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III

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Käthe Klein war das verwöhnte, achtzehnjährige Töchterchen des sehr reichen Kalkbrennereibesitzers Gustav Klein. Er war ein Emporkömmling, hatte vor allem die Marotte, Frau und Tochter sollten zeigen: Wir können es ja, das Vermögen dazu ist da!

Er selbst war ein Mann der Arbeit, gönnte sich kaum die notwendigste Erholung, aber er freute sich, wenn Frau und Tochter Feste feierten und Luxus trieben. Er war klein, massiv, hatte ein rotes Faltengesicht mit dicken Tränenbeuteln unter den kleinen schlauen Augen, seine Frau war aus vornehmer, armer Beamtenfamilie, hellblond, überschlank, gepflegt vom Scheitel ihres stets sorgfältig gelockten Bubikopfes bis hinab zu den kleinen, stets erstklassig bekleideten Füßen. Das jüngere Abbild der eleganten, sehr kapriziösen Mutter war Käthe.

Sie lag noch im Bett, als Elinor pünktlich um elf Uhr vormittags in ihr Zimmer trat, um sie zu wecken. Zu wekken brauchte sie nicht mehr, denn Käthe hatte die großen, grüngrauen Augen weit auf, sagte gähnend: „Ich bin froh, daß du da bist, Elinor, damit wir uns ein bißchen über gestern unterhalten können. Ich habe schon meine Morgenschokolade getrunken; aber zum Aufstehen verspüre ich gar keine Lust.“

Elinor legte Hut und Mantel ab.

„Ach was, das gibt es nicht, Käthe, ’raus aus den Federn, tauch deinen faulen Korpus mal in die Badewanne und stelle dich unter die Dusche! Dann bist du gleich frisch. Ich habe das heute früh gleich nach sieben schon gemacht, als mich Marlene an den Frühstückstisch zitierte.“

Käthe schüttelte sich. „Leicht hast du es in der Beziehung nicht, armes Ding. Mein Papi frühstückt morgens um siebeneinhalb allein, der mutet Mama und mir gar nicht zu, so sinnlos früh aufzustehen. Aber höre, Kleines, ich möchte mal mit dir über was Interessantes reden.“

Elinor setzte sich auf den Stuhl am Bett, ihr Gesicht drückte Neugier aus.

Käthe lächelte verhalten.

„Du, Kleines, hier in unserem Nest geht es doch verflixt spießig zu, und man hat doch den Drang in sich, ein bißchen zu erleben, ein bißchen Farbe in die blöde Eintönigkeit zu bringen, in der sich unsere lieben Mitbürger wohl fühlen. Ich habe ja gestern als Tänzerin Triumphe gefeiert, Größenwahn könnte ich kriegen, wenn meine Zuschauer von gestern Großstädter gewesen wären.“ Ihr Lächeln ward noch selbstgefälliger. „Ich will dir was anvertrauen, Elinor, ich gefalle nicht nur hier, ich holte mir auch schon berufenere Kritiken. Ich soll morgen für Mama was in Berlin besorgen, und weil da noch ein paar Tanten von mir wohnen, gibt es Ausrede genug, einen oder zwei Züge zu versäumen bei der Rückkehr. Komm morgen mit, ich garantiere dir, du kommst auf deine Kosten.“ Sie reckte die schlanken Arme. „Mädels unserer Zeit können gar nicht genug erleben, finde ich.“

Elinors Augen blitzten.

„Du bist doch ein Biest, Käthe, daß du solche Wippchen machst, davon habe ich ja gar nichts geahnt, aber, weißt du, reizen tut mich so was auch. Wenn ich nur erst wüßte, ob ich morgen mitfahren darf nach Berlin.“

Käthe lachte laut auf.

„Wie alt bist du eigentlich, Baby? Deine Eltern machen doch im allgemeinen gar keinen tyrannischen Eindruck. Ich glaube eher, Marlene knechtet dich ein bißchen.“

Elinor dachte daran, was Marlene heute morgen zu ihr gesagt hatte. Sie sah ihren Verkehr mit Käthe nicht gern. Aber davon durfte sie natürlich nichts zu Käthe erwähnen.

Sie erwiderte nur: „Ja, Marlene bevormundet mich ein bißchen, aber sie meint es gut mit mir. Ich weiß, sie hat mich sehr lieb.“

Käthe nickte. „Ob lieb oder nicht, die Hauptsache ist, daß du mich morgen nach Berlin begleitest, Elinor. So allein macht die Schose nicht den Spaß, als wenn man noch eine verständnisvolle Seele bei sich hat. Ich fahre morgen mit dem Elf-Uhr-Zuge. Zieh dein bestes Kleid an, das rostrote mit der Silberstickerei, ja?“

„Ich werde alles daransetzen, mich zu Hause loszueisen,“ versprach Elinor.

Käthe sprang aus dem Bett. Sie trug einen hellblauen Pyjama mit weißer Verzierung, ihr sehr hellblondes Haar lag in etwas zerdrückten Wellen und Locken um den feinen Kopf. Sie hatte eine etwas zu kurze Nase und etwas zu volle Lippen, aber sie war auffallend hübsch, doch Elinor war viel, viel hübscher als sie. Elinor war aber auch das hübscheste Mädchen der Stadt.

Käthe begann zu tanzen. Leicht, wie beschwingt lösten sich die kleinen, nackten Füße vom Teppich.

Elinor sah ein Weilchen belustigt zu, dann packte sie der Ehrgeiz mitzutun, und der kleine schmale Körper wiegte sich in weichen, rhythmischen Bewegungen hin und her, drehte und wand sich wie eine Schlange.

Endlich hielten beide inne, lachten sich an. Elinor meinte, sie müsse nun gehen.

Käthe umarmte sie.

„Ich erwarte dich morgen am Elf-Uhr-Zug, Kleines, wir wollen uns abseits von unserem öden Nest hier etwas Erleben verschaffen.“

Elinor ward unterwegs ein bißchen ängstlich, ob es ihr gelingen würde, mitzufahren nach Berlin.

Als man zu Mittag gegessen hatte, schnurrte sie wie ein Kätzchen: „Hört mal, Vati und Mutti, Käthe hat mich eingeladen, morgen mit ihr nach Berlin zu fahren. Sie hat da allerlei für Mama zu besorgen und sie besucht gleich verschiedene Verwandte. Darf ich mit? Ach, bitte, bitte, es ist so nett, die hübschen Berliner Schaufenster anzusehen.“

Ewald Förster brummte: „Meinetwegen fahre mit.“

Und Frau Wanda nickte: „Wenn es dir Spaß macht. Aber komme nicht zu spät nach Hause!“

Marlene konnte sich nun nicht mehr einmischen, aber sie sagte trotzdem: „Du solltest, wenn du gern mal wieder nach Berlin willst, lieber mit mir fahren. Es ist dort gerade Reklamemittelausstellung. Die Abteilung ‚Werbeplakate‘ interessiert mich.“

Ewald Förster mischte sich ein.

„Dann fahrt doch alle drei zusammen, seht euch zusammen die Ausstellung an!“

Marlene dachte, das war eigentlich eine sehr gute Idee, sie konnte Obacht auf Elinor geben.

Elinor nahm die Mitteilung, Marlene wollte mitfahren, mit sauersüßem Gesicht entgegen und telefonierte, sobald sie ungestört war, an Käthe.

Die lachte durchs Telefon: „Ich werde sie schon von uns loseisen. Unsere Tanzdiele soll sie uns nicht vermasseln.“

Als Elinor am nächsten Tag ihr rostrotes Samtkleid mit der Silberstickerei zurechtlegte, meinte Marlene: „Das Kleid ist doch viel zu schade für die Fahrt. Du wirst ja kaum dazu kommen, den Mantel auszuziehen.“

Elinor warf das Kleid schon über.

„Bei Käthes Verwandten werde ich den Mantel doch wohl ausziehen müssen, und man braucht mir die Kleinstadt nicht anzusehen. Übrigens schiebe du in Berlin nur allein in deine Ausstellung, von der Käthe und ich doch nichts verstehen, abends können wir uns ja dann am Bahnhof treffen.“

Marlene dachte, sie könnte sich bei den Verwandtenbesuchen Käthes wirklich nicht aufdrängen. Sie erwiderte: „Ich schlage vor, wir treffen uns gegen achtzehn Uhr am Stettiner Bahnhof, um ein Viertel danach können wir zurückfahren, bis dahin habt ihr sicher alles erledigt.“

Elinor dachte an die Tanzdiele und erwiderte: „Es wird doch etwas später werden, Marlene, der nächste Zug reicht auch noch.“

Marlene nickte. „Also treffen wir uns um neunzehn Uhr, ein Viertel danach geht der nächste Zug.“

Man fuhr pünktlich ab nach Berlin, erreichte es in einer Stunde und trennte sich, dort angekommen, bald. Als Marlene ein paar Schritte allein gegangen war, überfiel sie plötzlich eine unbestimmte Angst, die ihr selbst töricht schien. Es war eine seltsame Angst, die sie drängte, Elinor zurückzurufen, sie zu bitten, bei ihr zu bleiben oder sie mitzunehmen. Aber die beiden jungen Mädchen waren schon im Gewühl untergetaucht, und sie konnte sie nicht suchen, sie wußte nicht, wo sie zuerst hingingen.

Käthe stieß einen komischen Seufzer aus, als sie sich jetzt allein mit Elinor in dem lebhaften Verkehr befand.

„Kleines, bin ich froh, daß wir endlich Marlene los sind! Das ist ja die reinste Gouvernante alten Stils. Diese Ermahnungen und guten Ratschläge! Ganz blöd ist mir davon im Kopf.“

„Sie ist zu besorgt um mich“, erwiderte Elinor.

„Aber du bist doch kein kleines Kind mehr! Am liebsten nähme sie dich an die Hand“, spöttelte Käthe. „Du mußt dich ein bißchen freier machen von ihrer Oberaufsicht. Ich könnte so etwas jedenfalls nicht ertragen.“

Elinor blickte die selbstbewußte Freundin bewundernd an.

„Na ja, du, Käthe! Du tust ja so ziemlich überhaupt alles, was du willst. Sogar deine Eltern reden dir in nichts hinein.“

Käthe lachte. „Du hast deine Umgebung schlecht erzogen. Aber jetzt nehmen wir uns ein Auto, damit wir erst rasch Mamas Auftrag im Modeatelier erledigen, ihre kosmetische Bestellung im Schönheitssalon abgeben, um dann flüchtig bei Tante Erna Pfötchen zu geben, damit wir bald nur an uns denken können.“

Programmgemäß wickelte sich alles ab, das „Pfötchengeben“ bei Frau Erna Röderstein dauerte etwas länger als vorgesehen. Erna Röderstein, die Schwester von Käthes Mutter, lud die beiden Mädchen zu Tisch, und es wurde fast fünf, bis sie endlich wieder auf der Straße standen.

„Jetzt dürfen wir aber keine Minute mehr verlieren!“ Damit schob Käthe die Jüngere in ein Auto, nannte als Adresse eine Tanzdiele und lachte, als Elinor im letzten Augenblick streiken wollte.

Käthe schien dort gut Bescheid zu wissen, sie schob sich mit graziösen Bewegungen durch die Tische, nahm an einem davon Platz. Elinor schwankte zwischen Scheu und Neugier. Das war nun also eine Tanzdiele. Hier konnte man mit all den Herren tanzen, die hier herumsaßen, von denen man keinen einzigen kannte. Eigentlich war das eine ganz amüsante Einrichtung, fand sie.

Der Kellner stellte Teekännchen, Tassen und Gebäck auf den Tisch. Käthes graugrüne Augen suchten in dem saalartigen, nicht allzu großen Raume umher. Die ersten Tanzpaare waren in der Mitte angetreten. Es waren bezahlte Paare, die Gäste wollten erst ein wenig animiert werden. Käthe trug ein stahlblaues Eoliennekleid, das ihre sehr helle Blondheit noch hob. Sie wirkte auffallend. Ein schlanker Herr, mit vornehmem, gradlinigem Gesicht, hatte sich an einem der Nachbartische erhoben. Er kam direkt auf Käthe zu, beide Mädchen sahen es deutlich. Elinor blickte ihm interessiert mit großen, naiven Augen entgegen, und sein eben noch ein wenig matter Blick leuchtete auf, sein Fuß änderte die Richtung, und er verneigte sich nicht vor Käthe, sondern vor Elinor.

Über Käthes Gesicht glitt ein flüchtiger Schatten; aber schon stand ein anderer Herr vor ihr, bat sie zum Tanz.

Elinor war mit ihrem Tänzer bereits im Tanzfeld. Er tanzte, nach ein paar Höflichkeitssätzen, schweigend mit ihr, und sie riß sich zusammen, um nur recht gut zu tanzen, sie wollte sich nicht blamieren. Wer weiß, was ihr Partner war! Er hatte irgendetwas nach der Tanzaufforderung gemurmelt. Vielleicht war es sein Name gewesen. Verstanden hatte sie es nicht. Es mußte etwas Vornehmes sein. Möglicherweise ein Gesandtschaftsattaché oder so etwas. Sie hatte immer Gert Wendemann feudal aussehend gefunden, ihr Tänzer aber wirkte noch feudaler. Wie aus einem interessanten Roman herausgeschnitten. Als der Tanz zu Ende war, sagte er leise: „Sie tanzen wundervoll leicht, gnädiges Fräulein, Sie sind die beste Tänzerin, die ich kenne. Darf ich um den übernächsten Tanz bitten?“

Elinor versuchte recht damenhaft auszusehen, als sie Gewährung nickte.

Dann saß sie wieder am Tisch neben Käthe, die sichtlich angeregt war. „Was ist das nur für ein Kavalier, den du vorhin geangelt hast?“ fragte sie. „Er sieht so fabelhaft interessant aus.“

Elinor erklärte begeistert, sie finde ihn auch fabelhaft interessant, aber sie hätte natürlich keine Ahnung, wer und was er wäre. Er tanzte dann wieder mit Elinor, tanzte noch mehrmals mit ihr und tanzte auch mit Käthe. Er erklärte: „Meine schönen Damen, hier ist es herzlich öde. Wollen Sie sich meiner Führung anvertrauen, dann bringe ich Sie in ein Lokal, wo es origineller zugeht.“

Käthe nickte. „Ein guter Vorschlag, aber wir müssen um neunzehn Uhr am Stettiner Bahnhof sein.“

Er schüttelte den Kopf. „Dann lohnt es sich nicht, das Lokal zu wechseln. Ist es wirklich ein Muß?“

Elinors Kinderblick drückte Bedauern aus, als sie erklärte, es müsse sein.

„Die Damen wohnen also nicht in Berlin?“ fragte er, aber er schien die Antwort gar nicht zu hören, sein Blick glitt seitab, und es war, als ob er vorübergehend völlig von einem Gedanken in Anspruch genommen war. Er neigte sich leicht Elinor zu, flüsterte so, daß auch Käthe es hörte: „Wenn Sie keine Unannehmlichkeiten haben wollen, rate ich Ihnen und Ihrer Freundin, sich in einigen Minuten zu entfernen. Nicht sofort, denn es würde vielleicht auffallen, nachdem ich mit Ihnen gesprochen. Es scheint eine Art Razzia hier stattfinden zu sollen. Wahrscheinlich sucht man jemand. Und wenn Sie auch harmlose Menschenkinder sind, wäre es immer möglich, man nimmt Sie, wenn Sie keine Papiere bei sich haben, mit auf die Polizei.“

Die beiden Mädchen fühlten ihre Glieder erstarren vor Schreck. Razzia, Polizei! Das waren Worte, die man wohl in der Zeitung lesen, aber nicht erleben darf.

Sie vermochten vor Schreck nicht zu antworten.

„Ich drücke mich auch“, erklärte ihr neuer Bekannter. „Wozu sich Unannehmlichkeiten aussetzen?“

Er erhob sich schon, machte den beiden eine tadellose Verneigung und war verschwunden.

Die Freundinnen folgten dem Rat, der ihnen eben gegeben worden, und begaben sich in die Garderobe. Das Weitertanzen hier war ihnen verleidet. Sie erhielten ihre Pelzmäntel und Hüte, aber als sie durch die Drehtür hinauswollten, stand da ein älterer, gutgekleideter Herr und lächelte verbindlich. „Meine Damen, bitte, gewähren Sie mir ein paar Fragen, doch nicht hier, dort drinnen sind wir ungestörter. Schon öffnete er eine Tür zur Linken. Es war eine Art unbenütztes Büro.

Die beiden Mädchen waren fast mechanisch der Aufforderung gefolgt. Jetzt aber empörte sich Käthe: „Wir haben keine Zeit, fragen Sie rasch! Im übrigen liegt gar kein Grund vor, uns von jedem Beliebigen aufhalten zu lassen, um ihm Fragen zu beantworten.“

Der ältere Herr machte eine Schweigen gebietende Bewegung. „Ich bin Kriminalbeamter und bitte Sie beide, mir zu sagen, wo sich der elegante Herr hingeflüchtet hat, der bei Ihnen am Tisch gesessen.“

Käthe erwiderte erregt: „Wie können wir das wissen? Wir kennen ihn doch gar nicht.“

Der Beamte sah Elinor an. „Sie haben sehr viel mit ihm getanzt, es ist anzunehmen, daß Sie ihn kennen. Sagen Sie die Wahrheit, wo hat er seinen Schlupfwinkel?“

Elinor war ganz verdattert. Tränen drängten sich in ihre Augen. „Ich habe ihn heute zum ersten Male im Leben gesehen.“

„Kann stimmen“, gab der Herr zurück, „kann aber auch nicht stimmen.“

„Wir müssen fort“, empörte sich Käthe, „wir müssen mit dem Zug um neunzehn Uhr fünfzehn nach Hause fahren?“

„Wohin?“ fragte er kurz, und Elinor antwortete prompt mit dem Namen ihres Vaterstädtchens.

Käthe warf ihr einen verweisenden Blick zu. Der Beamte sah ein, die zwei waren nichts weiter als zwei blutjunge Mädels aus der Kleinstadt, die in Berlin ein bißchen herumabenteuerten. Harmlos waren sie. Aber immerhin, vielleicht brauchte man sie doch.

Er sagte: „Sie können gehen, aber ich muß Sie vorher um Ihre Namen bitten.“

Käthe Klein erwiderte glatt: „Ich heiße Meta Schneider und wohne Waldstraße zehn.“

Der Beamte notierte. Nun fragte er Elinor. Sie begriff nicht, wie Käthe so im Handumdrehen einen falschen Namen und eine falsche Adresse hatte nennen können. Sie suchte in ihrem völlig verwirrten Hirn, aber sie brachte keinen Namen zusammen, und als er mahnte: „Bitte, Ihren Namen und Ihre Adresse,“ da fiel ihr nichts Besseres ein, als zu antworten: „Marlene von Bergener, Lindenchaussee einhundertsieben.“

Käthe mußte sich zusammennehmen, um ihr nicht laut ins Gesicht zu schreien: Du bist das dümmste Schaf, das auf Erden herumläuft!

Mühsam bezwang sie sich. Draußen auf der Straße rief Käthe ein Auto an. Vor Aufregung über den Vorfall am ganzen Leibe bebend, setzte sich Elinor an ihre Seite. Das Auto fuhr sofort los.

Käthe schimpfte. „Du mußt von allen guten Geistern verlassen gewesen sein, als du dir den Blödsinn leistetest, dem Kriminalmenschen deine vollständig richtige Adresse anzugeben, und dazu Marlenes Namen. Falls man irgendetwas von dir will, ist es kein Kunststück mehr, dich zu finden und mich auch. Dann habe ich noch Scherereien, weil ich einen falschen Namen genannt habe. Wie konnte ich aber auch ahnen, was für eine dumme Pute du bist!“

Elinor war ganz klein. „Es wird ja niemand nach uns fragen, wir sind doch unwichtig.“

„Das weiß man nicht, der Polizei sind wir vielleicht doch als Zeugen wichtig. Na, das kann ja dann daheim einen netten Skandal geben. Das heißt, meine Eltern denken ziemlich vernünftig, aber wie ich deinen Vater zu kennen glaube, läßt der, wenn er hört, wo du gewesen bist, ein Donnerwetter los, das man hört.“

„Warum schleppst du mich auch in Lokale, wo einem so was passieren kann!“ regte sich Elinor auf und erhielt darauf die Antwort: „Ohne deine Dummheit wäre die Geschichte harmlos geblieben und über ein drolliges Abenteuer nicht hinausgewachsen.“

Elinor seufzte laut. Stumm saßen sie nebeneinander, erreichten den Bahnhof.

„Komm morgen vormittag zu mir, damit wir Kriegsrat halten“, befahl Käthe in leisem, aber herrischem Ton beim Verlassen des Autos.

Sie sahen Marlene schon warten.

„O, kommt ihr spät!“ rief sie ihnen entgegen. „Ihr habt Rückfahrkarten, nicht wahr? Also schnell, Trab, wir werden den Zug gerade noch erwischen.“

Und sie erwischten ihn noch. Hinter ihnen wurde die Tür zugeschlagen, gleich darauf begannen die Räder ihre Umdrehung.

Marlene war von dem Ausstellungsbesuch und dem Besuch eines Museums sehr angeregt. Sie merkte nichts von der Verstimmung der beiden Jüngeren. Sie plauderte und fragte dann, was die zwei inzwischen gemacht hätten. Käthe log frisch darauflos, und Elinor sagte, sie hätte Kopfweh.

An der kleinen Station standen zwei Autos, das Kleinsche und das Ewald Försters. „Auf Wiedersehen morgen vormittag, Elinor!“ rief Käthe beim Auseinandergehen etwas betonter, als gerade nötig.

Marlene schob Elinor in das Auto.

„Anscheinend ist dir die Berlinfahrt nicht besonders gut bekommen. Aber dein Kopfweh wirst du verschlafen, Liebling. Nimm den Hut ab und lehne dich an meine Schulter, mach die Augen zu dabei, wir sind ja bald zu Hause.“

Elinor tat gehorsam alles, was ihr Marlene riet; sie war froh, schweigen zu dürfen; und doch wollte sich ein Geständnis auf ihre Lippen drängen, aber ihr fehlte der Mut zu bekennen: Ich habe deinen Namen mißbraucht. Und nicht einmal nützen würde es ihr selbst, denn wenn die Polizei Marlene als Zeugin suchte, würde sich bald genug herausstellen, sie war nicht in der Tanzdiele gesehen worden.

Beim Nachtessen kostete es ihr fast körperliche Anstrengung, sich leidlich unauffällig zu benehmen, aber als sie sich in ihrem Zimmer befand, fiel sie zusammen. Alles Erlebte kam ihr furchtbar und unheimlich vor, sie verwünschte die Fahrt mit Käthe nach Berlin. Ihr war es, als ständen plötzlich allerlei drohende Gestalten vor ihrem Zukunftswege aufgepflanzt und wollten sich nicht weitergehen lassen. Sie begann zu weinen. Sie konnte einfach nicht anders. Es schüttelte sie förmlich.

Marlene, die eben nebenan zur Ruhe gehen wollte, horchte auf. Klang das nicht wie Weinen aus Elinors Zimmer? Sie lauschte an der Tür, und im nächsten Moment trat sie auch schon hastig ein, eilte an das Bett Elinors, fand sie in Tränen aufgelöst.

Sie strich ihr über das dunkle Haar. „Mädelchen, was fehlt dir denn nur? Hat dir irgend jemand etwas getan? Hast dich wohl ein bißchen mit Käthe verzankt? Nachträglich scheint es mir, als ob zwischen euch nicht alles stimmte. Aber, weißt du, das schadet nichts, eure Freundschaft darf ruhig in die Brüche gehen, du hast an der Putzpuppe nicht viel zu verlieren.“

Elinor weinte, anstatt zu antworten, nur noch mehr. Sie weinte so verzweifelt, daß Marlene von Angst ergriffen wurde.

„Sage mir doch, was dir ist, Liebling! Vielleicht kann ich dir helfen. Verlange von mir, was du willst, ich tue alles. Aber dein Weinen kann ich nicht mehr ertragen.“

Sie streichelte Elinors Hände, legte ihre Wange an die tränennasse Wange der Jüngeren. Doch sie erhielt keine Antwort, aber das Weinen ward zum verzweifelten Schluchzen.

Ganz verzagt, sagte sie endlich: „Wenn du so weiterweinst, muß ich deine Mutter holen, Elinor; vielleicht willst du ihr lieber anvertrauen, was du mir nicht anvertrauen magst.“

Sie machte eine Bewegung, ihren Platz zu verlassen. Elinor hob den Kopf und winkte entsetzt.

„Nein, nein, die Eltern dürfen nichts erfahren.“

Sie riß sich zusammen. Sie sah den eleganten Herrn wieder vor sich, mit dem sie getanzt, sein vornehm-markantes Gesicht mit den manchmal halbgeschlossenen Lidern, hörte seine Stimme ganz deutlich sagen, wie schön sie tanzte und wie wunderhübsch sie wäre.

Wer war es und was hatte er getan, daß ihn die Polizei suchte? Er tat ihr leid. Ein gemeiner Verbrecher konnte er nicht sein. O, warum mußte das, was so schön begonnen, so häßlich enden?

Sie schluchzte schon wieder.

Marlene war von tiefem Mitleid erfüllt. Was konnte die übermütige, leichtblütige Elinor nur so aus der Fassung bringen?

Sie sagte, ihre Stimme gewaltsam zur Härte zwingend: „Elinor, sei nicht kindisch! Ohne Grund weinst du doch sicher nicht, wie du in deinem ganzen Leben noch nicht geweint hast. Entweder erkläre mir jetzt, was los ist, oder ich muß deine Eltern benachrichtigen.“

Elinor schluchzte. „Meinetwegen sollst du es wissen, schließlich muß ich es ja doch sagen, weil es wahrscheinlich doch herauskommt. Ich … ich …“

Sie stotterte und schlang dann die Arme um Marlenes Hals, schluchzte und stotterte ihr ins Ohr, was geschehen war.

Marlene schob die umklammernden Arme von ihrem Hals.

„Das ist ja unglaublich, Elinor. Warum hast du denn nicht deinen richtigen Namen genannt? So unangenehm die Sache an und für sich ist, wäre sie doch nicht so schlimm gewesen, wie sie nun werden kann durch deine Lüge.“

„Ich log, weil Käthe auch log“, verteidigte sich Elinor, „aber sie machte es geschickter, sie nannte einen ganz falschen Namen. Doch man wird sie auch finden, wenn man mich findet. Sie warf mir das schon vor.“

Marlene nickte. „Falls dich die Polizei wirklich vorlädt, was ja wohl noch sehr zweifelhaft ist, schadet es nichts, wenn Käthe Klein auch vorgeladen wird. Sie hat dich zu dem blödsinnigen Besuch dieser Tanzdiele verlockt. Ziehe du nun wenigstens eine Lehre aus dem Erlebnis! Ich rate dir, Käthe Klein fortan links liegenzulassen, alles wird ja wieder in Ordnung kommen. Ich glaube gar nicht, daß man besonderes Interesse daran hat, Käthe und dich als Zeugen vorzuladen. Schlafe jetzt, Elinor, versuche es wenigstens, sonst sehen dir die Eltern morgen früh an, daß etwas geschehen ist.“

Elinor atmete freier. Jetzt war ihr doch viel leichter ums Herz als vorhin. Sie sagte mit dem Anflug eines Lächelns:

„Glaubst du wirklich, ich werde nicht als Zeugin gerufen, und es kommt dann nicht heraus, ich habe geschwindelt.“

Marlene schüttelte den Kopf. „Du könntest ja doch nichts aussagen. Wir wollen eben das Beste hoffen, Elinor. Solche Sachen sehen wohl meist ärger aus, als sie in Wirklichkeit sind. Schlafe nur ein und nimm dir fest vor, nie wieder solche Torheiten zu begehen! Was glaubst du, wie sich dein Vater aufregen würde, wenn er hörte, womit du deinen gestrigen Nachmittag verbracht hast. Du bist erst sechzehn Jahre, und es gäbe ein böses Geklatsch im Städtchen, wenn die Geschichte durchsickerte.“

„Außer Käthe weiß ja niemand davon“, sagte Elinor mit scheuem Blick der verweinten Augen.

„Wenn also die Polizei sich nicht um euch kümmert, wird alles totgeschwiegen“, tröstete Marlene, „denn Käthe erwähnt bestimmt zu niemand etwas davon. Es liegt in ihrem eigenen Interesse.“ Sie gab Elinor einen leichten Backenstreich. „Tunichtgut du, schlafe jetzt, und den Besuch bei Käthe Klein unterläßt du morgen. Sie ist wirklich keine Freundin, bei der du etwas Gutes lernst.“

Elinor versprach alles. Sie war so kaputt vor Aufregung und Marlene so dankbar, weil sie nicht laut schimpfte und ihr Vorwürfe machte, daß sie das Blaue vom Himmel herunter versprochen haben würde, wenn es die Ältere gewünscht hätte.

Als Marlene sich wieder in ihrem Zimmer befand, veränderte sich ihr Gesichtsausdruck, ward finster und nachdenklich. Es war ein bodenloser Leichtsinn von Elinor gewesen, in so ein Lokal mitzugehen. Das Publikum dort schien nicht das beste zu sein, der Kriminalbeamte, der die Mädchen nach ihrem Namen gefragt, der Tänzer Elinors, der sie vor einer Razzia gewarnt, alles ließ darauf schließen, daß diese Diele von Elementen besucht wurde, die keine Gesellschaft waren für die behütete Elinor Förster.

Ach was, sie wollte sich nicht auch noch den Kopf heiß machen mit dem Nachgrübeln über die dumme Sache, sie wollte lieber daran denken, wie sehr sie Gert Wendemann liebte und daß er gestern so eigen mit ihr gesprochen. In ihrem Herzen war eine wundersame Hoffnung aufgeblüht. Sie wollte nur daran, nur allein daran denken.

Du bist das Glück

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