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Оглавление– Die Gräfin und die Deserteure –
Von Haus aus war ich Offizier. Stand dort unten in Kronstadt an der rumänischen Grenze in Garnison bei dem …ten Infanterieregiment. Kronstadt ist bekanntlich eine der schönsten Garnisonen der österreichischen Armee. Reiche und vornehme Familien, ein paar schöne Frauen, im Sommer allerlei Freunde aus dem nahen Rumänien, und im Winter Bälle, Gesellschaften … kurz alles, was sich so ein armer österreichischer Offizier nur wünschen kann. Außerdem eine herrliche Jagd … Herz, was begehrst du mehr?
Ich ließ es mir gutgehen. Mit dreiundzwanzig Jahren Oberleutnant, werde ich Batallionsadjutant und bereitete mich energisch auf die Kriegsschule vor. Mein Major hatte mich sehr gern; auch beim Regimentskommando war ich gut angeschrieben, sodass ich die schönsten Aussichten auf eine schnelle Karriere hatte.
Bis eines Tages ein Moment der Unüberlegtheit mit einem Schlage die Aussichten vernichtete und mich aus meiner Bahn warf. Wenn nicht die Gräfin gewesen wäre, hätte ich mich in einer üblen Lage befunden … Doch ich will der Reihe nach erzählen.
Im Großen und Ganzen hatten wir in unserem Regiment lauter brave Leute. Sie waren ergebene Soldaten, die an dem Offizier, der sie zu behandeln verstand, mit blinder Treue hingen. Selten, dass sich einer gegen die Disziplin verging.
Aber einmal kam doch ein räudiges Schaf in unsere Herde. Nagru hieß der Kerl, halb Zigeuner, halb ein Walach, der sich drei Jahre lang dem Einrücken zu entziehen verstanden hatte.
Endlich gelang es den Gendarmen, den wilden Gesellen in total betrunkenem Zustande in einer Wirtschaft einzufangen und dem Regiment auszuliefern. Nachdem er seine Strafe in Garnisonsarrest abgesessen, wurde er einer Kompanie zugeteilt.
Man kann sich die Freude des mit solchem Rekruten beglückten Hauptmanns vorstellen. So ein Kerl kann ein ganzes Regiment außer Rand und Band bringen, und ich kann mich noch erinnern, wie der dicke Pachinger fluchte, als ihm der Regimentsadjutant den Entschluss des Obersten mitteilte, ihn mit diesem Musterexemplar von Rekruten zu beehren.
Die Wut des armen Pachinger hatte denn auch ihre Berechtigung. Er versuchte es zuerst mit Milde und Nachsicht, sperrte dann, als es nicht anders ging, den Nagru ein, dass diesem die Augen übergingen … aber es half nichts. Eines Tages war der Kerl verschwunden und hatte richtig unter den Kameraden drei gleich gesinnte Seelen gefunden, die sich ihm bei der Desertation anschlossen. Ihre Gewehre nahmen die Schufte mit; und mit Patronen wussten sie sich durch einen kühnen Einbruch ins Kompaniemagazin auch zu versehen. Den alten Feldwebel des Pachinger traf um ein Haar der Schlag, als er den Diebstahl entdeckte.
Ganz Kronstadt war aufgeregt über den unerhörten Fall. Aus Hermannstadt kamen vom Divisions- und Korpskommando die längsten Nasen, die sich auf dem üblichen Dienstwege bis zum armen Pachinger hinunter ins Ungeheuerliche verringerten. Der Pachinger wurde schier tobsüchtig.
Das ganze Regiment wurde den Deserteuren auf Patrouille nachgeschickt. Husaren und Gendarmen waren Tag und Nacht unterwegs. Es war alles umsonst, die Kerle waren nicht einzufangen. Hoch oben in den Klüften des Sehnler und anderer Bergriesen, führten sie ein höchst vergnügtes Räuberdasein. Überfielen einsame Bauernhöfe, einmal sogar die Post; raubten Touristen aus, und wehe den Weibspersonen, die ihnen in die Hände fielen! Diese wurden erbarmungslos vergewaltigt.
Durch ihre Erfolge kühn geworden, wagten sich die Banditen bis an die Stadt heran. In einer Nacht brachen sie beim Richter des Zigeunerdorfes oben ans Ende der Stadt ein, nahmen ihm sein bisschen Geld ab und seinen vierzehn- und dreizehnjährigen Töchtern die Jungfernschaft. Das eine der Mädchen starb sogar im Spital.
Der Vizegespon von Kronstadt ergraute in der Zeit. Die seiner Obhut anvertraute Stadt kam nicht mehr zur Ruhe. Man fühlte sich in die Zeiten Rozca Sendors (berühmter ungarischer Räuberhauptmann) versetzt; die Sommergäste aus Rumänien blieben aus und jeden Tag zitterte man, irgend eine neue Schandtat der Schurken zu erfahren. Es war den Kerlen deshalb so schwer bei zukommen, weil sie, sobald ihnen die Gendarmen und Husaren auf den Fersen waren auf Passwegen, die nur ihnen bekannt, ins Rumänische hinüberflüchten konnten.
Ich habe ihnen schließlich den Garaus gemacht … ich allein. Allerdings hatte ich bei der Affäre mehr Glück als Verstand.
Eines Tages rückte zu unseren Husaren der junge Graf K… zur Waffenübung ein. Daran war nichts besonderes, aber er brachte seine junge, schöne Frau mit. Die Übung war so eine Art Hochzeitsreise des jungen Paares. Die junge Gräfin war eine Beante ersten Ranges. Keine neunzehn Jahre war sie alt, eine hohe, schlanke Blondine mit feurigen, blauen Augen und von einer bezaubernden Liebenswürdigkeit. Natürlich war die gesamte Garnison am ersten Tage bereits in sie verliebt. Alle Waffengattungen, die Infanterie, die Jäger, die Leute von der Artillerie, die Husaren, die Pioniere, die Trainer, alles alles, machte der schönen »Reservistin« den Hof. Wenn sie auf der Promenade erschien, war die gesamte Weiblichkeit von Kronstadt für die Herren vom Säbel gestorben.
Die Husaren waren selbstverständlich von der Konkurrenz nicht sehr erbaut; sie versuchten die Reservistin ganz allein für sich in Beschlag zu nehmen … aber der Ansturm war zu groß. Der Ring, den sie um ihren Schoß schlossen, ward immer wieder durchbrochen. Zu meiner Ehre muss ich gestehen, ich war vielleicht der Einzige, welcher der schönen Gräfin nicht nachlief. Ich war zu stolz dazu.
Und ich hätte es eigentlich am leichtesten gehabt. Sie wohnte im Hotel Bellevue, wo die Bataillonskanzlei untergebracht war und wo infolgedessen auch ich logierte. Das Geschick, welches einmal beschlossen hatte, mich mit der schönen K… in Verbindung zu bringen, hatte es so gefügt, dass sie die Zimmer neben unserer Kanzlei bekam. Das Schlafzimmer des jungen Paares war sogar nur durch eine dünne Tür von der Kanzlei getrennt. So stolz war ich aber wieder nicht, um nicht daraus meinen Vorteil zu ziehen. Möchte den sehen, der sich gleichgültig verhielte, wenn er weiß, im Nebenzimmer, nur durch eine dünne Wand getrennt, schläft ein blendend schönes Weib.
Wenn ich ihm oder ihr auf dem Korridor oder im Restaurant begegnete, machte ich ihnen eine höfliche Verbeugung. Den Grafen, der mir als dem Höheren die Ehrenbezeugung zu leisten hatte, grüßte ich sogar kollegial von oben herunter. Nie wechselte ich ein Wort mit ihnen, setzte mich nie an den Tisch, an dem die Gräfin »Hof« hielt. So mit im Schwarm der anderen mitzurennen, passte mir durchaus nicht. Ich finde überhaupt, wir Männer machen uns einfach lächerlich, wenn wir sinn- und charakterlos jedem hübschen Gesicht nachlaufen. Um ein schönes Weib werben, lange werben … ja. Aber glücklich sein, wenn einem in der Masse ein zufälliger Blick streift, oder wenn einem gar die Gnade zuteil ward, einen hinuntergefallenen Handschuh aufzuheben … nein. Zumal wenn die Geschichte nicht die geringste Aussicht auf Erfolg hat.
Und so war es bei der Gräfin. Da war keiner unter all den Jammerlappen, die sie mit ihren aufdringlichen Aufmerksamkeiten verfolgten, der sich auch nur der leisesten Gunstbezeugung hätte rühmen können. Im Gegenteil, ich hatte als entfernt stehender, kühler Beobachter den Eindruck, als ob sie sich über alle zusammen lustig machte. Sie war nicht im geringsten kokett und dass sie es bei dieser blödsinnigen Kurschneiderei nicht wurde, konnte ihr nicht hoch genug angerechnet werden. Die Männer sind es ja immer, die aus den Frauen herzlose Kokotten machen. Wie oft sah ich, dass ihr Blick über all die Majore, Rittmeister, Hauptleute und Oberleutnants hinweg, sich in die Augen ihres Mannes stahl und dort mit einem innigen Leuchten hängen blieb. Wenn sie in seinen Armen liegt, lacht sie alle aus, dachte ich.
Und hatte recht. – Eines Abends hatte ich noch in der Kanzlei zu tun. Es galt die Rechnungsablegungen der Kompanien durchzuführen und zu prüfen. Da ich mich nicht gern auf meine Feldwebel verließ, setzte ich mich selbst hinter diese geisttötende Arbeit, so verhasst sie mir auch war. Zwölf Uhr schlugs und noch immer raufte ich mit diesen endlosen Zahlenreihen herum.
Da hörte ich meine Nachbarn in ihr Zimmer treten. Wie das Läuten einer Kristallglocke klang das helle Lachen des jungen Weibes zu mir herüber. Augenblicklich drehten sich meine schönen Zahlenkolonnen von oben nach unten und von unten nach oben, – ich sah überhaupt nichts mehr. Dafür hörte ich … die Tür war für einen jungen starken Menschen, der zu arbeiten hat, viel zu dünn.
Zunächst vernahm ich weiter nichts, als das Lachen. Dann ein paar Küsse … ich stand schon längst an der Tür und presste das Ohr auf die Spalte … und dann jenes gewisse Kichern und Seufzen, mit dem die Frau die ersten Liebesangriffe des Mannes quittiert.
»So lass mich doch erst einmal ausziehen«, hörte ich flüstern.
Seine Antwort konnte ich nicht verstehen, aber sie muss sehr handgreiflich gewesen sein, denn das Kichern und Seufzen vermehrte sich.
Sehen konnte ich leider nichts, denn vor der Tür stand von der anderen Seite ein großer Schrank. So konzentrierte ich denn meine ganze Lauschkraft aufs Hören. Und ich hörte genug.
Zunächst war nichts zu vernehmen, als das Rascheln eiligst abgelegter Kleider. Dann wieder Küsse und Küsse und jenes gewisse Klatschen, wenn eine vor Gier zitternde Hand die Reize eines schöne Weibes karessiert.
»Du bist so schön«, flüsterte er. »Jeden Tag leide ich dich mehr …«
»Weil ich den Andern so gefalle?«
»Ach die – – wenn das nicht alles meine Vorgesetzten wären – – ich brächte sie einzeln um.«
»Bist du so eifersüchtig?«
»Rasend, Schatz …«
»Ach Liebster … wenn du wüsstest, wie zuwider sie mir schon alle sind! Was die sich alle einbilden! Ich halte sie ja nur zum Narren!«
Herrgott, war ich froh, dass ich nicht unter diese »Alle« zählte, zum ersten Mal, dass der Lauscher an der Wand nicht seine eigene Schand’ hörte!
Drinnen ging man aber von Worten zu Taten über.
Ich hörte, wie sie aufs Bett fielen. Dann wieder Küsse, – Seufzer, – Gekicher … einmal einen leisen Aufschrei der jungen Frau. Wahrscheinlich hatte er den noch schmalen Engpass zu rasch forciert. Die Hotelbetten am Ende Siebenbürgens sind nicht sehr diskret … eine Höllenmusik ging an, dass mir siedend heiß dabei wurde. Sie schien der feurigere Kämpe zu sein. Er tat still und lautlos seine »Arbeit«, sie aber begleitete die Ihrige mit einer Fülle glühender Liebesworte …
»Ach … das … ist … süß … so … fest …! Oh … ich … habe … dich … so … lieb … soooo … oh … oooh … wahnsinnig … lieb! … die … Andern … aah … jetzt … Schatz … du … Süßer … aaah … jetzt … jetzt … ich … sterbe … hmmm!
Sie starb nicht. Denn nach einer halben Stunde ging der Tanz von Neuem los. Dann hörte ich noch ein paar Küsse, ihr Glockenlachen … Hierauf Ruhe … Er gab sich augenscheinlich einer seiner Meinung nach wohlverdienten Ruhe hin. Sie, hörte ich noch ein- zweimal tief seufzen. Die junge Gräfin schien mir zu den Frauen zu gehören, die immer »noch« sagen.
Ich stand hinter meiner Tür, mit zitternden Knien, selber sinnlos vor Aufregung. Vor meinen Augen sah ich das schöne Weib sich in seiner göttlichen Wollust werfen und winden. Ich malte mir ihre Reize aus, – – mit selbstquälerischer Geilheit bis ins kleinste Detail … den Busen, die Schenkel, den Popo … und jenen Teil des Paradieses! – – Himmelherrgott, läge ich an der Stelle des Grafen K… ich wüsste mir was Besseres, als zu schlafen! Umbringen hätte ich den Schlappier können!
Ich tat’s nicht. War überhaupt so vernünftig, nicht mehr zu lauschen. Wenn sie in ihr Zimmer traten, schaute ich, dass ich aus der Kanzlei herauskam …
Die achtundzwanzig Tage des Grafen gingen zu Ende. Ich hatte mich ihm und seinem feurigen Weibe nicht mehr genähert als früher. Im Gegenteil, ich ging ihnen jetzt direkt aus dem Wege, denn wenn ich die runden Hüften und den zartgewölbten Busen der jungen Frau nur von weiten sah, begannen vor meinen Augen rote Funken zu tanzen.
Anstatt zu lauschen und mir durch ihre Liebesmusik unnötig einheizen zu lassen, schulterte ich mein gutes Winchestergewehr, pfiff meinem »Lord« und ging hinauf in die Berge. Schon seit Wochen stellte ich so einem alten Kerl von Bären nach, konnte die Bestie aber nie vor die Flinte bekommen. Er war selten und hielt mich akkurat so zum Narren, wie die K… ihre Anbeterlegion.
Nachdem der Graf sich beim Regiment abgemeldet hatte, blieben er und seine Frau noch einige Tage in Kronstadt. So viel ich hörte, wollten sie einen Ausflug auf den 1800m hohen »Schulter« unternehmen. Die Partie ist nicht sehr anstrengend und war höchstens dadurch gefährlich, dass der Nagru sich mit seinen Banditen dort oben herumtrieb. Allerdings hatten die Halunken über zwei Monate nichts mehr von sich hören lassen, und kein Mensch dachte eigentlich mehr so recht an sie.
Die einen oder anderen rieten immerhin dem gräflichen Paare ab. Aber besonders er, lachte über jede Warnung. Die Räuber sollten ihm nur kommen, er wolle schon mit ihnen fertig werden. Er deutete sogar an, dass ihm jede Begleitung unangenehm sein würde. Welcher Verliebte würde nicht auf eine Gelegenheit warten, um sich vor der Angebeteten als Held auszuzeichnen! So zogen sie dann eines morgens, nur von seinem Diener begleitet, in die Berge hinaus.
Ich wusste nichts Genaues von ihrem Plane, hörte alles erst später. Ich war schon am Abend mit Lord über die Hochebene des Pojane hinaufgestiegen, wo ich einen frischen Wechsel meines bepelzten Freundes entdeckt hatte. Aber der Kerl kam nicht und ich lag die ganze Nacht umsonst auf der Lauer. Zu den größten Annehmlichkeiten des Lebens gehört das sicher nicht, denn diese Nächte des siebenbürgischen Hochgebirges sind eisig und kalt und ich fror trotz meiner warmen Lederjoppe ausgiebig.
Missmutig stieg ich also nach Sonnenaufgang zu der Jägerhütte, um mir da einen wohltuenden Tee zu kochen. Auch Lord bekam sein Frühstück; dann streckten wir uns für ein, zwei Stunden hin, um uns für den Abstieg zu stärken.
Als ich erwachte, stand die Sonne hoch am Himmel. Neun Uhr war’s. Ich packte gerade vor der Tür der Hütte meinen Rucksack zusammen, als ich tief unten im Hohlweg drei Gestalten erblickte, zwei Männliche und eine Weibliche, die gemächlich den Pfad zum Schulter hinanstiegen. Ich erkannte sofort den Grafen und die Gräfin, sowie den sie begleitenden Diener, und kämpfte einige Minuten lang, ob ich ihnen nicht entgegen gehen sollte. So eine zufällige Begegnung hier oben in den Bergen, die war vielleicht mehr wert … als die ganze süßliche Kurschneiderei dort unten … für eine Sekunde lang hörte ich im Geiste ihr wollüstiges Seufzen … sah sie aufgelöst, vergehend vor Wollust …
Aber nein! Nicht einen Schritt wollte ich für eine Sache tun, die mir von vornherein aussichtslos erschien. Also schulterte ich meinen Rucksack nebst Gewehr und kletterte einen schwereren Fußsteig hinunter, der mich bis an die obersten Häuser des rumänischen Viertels führen musste. Schon nach wenigen Minuten hatte ich die Drei aus den Augen verloren.
Da plötzlich … (Das ich nicht vor Schreck in die Tiefe fiel, ist mir heute noch ein Rätsel!) … hörte ich zwei rasch aufeinanderfolgende Schüsse … dann gellte der Schrei eines Weibes in höchster Not zu mir herüber … noch ein Schuss … kurz, hell wie aus einem Revolver … und wieder der Schrei, noch gellender noch verzweifelter …
Nagru! Das schöne Weib in den Händen des Banditen! Der Gedanke peitschte mich auf und jagte mich den halsbrecherischen Weg wieder zurück. Auch Lord schien zu ahnen was vorging, denn seine kurzen Nackenhaare standen einzeln wie Borsten, und von Zeit zu Zeit stieß er ein dumpfes, wütendes Knurren aus. Er war ein riesengroßer Kerl, mit einem Brustkasten wie eine Mastigdogge, dazu wild und mutig. Wir zwei konnten es schon getrost mit den Banditen aufnehmen.
Aber erst mussten wir sie finden! Nach einer wahnsinnigen Kletterei von einer Stunde, langten wir endlich an der Stelle an, wo der Überfall vor sich gegangen war. Ein schrecklicher Anblick bot sich mir hier: Der Diener des Grafen lag in einer großen Blutlache. Der arme Teufel hatte einen Schuss in der Brust und eine fürchterliche Wunde am Kopf. Augenscheinlich hatte er zuerst den Schuss erhalten und war dann, als er trotzdem noch Widerstand leistete, niedergeschlagen worden. Wo aber waren der Graf und die Gräfin?
Zunächst machte ich es dem armen Teufel so leicht wie möglich. Ich schleppte ihn in den Schatten, wusch seine Wunden sauber aus und verband sie. Soviel ich davon verstand, waren sie zwar schwer, aber nicht tödlich. Aus dem Rucksack, den er getragen hatte, holte ich eine Flasche Cognac heraus und legte sie neben ihn, damit er sie gleich bei der Hand hatte, sobald er wieder zu Bewusstsein kam.
Und dann … Mit knirschenden Zähnen machte ich mich an die Verfolgung! Die Banditen hatten jetzt über anderthalb Stunden Vorsprung. Weiß Gott, was in der Zeit alles passiert sein mochte. Schwindelnde Wut packte mich, wenn ich daran dachte, dass dieses schöne Weib, Beute der Banditen war! Ich sah es direkt vor mir, wie sie sie niederwarfen, wie sie ihr die Kleider vom Leibe fetzten, ihr die rassigen Beine auseinanderrissen … jetzt … warf sich der Eine über sie Himmelherrgott ich schwankte, so schüttelte mich die Wut.
Lord führte mich auf der deutlichen Fährte erst steil in die Höhe und dann seitwärts in eine schmale, finstere Schlucht, von deren Existenz ich bis dahin keine Ahnung gehabt hatte. Wir liefen mehr als wir gingen; einmal fiel ich sogar in meiner Rage, so lang ich war, über eine Wurzel.
Aber wir kamen immer näher und näher. Aus meines Lords’ funkelnden Augen erkannte ich es. Er riss an der Leine, dass ich ihn kaum noch halten konnte. Plötzlich, hinter einem dichten Gebüsch blieb er stehen, die Rute wagerecht und sein zorniges Knurren, das schon mehr ein unterdrücktes Wutgeheul war, bewies mir, dass wir die Feinde dicht vor uns haben mussten. Er war so wild, dass er sich erst beim dritten Befehl niederlegte.
Vorsichtig, auf allen Vieren, wie ein Indianer, pirschte ich mich heran. Hinter einem kleinen Schlehdornbusch lugte ich hervor; und was ich sah, machte mir das Herz im Leibe erbeben.
Diese Schlucht war sicherlich der Schlupfwinkel dieser Banditen, welche sich keinen Besseren hätten wählen können. Von drei Seiten durch beinahe senkrechte Wände abgeschlossen, hatte sie nur den einen schmalen Zugang, durch welchen ich gekommen war und den ein Mann ganz bequem gegen ein Dutzend halten konnte. Gegenwärtig dachten sie an gar keine Verteidigung, denn einmal hielten sie sich für absolut sicher und dann waren sie mit etwas sehr Wichtigem beschäftigt.
Der arme Graf, – augenscheinlich unverwundet, lehnte aufrecht gestellt an einem Baum. Totenbleich war er, und in seinem schmalen Gesicht war deutlich das Entsetzen und die ohnmächtige Wut zu lesen, womit ihn diese Szene erfüllte, welche sich da vor seinen Augen abspielte.
Vor ihm, vor dem gefesselten, wehrlosen Manne, stritten sich die Schurken um ihre goldlockige Beute. Regungslos, einer Leiche ähnlich, lag die Gräfin am Boden … nur ihre Augen, die in unaussprechlicher Angst umherirrten, verrieten, dass noch Leben in ihr war. Was mochte in der Brust der Unglücklichen vorgehen, die sich vor den Augen des Geliebten vergewaltigt, geschändet sah? Und erst: Was mochte er leiden? Er heulte, er schrie, riss an seinen Fesseln …, die Banditen schauten sich nicht einmal nach ihm um! »Valeria … Valeria …«, schrie er, »mein geliebtes Weib wir werden dann zusammen sterben!« Sie blickte zu ihm hinüber. »Rudi …mein armer Rudi …!« Sie dachte in dieser furchtbaren Lage nicht an sich, nur an ihn: Dachte nur daran, was er, der doch schon auf jedes Wort, welches ein anderer zu ihr sprach, eifersüchtig war! Was er wohl leiden musste wenn er das Schreckliche mit ansah?! Aber noch war ihnen eine Gnadenfrist gewährt! Die Banditen konnten sich nicht einigen, wer zuerst diese seltene Frucht kosten sollte. Der Nagru, als der Stärkste und Brutalste von ihnen, beanspruchte als ihr »Hauptmann« für sich das Recht. Aber die anderen wollten davon nichts wissen. Immer höhere Wogen schlug der Streit; jeder packte sein Gewehr fester und schon glaubte ich, sie würden sich selber zerfleischen, als sie sich plötzlich aufs Verlosen einigten.
Wiewohl die Frau kein Wort von dem walachischen Kauderwelsch verstand, ahnte sie doch, dass jetzt ihr Schicksal besiegelt war. Flehentlich hob sie die gefesselten Hände und deutete auf ihren unseligen Mann … die Bestien lachten nur höhnisch.
»Hei, der hohe Herr wird schon sehen, wie sein Weibchen unter mir tanzt«, schrie einer der Kerle.
»Wir werden ihr schon Freude bereiten, der schönen Frau … da, schaun Sie her«, johlte ein Zweiter und holte sein schmieriges, riesige Dimensionen aufweisendes »Instrument« aus seinem Hosenschlitz hervor. Wie eine Jubelfahne hielt er es ihr unter die Nase und schwenkte es gegen den unseligen Gatten, dem der Schaum schon vor dem Munde stand.
Die ganze Bande wieherte vor Vergnügen! Jetzt erst kamen sie auf die rechte Würze; den Mann, diesen großen, vornehmen Mann zum Zuschauer ihrer Schändung zu machen bei seinem eigenem Weibe!
Der Nagru riss ihr mit einem brutalen Griff den Rock in die Höhe.
Da verlor ich mein kaltes Blut, welches ich bis dahin noch bewahrt hatte. Ich hatte mich langsam durch das hohe Gras an die Gruppe herangeschlichen, um ja sicher meine drei Schüsse abgeben zu können. Mit dem vierten Banditen wollte ich dann schon fertig werden. Nun aber riss ich das Gewehr an die Wange und schoss. Sonst traf ich auf hundert Schritt einen Holzapfel, jetzt, in meiner Aufregung, fehlte ich auf Dreißig diesen Hund von Banditen.
Aber ehe sie sich von ihrem Entsetzen erholt hatten, schoss ich zum zweiten Male. Der Nagru warf die Arme in die Luft und fiel über sein Opfer. Gleich neben ihm stürzte der Kerl mit der großen »Maschine« zusammen. Und dann gingen wir los, Lord auf den Einen, ich auf den anderen. Die Kerle waren so starr vor Überraschung und Schrecken, dass sie an gar keinen Widerstand dachten. Wir ließen ihnen auch gar keine Zeit dazu. Ich wirbelte meinem Gegner den schweren Kolben um den Schädel, dass er umfiel wie ein Stück Holz und mein Lord sprang dem Seinen an die Gurgel, dass dieser gleichfalls neben seinen Kameraden auf dem Boden »Platz« nahm. Als ich Lord endlich von ihm fortreißen konnte, war er bereits tot; der wütende Hund hatte ihm die Kehle durchgebissen!
Nagrus Bande war vernichtet! Drei der wüsten Gesellen waren tot; der Vierte allein, welchen ich niedergeschlagen hatte, lebte noch. Ich kümmerte mich zunächst nicht um ihn, sondern befreite zu allererst die unglückliche Gräfin aus ihrer Lage. Eine tiefe Ohnmacht hielt ihre Sinne umfangen und selbst, als ich den toten Banditen von ihr herunterzog, kam sie nicht zu sich.
Wie sie da so vor mir lag, hatte ich den Lohn für meinen Heldenmut! (Wer lacht da?) Ehrenhaft war es ja nicht, dass ich die Unistände so ausnützte, allein, ich war ein junger Mensch und sie war abgöttisch schön! Zudem klang mir ihr Seufzen im Ohr …
Ich tat ihr nichts … nicht mit einem Finger habe ich sie berührt. Aber ihre Reize, welche sich mir ziemlich unverhüllt darboten, habe ich mit gierigen Augen in mich hineingetrunken. Der Bandit hatte es mir leicht gemacht, denn bis über die Taille hatte er ihr die Röcke zurückgeschlagen. So konnte ich dann ein paar wundervolle Waden und herrlich geschwellte Schenkel sehen, deren zartes Fleisch rosig durch das Batisthöschen durchleuchtete. Der Schlüpfer war zerrissen; sichtlich hatte der Bandit mit seinen Frevlerhänden sich bis hierher gewagt … und verlockend, diabolisch verlockend sah ich unter dem dichten dunkelblonden Seidenvließe den Anfang der enggeschlossenen Purpurspalte. Dass ich da nicht von meinem Siegerrechte Gebrauch machte … der Himmel weiß, wie schwer es mir fiel. Ihre dünne Bluse war in Fetzen und ungehindert konnte ich meine trunkenen Augen an den schönen, runden, schneeweißen Brüsten mit ihren kleinen rosigen Knospen, weiden.
Schon beugte ich mich nieder, um sie wenigstens mit meinen Lippen zu begrüßen, da erinnerte ich mich zum Glück an den armen Mann, der noch immer an dem Baum in Fesseln hing.
Auch er war bewusstlos und als ich ihn losgeschnitten, fiel er mir regungslos in die Arme. Ich trug ihn hinunter zu seinem Weibe und begann nun bei Beiden mein Samariterwerk. Zuerst natürlich bei ihr, solange er die Augen geschlossen hatte, konnte ich ungeniert dabei vorgehen. Noch einmal umfing mich diese einzige Pracht der herrlichen Beine, ja, ich wagte es sogar, sie etwas auseinanderzuschieben, um mir einen Blick in das Paradies zu stehlen. Wie rosig, wie jungfräulich war da noch alles! Die roten Lippen beinahe ganz geschlossen, und nur wie ein Stecknadelköpfchen groß lugte der Wächter des Paradieses aus dem goldiggelockten Moose hervor. Das war dicht und breitete sich hoch über dem weißen Bauch aus … ein sicheres Zeichen für die feurige Leidenschaft seiner Besitzerin.
Schweren Herzens zog ich endlich den neidischen Rock herunter und machte mich daran, ihr mit dem Branntwein, den ich bei mir hatte, Schläfen und Brust zu reiben. Hauptsächlich die Brust! Glaube nicht, dass je ein Samariter unchristlichere Wonne empfunden hätte. Ich nahm meine Aufgabe sehr, sehr gründlich und rieb und presste an diesen steinharten Brüsten herum, dass eine Tote davon hätte aufwachen können.
Sie schlug die Augen auf ihr erstes Wort war »Rudi!«
Als sie den fremden Mann über sich gebeugt sah, drohte sie mir noch einmal ohnmächtig zu werden. Ich richtete sie aber auf und flößte ihr gewaltsam zwei Schlücke Branntwein ein. Doch im selben Moment ließ ich sie schon wieder los und sprang nach dem nächsten Gewehr, das ich erreichen konnte.
Der vierte Bandit, den ich niederschlug und den ich inzwischen ganz und gar vergessen hatte, war wieder zu sich gekommen und rannte in großen Sprüngen davon. Aber er durfte nicht entkommen, er hatte die Reize des göttlichen Weibes durch seine viehischen Augen entehrt, auch er muhte krepieren wie die anderen. Auf einen fliehenden Menschen zu schießen, ist so eine eigene Sache. Aber die Wut in mir war zu groß.
»Stoj«, schrie ich ihm nach, »jo paska!« (Steh oder ich schieße!)
»Stoj!« Und zum dritten Male:
»Stoj!«
Doch er rannte weiter. Da schoss ich. Im Laufen überschlug er sich, rollte ein Stück weiter und blieb liegen … Das Winchestergeschoss war ihm mitten durch den Kopf gegangen.
Als ich mich zu meinem Schützling umwandte, sah ich sie aufrecht stehen, die Hände auf die wogenden Brüste gedrückt, in den großen blauen Augen namenloses Entsetzen über die eben geschaute Tötung eines Menschen. Im selben Moment aber schlug ihr Mann die Augen auf und rief sie mit leiser Stimme. Da warf sie sich laut aufjubelnd neben ihm in die Knie.
Ich trat zurück und überließ die Beiden sich selbst.
Nach einer Stunde hatten sie sich so weit erholt, dass sie unter meiner Führung absteigen konnten. Den armen Teufel von Diener fanden wir bei Bewusstsein. Er litt furchtbare Schmerzen, aber lächelte glücklich, als er seine geliebte Herrschaft heil und unversehrt fand. Da ich ihn nicht länger allein liegen lassen wollte, hob ich ihn auf und trug ihn vorsichtig, den jetzt nicht mehr schwierigen Weg, hinunter. Der Graf, welcher von zu Hause aus nicht zu den Stärksten zählte, konnte sich nur mit Mühe aufrecht halten. Sie stützte ihn mehr, als er sie.
Was soll ich da noch lange erzählen – – – In Kronstadt herrschte lauter Jubel. Ich war der Held, der vielbeneidete Held des Tages.
»Der Rhems hat doch das allergrößte Schweineglück, bizon isten«, sagte der dicke Husarenmajor und gab damit der Meinung aller beredten Ausdruck, »so ein verfluchter Lebensretter von schöner Gräfin … na ja, ich hätt das Kunststück auch fertig gebracht … …bassama …« und dann ging ein drei kilometerlanges Fluchen los.
Nach acht Tagen reisten sie ab. Ich war ihnen ausgewichen wie bisher, selbst zu dem großen Abschiedsmahle des gräflichen Paares hatte ich abgesagt. Oh, ich wusste ganz gut warum. Ich hatte nicht umsonst einen Blick in das Land der Seligen getan … Ich war rettungslos in das schöne Weib verliebt!
Wo ich ging und stand, ob ich las, ob ich schrieb, zu Pferd, zu Fuß, schlafend, wachend, immer sah ich diese herrlichen Schenkel, dieses goldene Vließ zwischen ihnen vor Augen, fühlte in meinen Händen die Marmorbrüste … ich fürchtete, wenn ich ihr begegnete, würde ich mich verraten.
Am Morgen, da sie abreisten, rannte ich ihr auf dem Korridor fast in die Arme. Ich wollte mit einer flüchtigen Verbeugung vorbei, allein, sie hielt mich fest. Sie stellte mich.
»Herr Oberleutnant«, sagte sie und ihre süße Glockenstimme machte mich sofort butterweich. »Ich lasse Sie nicht weg. Bis jetzt sind Sie uns immer so davon … ich weiß, diese Dankesbezeugungen sind Ihnen peinlich. Aber wie um alles in der Welt sollen wir Ihnen zeigen, dass wir Ihnen fürs ganze Leben verpflichtet sind? Sie haben in dieser ganzen traurigen Affäre so viel Takt …« Mir schlug bei diesem Wort die Schamröte ins Gesicht! Wenn sie wüsste! »So viel Diskretion bewiesen, Sie haben uns, besonders mir, das Tragen dieser entsetzlichen Erinnerung um vieles leichter gemacht … Nein, nein ich muss es Ihnen sagen … dass ich Ihre Schuldnerin bleibe, so lange ich lebe. Mein Mann denkt genau so und ich hoffe, wenn Sie einmal nach Wien kommen, dann werden Sie unser Haus als das Ihrige betrachten! Versprechen Sie mir das?«
Sie sah mich mit ihren dunkelblauen Augen so lieb an, so zutraulich … der Kopf schwindelte mir.
»Frau Gräfin«, stammelte ich, »ich …«
»Sie sind schon zu stolz! Oh, ich habe schon früher ganz gut bemerkt, dass Sie sich nie …« (sie sah sich dabei vorsichtig um) »dem Kometenschwarm meiner Verehrer angeschlossen haben! Das hat mir, offen gestanden … sehr gefallen an Ihnen, Herr Oberleutnant. Schlagen Sie ein, nehmen Sie als Dank meine und meines Mannes Freundschaft! Wollen Sie?«
Da ergriff ich die kleine Hand, die sich mir entgegenstreckte und küsste sie.
»Sie sind ein ganzer Mann«, sagte sie. »Sie müssen ein guter, treuer Freund sein! Sie sehen, ich bin egoistisch wie jede Frau! Anstatt Ihnen zu danken, verlange ich ein neues Opfer von Ihnen. Rudi wird sich so freuen!«
Ich fragte mich im stillen, was soll ich mit der Freundschaft? Aus purer Freundschaft wird sie mir ihr Paradies nie öffnen … und so als platonischer Haus- und Hofhund, nein … Ich glaube, ich hasste den Mann, dem ich Ehre und Weib gerettet, in diesem Augenblick.
Ob sie mit dem feinen Gefühl der Frau erriet, was in mir vorging? Ich weiß es nicht, aber sie trat ganz nahe an mich heran und ergriff meine beiden Hände. Ich fühlte ihren wonnigen Leib ganz dicht an dem meinen, ihr warmer, köstlicher Atem, strich mir ins heiße Gesicht … ich brauchte nur die Hände auszustrecken Ein jähes Weh stieg mir in die Kehle. Jetzt, da ich sie als Freundin gewann, verlor ich sie erst recht …
»Wollen Sie mein Freund sein? … Mein Freund?«
»Ja!«
Da zog sie mich in das Zimmer zu ihrem Mann, der gerade mit dem Diener und der Zofe den letzten Koffer verschloss.
»Rudi, Rudi, denk dir, ich hab den Stolzen klein gekriegt! Er hat mir versprochen, mein Freund zu werden.«
»Der meine hoffentlich auch«, sagte der Graf.
So wurde ich der beste Freund der Beiden. Und ich habe es nach keiner Seite hin zu bedauern gehabt.
Als sie dann im Wagen sahen und die versammelten Offiziere der »scheidenden Sonne« ihre letzte Huldigung darbrachten, stand ich hinter dem Vorhang am Fenster und schaute verstohlen hinab. Und ich täuschte mich nicht. Ihre Augen suchten mich, während sie auf alle Grüße erwiderte und Antwort lächelte. Da erhaschte mich ihr Blick, und den anderen unmerklich, hob sie die Hand an den Mund.
Dann zogen die Pferde an …
Ich glaub, als ich mich dann an meinen Schreibtisch zurücksetzte, hab ich zum ersten Mal in meinem Leben geweint.