Dennoch, wenn er auch wußte, Hermine Seydel würde seine Meinung über Jutta Linden für sich behalten, so war es ihm doch unangenehm, sie geäußert zu haben.

Hermine Seydel aber sann über das nach, was Ulrich Werdenberg gesagt.

Sie besaß die Angewohnheit, manchmal, wenn sie sich allein befand, laut zu denken. Und so brummelte sie denn vor sich hin: Zu dumm, daß Ilse sich die rothaarige Porzellanfigur herholen mußte. Es wäre so nett gewesen, wenn man hier einen gediegenen, solid aussehenden Zuwachs hergekriegt hätte. Bin nur froh, nicht der einzige Mensch zu sein, dem sie nicht gefällt. Dem Inspektor sieht man es ja an der Nase an, er kann sie nicht riechen. Und jetzt ist er schon soweit, nach der ersten flüchtigen Beschnupperung. Vielleicht ist sie aber trotzdem eine ganz gute Person. Man soll nicht so voreilig sein. Schließlich kann sie doch nichts dafür, daß sie so gläserne Augen ins Leben mitbekommen hat!

Frau Hermine mußte ihr Selbstgespräch beenden, das Mädchen rief sie in die Küche.

Raubvögel über dem Rauneckhof

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