Читать книгу Intrigante Baumeister, hinterlistige Bräute - Ein Fall für Harald Steiner - Ansgar Morwood - Страница 9

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4. Das Kartell wird nervös

Rollinger fuhr ziemlich genau um 19 Uhr an Steiners Ferienhaus vor. Monika räumte ihren Liegestuhl für ihn, versorgte die Kommissare und sich selber mit Getränken, trug einen der Küchenstühle auf die Veranda und setzte sich zu ihnen.

Steiner berichtete Rollinger von ihren Abstechern nach Weiswampach, Eupen, St. Vith und Fischbach und dem, was er erst gut eine Stunde zuvor von Frisch erfahren hatte.

Auf Haralds Frage, ob in den luxemburgischen Zeitungen bereits spezifisch von Mord im Fall Wagner die Rede gewesen sein könnte, erklärte der Commissaire, einige Medien hätten tatsächlich die Nachricht von Wagners Tod unter Titeln wie ‚Suizid oder Mord?’ gebracht.

Auch Rollinger hatte seinerseits einiges zu berichten. „Die Fingerabdrücke von Siegfried Jasper wurden uns bereits gegen Mittag von Köln übermittelt. Wir haben sie mit solchen aus Wagners Chalet abgeglichen, und tatsächlich stimmten davon einige mit denen Jaspers überein.“

Das wunderte Steiner nun nicht mehr. „Wollen Sie sich jetzt schon auf Jasper als Wagners Mörder festlegen?“

„Nach allem, was Sie mir über ihn erzählt haben, wäre das wohl naheliegend.“

„Schießen Sie nicht zu früh aufs Wild, Monsieur Rollinger. Es gibt viele gute Gründe, weshalb Siggi Jasper nicht der Mörder ist.“

„Die da wären?“

„Jasper betreibt ein sehr straff organisiertes Verbrechersyndikat in Köln. Sein Kerngeschäft ist die Prostitution und das Glücksspiel. Wir wissen, dass er zudem groß im Rauschgiftgeschäft mitmischt, konnten es ihm aber bislang nicht nachweisen. Man vermutet, dass er auch im illegalen Waffenhandel seine Finger im Spiel hat. Und jetzt kombinieren Sie einfach nur.

Er hat garantiert einige Leute, die für ihn die dreckigen Arbeiten erledigen. Würde er also höchstpersönlich hierherkommen, um einen Alfons Wagner umzulegen? So etwas können andere doch viel besser und unverdächtiger statt seiner meistern. Und dann wäre ja noch zu klären, wie er an eine Waffe geraten sein soll, die Wagner gehört. Oder haben Sie irgendwelche Indikationen, dass es zwischen Wagner und seinem Mörder erst noch zu einem Handgemenge gekommen ist?“

„Nein, absolut nicht“, musste der Commissaire zugeben.

„Halten Sie es für denkbar, dass Jasper überhaupt vom Besitz einer Waffe Wagners Kenntnis hatte, geschweige denn, wo Wagner die aufbewahrte?“

„Wäre ziemlich weit hergeholt“, räumte der Luxemburger ein.

„Wenn Wagner mit seiner eigenen Wumme von Jasper umgepustet worden ist, dann müsste Jasper sie sich dort besorgt haben, wo Wagner sie deponiert hatte, oder er müsste sie ihm in Wagners Chalet abgenommen haben“, trumpfte Harald auf. „Jedes dieser Szenarien tendiert gegen das Unwahrscheinliche.“

„Also doch nicht Jasper“, schlussfolgerte Rollinger.

„Jedenfalls nicht in der Konstellation, in der sie für den ersten Augenblick als offensichtlich erscheint und eigentlich doch nicht möglich sein kann. Aber das mit Jaspers Fingerabdrücken wird doch wohl hoffentlich nicht der einzige Grund Ihrer Fahrt hierher sein.“

„Bestimmt nicht“, erwiderte Rollinger. „Doch bevor ich mich weiter expliziere, will ich noch einmal auf etwas zurückgreifen, über das Sie mir gerade berichteten. Sagten Sie nicht soeben, diese ominöse Frau Kranz, habe in St. Vith einen dunkelblauen Golf Cabrio mit Augsburger Kennzeichen gefahren?“

„Das habe ich.“

„Heute Morgen wurde der Polizei in Wiltz von einem Campingbetreiber im Norden des Landes gemeldet, auf seinem Parkplatz stehe mindestens schon seit Samstagnacht ein solches Fahrzeug herum, ohne dass es einem seiner Kunden oder einem der Gäste dieser Urlauber zuzuordnen wäre. Anhand des Kennzeichens wurde festgestellt, dass es auf eine Wagner Hochbau GmbH in Augsburg zugelassen ist. Im Fahrzeug wurde nicht ein einziger Gegenstand gefunden, der auf seinen Benutzer hätte hindeuten können.“

„Was schließen Sie daraus?“ fragte Steiner, obwohl er die Antwort bereits erahnte.

„In Anbetracht der Tatsache, dass Frau Kranz, wie Sie herausfanden, mit Herrn Wagner geschäftlich liiert war, berücksichtigend, dass die Brandleiche aus dem Steinbruch mit derselben Waffe wie Wagner erschossen wurde, und hinzuziehend, dass dieser VW Golf offenbar spätestens am Samstagabend auf dem Parkplatz des Campings abgestellt und vollkommen leer geräumt worden ist, ist wohl stark davon auszugehen, dass die Brandleiche mit Frau Manuela Kranz identisch ist.“

„Sehen Sie, Herr Kollege“, gab sich Steiner mal wieder besserwisserich, „daraus muss man doch umso mehr konkludieren, dass Jasper als Täter gar nicht in Frage kommt. Für den Zeitraum des Mordes an Frau Kranz, da hat er vom Nachmittag des Samstags bis in den Sonntag hinein Alibis und Zeugen ohne Ende, darunter auch unsere Versager vom Drogendezernat.“

„Einfacher macht das die Sache nicht“, meinte der Commissaire. „Vielleicht werden wir schlauer sein, wenn wir Herrn Wagners Bankkonten eingesehen haben. Inzwischen wissen wir, dass er bei der CPCP-Bank ein Konto hat. Das Problem gipfelt darin, unsere Banken legen nur ungern mehr offen, als wozu sie verpflichtet sind. Luxemburg lebt ja teilweise von den Banken, verstehen Sie? Aber es ist mir gelungen, den Mann, der Wagners Dossier betreut, telefonisch zu kontaktieren.

Dieser Herr Marc Maubeuge war sehr restriktiv in seinen Auskünften. Ja, es stimme, man führe für Herrn Wagner ein Konto. Nein, er werde gewiss am Telefon keine Auskünfte erteilen. Wann er denn bei mir im Kommissariat vorstellig werden könne, fragte ich. Na, vielleicht am Mittwoch nächster Woche.

Da ist mir der Kragen geplatzt. Ich habe ihn für Sonntagmorgen um 10 Uhr zu mir bestellt. Soll mich mal kennenlernen, dieser arrogante Pimpf.“

„Sonntagmorgen?“ Steiner war irritiert. „So etwas muss doch schneller über die Bühne gehen. Jedenfalls bei einem Mordfall.“

Rollinger lächelte verbittert. „Glauben Sie mir, Herr Steiner, bei Banken redet man in solchen Fällen immer am besten mit der ersten Garnitur. Maubeuge gehört bei der CPCP zur zweiten Reihe der ersten Garnitur. Und wenn so einer sagt, er habe Donnerstag und Freitag andere Termine, kann ich ihn nicht behelligen, es sei denn, ein Richter gibt mir dazu die Vollmacht, was nicht schnell der Fall sein wird. Hier haben Banken Narrenfreiheit, solange sie nicht gegen nationales oder internationales Recht verstoßen, sich nicht mit den Gewerkschaften verkrachen oder vielleicht vergessen, ihrer Steuerpflicht nachzukommen. Allerdings kann sich auch ein Marc Maubeuge nicht dahinter verstecken, sonntags frei zu haben.“

Das stimmte Steiner dann doch irgendwie wieder besser. „Insofern Wagners Geldtransfers von Bedeutung sind, ist das ja dann auch schon wieder ein Fortschritt.“

„Des Weiteren habe ich mit einem Kollegen in Brüssel gesprochen“, führte Rollinger weiter aus. „Sein Name ist Fernand Dumont. Seit Jahren schon versucht er dem Kartell das Handwerk zu legen. Das Problem, derer habhaft zu werden, liegt nach seiner Überzeugung darin, dass zu viele hochrangige Funktionäre mitmischen. Allerdings erklärte er mir, diese Myriam Berlotti, die andere Architektin auf Wagners Liste, sei ziemlich stark mit dem Kartell verbandelt. Er weiß leider nicht, wie sich das gestaltet, da Frau Berlotti im Gegensatz zu den bekannten Kartellmitgliedern sehr autonom agiert.“

„Es muss doch noch massig andere Interessenten für Wagners Projekt in Belgien und Luxemburg als nur Lebrun und Grootman geben“, gab Monika zu bedenken. „In Deutschland gibt es jedenfalls mehrere.“

Harald schloss sich dieser Ansicht an. „Davon ist auszugehen, nur haben nicht viele Namen solcher Leute auf Wagners hier aufgefundener Liste gestanden. Wo könnten wir die Namen solcher Leute ausfindig machen?“

„Vielleicht weiß Jos Weißler mehr darüber“, hielt es Rollinger für möglich.

„Warum sollte er?“ hakte Steiner nach.

Der Commissaire verzog seine Lippen zu einem leichten Grinsen. „In den Gesprächen, die ich mit ihm führte, kam mir der Verdacht auf, dass er nicht mehr auszusagen beliebte als nötig. Das verwundert mich auch nicht. Alleine schon der Umstand, im Immobiliengeschäft als Makler mitzumischen, erfordert hier im Land gewisse Genehmigungen. Da reicht es nicht, als Versicherungsmakler zugelassen zu sein. Und wenn ich es mir recht überlege, wird es wohl die Frau Kranz gewesen sein, die hier in Luxemburg die Kontakte zu Interessenten für das Wagnerprojekt unterhalten hat. Es wäre also gar nicht einmal so unlogisch, wenn Frau Kranz, die ja gar nicht offiziell hier in Luxemburg gemeldet sein kann, sich Weißlers als Mittelsmann bedient haben sollte. Der wiederum könnte über Frau Kranz’ illegales Dasein im Bilde gewesen sein.“

„Interessante Überlegung. Sogar bei einem internationalen Haftbefehl gegen sie würde die Kranz ziemlich unbehelligt durch Europa gondeln können”, merkte Harald an.

„Wieso das denn?“ fragte Monika. „Irgendwann wäre sie doch irgendwo in eine Verkehrskontrolle geraten und als zur Fahndung ausgeschrieben erkannt worden sein.“

Die synchrone Heiterkeit in den Gesichtern der beiden Kommissare verunsicherten die Mink. Harald wandte sich an Rollinger.

„Erklären Sie es ihr, oder soll ich es tun?“

„Den Part überlasse ich gerne Ihnen.“

Als bedenke er sie mit einem großzügigen Almosen, klärte er seine Assistentin über ihren Irrtum in oberlehrerhafter Weise auf.

„Die erste Frage bei einer allgemeinen Verkehrskontrolle lautet, ,Führerschein und Fahrzeugpapiere’. Das müssten Sie doch aus eigener Erfahrung wissen. Liegt weiter nichts vor, wird der Fahrer durchgewunken. Bei einer kleinen Unstimmigkeit wird vielleicht auch noch um das Vorzeigen von Personalpapieren gebeten. Erst wenn das Fahrzeug oder/und sein Benutzer den Eindruck erwecken, irgendwie nicht ganz koscher zu sein, machen sich die kontrollierenden Beamten daran, den Computer etwas genauer zu befragen.

Frau Kranz tauchte vor drei Jahren unter. Vielleicht sind ihr Pass und ihr Ausweis noch gültig. Wenn nicht, sind diese Papiere dennoch nicht so lange abgelaufen, dass sich ein normaler Beamter darüber großartig Gedanken machen wird. Zudem haben wir von Herrn Schiltz und Frau Altiari nahezu gleichlautend vernommen, dass Frau Kranz eine angenehme Erscheinung war. Angenehme Erscheinungen schalten bei Beamten automatisch den Verdacht auf Unlauterkeiten aus.

Mit anderen Worten, Frau Kranz hätte mit 100 Sachen im Ortsbereich, mit einem knatternden Auspuff oder einem Revolver auf dem Beifahrersitz erwischt werden müssen, um das Objekt tiefer gehender Investigationen zu werden. Sie wird klug genug gewesen sein, genau solche Dinge zu vermeiden.“

„Aha“, war das Einzige, was Monika dazu zu sagen wusste.

Derweil konnte Steiner es mal wieder nicht lassen, Rollinger den Grund seines ihm eigentlich als überflüssig erscheinenden Vortrags zu kommentieren.

„Sie müssen entschuldigen, Monsieur le Commissaire, der Nachwuchs in unserem Metier ist nicht mehr vom selben Schlage wie unsereiner. Greenhorns eben, die mit Computerspielen groß geworden sind.“

Die Mink empfand diese Einlage ihres Chefs als besonders entwürdigend. Sie nahm sich vor, den Rest des Abends zu schweigen, jedenfalls solange Rollinger anwesend war. Und Rollinger bedachte sie nach Haralds Darlegungen mit einem milden väterlichen Lächeln, was ihr nur bestätigte, wie voll und ganz er mit den Ausführungen ihres Chefs über jüngere Polizeibeamte und insbesondere in Bezug auf sie selber einverstanden war.

Steiner griff das Thema Manuela Kranz erneut auf. „In der Tat müssen wir davon ausgehen, dass die Frau Kranz sich in den letzten Monaten oder gar Jahren irgendwo hier im Lande oder im Grenzraum aufgehalten haben wird. Sie muss ja irgendwo gewohnt und ihr Auto abgestellt haben. So etwas muss man doch herausfinden können. Zudem scheint sie ja ein Handy der Firma Wagner benutzt zu haben, von dem sich ein Bewegungsprofil erstellen lassen müsste.“

„Da haben Sie wohl wahrscheinlich Recht“, stimmte Rollinger zu. „Da es sich aber um ein Handy mit einem deutschen Anschluss handelt, ist es auch Sache der deutschen Polizei, dieses Bewegungsprofil zu erstellen.“

„Gewiss, gewiss.“ Steiner schaute auf seine Armbanduhr. Es war 20.06 Uhr. „Was halten Sie davon, den hiesigen Tageszeitungen noch vor Redaktionsschluss mitzuteilen, es bestehe der begründete Verdacht, die Brandleiche aus dem Steinbruch könnte eine Frau Manuela Kranz aus Bochum sein, und man bitte die Bevölkerung daher um Hinweise?“

„Nicht schlecht, der Gedanke“, gab der Commissaire zu. „Sollte es sich bei der Toten nicht um Frau Kranz handeln, brauchen wir trotzdem nicht zu befürchten, dass sie sich bei uns meldet, um sich darüber zu beschweren, wir hätten ihren guten Ruf irgendwie beschädigt. Sie wird sich tunlichst hüten, schließlich wird sie per Haftbefehl gesucht.“

Steiner bedachte sich noch einmal. „Aber vielleicht ist diese Idee doch nicht so gut. Der Täter könnte angesichts unseres Wissenstandes kalte Füße bekommen.“

„Der wird doch garantiert damit gerechnet haben, dass wir früher oder später auf die Identität der Leiche kommen werden“, widersprach Rollinger. „Dann sind wir eben etwas früher darauf gekommen.“

„Auch wieder wahr. Was können wir sonst noch unternehmen?“

„Sagen Sie es mir.“ Offenbar hatte sich der luxemburgische Kollege damit abgefunden, dass Steiner in Mordsachen die größere Routine hatte.

„Fühlen Sie Weißler auf den Zahn. Er muss die Kranz sehr gut kennen. Wir unsererseits werden uns um Siggi Jasper kümmern. Ich gedenke, auch die belgischen Investoren aufzusuchen, halte das aber nicht für besonders vorrangig. Wagners Abstecher in der vergangenen Woche bei ihnen wird wohl mehr der Beschwichtigung wegen des Baubeginns gedient haben.“

Rollinger war gegangen, Monika räumte den Tisch ab und begab sich ins Innere, um die Gläser zu spülen, brachte Harald aber noch unaufgefordert eine neue Flasche Pils und ein frisches Glas auf die Veranda. Der war in Gedanken über den Fall vertieft. Monika bereitete derweil wieder sein Nachtlager vor, duschte sich und ging zu Bett. Harald holte sich noch im Laufe der nächsten zwei Stunden zwei weitere Flaschen Bier aus dem Kühlschrank in der Küche.

Kurz vor Mitternacht überkam ihn dann die Müdigkeit, und auch er wollte sich zur Ruhe begeben. Er sah auf das sehr ordentlich aufgemachte Schlaflager am Boden neben dem Bett und erinnerte sich an die Schmerzen, die er am Morgen verspürt hatte, als er aufgewacht war. Noch so eine Nacht?

Sein Blick schweifte zur schlummernden Mink rüber. Gestern Nacht hatte sie sich offenbar während ihres Schlafs nicht bewegt, und auch jetzt schien sie sich für den Rest der Nacht mit einem äußeren Drittel des breiten Bettes zu begnügen. Was sollte es ihr und ihm da ausmachen, wenn er das andere äußere Drittel des Bettes in Beschlag nahm?

Vielleicht hatte die Mink sich ja dieses Mal nicht ganz entblößt ins Bett gelegt, dachte er. Wenn wohl, so maß das mittlere freie Drittel des Ruhemöbels immer noch so zwischen 60 und 80 Zentimeter. Und wenn er es sich unbedingt vornahm, würde er auch morgen wieder garantiert vor der kleinen Schnepfe aufstehen und sie es vielleicht nicht einmal mitbekommen haben, dass er überhaupt im selben Bett wie sie geschlafen hatte. Obwohl, hatte sie nicht selber gesagt, dass ihr das nichts ausmachen würde? Ihm aber wohl, denn er war ja immerhin ihr Vorgesetzter.

Tatsächlich wachte Steiner am Donnerstagmorgen bereits vor sechs Uhr und vor Monika Mink auf. Er sah zu ihr rüber. Auch in dieser Nacht hatte sie sich kaum bewegt, so schien es jedenfalls, wenn er ihre Liegeposition vom Vorabend richtig in Erinnerung hatte. Allerdings musste sich Harald doch im Schlaf bewegt haben, denn er hatte den Großteil der Decke und der Laken auf seine Seite gezogen, oder aber die Mink hatte sie zu ihm rübergedrückt. Denn nun lag sie unbedeckt und unbekleidet da.

Auf seinem Ellebogen abstützend richtete er seinen Oberkörper auf. Er betrachtete sie mit gemischten Gefühlen. Da war zunächst der verächtlichere Gedanke: Pfui, eine Frau! Dieser Gedanke wurde aber binnen wenigen Sekunden von einem ganz anderen Gedanken überlagert: Eine schöne Frau. Dieser Gedanke wurde von einem weiteren Empfinden abgelöst: Eine sinnliche, schöne Frau.

Er ertappte sich selber gerade dabei, sie zärtlich anfassen zu wollen, als ihm wieder schlagartig bewusst wurde, wie hier die Verhältnisse zu sein hatten. Harald war von einem Moment zum anderen wieder ganz der Harald Steiner, wie man ihn gewohnt war.

Er stand auf, ging zur Küchenzeile, setzte Kaffee auf, suchte sich Klamotten aus dem Schrank und ging ins Bad. Als er zwanzig Minuten später wieder herauskam, lag Monika immer noch unbedeckt im Bett. Er goss den fertigen Kaffee in eine Thermoskanne, entnahm einem Oberschrank einen Kaffeebecher und begab sich hinaus auf die Terrasse. Wieder zwanzig Minuten später vernahm er von drinnen, dass die Mink wohl aufgestanden und ins Bad gegangen sein musste. Die Sonne prankte schon in ihrer vollen Pracht am Himmel.

Eine Viertelstunde später erschien Monika mit einer Kaffeetasse auf der vorderen Terrasse.

„Morgen, Chef“, sagte sie und versuchte ein Gähnen zu unterdrücken. „Wieder ein schöner Tag heute, nicht?“

Er hatte sich noch nicht zu ihr umgedreht und entgegnete: „Morgen, Mink. Ja, ein schöner Tag.“

Sie ließ sich im anderen Stuhl nieder. „Wollen Sie frühstücken? Haben Sie einen besonderen Wunsch?“

„Nein, noch habe ich nicht gefrühstückt. Ansonsten bin ich nicht sehr anspruchsvoll, was das Morgenmahl angeht.“ Er sah sie immer noch nicht an.

Sie legte demonstrativ und provokativ ihre Füße auf den Tisch. Jetzt wendete er seinen Kopf doch um 90° und bekam einen Schreck. Monika Mink lag komplett nackt mit übereinander geschlagenen Beinen in ihrem Liegestuhl.

„Mink!“ schrie er sie entsetzt an. „Aber nicht so hier draußen!“

Sie erwiderte gelassen mit geschlossenen Augen: „Computer spielende Greenhorns machen das nun einmal so. So wie sich züchtige Chefs nun einmal nicht neben nackten, Computer spielenden Greenhorns ins Bett legen.“

Einen Teil des Seitenhiebs hatte Steiner sofort erfasst, einen Teil noch nicht. „Wenn das eine Protestkundgebung gegen das sein soll, was ich gestern in Bezug auf Ihre noch nicht völlige fachliche Reife gesagt habe, will ich mich gerne bei Ihnen für meine Wortwahl entschuldigen, Frau Mink. Aber das erlaubt Ihnen noch lange nicht, sich hier draußen, wo Sie jeder sehen kann, im Evakostüm zu präsentieren. Holen Sie sich wenigstens eine Decke von drinnen.“

„Na, es hat Ihnen doch auch nichts ausgemacht, sich neben mir ins Bett zu legen, obwohl Sie das partout nicht tun wollten.“

Jetzt klingelte es bei Steiner. Es waren gewiss nicht nur die an der anderen Seite des Bettes aufgewühlten Decken gewesen, die die Mink darauf gebracht hatten, dass er die Nacht unweit neben ihr gelegen hatte. Es waren die Matratze und die Bettwäsche auf dem Boden gewesen, die er nicht angerührt hatte. Das hatte sie natürlich am Morgen festgestellt und sich ihren eigenen Reim darauf gemacht.

Blieb nur die Frage, was sie jetzt mal wieder mit ihrer Show bezweckte. Vielleicht ein kleiner Erpressungsversuch, vielleicht ... Nein, das bestimmt nicht. Er war um die fünfzehn Jahre älter als sie ...

„Was wollen Sie, Frau Mink?“ sprach er nun wesentlich ruhiger und wandte seinen Blick von ihr ab.

„Ich will nur ich sein dürfen und von Ihnen für voll genommen werden.“

„Ach nee“, knurrte Harald. „Und wie soll das Ihrer Meinung nach aussehen?“

„Akzeptieren Sie doch einfach, dass ich in meiner Freizeit so bin, wie ich bin. Im Dienst richte ich mich ja auch nach Ihnen. Aber ich möchte auch im Dienst nicht beleidigt werden, ich möchte von Ihnen lernen.“

Er sah sie wieder an und bewunderte ihre Brüste. Sie waren nicht üppig, aber fest, und vor allem diese Nippel, die so einladend hervorstanden, beeindruckten ihn. Er überwandt sich, etwas von sich selber preiszugeben, das er bislang gegenüber anderen für sich behalten hatte.

„Hören Sie, Monika“ - er hatte sie noch nie beim Vornamen genannt, und dass er es jetzt getan hatte, fiel ihr sofort auf und zeigte ihr, wie wichtig das sein sollte, was jetzt folgen würde - „ich habe nichts gegen Sie persönlich. Sie verfügen im Grunde über alle Attribute, über die eine Kriminalistin verfügen sollte. Sie sind intelligent, schnell von Begriff, kennen die Spielregeln im Umgang mit Menschen aller Art, sind fleißig, manchmal sogar hartnäckig und vor allem befähigt zu kombinieren. Was Ihnen fehlt, ist die Erfahrung und der richtige Feinschliff. Vergessen Sie darüber hinaus nie, dass Sie eine Frau sind ...“

„Was haben Sie gegen Frauen?“ empörte sich Monika.

Er lächelte. „Werte Kollegin, der Unterschied zwischen Männern und Frauen ist nicht ausschließlich eine Frage der Anatomie, sondern auch eine des Wesens. Ich nenne jetzt nur die essenzieleren Eckpunkte. Männer konzentrieren sich aufs Sachliche und sind in demjenigen, was sie tun, geradlinig. Daraus resultiert, dass Männer unter sich meistens sehr direkt kommunizieren und auch gegenüber Frauen ziemlich direkt sind.

Frauen hingegen haben die Angewohnheit, alles mit einem Hauch der Verschleierung zu umhüllen. Sie verbergen ihre wahren Mitteilungen hinter künstlichen Fassaden und finden oder erfinden laufend Ausreden. Sie haben die Tage, sie haben die Monate, sie haben die Jahre, sie haben Migräne, sie haben keine Lust. Bekloppte Männer, die es sich nicht leisten können, kaufen sich alle drei Jahre einen protzigen Wagen. Bekloppte Frauen, die es sich nicht leisten können, kaufen sich Jahr ein Jahr aus massenhaft Schuhe, Handtaschen, Kleider, Kosmetikartikel und solchen Plunders mehr.

Mit einem protzigen Auto kann man sich zu jeder beliebigen Zeit von A nach B bewegen, selbst wenn es eine alte Schrottkiste auch täte. Hundert Paar Schuhe, die sich zudem laufend vermehren, kann man nie verschleißen, und sie haben auch keinen Nutzen, am Ende nicht einmal einen ästhetischen. Mit anderen Worten, Männer sind trotz gewisser Macken rational veranlagt, Frauen hingegen sind auch ohne allzu viele Macken emotional veranlagt.

„Mag sein, dass Sie solche Erfahrungen gemacht haben, Chef“, argumentierte Monika gegen. „Ich aber kaufe keine hunderte Handtaschen, Schuhe und Parfümfläschchen. Ich denke, Sie sind wohl immer an die Falsche geraten. Ich jedenfalls gehe sehr sparsam mit dem um, was ich habe. Ich achte nicht ausschließlich auf meine Figur der Männer wegen, sondern hauptsächlich damit mir meine Klamotten passen, bis sie verschlissen sind.“

Steiner brauchte einige Augenblicke, um darauf zu reagieren. „Vielleicht haben Sie ja Recht. Vielleicht bin ich ja wirklich eine Spur zu konservativ oder zu verkorkst.“ Und nun kam etwas, was wohl auch noch niemand aus seinem Munde vernommen haben dürfte. „Man sollte immer bereit sein, an sich selber zu arbeiten. Nur so kann man sich als Mensch und fachlich verbessern. Das gilt auch für mich.“

Haralds Handy machte sich bemerkbar und bereitete dieser für Monika äußerst aufschlussreichen Debatte ein Ende.

Alain Noel ging verärgert hektisch in seinem Büro im Brüsseler Stadtteil Ixelles auf und ab. In einem Sessel saß ein nicht gerade besonders wacher Serge Charlier, in einem anderen ein leicht irritierter Luc Korthals.

„Kann mir das mal jemand erklären?“ brüllte Noel. „Was soll das alles bedeuten? Am Anfang hatte ich nur geglaubt, es handele sich um einen Zufall, einen glücklichen Zufall für uns, dass dieser Wagner tot ist. Aber das, was ich heute Morgen in den Internetnachrichten gelesen habe, lässt sich ja wohl kaum noch als Zufall betiteln. Oder hat jemand von euch eine Ahnung, was da gelaufen ist?“

Charlier, obwohl wegen Noels frühen Anrufs aus seinem viel zu kurzen Schlaf gerissen worden, konnte dem Ganzen immer noch etwas Positives abgewinnen.

„Du siehst das alles viel zu verkrampft, Alain. Ich denke doch, ein jeder von uns wird für die beiden Tatzeiten sein individuelles Alibi haben. Nun, wo beide von der Bildfläche verschwunden sind, steht uns ja gar nichts mehr im Wege, die Sache durchzuziehen.“

Noel blieb vor Charliers Sessel stehen und schaute nahezu verächtlich auf ihn hinunter. „Du hast wohl eine Meise, Serge. Warum glaubst du denn, haben die Bullen uns gefragt, ob wir Wagner kennen oder gar mehr mit ihm zu tun gehabt zu haben? Sie haben einen Hinweis, dass er sich mit uns beschäftigt hat. Das ist das gefundene Fressen für diesen Dumont. Und die Luxemburger, was machen die wohl jetzt? Sie stellen natürlich allerhand Überlegungen an, wieso man Wagner und Kranz umgebracht haben könnte. Alibi hin, Alibi her, wir haben ein triftiges Motiv, und daran werden manche dieser Schnüffler uns aufzuhängen versuchen. Dabei war es in letzter Zeit endlich mal etwas ruhiger um uns geworden.“

Korthals teilte Charliers Ansicht zum Verlauf der Dinge. „Liegen einmal unsere Alibis vor, können die doch gar nichts gegen uns ausrichten.“

Wenn Blicke töten könnten, hätte sich Korthals unter denen Noels jetzt in nichts aufgelöst.

„Wie naiv muss man sein?! Ich sollte mich am Dienstag mit Weißler treffen. Ich weiß schon, warum ich den Termin abgesagt habe. Und überhaupt, wie sicher können wir denn sein, dass keiner aus unseren Reihen hinter diesen Morden steckt?“

„Wie meinst du das?“ fragte Charlier aufgescheucht nach.

„Na, du bist der Richtige, das zu fragen. Du bist doch besser mit den Problemen De Wittes und der Gaston-Brüder vertraut. De Witte steuert auf einen astreinen Bankrott zu, den Gaston-Brüdern sitzt die Spezialinspektion der Steuerverwaltung im Nacken. In solchen Situationen kann man mal leicht auf den Gedanken kommen, sich auf alternative Weise sanieren zu wollen.“

Korthals war heilfroh, dass Alain ihn nicht ansah, während er das sagte. Sein Bauunternehmen verkehrte zwar nicht in finanziellen Nöten, aber auch er hatte hinter dem Rücken des großen Chefs sein eigenes Süppchen gekocht.

Charlier entgegnete auf Noels Vorhaltungen: „Wenn De Witte beinahe pleite ist und die Gastons unter die Räder des Finanzamtes zu geraten drohen, werden sie doch wohl kaum in der Lage sein, das Wagnerprojekt zu übernehmen. Was ich über deren Probleme weiß, besagt, dass sie sich vielleicht noch gerade so wieder fangen werden.“

Noel schnaufte nervös. „Mir gegenüber musst du die Wahrheit sagen, denn es geht ums Ganze. Notfalls müssen wir diese Typen abschießen, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes.“

„Mord?!“ rief Luc Korthals erschrocken aus.

Derweil versuchte der Anwalt den Kartellchef zu beschwichtigen: „Was die Gastons angeht, glaube ich nicht, dass die Finanzinspektion besonders erfolgreich sein wird. Cornelis De Witte steht in der Tat mit einem Bein bis zum Hals in der Scheiße. Er sagte mir, er traue sich nicht, dich um Hilfe zu bitten.“

„Warum nicht?“ fragte Noel.

„Na, eben deswegen, weil du ihn vielleicht abschießen könntest.“

„Physische Gewalt war noch nie unsere Methode. Aber es gibt einen Punkt, wo ...“

„Belassen wir es dabei, Alain. Sag uns lieber, wie es weitergehen soll“, sagte Charlier.

„Dabei belassen werde ich es nicht, Herrschaften. Wer unser System untergräbt oder torpediert, muss ausgeschaltet werden. Wenn Wagner und Kranz in so kurzer Zeit hintereinander umgebracht worden sind, dann doch wohl nur wegen des Bauvorhabens. Woher da der Wind weht, ist mir noch schleierhaft. Sollte er aber aus unseren Reihen her wehen, muss tabula rasa gemacht werden.“

„Wie stellst du dir das vor, Alain?“ wollte Luc wissen und musste sich schwer selber dabei im Zaum halten, nicht am ganzen Leibe zu zittern.

„Kommt drauf an“, antwortete Noel. „Ehe ich mich überhaupt noch in diese Sache hineinhänge, will ich Klarheit haben. Deshalb habe ich für heute Nachmittag Zubergen hierher bestellt.“

„Zubergen, diesen kleinen Denunzianten?“ hakte Charlier ungläubig nach.

„Warum denn nicht?“ erwiderte Noel. „Zubergen haben wir unser Wissen über das Wagnerprojekt zu verdanken. Wagner und Kranz wollten ihn mir unterjubeln, um uns zur Teilhabe an ihrem Projekt zu erpressen, und ich habe ihn umgedreht.“

„Was soll der Kerl deiner Meinung nach tun?“ erkundigte sich Korthals verunsichert.

Der Kartellchef lächelte. Es war ein gemeingefährliches Lächeln, wussten die beiden anderen aus Erfahrung.

„Dieser Zubergen soll herausfinden, wer der Mörder Wagners und Kranz’ ist, bevor die Bullerei es herausfindet. Er soll mir die Beweise der Täterschaft und deren Hintergründe liefern. Es gibt mehrere Varianten. Wagner und Kranz wurden wegen einer ganz anderen Sache umgelegt als des Projektes wegen. Dann brauchen wir nichts mehr zu scheuen und hängen uns wieder voll in die Sache. Die zweite Variante wäre, sie sind wegen des Projekts umgelegt worden, aber keiner aus unseren Reihen hatte seine Hand im Spiel. Ließe sich das belegen, können wir ebenfalls in die Sache einsteigen. Die dritte Variante wäre, es hätte doch einer aus unseren Reihen die Hand im Spiel gehabt. Dann müssen wir uns wahrscheinlich nicht nur dieses Vorhabens fernhalten, sondern zudem auch noch uns dieses Abtrünnigen entledigen.“

„Wieso entledigen?“ fragte Korthals.

Die Antwort gab Charlier an Stelle Noels. „Gerät einer von uns ins Schwimmen, wird der uns alle mit in den Abgrund reißen.“ Er wandte sich wieder direkt dem Kartellchef zu. „Allerdings ist doch jedem von uns, der genauer über das Gespann Wagner-Kranz Bescheid weiß, klar, wie unwichtig die Kranz in dem Spiel gewesen wäre, wenn Wagner aus dem Rennen war. Man müsste doch selten dämlich sein, wenn man mit diesem Wissen trotzdem beide aus dem Verkehr zieht. Ich glaube, das ist doch schon sehr deutlich bei unserer letzten Versammlung so gesagt worden, oder nicht?“

„Ich traue dem Braten trotzdem nicht, und darum habe ich Zubergen herbestellt.“

Rollingers Unterfangen, mit Jos Weißler Tacheles zu reden, erwies sich nicht als machbar, wie ihm dessen Sekretärin mitteilte. Herr Weißler befinde sich bis zum Freitagabend auf einem Fachkongress in Paris. Ob Herr Weißler denn am Samstag disponibel sei, erkundigte sich der Commissaire. Das konnte die Angestellte nicht mit Sicherheit sagen. Herr Weißler werde wahrscheinlich wie üblich den Samstag für Kundenbesuche nutzen. Eventuell könnte er am Sonntag zuhause sein, ansonsten müsse sich der Herr Kommissar bis zum Montag gedulden.

Etwas hoffnungsvoller fielen die ersten Reaktionen auf die am Morgen in der Tagespresse erschienene Bitte an die Bevölkerung um Angaben zu Manuela Kranz aus. Die war sehr häufig von Leuten im Süden der Hauptstadt gesehen worden, in einem Viertel, in dem eigentlich überwiegend Unternehmen angesiedelt waren, aber wo es auch einige Plattenbauten gab, die von eher Sozialschwachen bewohnt wurden.

Die Erstellung des Bewegungsprofils des Handys, das die Kranz benutzt hatte, deutete in dieselbe Richtung. Einige Hinweise aus der Bevölkerung waren sogar so konkret, dass man die Suche auf acht Häuserblocks beschränken konnte. Und dennoch sollte alles das an diesem Tag noch nicht zu einem greifbaren Resultat führen.

Das Handy selber war seit Samstagabend nicht mehr ans Netz gegangen. Seine letzte Position konnte in oder bei der Stadt Clervaux geortet werden, und zwar ziemlich genau um 20 Uhr jenes Tages.

Der Anruf, der Steiner am Morgen auf seinem Handy erreicht hatte, kam von Hans Schiltz. Der erklärte dem KHK, in dem Zimmer, in dem Frau Kranz drei Nächte verbracht hatte, habe eine der Angestellten etwas Seltsames gefunden, was mit großer Wahrscheinlichkeit da noch nicht deponiert gewesen war, bevor die Kranz dort eingezogen war. Es war auch ausgeschlossen, so der Hotelier, dass der Gast, der nach ihr das Zimmer bezogen hatte, dieses seltsame Objekt mitgebracht und dort vergessen haben könnte, da Schiltz ihn deswegen noch nachträglich telefonisch kontaktiert hatte.

Steiner hatte daraufhin beschlossen, zusammen mit der Mink nach St. Vith zu fahren, um sich das für Schiltz undefinierbare Ding näher anzusehen.

Monika hatte sich diesmal ein kurzes weißes Sommerkleid angezogen, das zumindest bis zehn Zentimeter an ihre Knie heranreichte, aber aus einem solch dünnen Stoff gearbeitet war, beim richtigen Lichtkontrast ihren weißen Stringtanga durchschimmern zu lassen. Der Stoff im Brustbereich war etwas dichter, konnte aber trotzdem nicht verschleiern, welches Unterteil nicht vorhanden war. Die Freizügigkeit des Dekolletes und die mit einem Schnürverschluss zusammengehaltene Rückenpartie bekräftigten nur den Verdacht, wie wenig Sicht das Textilstück dem Betrachter verbergen sollte. Doch Steiner hatte nicht die Absicht, hierzu seine Bedenken kundzutun. Er hielt solche Kommentare inzwischen für das Reden gegen taube Wände.

Der Hotelbetreiber empfing die beiden Deutschen im Barbereich und bat beide, sich mit ihm an einen der Fenstertische zu setzen, wo er bereits auf einem der Stühle eine Plastiktüte mit darin dem seltsamen Etwas deponiert hatte.

„Wie ich schon am Telefon sagte, ich habe keine Ahnung, wozu dieses Ding zu gebrauchen ist. Es scheint etwas Elektronisches zu sein, aber ich kenne kein übliches Gerät, wozu es gehören könnte. Nur die Angestellte, die es entdeckt hat, hat es mit ihren Fingern auch angefasst. Als sie mich hinzugerufen hatte, habe ich eine Serviette benutzt, um es in diese Tüte zu tun. Das Gerät war unter einem Schrank mit niedrigen Pfoten verborgen.“

Harald griff nach einer auf dem Tisch liegenden Stoffserviette, zog das Objekt aus der Tüte und legte es behutsam auf den Tisch.

„Kann mir schon vorstellen, dass Sie nicht wissen, was das ist, denn so etwas benutzen in der Regel nur Leute, die bei der Polizei oder bei Geheimdiensten beschäftigt sind, oder Privatdetektive und Gauner. Das hier ist ein Verstärker für eine Abhöranlage.“

„Sie meinen, jemand hat Frau Kranz in ihrem Zimmer abgehört?“ fragte Schiltz besorgt.

„Das wohl eher nicht“, glaubte Steiner. „Dieser Typ Verstärker wird nicht in der Nähe der Person, die man auskundschaften will, untergebracht, sondern befindet sich dort, wo sich der Lauscher beziehungsweise sein Aufnahmegerät befindet.“

„Oh! Sie meinen, die Frau Kranz hat Gäste unseres Hauses abgehört“, meinte Schiltz, daraus ableiten zu müssen, und machte einen empörten Eindruck.

„Jedenfalls wäre das das Erste, was man hiervon zu halten hat“, sagte Harald. „Der Fundort war also von der Art, dass man nicht auf Anhieb etwas dort Verstecktes gefunden hätte?“

„Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen die Stelle zeigen“, bot der Hotelier an.

Beide Männer gingen hinauf in den ersten Stock zu dem Zimmer, das Manuela Kranz bewohnt hatte, während Monika es bevorzugte, im Barroom zu bleiben und sich eine Tasse Kakao zu bestellen. Unter einen Schrank auf niedrigen Pfoten zu schauen, hielt sie für wenig ergiebig. Dazu brauchte Steiner ihre Hilfe nicht.

Kaum hatte der Hauptkommissar das Möbelstück gesehen, erachtete er das für bestätigt, was er bereits aus den Schilderungen des Hoteliers geschlussfolgert hatte. Zurück am Tisch im Barbereich legte Steiner dar, was er vermutete.

„Sie sagten, die Frau Kranz habe sich dahingehend geäußert, hierhergekommen zu sein, um geschäftliche Dinge zu erledigen, sie sei aber immer nur für sehr kurze Zeit außer Hause gewesen und habe hier außer Herrn Wagner niemals jemanden empfangen.“

„Ganz recht“, bestätigte Schiltz.

„Und Sie sagten gestern, die Frau Kranz habe sich am Donnerstagmorgen atypisch für einen Frühstücksgast verhalten, weil sie sich nicht an einen noch freien Fensterplatz gesetzt hatte und sich sogar an dem Platz, den sie dann auswählte, auch noch mit dem Rücken zum Fenster niederließ.“

„Genau.“

„Aber am Mittwochmorgen und am Freitagmorgen, so sagten Sie aus, habe sie wohl einen Platz am Fenster eingenommen.“

„Auch das ist richtig“, bejahte Schiltz.

„Bei ihrer Ankunft“, rekapitulierte Steiner weiter, „hatte sie sich die Konferenzräume des Hotels zeigen lassen.“

„So war es“, stimmte der Hotelier zu. „Ich muss allerdings hierzu der Richtigkeit halber anmerken, dass wir nur zwei solcher Räume haben, nämlich einen für Sitzungen mit bis zu 16 Teilnehmern und einen für Konferenzen bis zu 36 Teilnehmern. Frau Kranz wollte lediglich den kleineren Saal sehen.“

„Den will ich auch sehen“, tat Harald kund, und Schiltz führte ihn in den bewussten Saal im Keller des Hotels.

Von der Fläche her hätte auch dieser „kleinere“ Raum über dreißig Konferenzteilnehmer aufnehmen können, aber die Anordnung der Tische, ein Rednerpult, Tische, die offenbar für kalte Buffets und Getränke entlang einer der Wände standen, ein Projektorapparat und ihm gegenüber eine Leinwand, ein riesiger Flachbildschirm samt einem DVD- und einem Videorekorder, ein Tonbandgerät und eine HiFi-Anlage mit vier Lautsprecherboxen, sowie ein glänzend schwarzer Flügel hätten wahrlich kaum noch mehr Platz für mehr als 16 Leuten geboten.

Schiltz erklärte fast schon entschuldigend: „Wir müssen für alle Arten von Versammlungen gewappnet sein. Von der Geschäftsbesprechung über das Kammerkonzert bis hin zur kommunalpolitischen Veranstaltung muss alles möglich sein. Die Räumlichkeiten stellen wir gegen ein kleines Entgelt zur Verfügung. Mit dem Verzehr machen wir unseren Umsatz.“

Steiner hatte das längst begriffen. Viel interessanter fand er die vielen geeigneten Stellen, an denen man Wanzen unterbringen könnte. Er forderte den Hausherrn auf, wieder mit ihm in die Bar zu gehen.

Dort stellte er dann eine weitere entscheidende Frage. „Hätte Frau Kranz zu jeder nur erdenklichen Tageszeit die Gelegenheit gehabt, in den kleinen Saal zu gelangen, ohne dabei gesehen und ohne daran gehindert zu werden?“

„Wenn nicht gerade eine Konferenz dort stattfindet, wird es niemandem in unserem Hause stören, wenn ein Gast sich dort umsieht.“

„Hat sie sich denn noch einmal dort umgesehen?“ erkundigte sich Steiner.

„Ich weiß es nicht. Ich könnte das Personal fragen“, schlug Schiltz vor.

Harald winkte ab. „Vielleicht später. Hat denn eine Versammlung irgendwann zwischen Dienstag und Freitag letzter Woche in dem bewussten Raum stattgefunden?“

„Ja, in der vergangenen Woche hatten wir Gäste aus dem Inland, die hier am Mittwochvormittag eintrafen, gemeinsam zu Mittag aßen und dann den gesamten Nachmittag in dem kleinen Saal konferierten. Alle Teilnehmer dieser Gruppe hatten Zimmer für die Nacht zum Donnerstag reserviert. Alle Herren haben am Donnerstagmorgen hier gefrühstückt und sind dann im Laufe des Vormittags abgereist.“

„Da kommen wir der Sache ja schon näher“, glaubte Steiner. „Waren die Herren am Donnerstag gleichzeitig wie Frau Kranz im Frühstücksraum zugegen, und wenn ja, wer war eher da? Frau Kranz oder die Herrengesellschaft?“

„Jetzt wo Sie mich das so fragen, erinnere ich mich auch wieder daran, wie außergewöhnlich lange Frau Kranz an dem Morgen frühstückte. Sie kam schon geraume Zeit vor den Herren, und sie ging auch erst, nachdem die Herren ihren Tisch verlassen hatten.“

„Über wie viele Männer reden wir da?“ hakte der KHK nach.

„Es waren acht Männer, von denen jeder ein Einzelzimmer bezogen hatte.“

„War der Frühstückstisch für diese Gäste größer als üblich?“ fragte Steiner.

„Gewiss. Wir haben zwei normale und einen kleinen Tisch aneinanderreihen müssen. Im Regelfall frühstücken maximal bis zu vier Personen an einem Tisch. Aber diese Herren wünschten speziell einen Tisch für alle acht.“ Scharfsinnig nahm Schiltz die Antwort auf Steiners nächste Frage vorweg. „Frau Kranz saß gleich am benachbarten kleinen Tisch mit dem Rücken zu ihnen gewandt. Sie verließ ihren Platz nicht ein einziges Mal, soweit ich das mitbekommen habe, und sie hätte von ihrer Position aus einen Großteil der Unterhaltungen mitverfolgen können.“

„Wie ich höre, haben Sie erkannt, worin meine Überlegungen zu allem, was ich jetzt hinterfragt habe, gipfelt. Ja, Frau Kranz kam hierher, weil sie wusste, dass diese Männer hierherkommen würden und etwas so Wichtiges zu besprechen hatten, dass sie unbedingt den Inhalt in Erfahrung bringen wollte.“

„Und natürlich wollen Sie jetzt wissen, wer diese acht Herren sind”, nahm der Hotelier an.

„Sie haben es erfasst.“

Schiltz bat Monika und Harald, sich einen Moment zu gedulden, und kehrte dann kurze Zeit später mit zwei Seiten Papier zu ihnen zurück. Bei den Blättern handelte es sich um Kopien aus dem Gästebuch.

Steiner schaute kurz auf die Namen der acht Gäste und sagte: „Warum erstaunt mich das nicht mehr? Das sind doch alle sechs die uns bekannten Kartellbrüder und zwei weitere Typen.“

„Kartellbrüder?“ Schiltz schien nicht zu verstehen.

Monika erläuterte: „Man sagte uns, in Belgien ist jeder über die Machenschaften des Brüsseler Immobilienkartells informiert. Ist das doch nicht so?“

Dem Hotelier war jegliche Farbe aus dem Gesicht entwichen. „Das Brüsseler Immobilienkartell? Mein Gott! Hätte ich das gewusst ... Ich hätte denen nie im Leben zu diesem Hause Zugang gewährt. Hoffentlich kommt das nie raus. Das kostet uns unseren guten Ruf und bestimmt auch Kunden.“

Harald wedelte gelassen mit seiner rechten Hand. „Das wird wohl kaum der Fall sein, es sei denn, Sie hätten von sich aus wissen müssen, wer hinter dem Kartell steckt oder wie diese Leute aussehen. Außerdem - Sie werden es kaum glauben - gibt es massig Hirnverbrannte, die Geld dafür springen lassen würden, hinterher prahlen zu können, eine Nacht in dem Bett geschlafen zu haben, in dem ein landesweit berüchtigter Delinquent vor ihm geschlafen hatte. Trotzdem meine Frage: Kannten Sie wirklich nicht die Namen oder Gesichter dieser Clowns schon aus den Medien?“

Fast schon beleidigt entgegnete Schiltz: „Wo denken Sie hin? Übrigens sollten Sie wissen, dass es dieser Bande gelungen ist, gerichtlich verfügen zu lassen, nicht namentlich in den Medien genannt zu werden und dass auch keine Bilder von ihnen gezeigt werden dürfen.“

„Blieben noch zwei Fragen zu klären”, kündigte Steiner an. „Haben Sie mitbekommen, worüber diese Kartellheinis hier konferiert haben, und haben Sie eine Ahnung, wer die beiden Kerle sind, die hier als Félicien Ducroix und Charles Justin aufgeführt sind?“

Nun sah der Befragte schon wieder besser aus. „Was Ducroix betrifft, kann ich Ihnen garantiert weiterhelfen. Er ist Berater des Ministerpräsidenten der Wallonischen Region.“

„Berater des Ministerpräsidenten der Wallonische Region?“ stutzte die Mink.

Harald verstand sofort, warum sie unwissend war. „Das tut jetzt nichts zur Sache, Frau Kollegin. Ich erkläre es Ihnen später auf der Rückfahrt.“ Er sah wieder Schiltz an. „Und dieser Justin?“

„Nein, über den Herrn weiß ich absolut nichts. Was das Sujet für das Treffen dieser Herren war, kann ich nur aus diversen Bruchteilen ihrer Gespräche überliefern, dass es dabei immer um gewaltige Summen gegangen ist. Oft um zweistellige Millionensummen. Es fielen auch gelegentlich die Namen von bekannten Politikern. Ein Zusammenhang war daraus für mich nicht auszumachen. Aber wenn Sie wollen, kann ich mein Personal fragen, ob die mehr gehört haben und Sie dann deswegen noch einmal telefonisch kontaktieren. Bis heute Abend könnte ich alle befragt haben.“

„Das wäre sehr nett von Ihnen“, sagte Harald.

Kaum waren die Kriminaler losgefahren, rief Steiner Rollinger an und berichtete ihm über die neue Sachlage, und auch Rollinger informierte Steiner über seine neuesten Erkenntnisse. Zu diesem Zeitpunkt hegte der Commissaire immer noch die Hoffnung, im Laufe des Nachmittags die genaue Adresse des Unterschlupfs der Kranz’ zu erfahren. Daher schlug er Harald vor, direkt von St. Vith nach Luxemburg ins Präsidium zu kommen.

Während der Fahrt kam Steiner ausgiebig auf den Begriff „Berater des Ministerpräsidenten der Wallonischen Region“ zurück, und Monika staunte über seinen Sachverstand. Die Wallonie sei so etwas wie in Deutschland ein Bundesland à la NRW oder Sachsen, und die sogenannten Berater der jeweiligen Landesminister werden weniger des Beratens als ihres Parteibuchs wegen in ihre Ämter gehievt. Klüngel hoch drei eben. Allerdings, so Steiner weiter, übten solche, zumeist eher unqualifizierten Leute einen gewissen Einfluss auf ihre Dienstherrn aus.

Irgendwo in seinen Erläuterungen zitierte er Charles De Gaulle mit den Worten, „La Belgique est un accident de l’histoire“ (Belgien ist ein Unfall der Geschichte).

„Sieh es einmal so“, erklärte er, „Staatsgebilde, die sich aus mehreren Volksgruppen zusammensetzen, welche überwiegend in ihren jeweiligen Kerngebieten leben, neigen dazu, sich sehr komplizierte Strukturen und Gesetze zu genehmigen. Belgien wäre als Zentralstaat in ein Chaos gestürzt, allerdings ist seine Art, den föderalen Weg zu beschreiten, nicht weniger chaotisch. Wir Deutschen sollten uns aber nicht als Richter über die belgische Lösung aufspielen, denn unsere Bundesländer sind ein Wasserkopf. Es gibt für Deutschland gar keinen Grund mehr, Föderalstaat bleiben zu wollen. In einem zentralistisch geordneten Deutschland würden die Behörden wesentlich effektiver agieren können, und wahrscheinlich würde der Bedarf an Staatsbediensteten und Verwaltungsausgaben um die Hälfte sinken. Entscheidungen würden schneller getroffen, alles liefe glatter.“

„Und warum schaffen unsere Politiker keine Abhilfe?“ interessierte es Monika.

„Tja, mein Liebes, dafür gibt es viele Gründe. Betriebsblindheit ist einer davon, Angst vor dem Gezeter, das man bei unflexiblen Gehirnen, die sich nicht vorstellen können, es gäbe dann das eigene (überflüssige) Bundesland nicht mehr, mit einer solchen Forderung lostreten wird, ist ein anderer. Hinzu gesellt sich der wichtigste aller Gründe. Mit einem abgespeckten Staatsapparat schwimmen zwangsläufig die Pfründe vieler Politiker und Beamter davon. Wer sägt schon freiwillig den goldenen Ast ab, auf dem er sitzt? Interessant auch das Argument der Gegner des Zentralstaats, die einzigen Modelle dieser Art auf deutschem Boden habe es im Dritten Reich und in der DDR gegeben. Der Vergleich hinkt. Man könnte mit derselben Begründung alle Krankenhäuser schließen, denn Krankenhäuser gab es auch in den beiden Diktaturen. Ein Blick über die Grenze in die Niederlande beweist, wie effizient ein Zentralstaat sein kann. Ach, Mink, die Welt ließe sich manchmal besser durch eine aufgeklärte Diktatur ordnen, die dann, wenn alles richtig in seinen Bahnen verläuft, wieder zur Demokratie zurückkehren kann.“

Der fanatische Nichtraucher Alain Noel hätte diesem ekelhaften Typen am liebsten seinen wuchtigen Briefbeschwerer an den Kopf geworfen, als der eine seiner billigen, stinkenden Zigarren anzündete. Überhaupt passte dieser Bursche irgendwie nicht hierher. Noel und der ebenfalls anwesende Charlier trugen Maßanzüge und waren auch ansonsten wie aus dem Ei gepellt. Doch dieser Fiesling sah aus wie der Prototyp des Bösewichts, der gerade mal eben aus einem dunklen Loch in einem Hafenviertel hervorgekrochen war, um ein monatliches Schutzgeld im Auftrag eines Paten abzukassieren.

Die schwarze Lederjacke allein hätte diesen Eindruck nicht bewirken können. Eher schon waren es die alten Schnittwunden in seinem Gesicht, die ihn als das erscheinen ließen, was er im Grunde auch war; ein Mann ohne allzu viele Skrupel. Und dann diese fiese Zigarre, die er sich, ohne zu fragen, ob er hier überhaupt rauchen durfte, angezündet hatte.

Aber Noel blieb äußerlich sachlich, neutral und sogar freundlich, obwohl er innerlich dem Explodieren nahe war. Er rief sogar seine Sekretärin im Nebenraum an und bat sie, umgehend einen Aschenbecher herbeizuschaffen. Der landete auch innerhalb weniger Sekunden vor Zubergen auf Noels Schreibtisch.

„Haben Sie bereits gehört, was Alfons Wagner zugestoßen ist?“ fragte der Kartellboss mit sonorer Stimme.

„Nicht nur ihm. Der Kranz offenbar auch“, antwortete Albert Zubergen im Konversationsstil. „Haben Sie etwas damit zu tun?“

Noel sah ihn an, als hätte sich der Besucher soeben als Ketzer geoutet. „Sind Sie noch recht bei Trost? Selbstverständlich habe ich, haben wir nichts mit diesen Morden zu tun.“

Der Detektiv zeigte sich von seiner raffinierten Seite. „Warum fragen Sie mich denn danach?“

„Weil man uns da in einen Strudel mit hineinziehen will“, erwiderte Noel.

„Wenn Sie doch nichts damit zu tun haben, kann man Sie ja auch nicht da mit hineinziehen, oder?“

„Sie wissen haargenau, worum es geht“, schaltete sich der Anwalt ein. „Sie haben für Wagner gearbeitet und Geld von ihm bekommen, dann haben Sie uns verraten, was Wagner von uns wollte, wofür Sie wiederum von uns Geld bekamen, und nun haben wir eine unvorhergesehene Situation, die Sie uns eingebrockt haben.“

Albert lächelte spöttisch. „Sie meinen also, ich habe mal Wagner, mal Sie reingelegt, und jetzt wollen Sie Ihr Geld zurück haben? Ehe Sie hierauf antworten, sage ich Ihnen gleich, dass Sie Ihre Ware für Ihr Geld von mir bekommen haben. Eingebrockt habe ich Ihnen schon mal gar nichts. Alles andere geht mich nichts an.“ Dabei ahnte er, dass sie ihn jetzt noch mehr brauchten als je zuvor. Er konnte regelrecht ihren überhöhten Adrenalinspiegel wittern, ihre Angst, ihre Verzweiflung.

Alain Noel ging seiner Strategie auf den Leim. „Aber beruhigen Sie sich doch erst einmal wieder, lieber Herr Zubergen.“ Dabei wäre es für Noel besser gewesen, er würde sich selber wieder beruhigen. „Es geht um einen neuen Auftrag für Sie. Diesmal ist die Angelegenheit allerdings eine Spur delikater als das letzte Mal.“

Der Privatermittler streifte die Asche seiner Zigarre am inneren Aschenbecherrand ab, wobei dennoch etwas davon auf der Tischplatte landete, was ihn nicht bekümmerte, Noel aber umso mehr verärgerte. Doch Noel war sich sicher, Zubergen nötig zu haben, was ihn dazu zwang, die Prioritäten anders zu setzen, als er es gewohnt war.

Zubergen wusste instinktiv, auf was Noel hinaus wollte. „Man will Ihnen an den Kragen, und Sie erwarten von mir, das zu verhindern.“

„So könnte man es zusammenfassen“, bestätigte Charlier. „Allerdings ist, wie Herr Noel schon sagte, die Chose dieses Mal nicht so simpel wie beim letzten Mal. Da hatten Sie die Informationen ja schon zur Hand, ehe wir sie Ihnen abkauften.“

„Ich hatte wohl kaum eine andere Wahl.“

„Ach, lassen wir dieses Geschwätz“, sagte Noel laut und unruhig. „Ich will, dass Sie herausfinden, wer Wagner und Kranz umgebracht hat.“

Der Umstand, dass der Kartellchef in der Ichform redete, zeigte Charlier an, wie wenig er sich momentan unter Kontrolle hatte, weshalb er noch einmal das Wort ergriff.

„Es ist uns natürlich klar, in welcher nachteiligen Ausgangslage Sie gegenüber den polizeilichen Ermittlern verkehren, wenn Sie sich dieser Aufgabe jetzt annehmen. Allerdings geht es Herrn Noel und mir nicht um die umfassenste aller umfassensten Aufklärungen, sondern um die lückenloseste Abwehr jeglicher an unsere Adresse gerichtete Anschuldigung, irgendwie an den Versterben von Herrn Wagner und Frau Kranz beteiligt gewesen zu sein.“

„Meine Herrn“, begann Zubergen mit einem breiten Lächeln zu referieren, „die Polizeibehörden, die sich eines Mehrfachmordes annehmen, arbeiten mit Dutzenden Beamten und Experten aller Art an einem solchen Fall. Ich arbeite generell solo. Die Polizei kann auf unbeschränkte finanzielle Mittel zurückgreifen, wenn sie das vertreten kann. Meine Mittel sind beschränkt, egal was ich vertreten kann. Die Polizei kann alle und jeden befragen. Ich hingegen muss mir alle Informationen erschleichen ...“

„Das ist es nicht“, regte sich Alain Noel auf. „An uns kann nur herangetreten werden, wenn wir auch wirklich etwas mit der Angelegenheit zu tun haben. Leider habe ich den Eindruck, dass einige unserer Geschäftspartner durchaus einen Grund haben könnten, sich Wagners Projekt aneignen zu wollen. Wenn das der Fall sein sollte, bekommt die Sache einen Rattenschwanz, sobald eine solche Person auffliegen sollte.“

„Das ist ja schon mal etwas Konkretes“, sagte Zubergen.

„So konkret nun auch wieder nicht“, widersprach Noel. „Drei unserer Partner verkehren in, nennen wir es mal, finanziell beengten Lagen. Diese drei wissen seit genau einer Woche, dass ich vorhatte, Wagner die Grundstücke abzuluchsen und somit das Bauvorhaben an mich zu reißen. Nun besteht durchaus die Möglichkeit, dass einer, zwei der drei oder gleich alle drei in ihrer Not auf den Gedanken gekommen sein könnten, mir zuvorzukommen. Die beste Methode für sie wäre gewesen, Wagner und seine Schnepfe definitiv auszuschalten.“

„Welchen Vorteil hätten diese Herren davon?“

„Wagner weg, Kranz weg, Grundstücke wieder frei verkäuflich, Projekt vorhanden und ich und meine anderen Partner gewiss nicht mehr belustigt, in die Chose einzusteigen“, erläuterte der Kartellboss. „Sie kennen ja unseren leider sehr angeschlagenen Ruf in der Öffentlichkeit. Käme da noch der Mordverdacht hinzu ...“

„Na, wenn es eh einer der drei anderen gewesen ist, kann Ihnen trotzdem nichts blühen“, meinte der Detektiv.

„Juristisch gesehen natürlich nicht, Herr Zubergen. Aber versetzen Sie sich in die Lage eines dieser Herren, wenn er tatsächlich die Morde begangen hat und überführt wird“, stellte Charlier klar. „Es würde nicht lange dauern, bis eine solche Person über das Ausplaudern von Betriebsgeheimnissen unserer Gruppe Strafmilderung erwirken will.“

„Das leuchtet mir schon eher ein“, gab Zubergen zu. „Ich soll also herausfinden, ob einer oder mehrere dieser drei Herrn an den Morden beteiligt gewesen sind.“

„Sie haben es erfasst“, erwiderte der Anwalt.

Noel reichte diese Umschreibung des Auftrags für den Privatschnüffler nicht. „Damit wäre es nicht getan, denn das Wissen um die Täterschaft allein genügt mir nicht. Sollte es sich so ergeben, wie Herr Charlier und ich es im schlimmsten Fall befürchten, muss der Täter oder müssen die Täter, wenn sie denn unserer Gruppe angehören, zum Schweigen gebracht werden.“

Albert zog die Augenbrauen hoch und legte seine Zigarre in den Ascher. Nach einigen tiefen Atemzügen sagte er: „Meine Herrn, ich bin Privatdetektiv und gebe Ihnen gegenüber gerne zu, dass ich nicht immer sehr konventionell zu Werke gehe. Ein Auftragsmörder bin ich indes nicht.“

„Von Mord war auch nicht die Rede“, sprach Charlier besänftigend.

Noel pflichtete ihm bei. „Das wäre das allerletzte Mittel, nach dem wir greifen würden. Wir dachten, Ihnen würde in einem solchen Fall schon etwas Adäquates einfallen. Aber im äußersten Fall sollte eine radikale Endlösung nicht ausgeschlossen werden. Und noch etwas sollte Ihr Auftrag beinhalten. Es müssen ja nicht unbedingt die drei von mir gemeinten Herrn sein, die hier die Finger im Spiel haben. Es wäre ja noch besser, wir, das heißt Sie, können der Polizei den wirklichen Mörder anweisen, wenn es keiner aus unserer Gruppe war.“

Zubergen nahm die Zigarre wieder aus dem Aschenbecher, paffte einige stinkige Qualmwolken in den Raum und erklärte: „Also verlangen Sie doch von mir, die Arbeit der Polizei zu erledigen. Also verlangen Sie doch von mir, aufgrund eines gewissen Ergebnisses zum äußersten Mittel zu greifen, um Ihnen lästige Zeugen vom Hals zu schaffen.“

Charlier konnte man die Verlegenheit ansehen, Noel nicht. Und der ging nun auch nicht gerade verlegen auf Zubergens Feststellung ein.

„Im Grunde sind das die Minimal- und Maximalgrenzen dessen, was wir von Ihnen fordern, wenn Sie den Auftrag annehmen. Dazwischen liegen aber etliche andere Möglichkeiten. Finden Sie heraus, dass der Täter jemand ist, der nicht unserer Gruppe angehört, sammeln Sie Beweise gegen ihn und spielen sie der Polizei zu. Gehört er doch zu unserer Gruppe, muss entschieden werden, wie gefährlich er für die anderen der Gruppe werden kann. Sollte er für uns Existenz gefährdend werden können, muss er neutralisiert werden. Die Art der Neutralisierung würden wir dann natürlich mit Ihnen detailliert erörtern.“

Nun wurde Zubergen auf seine Art deutlich. „Was Sie von mir fordern, kann mir im Ernstfall die Freiheit kosten. Ihnen ist ja wohl klar, dass Sie das einen ziemlichen Batzen Geld kosten wird.“

„Nennen Sie uns Ihren Preis“, forderte ihn Noel auf.

Zubergen zauderte nicht und begann zu rekapitulieren: „Erste Möglichkeit: Ich nehme den Auftrag an, kann aber kein Resultat verbuchen. Um zu wissen, ob meine Investigationen zwangsläufig ins Leere laufen, benötige ich maximal eine Woche. Möglichkeit zwei: Ich verbuche ein Resultat, aber der oder die Mörder haben nichts mit dem Kartell zu tun. Dann bin ich aus der Sache raus, sobald ich auch noch Beweismaterial gegen sie vorlegen kann. Möglichkeit drei: Der oder die Täter, die ich überführe, haben mit dem Kartell zu tun. Dann gibt es drei Untermöglichkeiten. Auch dann habe ich meinen Auftrag erfüllt, oder ich soll an einer Neutralisierung des Schuldigen mitwirken, oder ich soll an einer absolut endgültigen Neutralisierung des Schuldigen mitwirken. Das ist es doch, was Sie meinen?“

„So meine ich es“, bestätigte der Kartellchef.

„Die erste Möglichkeit wird Sie nicht viel kosten. 15.000 Euro, worin die Spesen nicht enthalten sind. Bei der zweiten Möglichkeit fordere ich eine zusätzliche Erfolgsprämie von 15.000 Euro. Dieselbe Erfolgsprämie gilt auch, wenn es sich bei dem Überführten um ein Kartellmitglied handelt und ich von weiteren Aktionen entbunden werde. Sollte ich an einer Softneutralisierung mitwirken müssen, fordere ich pro betreffende Person ein zusätzliches Kopfgeld von 20.000 Euro. Sollte ich an einer definitiven und unumkehrbaren Endlösung mitwirken müssen, verlange ich pro betreffende Person eine zusätzliche Prämie von 50.000 Euro.“

Während Noel die genannten Beträge, die er während Zubergens Rede notiert hatte, auf sich einwirken ließ, stellte sich Charlier die Frage, wie ein Mensch überhaupt so abgebrüht sein konnte, wie es dieser Deutsche war.

Noel hatte sich derweil zu einem Entschluss durchgerungen. „Okay, 15 Mille bekommen Sie auf jeden Fall. Für die Möglichkeiten 2 und 3a weitere 15.000. Für Fall 3b 20.000 pro Schuldigen und für Fall 3c 50.000 pro Schuldigen. Wäre es Ihnen recht, wenn ich Ihnen jetzt schon die erste Tranche à 15.000 Euro in bar ausbezahle?“

Das war Albert Zubergen recht. Natürlich wollte er auch noch die Namen derjenigen Kartellmitglieder erfahren, denen Noel nicht so ganz über den Weg traute. Dann verließ er das moderne Bürogebäude der IFIC sprl, wie der offizielle Name von Noels Firma lautete.

„Der Mann gefällt mir nicht“, äußerte sich Serge Charlier. „Er ist aalglatt und macht einen echt ekelhaften Eindruck. Wenn der will, tut der gar nichts für das kassierte Geld, rennt zu Dumont und schwärzt uns an.“

Noel ging zu einem der Fenster, riss es angelweit auf und machte dann dasselbe mit den drei anderen Fenstern seines Büros, um den gröbsten Zigarrengestank zu vertreiben.

„Der Kerl hat mir schon beim ersten Mal nicht gefallen. Er sieht aus wie Lino Ventura, kleidet sich wie Jean-Paul Belmondo, hat Schnittwunden im Gesicht, als sei er in den Mähdrescher gefallen, und benimmt sich wie der Pate. Fehlte nur noch, er hätte gesagt, er würde uns ein Angebot machen, das wir nicht ablehnen können.

Aber wir dürfen ihn weder unterschätzen, noch müssen wir ihn überschätzen. Als Detektiv hat er Qualitäten, die andere seiner Art nicht haben. Als Geschäftsmann ist er eine Nulpe. Den behalte ich im Griff, bis alles erledigt ist.“

Siggi Jasper saß neben seinem Anwalt im Verhörraum 1 des Kölner Polizeipräsidiums, während ihnen Ralf Frisch und Daniel Bose, ein Kommissar des Drogendezernats, gegenübersaßen. Jasper hatte Rechtsanwalt Lothar Poll gleich kommen lassen, als er von einer Streife zum Verhör in seiner Villa in Bocklemünd abgeholt worden war, weil er vermutlich schon ahnte, um was es gehen sollte.

„Herr Jasper“, eröffnete Frisch das Verhör, „kennen Sie Herrn Alfons Wagner aus Augsburg?“

Der Anwalt ergriff das Wort. „Auf diese Frage wird mein Mandant nur antworten, wenn er deren Hintergrund kennt.“ Das war für Ralf das Zeichen, dass sich Jasper und der Rechtsverdreher bereits Stunden oder gar Tage zuvor über eine solche Frage beraten hatten. Also erklärte er, was mit Wagner am Montag geschehen war und dass am Tatort Jaspers Fingerabdrücke sichergestellt worden waren.

„Mein Mandant will zu dieser Anschuldigung schweigen“, erklärte Poll.

Frisch wandte sich direkt an Poll. „Ob das klug wäre, bezweifeln wir, Herr Rechtsbeistand. Wir wissen nämlich, dass Herr Jasper am vergangenen Montag zur Tatzeit zumindest in der Nähe des Tatortes gewesen ist. Und natürlich stellen wir uns und ihm dann auch die Frage, wie, wann und weshalb genau seine Fingerabdrücke in das Ferienhaus gelangt sind, in dem Alfons Wagner ermordet wurde, wenn er nicht am Montag zur Mittagszeit dort gewesen sein will.“

Siggi drehte seinen Kopf dem Anwalt zu, hielt seine rechte Hand vor seinem Mund und der Ohrmuschel des Rechtsbeistands und flüsterte ihm etwas zu. Lothar Poll nickte.

„Herr Jasper möchte doch Stellung hierzu beziehen.“

„Ja, ich war am Montag in dem Ferienhaus von Alfons gewesen“, begann Siggi zu erzählen. „Er hatte mich am Samstag angerufen und mich gebeten, am Montag um 12 Uhr zu ihm nach Luxemburg zu kommen. Und um 12 Uhr war ich auch bei ihm. Ich staunte noch, weil er mir dazu eine Adresse und eine Wegbeschreibung zu einer Ferienanlage mitteilte, denn Alfons war nicht der Typ, der in Luxemburg Urlaub macht. Er schwärmte immer für Italien ...“

„Ehe Sie fortfahren“, gebot ihm Frisch Einhalt, „würden wir doch gerne erfahren, woher und in welchem Zusammenhang Sie Herrn Wagner kennen.“

„Wir haben zur selben Zeit unseren Wehrdienst beim Bund bei den Bodentruppen am Fliegerhorst Büchel bei Cochem an der Mosel absolviert - Sie wissen doch, dort wo heute noch immer die Atombomben lagern, die Deutschland offiziell nie hatte, aber trotzdem immer noch hat und unser Land angeblich zur drittgrößten Atommacht der Welt gemacht haben. Das mit Alfons war so Mitte der siebziger Jahre. Danach hatten wir uns über Jahrzehnte aus den Augen verloren. Vor einigen Monaten haben wir uns dann zufällig hier in Köln wieder getroffen.“

„So etwas soll ja vorkommen“, äußerte sich Ralf skeptisch. „Allerdings erklärt das immer noch nicht, weshalb Sie Ihre Beziehungen zu Herrn Wagner dann so sehr vertieften, dass Sie auf einen bloßen Anruf seinerseits hin zu ihm nach Luxemburg fuhren.“

Der Bordellbesitzer zögerte, aber sein Anwalt spornte ihn an. „Sagen Sie es doch einfach, Herr Jasper. Es ist doch nichts dabei.“

„Wie Sie meinen, Herr Poll“, sagte der „schöne“ Siggi, wie man ihn im Milieu zu nennen pflegte, obwohl er für seine 54 Jahre trotz aufgedonnertes Outfit wesentlich älter und sogar irgendwie schäbig aussah, so als meinten Zuhälter ganz allgemein, grundsätzlich auf Anhieb als Vertreter ihrer Gilde erkannt werden zu müssen. „Als Alfons und ich uns nach all der Zeit vor einigen Monaten wiedersahen, haben wir einige Stunden miteinander über alles und noch was gequasselt. Wie das nun einmal so ist. Und dabei hat Alfons mir auch gesagt, was er heutzutage beruflich treibt und mir von einem tollen Ding, das er in Luxemburg aufziehen will, erzählt. Er sagte, er suche noch Investoren. Na ja, ich habe immer etwas Geld bereitliegen, das ich gerne gewinnbringend anlegen möchte. Und dann bei einem zweiten Treffen habe ich mich entschieden, ’ne halbe Million in sein Kistenprojekt reinzupumpen, weil das Ganze ja wirklich bombensicher ein Erfolg werden würde.“

„Das war also eindeutig, bevor Sie Herrn Wagner am Montag aufsuchten“, leitete Kommissar Frisch daraus ab.

„Ja sicher. Das war im März“, entgegnete Jasper.

„Und weshalb wollte Herr Wagner Sie denn nun am Montag sprechen?“ drängelte Ralf.

„Als ich zu ihm fuhr, hatte ich nicht die geringste Ahnung, weshalb er mich so dringend sprechen wollte. Als ich dann dort war, hat er mir gesagt, er habe nicht genug Geld beisammen. Er bestürmte mich regelrecht, ich solle doch noch mehr reinstecken und andere Leute dazu bewegen, ebenfalls Penunzen locker zu machen. Kam mir schon ein bisschen sonderbar vor.“

„Hat Herr Wagner Ihnen konkret gesagt, wie viel Geld ihm noch fehlte? Und um wie viel Geld haute er Sie an?“ wollte Ralf wissen.

„Er redete von 3,5 Millionen, die er noch auftreiben müsse”, gab Siggi vor, sich zu erinnern. „Auch das fand ich eigentlich ziemlich drollig. Insgesamt brauchte er doch laut seinem Kostenplan rund 17 Millionen. Da wird man doch nicht wegen 3,5 Millionen noch einknicken, oder? Aber gut, ich war bereit, nochmals ’ne Viertelmillion reinzubuttern. Eventuell, so sagte ich ihm, würde ich ihm sogar eine Bankbürgschaft für den Rest besorgen.“

Frisch sah den Ganoven scharf an. „Da bleibt immer noch die Alibifrage. Sie waren also dort, geben es ja selber zu. Laut unseren Erkenntnissen passierten Sie die Grenze nach Luxemburg ziemlich genau um 11 Uhr. Gegen 12 Uhr waren Sie bei Herrn Wagner. Wieso brauchten Sie eine Stunde Zeit für eine Strecke von etwa 40 Kilometern? Wie lange waren Sie bei Herrn Wagner? Können Sie belegen, was Sie gemacht haben, als Sie Herrn Wagner wieder verlassen haben?“

Jasper erklärte, er habe sich ab Echternach einige Male verfahren. Luxemburgs Straßennetz, so behauptete er, bestehe nur aus vielleicht zehn Straßen in der Qualität von deutschen Bundesstraßen, aus vier kurzen Autobahnteilstücken und ansonsten aus schlecht beschilderten asphaltierten Feldwegen mit vielen Kurven. Das war vielleicht etwas zu pauschal dargestellt, aber viel besser war es, wie Frisch aus eigener Erfahrung wusste, tatsächlich nicht. Jedenfalls hätten die vielen kleinen Straßen Jasper tatsächlich einige Male irregeleitet haben können, was die späte Ankunft in Wellscheid erklärte.

Die Unterhaltung mit Alfons Wagner habe mal gut eine halbe Stunde gedauert. Und dann sei Jasper wieder über irgendwelche kleinen Straßen bis an die deutsche Grenze gelangt, wo er in einem Gasthaus zu Mittag gespeist hatte. Er versicherte den Anwesenden, die Quittung dieses Aufenthalts liege seiner Buchführung vor und werde beweisen, dass er sich um ein Uhr des frühen Nachmittags bereits wieder in Deutschland befunden hatte.

Trotzdem war das für Jasper keine Entlastung. Im Gegenteil, laut dem neuesten korrigierten Befund der luxemburgischen Gerichtsmedizin war Wagner zwischen 11.45 und 12.45 Uhr verstorben, also genau in dem Zeitraum, als Jasper mit ihm gesprochen haben wollte. Das trug Kommisar Frisch Jasper und seinem Anwalt nun auch zur Kenntnis, und was folgen würde, stand Spitz auf Knopf.

Eine telefonische Rückfrage bei Steiner belehrte Frisch, es sei überflüssig, Jasper in dieser Phase bereits vorsorglich einzulochen. Der Chef empfahl seinem Assistenten, Jasper noch ein wenig dem Kollegen Bose zu überlassen und ihn dann wieder vor die Tür zu setzen. Jasper war nach Haralds Ansicht nicht der Hasenfuß, der wegen ein paar vagen Indizien das Weite suchen würde.

Steiner und Mink trafen gegen 15.40 Uhr im luxemburgischen Polizeipräsidium ein und wurden sofort in Rollingers Büro geleitet, wo der Commissaire erst einmal für die Bewirtung der deutschen Kollegen mit Kaffee und Kuchen sorgen ließ. Vermutlich eine Geste der Sympathie. Doch dann sah sich André Rollinger gezwungen, sich für das bisher enttäuschende Ergebnis der Suche nach Manuela Kranz’ Unterschlupf zu rechtfertigen.

„Die Ecke, wo wir die Bleibe der Kranz vermuten, ist ein wenig spezial. Die Gebäude sind vor dreißig Jahren für Leute mit kleinem Geldbeutel als Mietwohnungen hochgezogen worden. Kaum zehn Jahre danach, gab es aber kaum noch Leute mit geringem Einkommen in unserem Land. Das ändert sich aber allmählich wieder.“

„Damals war wohl hier im Lande das von Nostradamus prophezeite goldene Zeitalter angebrochen“, merkte Steiner bissig an. „Ich dachte, der alte Hellseher hätte behauptet, das dauere tausend Jahre. Kleine Länder kurze tausend Jahre, wie?“

Spitzfindig versetzte Rollinger nicht minder sarkastisch: „Das mit den tausend Jahren, die etwas sehr kurz ausfallen, ist doch wohl eher eine deutsche Spezialität. Waren es nicht real nur zwölf Jahre?“ (gemeint war die Periode von 1933 bis 1945 - „das tausendjährige Reich“)

Zuerst war Monika über diesen verbalen Schlagabtausch erschrocken, aber schnell begriff sie den trockenen, fast schwarzen Humor und musste dann doch schmunzeln.

Rollinger kam wieder auf das Essenzielle zu sprechen. „Wir werden mit Sicherheit bald rausbekommen, was die Kranz in dem Stadtteil verloren hatte. Jedenfalls deutet alles darauf hin, dass sie in den letzten Jahren, wenn nicht hier in der Stadt wohnte, so doch sehr häufig hier gewesen sein muss. Übrigens steht noch immer nicht hundertprozentig fest, ob die verbrannte Leiche die der Frau Kranz ist. Hätten wir Vergleichs-DNA ließe sich jeder Zweifel ausräumen.“

Harald hielt ihm die Plastiktüte vors Gesicht, in dem sich der mutmaßliche Verstärker der Abhöranlage befand, den man im Hotel Schiltz entdeckt hatte.

„Vielleicht hilft uns das hier weiter.“ Und er erklärte, was es mit dem Zubehörteil auf sich hatte, um dann detailliert nachzuvollziehen, wie er sich den Verlauf von Manuela Kranz’ Verbleib in dem St. Vither Hotel vorstellte.

„Irgendwie muss die Kranz rausbekommen haben, dass sich die Leute vom Kartell in St. Vith treffen wollten. Es ist auch denkbar, dass sie bereits im Vorab über die Themen dieser Besprechungen Bescheid wusste, oder aber sie suchte jenen Haken, an dem sie diese Leute hochziehen konnte, um sie zu einem Aderlass zu zwingen. Wofür sonst dieses Ding?

Alles spricht für ihr Unterfangen, die Konferenz zu belauschen. Sie reist einen Tag vor diesen Burschen an und lässt sich vom Hotelier den Konferenzsaal zeigen, in dem die Brüder tags drauf ihre Besprechungen abhalten wollen. Sie vergewissert sich, freien Zugang zu diesem Raum zu haben, um ihre Wanzen zu installieren und später wieder zu demontieren. Während der Dauer der Zusammenkunft zieht sie sich unter dem Vorwand, eine Migräne zu haben, in ihr Zimmer zurück.

Am nächsten Morgen befindet sie sich vor allen anderen Gästen im Frühstücksraum, erkennt an den aneinander geschobenen Tischen, wo die Kartellfritzen gemeinsam ihr Morgenmahl einnehmen werden, und setzt sich an einen Nachbartisch mit ihrem Rücken zu den Tischen der Kartellheinis gewandt, wodurch sie die besten Chancen hat, einiges von deren Gesprächen aufzufangen, gleichzeitig aber nicht von ihnen erkannt werden kann. Sie verlässt den Raum aus dem gleichen Grund nach den Kartellmitgliedern. Am Abend dann kommt Alfons Wagner ins Hotel, und beide besprechen beim Dinner, was die Kranz rausgefunden hat.

Nun wäre es natürlich sehr interessant, einiges mehr darüber zu wissen. Woher wusste Frau Kranz von diesem Treffen? Was war der Anlass für das Treffen? Wieso mied Frau Kranz den Augenkontakt zu den Mitgliedern dieser Zusammenkunft, die sie doch eigentlich nicht kennen dürften? Warum ließ sie Wagner ins Hotel kommen und ist nicht von dort aus direkt zu Wagners Ferienwohnung gefahren?“

„Höchst bemerkenswert“, äußerte sich Rollinger. „Das Duo Wagner-Kranz scheint sich also tatsächlich auf dünnes Eis begeben zu haben und dem Kartell zu nahe getreten zu sein.“

„Man könnte es fast glauben“, meinte auch Steiner.

„Mir will dabei nur nicht in den Kopf, wie dann beide mit einer Waffe, die auf Alfons Wagner registriert ist, umgebracht werden konnten“, gab Monika zu bedenken. „Allem Anschein nach können Wagner und Kranz doch frühestens erst nach jenem Donnerstag an das Kartell herangetreten sein. Am späten Samstagnachmittag oder -abend wurde aber bereits Manuela Kranz ermordet. Wie soll das Kartell so schnell Informationen über Kranz und Wagner gesammelt haben, über die Waffe Wagners Bescheid wissen und sich diese dann auch noch besorgen können?“

Die Kommissare sahen sie verblüfft an, und Steiner brachte auf den Punkt, was ihnen daran besonders erstaunlich vorkam.

„Manchmal scheine ich Sie ja wirklich unterschätzt zu haben, Mink. Irgendwie gibt alles keinen Sinn, wenn man die Tatwaffe als Komponente in diesem Spiel mit einbezieht.“ Er wandte sich an den Commissaire. „Was halten Sie davon?“

„Frau Mink hat Recht. Da ist einiges nicht kompatibel. Da hätte ja dieser Jasper schon eher Zugriff auf die Waffe haben können.“

„Sogar das halte ich mit Verlaub für Blödsinn“, stellte Harald dieses in Frage. „Einerseits beschafft sich Jasper sehr raffiniert überlegend ein Mordinstrument aus den Beständen eines seiner Opfer. Andererseits hinterlässt er seine Fingerabdrücke als Visitenkarte am Tatort und besorgt sich nicht einmal für die Tatzeit ein wasserdichtes Alibi. Wo genau hat man denn eigentlich Jaspers Fingerabdrücke in Wagners Hütte festgestellt?“

„Einige fand man am Rahmen und am Blatt der Eingangstür, einige an den Möbeln der Wohnecke.“

„Wohnecke?“ wiederholte die Mink. „Deutet das nicht darauf hin, dass Wagner und Jasper tatsächlich miteinander gesprochen haben, wie es Jasper aussagte?“

„Vielleicht“, erwiderte ihr Chef. „Vielleicht hat er dort auch nur etwas gesucht, nachdem er Wagner getötet hatte. Eventuell hatte er gar nicht vorgehabt, Wagner umzupusten, aber es war dann irgendwie bei ihrem Treffen eskaliert, und dabei ist Jasper an die Waffe geraten. Dann hatte er in seiner Panik nicht mehr gewusst, was er alles angefasst hatte. Daher auch die Fingerabdrücke.“

„Das, Herr Kollege, würde implizieren, dass Wagner der Mörder von Frau Kranz ist“, leitete der Luxemburger daraus ab. „Denn dann hätte sich die Waffe ja am Montag noch in Wagners Besitz befunden.“ Er seufzte. „Als sei die Story nicht schon konfus genug.“

„Wäre noch zu klären, wo sich Manuela Kranz vom Freitagmorgen nach dem Verlassen des Hotels bis zu ihrer Ermordung aufgehalten hat“, sagte Monika.

Nicht schlecht, dachte Harald, das Mädchen mausert sich. Rollinger indes machte sich bereits Gedanken über den Fortgang der Investigationen.

„Ich hoffe, dass wir morgen auf Frau Kranz’ Bleibe stoßen werden. So, wie sie sich in das Projekt Wagners reingekniet hat, ist doch anzunehmen, dass wir dort auf dazu gehörige Unterlagen stoßen werden. Das wäre für uns ein weiterer Fortschritt. Ich glaube, auch unser Brüsseler Kollege Dumont könnte sich durchaus für das Kartelltreffen in St. Vith interessieren. Möglich, dass es ihn veranlassen könnte, die Herrn vom Kartell befragen zu wollen.“

„Ob das in dieser Phase sinnvoll ist?“ fragte Steiner. „Vielleicht weckt man nur schlafende Hunde, ehe es nötig ist.“ Er überdachte seine eigene Frage noch einmal. „Egal, es kann auch nicht sonderlich viel schaden, wenn man diese Leute auch noch mit dem Namen des anderen Mordopfers konfrontiert. So etwas löst in der Regel spontanen Aktionismus aus, und Spontaneität verleitet zur Unvorsichtigkeit. Wenn sonst nichts anliegt, werden sich Frau Mink und ich wieder nach Wellscheid begeben.“

Der Commissaire hatte weiter keine Punkte, die momentan zu besprechen gewesen wären.

Auf der Rückfahrt zum Feriendomizil kam Harald erneut auf ein Thema zu sprechen, das er schon am Morgen angeschnitten hatte.

„Ich muss meine Einstellung Ihnen gegenüber neu überdenken, Frau Kollegin. Obwohl sie eine Frau und zudem noch sehr jung sind, scheinen Sie mehr auf dem Kasten zu haben, als ich bisher annahm. Ab und zu stellen Sie sehr relevante Fragen, die mir zu dem Zeitpunkt nicht einmal eingefallen wären. Ab und zu stellen Sie Zusammenhänge fest, auf die ich noch nicht gekommen bin. Wären Sie damit einverstanden, wenn wir uns künftig unter uns duzen?“

Monika sah ihn von der Seite her an und entgegnete fast schuldbewusst: „Es ist nicht meine Absicht gewesen, Ihnen Fragen oder Schlussfolgerungen vorwegzunehmen. Ich wollte nur helfen.“

„Das haben Sie ja auch. Ich meine jetzt, geholfen“, ging er milde hierauf ein. „Die Mordwaffe spielt eine kardinale Rolle bei der Lösung der beiden Fälle. Wo befand sie sich, als Wagner nach Luxemburg kam? Wer kam an sie ran? Hatte Wagner sie bei sich, als er herkam? Wenn ja, wer anders als Wagner kann sie denn dann zum Zwecke der Erschießung der Kranz benutzt haben? Es sind solche Details, die einen Fall einer Lösung näherbringen können. Und sagen Sie jetzt nicht, Sie hätten sich nichts dabei gedacht, als Sie noch einmal den Umstand hervorgehoben haben, dass Wagner und Kranz mit derselben Waffe umgelegt wurden.“

Sie sagte nichts darauf. Er musste einen Gang runterschalten, weil sie auf einen Kreisverkehr zufuhren. Dabei glitt sein Handrücken wie zufällig entlang ihrem entblößten Knie und ihrem Oberschenkel, ehe er mit seiner Hand den Knauf des Schalthebels umfasste. Sie wusste, dass das kein Versehen war. Steiner war ein routinierter Fahrer, der, ohne hinsehen zu müssen, die Schaltung bediente. Sie wusste es jetzt nur nicht zu deuten, noch nicht zu deuten. Aber in das mit dem per Du willigte sie ein.

In Ettelbrück kehrten sie in ein chinesisches Restaurant ein. Steiner hatte Monika dazu eingeladen, und sie hatte eingewilligt, weil sie keine Lust hatte, an diesem Abend etwas zu kochen. Zu ihrer Überraschung fragte er sie während des Essens sehr behutsam über ihr Privatleben aus. Das heißt, er gab ihr den Anstoß, über sich selber zu reden, und er hörte sehr aufmerksam zu. Nicht einmal Monikas Mutter hatte ihr jemals so kommentarlos zugehört, wenn sie über bestimmte persönliche Dinge redete. Und Steiners Art zuzuhören, animierte sie, vieles preiszugeben, wovon sie noch niemandem je etwas erzählt hatte.

Das gefiel ihr an ihm. Dieser Mann begann ihr über seine enorme fachliche Kompetenz hinaus auch als Mensch zu gefallen. Er war plötzlich nicht mehr der schroffe, gefühllose Chef, sondern ein sehr einfühlsamer Mann, dem die Probleme anderer nicht egal waren. Schon mehrfach, wenn sie sich in einen Mann verliebt hatte, hatte sie das sprichwörtliche Flattern von Schmetterlingen in ihrem Bauch verspürt. Jetzt verspürte sie etwas anderes, etwas viel Intensiveres. Ihr Verstand sagte ihr, dass ihr Gefühl trog.

Trotzdem war sie es, als sie an diesem Abend mal wieder vor ihm ins Bett ging, die ihm den Vorschlag machte, er solle das Kasperlespiel aufgeben und eine Hälfte seines Bettes in Beschlag nehmen. Sie wären ja beide keine Kinder mehr, und ihr hiesiges Zusammensein habe nichts mit uni- oder bilateralen intimen Interessen zu tun.

Er stimmte ihr in diesem Punkt zu und legte sich dieses Mal tatsächlich nicht klammheimlich ins Doppelbett, rollte sich aber sehr restriktiv und demonstrativ auf seine Hälfte und so, dass er von ihr abgewandt war. Irgendwie bedauerte sie diese Ferne trotz seiner Nähe.

Intrigante Baumeister, hinterlistige Bräute - Ein Fall für Harald Steiner

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