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Kinderbetreuung

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Nach der Überwindung des Jetlag, der Klimaumstellung und der Gewöhnung an eine nahezu leere Wohnung bemerken wir scharfsinnig, dass es eine Menge zu tun gibt: Anschaffungen nebst den dazu nötigen Recherchen, kleine Renovierungsarbeiten (Die größeren verdrängen wir ganz bewusst.), größere Gewalttaten im Dschungel des Gartens, Behördengänge und das ganz normale Leben wie Nahrungsaufnahme und Nutzung der häuslichen Hygieneeinrichtungen, die durchaus auch einige Kommentare verdient hätten.

Aufgrund zweier persönlicher Mängel meinerseits – völlig fehlender Orientierungssinn und exorbitante Langsamkeit bezüglich der Anschaffung neuen Hausrats – kommt der Gatte seinen ihm via Evolution per se auferlegten Pflichten nach, verlässt den trauten Hort des häuslichen Friedens und tätigt die Geschäfte. Ich halte also – Evolution sei Dank – derweil das gemeinsame Heim rein, bereite schmackhafte und die Gesundheit erhaltende Mahlzeiten zu und kümmere mich um die altersgerechte Förderung des Nachwuchses. In der Praxis bedeutet das Ermüdungserscheinungen bei mangelnder Auslastung des persönlichen intellektuellen Potentials und gleichzeitige Überlastung durch einen noch etwas unsortierten und damit betreuungsintensiven Minderjährigen, der immer die gleichen Fragen stellt und sämtliche Handlungen und Erzählungen in Unzahl wiederholt haben möchte. Ich schlage also erfolgreich Zeit tot, sehne die Ankunft des Gatten herbei, entwickle Heimweh und betrachte mein Dasein zunehmend als sinnlos, da das Heim weiterhin von artfremden Organismen beherrscht wird und die Mahlzeiten im Rohzustand im Kühlschrank bleiben oder im Extremfall im Regal der zahlreich vorhandenen Supermärkte. Fazit: Wir kommen nicht voran und die Gattin nörgelt.

Es geht also um das nackte Überleben und flugs sind einige griffige Argumente zur Hand, um Abhilfe zu schaffen: Der Sohn braucht Abwechslung, muss zwecks gesunder körperlicher und seelischer Entwicklung Gleichaltrige treffen und die Landessprache erlernen, schließlich kennen wir aus dem heimischen schulischen Umfeld das Hauptproblem der meisten Migranten: Sie sprechen zu Hause in der Familie nur die Muttersprache, weil sie sich gar nicht integrieren wollen!

Uns wird also auf Wegen, die hier nicht näher dargelegt werden, eine Tagesmutter in den Schoß gelegt und schon sind alle unsere Probleme gelöst und wir haben neue Sorgen: Die schrecklichsten Gedanken kreisen durch das Elternhirn, angefangen bei einem permanent nach seinen Eltern weinenden Kind, bis hin zu ewiger Verdammnis aufgrund der Vernachlässigung unserer uns von Gott dem Herrn, für den sonst in unserem Leben eher weniger Platz ist, auferlegten Pflichten.

Wir ertragen tapfer den Widerstand bei der Fahrt zur Stätte der Fremdbetreuung und das Abschiedsgebrüll; die Erledigungen, die wir während der Abwesenheit des Schutzbefohlenen tätigen, sind dennoch überschattet von den Überlegungen, was demselben am gewählten Ort alles fehlt (abwechslungsreiches Umfeld, vielfältige Aktivitäten und auf die Entwicklungsstufe abgestimmte Beschäftigungsangebote, gewohnte Spielkameraden) und was ihn verängstigen könnte (ein lichtarmes Haus und kleiner Hof, wo man sich überall den Kopf stoßen kann; eine furchteinflößende Einjährige, die ihn wiederholt mit Umarmungen und Küssen quält; mangelnde Sprachkenntnisse, die es ihm verwehren, Bedürfnisse zum Ausdruck zu bringen; die schützende Hand des Vaters, die Sorge tragende Mutter). Der Sohn in der auf landesübliche Weise vergitterten Behausung fremder Menschen – ein Gefangener des Egoismus seiner Eltern.

Die sich sorgenden Erziehungsberechtigten legen also all ihre Tüchtigkeit in die Gestaltung des Moments, in dem der Filius vom Ort der notwendigen Fremdbetreuung abgeholt wird und halten Überraschungen zur Belohnung für die in der Fremde bewiesene Tapferkeit bereit: Tatsächlich werden wir überschwänglich begrüßt, als wir aus der Ferne einen käuflich erworbenen Lutscher mitbringen. Am nächsten Tag wird ein von uns stolz präsentierter Kinderschaukelstuhl – dringend brauchten wir ein Bett, einen Kleiderschrank und eine Küche, deren Kauf auf unbestimmte Zeit verschoben werden musste – lediglich zur Kenntnis genommen – nicht ohne die Frage, wo denn heute der Lutscher sei. (Das Kind duldet inzwischen den Schaukelstuhl, vorausgesetzt er bewegt sich nicht in der den Schaukelstühlen eigenen Weise vor und zurück.)

Am nächsten Tag ereignet sich dann das, was Eltern von Zwei-bis Dreijährigen als „Supermarktszene“ bekannt ist. Als kleiner Exkurs sei erwähnt, dass unser Sohn im Supermarkt niemals schimpfen oder schreien würde, denn er geht gerne einkaufen und nimmt freundlichen Kontakt zu seinen Mitmenschen auf – besonders zu der Dame hinter der Wursttheke, die die laut vorgetragene Forderung nach einer „Scheibe Wurst“ in der Regel bereits im Eingangsbereich in Wiederholung anhören kann. Als dieser Sohn also von seiner erwartungsfrohen Mutter zum weiteren Aufenthalt im trauten und für die kindliche Entwicklung anregenden Elternhaus abgeholt wird, freut er sich zunächst angemessen, zögert dann kurz und verfällt in ein nicht enden wollendes, unermesslich schrilles Gebrüll, dem einzelne Sätze zu entnehmen sind: „Ich will nicht nach Hause!“ „Mama, geh weg!“ „Fahr wieder weg!“ Unter lauten Klagerufen und Verzweiflungsvorträgen und -taten meinerseits ziehen wir uns zappelnd vom Tatort zurück.

Den Rest des Tages wird in Momenten der Trauer und Unzufriedenheit immer wieder „Ich will wieder zu Marie!“ eingestreut. Aus der Rückschau hat dieser Wunsch alle bisherigen Forderungen, die bei persönlich empfundener großer Not geäußert werden, ersetzt.

Es ist ein unter ängstlichen Naturen weit verbreitetes Gerücht, dass Kinder sich nur in der Obhut der nächsten leiblichen Anverwandten seelisch unbelastet entfalten können. Dabei wissen erfahrene Eltern, dass die Förderung der kindlichen Selbstständigkeit die Bewältigung auch von zunächst als Zumutung empfundenen Zuständen unerlässlich macht.

Im Schlangenmörderparadies

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