Читать книгу sprachlos - Antje Hauter - Страница 4
2.Tag
ОглавлениеDen schweren Laptop über der Schulter keuche ich den Berg hoch, bin nicht mehr fit. Wir versammeln uns auf der Terrasse, erwartungsvoll, eine angespannte Nervosität. Unwillkürlich kommen mir Jagdhunde in den Sinn, die nervös bellend auf den Befehl warten, das Wild aufzuspüren. Der erste Tag, begierig eigene Worte zu Papier zu bringen, jeder strebt einem Platz zu, den er sicher bei der gestrigen Haus- und Grundstücksbesichtigung schon ausgesucht hat. Da war ich noch nicht angekommen, aber so ist es nun einmal: wer zu spät kommt.., ich entscheide mich für die Naturlaube direkt am Haus, ein rankender Jasmin, der seinen betörenden Duft schon vor längerem versprüht hat, windet sich um die kaum noch sichtbare Eisenkonstruktion und verleiht ihr ein dichtes Dach. Ich starre gedankenlos in die Ferne. Nur zwei Stunden Zeit, ich habe keine Idee, finde keine Worte, alle Teilnehmer, die ich im Blickwinkel habe, scheinen intensiv zu schreiben. Schaue auf die Häuser unter mir am Hang, sie scheinen in das Grün hinein gewachsen. Mein Blick bleibt am Kirchturm hängen, das kreischende Geräusch einer Motorsäge dringt herauf, Hunde bellen, dann und wann geht eine Auto Hupe. Der See liegt ruhig, von der Sonne mit silbernen Fäden durchzogen, kein Schiff, kein Boot stört die Stille, die über ihm liegt. Der See, nein, jetzt nicht an den See denken.
Mittags sitzen wir auf der Dachterrasse und lesen das Geschriebene vor, jeder hat seinen Roman im Kopf, seine Vorstellung eines Buches, nur ich nicht, ich kann und will nicht hier die Geschichte meiner Liebe zu Dir erzählen, einer gescheiterten Liebe, ja ich sage bewusst meiner Liebe zu Dir, denn Deiner Liebe zu mir bin ich mir nicht mehr sicher trotz der vielen Mails von Dir, die mit diesem Wort endeten. Es ist alles gesagt worden, vieles auch nicht, dieses Nichtgesagte, das in mir arbeitet und mich verstummen ließ. Ich fühle mich unsicher, nicht am richtigen Ort. Meine Stimme klingt brüchig, als ich an der Reihe bin, vorzulesen.
Als ich den gestrigen Tag, meine Verspätung und die jetzige Situation schildere, bemerke ich Verblüffung, erfahre hinterher, dass keine Momentaufnahme gewünscht war, aber da war ich noch nicht anwesend.
Der Anfang meiner Geschichte liegt vierzehn Monate zurück, fast eine Ewigkeit, vergraben mit einem Geheimkode in meinem Computer, geschrieben wie ein Tagebuch, alle fast täglichen Mails und SMS, meine Empfindungen, meine Enttäuschungen, immer wieder geöffnet, immer wieder verwundet, ich darf den Ordner jetzt noch nicht öffnen, ich muss erst den Weg finden, wieder unbeschadet auszusteigen, den Weg, den ich mir hier vielleicht erhoffe, eine mir selbst verschriebene Therapie, deren Ausgang ein großes Fragezeichen ist.
Einen geforderten Text zu schreiben, kein Problem, das beherrsche ich heute immer noch. Er ist empört über das Wort „Softporno“, Ausdruck meiner hamburgisch-hanseatischen Sprödheit, ich bin ihm zu nahe getreten, habe ich mich aus der Gemeinschaft heraus katapultiert? Nein, man stimmt mir zu, wenn auch hinter vorgehaltener Hand, man hält mich für mutig. Ich und mutig? Aber ich fasse Mut für den nächsten Tag.
Am späten Abend müde, aber zu unruhig, um an Schlaf zu denken, nehme ich die Bibel vom Regal über dem Bett.
Und Gott schuf den Menschen, das war der sechste Tag. Und Gott, der Herr schuf den Garten Eden und setzte den Menschen hinein und er schuf den Baum des Lebens mitten in dem Garten und Gott, der Herr sprach: Du sollst essen von allerlei Bäumen, aber von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen sollst Du nicht essen, denn wenn Du davon isst, wirst Du des Todes sterben. Und Gott der Herr, ließ den Menschen in einen tiefen Schlaf fallen und entnahm ihm eine Rippe und baute ein Weib daraus, damit sie um ihn wäre und sie waren beide nackt und sie schämten sich nicht.
Es war nicht unsere Nacktheit, die mich Scham empfinden ließ, es war das geschriebene Wort in Deinen Emails, das etwas in mir blockierte.
Ich hatte mich in einem Single-Portal angemeldet auf Anraten von Elena, meiner besten Freundin, die gerade wieder in eine feste Beziehung glitt. Es fing alles so normal an, wenn man es normal nennen kann, dass eine Frau in meinem Alter, nach über einem halben Menschenleben mit ein und demselben Mann noch einmal versucht, ganz von vorn anzufangen.
Zwei Jahre nach dem Tode meines Mannes. Ich versuchte es ihm auf dem Friedhof zu erklären, nachdem ich mich vergewissert hatte, dass niemand mich hörte.
Wenn Du mich nicht allein gelassen hättest! Aber Du hast so entschieden, jeden Tag den Tod vor den Augen und dann auch noch jeden Tag auf ein neues Herz hoffen, Warteliste, nein, das wolltest Du nicht! Und ich, ich musste auch damit leben, was blieb mir anderes übrig bei dieser Deiner letzten großen Entscheidung, die Du für Dich getroffen hast, so wie Du immer Entscheidungen nur für Dich getroffen hast, es gab keine guten Argumente, um Dich umzustimmen, was häufiger gelang, wenn ich Dir den Misserfolg Deiner Aktionen klar machen konnte, hier gab es nur ein Ende, ein bitteres Ende.
Gott schenke Dir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die Du nicht ändern kannst, Sprüche von den Freunden, die Trost spenden sollten, aber immer wieder das Unabdingliche in schmerzhafte Nähe rückten. Nein, ändern am Weggehen eines Mannes, der mehr als ein halbes Leben an meiner Seite stand, oft auch nicht, doch das warum immer noch lösen zu wollen, das selbst in vielen heftigen Diskussionen keine Antwort fand, und fast immer damit endete, das einer von uns beiden mit dem Bettzeug aus dem gemeinsamen Schlafzimmer auszog, er, der jetzt für immer ausgezogen war, dessen Weggang irgendwo im Himmel, einer Macht, die wir nicht beeinflussen können, vorbestimmt war, das konnte ich nicht ändern, nicht verhindern.
Aber ändern mein jetziges Dasein oder im Moment Nichtvorhandensein, das will ich in Angriff nehmen. Ich bäume mich auf gegen das in die Ecke gestellt zu werden. Ich traure und die Trauer an manchen Tagen bringt mich fast um, Trauer um das verschenkte Leben, das man hätte noch haben können – zusammen! Aber auch die Wut, ja, ich bin wütend, weil er die Signale nicht beachtete, die Unbändigkeit liebte, mich oft lächerlich machte, indem er mir Puritanismus und Moralismus andichtete, wenn ich ihn mahnte einen Gang runter zu fahren, wie immer ein Mittel mich klein zu machen, und ich, ich fing ihn auf, wenn er ganz klein war, sich seiner Unzulänglichkeiten bewusst, aber sie nicht wahr haben wollte, diese kurzen Momente, Momente, die zusammenführen, aneinander ketten, die ich in die Ecke getrieben auch ausnutzte, mich dafür schämte. Dieses es wird noch schlimm enden, jetzt war es schlimm geendet mit dem Tod, der Tod, der kein Komma macht sondern einen Punkt. Der vieles offen lässt und doch beendet.
Es war auch das Aus für unser Traumhaus. Jahrelang hatten wir darauf hingearbeitet, uns unser Refugium zu schaffen, um es in vollen Zügen im Alter zu genießen. Das Haus eigentlich viel zu groß, ein Haus für alle Freunde, genauso hatten wir es uns immer vorgestellt. Noch nie war mir der Sommer, dieser letzte Sommer in unserem Haus so verdammt lang und sinnlos vorgekommen. Sie kamen alle noch einmal bevor Schluss war mit dem kostenlosen Urlaub, gefeiert und gelacht wurde bis in die späte Nacht, wie sollte man ihnen das Lachen verbieten, der eine geht, ein anderer kommt, dieser Ausspruch nach vielen getrunkenen Grappa, endete mit einem Glas Wein direkt in das Gesicht der Freundin, unsinnig, weil der Alkohol am nächsten späten Morgen, nur eine vage Erinnerung zu ließ.
Und gestern, war gestern!
Dann die vielen Besichtigungen, die Hälfte Immobilientouristen, immer das gleiche fast festgefrorene Lächeln im Gesicht durchlief ich alle Räume, überhörte die Ah- und Oh-Rufe wenn ich per Telekommando das Pool Dach herunterschweben ließ, nahm vorwitzigen Kindern das alte Blechspielzeug aus der Hand, während die Eltern durch das Haus gingen, als hätten sie es bereits gekauft. Welche Möbel würden sie hier lassen? NICHTS! dieses Nichts, kam dann so schroff, offenbarte meine innere Einstellung allzu deutlich und ließ die Hand, die eben noch an den antiken Möbeln entlang wischte oder den seidenen Bettüberwurf betatschte, beleidigt an der eigenen Handtasche Halt suchen, die man vorsorglich aus dem Auto entfernt hatte wegen Diebstahlgefahr.
Es war wie ein Fiebertraum, aus dem man abrupt bei der Verabschiedung erwachte.
Eigentlich hatte ich keine Hoffnung in einem Alter von über siebzig. Männer wollen jüngere Frauen, aber ich versprach mir Abwechslung in meinem Alltag und vielleicht auch Vergnügen.
Fast drei Wochen bastelte ich an dem angeforderten Profil, löschte fast täglich wieder die Texte, um neu zu beginnen. Beantwortete Fragebögen - ich hasse diese Fragebögen, die man nur mit Kreuzen bei „trifft zu, oft, manchmal oder überhaupt nicht“ beantworten kann. Das zwingt doch zur Unehrlichkeit und das Prosecco Glas auf dem Foto muss raus, ich bin doch keine Trinkerin.
„Das Glas bleibt drin“, entschied Elena, „das sieht lebendig aus!“
Anja, Pseudonym, Mariechen, mein dritter Name in meinem Geburtsregister, 72 Jahre, 175 groß, schlank - was ich für ein Mensch bin? Alles gleich preisgeben? Wo bleibt dann die Neugier? Ich will mich nicht hunderten von Männern positionieren.
Jeden Tag wurde meine Webmail-Adresse jetzt überflutet mit männlichen Fotos und Profilen, wie Ware aus einem Katalog. Genauso wird auch mein Profil weiter gereicht, ein unangenehmes Gefühl. Aber wo sollte ich sonst eine Bekanntschaft machen, drüben bei meinen Freunden in der Hotel Bar? Unter den Augen aller Nachbarn? Früher war ich oft allein vom Einkauf hier eingekehrt, hatte einen Kaffee, einen Prosecco oder auch ein Bier getrunken. Früher, da war ich verheiratet, jetzt bin ich Witwe. Jetzt sieht man mich anders an. Noch immer zögert meine Hand, wenn ich das Kreuz bei „vedova“ mache, wie ein Makel erscheint es mir. Früher habe ich auch oft mit einem hintergründigen Lächeln den Champagner Veuve Clicquot zu den Frauennachmittagen mitgebracht, jetzt bin ich die vedova, kein Single, nein Witwe. Auch im Portal-Profil machte ich hier mein Kreuz.
Mein Pseudonym, Mariechen, der Name meiner Mutter, sie die mich schon als Kind schamlos nannte, als ich einen gewissen Punkt entdeckte, der mir Vergnügen und Lust bereitete, dass sogar der Mittagsschlaf mir nicht mehr zwanghaft erschien sondern herbei gesehnt wurde.
HeyDuDu Dein Pseudonym.
Meine rechte Hand liegt wie damals zwischen den Schenkeln, aber eine andere Deine Hand schiebt sich dazwischen kraftvoll und doch zärtlich, kein Entrinnen.
Ich beame mich gerade ganz nah an Deine erogenen Zonen, spürst Du es? Ich küsse Dich zärtlich in den Schlaf, BO.
Ich spüre noch das Lächeln, das sich auf mein müdes Gesicht legt, doch dann falle ich in einen traumlosen Schlaf.