Читать книгу Das Geschenk der zwölf Monde - Antoinette Beech - Страница 7

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LENAS GARTEN


Schmetterlingsfrau Lena lebt in einem wunderschönen Stück Natur, nicht weit von der Stadt in einem kleinen Dorf.

Ihr Gärtchen ist hübsch zurechtgemacht, mit vielen kleinen Details verziert. Lena pflegt Tag für Tag ihr Blumenmeer, sammelt zum täglichen Wohl frischen Nektar für die ganze Familie. Immerwährend versorgt und umsorgt sie ihre drei Schmetterlingskinder mit Humor und Liebe, und sie lernt sie unentwegt, was gute Manieren sind. Oft tanzt Lena auch mit ihnen von Blume zu Blume um die Wette. Manchmal schwebt sie wie der Wind mit wilden Bienen um die verwitterten Holzlatten, die ihren Heimatgarten von der Nachbarschaft abgrenzen. Herrlich duftet es nach Heu und frisch geschnittenem Gras, in der Ferne hört man das Summen Tausender Insekten. Unerwartet ist das Brummen einer vorwitzigen Hummel hörbar, ein Geräusch, das die unterschiedlichen Laute durchbricht. Die Hummel fliegt vorwitzig am Zaun vorbei und versucht neugierig, darüber zu spähen, um später mit dem Nachbarn den neusten Klatsch auszutauschen. Jeder kennt jeden hier im Garten, in dem auch Lena ihre wunderbaren Kinder grosszieht.

Zu seinen Bewohnern gehören viele verschiedene Insekten, von der Familie der Spinnen, die ihre Netze imposant und einladend an den Hausecken aufspannen, bis zur Ameisenkolonie, die fleissig alles Denkbare für ihren Wintervorrat sammelt und unaufhörlich Gartenplatten untergräbt, um weitere kleine Puppenkinder aufzuziehen.

Vereinzelt gibt es stille Momente, in denen sich Lena auf die schönste aller Blume niederlässt, um einfach allein der Stille zuzuhören. Aber ganz leise ist es nie. Lena lauscht in diesen «Stilldicheinmomenten» dem Rauschen der Blätter der grossen Buche und dem Summen der anderen kleinen Flügeltierchen, die allesamt den herrlichen kleinen Garten mit Lenas Familie bewohnen.

Im Frühjahr singen die Amseln ihre schönsten Lieder, der Duft der ersten Blütenrispen liegt zart in der Luft, es riecht verführerisch nach Primeln, T ulpen und Narzissen. Sobald der Sommer ins Land zieht, quaken die Frösche im kleinen Teich, Heuschrecken erfreuen alle Bewohner mit ihrem und Auf-und-Ab-Ballett, Lenas Kinder versuchen geschickt, es ihnen gleichzutun. Sobald der bunte Herbst ins Land vorrückt, hört man wundersam den Wind durch die Gräser pfeifen. Der Duft hat sich verändert, die Luft ist kälter und klarer geworden. Es riecht nach frischem Obst und es regnet bereits öfter, der Winter meldet sich an. Nahezu alle im Vorgarten sind bemüht, für sich selbst und ihre Familien eine sichere Unterkunft für die kalte Jahreszeit zu suchen. Täglich nimmt Lena ihre drei kleinen Lieblinge in ihre Flügel, erzählt ihnen die schönsten Geschichten. Zeitweilig sind die Erzählungen frei erfunden, mitunter sind es Erinnerungen an ihre eigene Jugend, die sie im Garten der Mutter verbrachte. Aber immer sind es wertvolle Episoden, die ihre Kinder zu freiem Handeln, Lieben und Leben anregen sollen. Lena ist bedacht, ihren drei kleinen Schmetterlingen beizubringen, wie man miteinander in Harmonie, Freude und Gutmütigkeit lebt. Sie erzählt ihnen vom lieben Gott im Himmel, sie berichtet von der grossen weiten Welt und von der Unendlichkeit des Universums. Sie erzählt von Himmelskörpern, die aufeinander abgestimmt sind, einander magnetisch anziehen und umkreisen.

« Wenn nur einer wegfallen würde», sagt Lena mit grosser Ehrfurcht zu ihren Kindern, «dann würde das ganze Sternenmeer zusammenkrachen.»

Mahnend hält Lena ihren zarten Finger vor die Nase der Kinder und fängt an, ihren kleinen Wundernasen zu erzählen:

«Wie es im Grossen ist, genauso ist es im Kleinen! Denkt immer daran, euer ganzes Leben lang! Wenn euch jemandem etwas Böses wünscht oder wenn ihr den Spatz Friedrich am Himmel fürchtet, weil er beabsichtigt euch anzugreifen, ist es eure Aufgabe, euch selbst zu schützen, um mit dem Leben davon zu kommen.»

Hebt euch beharrlich und mutig in den Himmel und reitet mit der Brise, sie erzählt euch von der Kraft des Elementes Luft, aber gebt acht vor dem Sturm, er trägt euch in eine andere Welt. Die Luft ist das Symbol für die Flüchtigkeit, sie bringt Leichtigkeit, sie ist das Sinnbild der Fantasie und des Denkens. Ein Luftzug bringt Freiheit und verkörpert Unabhängigkeit im Sein und Werden des Lebens. Ein Windhauch bringt Geschichten zu uns und Wörter reiten mit dem Wind weiter in die weite Welt. Jeder Hauch sei, er noch so gering, bringt die unterschiedlichsten Gerüche und den überlebenswichtigen Sauerstoff zu uns.» Lena wedelt mit ihren Händen und schnüffelt hörbar, mit der Nase in den Himmel gereckt, um zu verdeutlichen, wie sich Luft anfühlt.

«Setzt euch öfters mal auf den nackten Erdboden, so fühlt ihr das Beben des Elementes Erde, aber hebt zeitig eure Flügel, es wimmelt dort von gierigen Fressfeinden. Die Erde symbolisiert die Fruchtbarkeit. Sie steht auch für Stabilität und ist das Sinnbild für Beständigkeit und Fülle, für Nahrung und Stärke. Aus ihr und mit ihr entstehen bunte Blumen, ihre Gabe und ihr Geschenk an uns ist der Nektar, der uns wiederum mit Nahrung versorgt.» Wiederum will Lena verdeutlichen, wie sich die Erde anfühlt. Sie gräbt mit ihren Fingern in den Krümeln des warmen Bodens und lässt die Schöpfung zwischen den Fingerspitzen durchrieseln.

«Setzt euch auf eine Blume und ihr werdet die Wärme der Sonne auf euren Flügeln spüren, das Element des Feuers. Aber verbrennt euch nicht die Flügel. Das Feuer ist das Symbol für das Herz. Es bringt Leidenschaft und lodernde Gefühle, aber auch Veränderungen. Es verschafft uns Wärme und Licht, schenkt allen auf der Erde Aktivität und Energie.» Bedächtig drückt Lena ihre Hände auf ihre Brust, hört ihren Herzschlag pochen und lächelt ihre drei Kinder voller Liebe an, um sie aufzufordern, dasselbe zu tun.

«Vernehmt ihr es schon, das Feuer in euch? Lasst es nie erlöschen», rät Lena ihren Abkömmlingen mit einem Lächeln auf den Lippen.

«Setzt euch auf einen Grashalm und labet am Tau, es ist das Element Wasser. Das kühle Nass erhält alles und jedes am Leben. Aber achtet auf den Regen, denn er kann euch in den reissenden Fluss schwemmen. Wasser symbolisiert die Bewegung, fordert uns auf zu wachsen und zu tun. Es ist die Quelle der Weisheit, der Fluss des Lebens, es formt unser Leben, so wie es imstande ist, ganze Welten aufs Neue zu erschaffen. Ebenso erfüllt uns Tau mit Weichheit und Sanftmut.»

Viele Weisheiten sammeln die Schmetterlingskinder im Laufe der Zeit in ihrem noch zarten Leben. Auch gibt es diesen einen Moment, da sitzt Lena traurig am Rande ihrer kleinen, glücklichen Welt. Sie träumt sich über die Umzäunung hinweg in eine andere Wirklichkeit. In ihrer Fantasie hat sie für niemanden zu sorgen, fliegt mit dem Wind in die unendliche Freiheit. Der klatschende Regen verfehlt sie wie durch ein Wunder, die Sonne bleicht weder ihr Samtkleid noch verbrennt die heisse Glut ihre zarten Flügel. Alle Miesefresser am Boden sind wie gelähmt von ihrem Lebenstanz ohne Zaun und ohne Pflichten. Sie träumt von einem besonderen Schmetterling, der sie in den Arm nimmt und sie nur wegen ihres fröhlichen Herzens und ihres bezaubernden Farbenkleids liebt. Eine Seele mit starken Flügeln und weichem Herz, jemand der die Schöpfung durch ihre Augen sehen könnte. Ein Flügelmann, der mal nicht nörgelt, wenn der Honigtopf nicht verschlossen ist. Einfach jemand, der ihr zuhört und manchmal ein wenig verrückt ist, genauso wie sie es ist oder sein möchte. Schnell dreht sie sich um, falls sich der Regenbogen in zu intensiver Farbe zeigt, betrachtet ihr eigenes kleines Universum. Sie weiss genau, dass das Paradies zusammenbrechen wird, wenn jemand nicht mehr an seinem Platz kreist. Dass der Sturm sie nicht mehr zurücktragen würde, das lodernde Feuer die Farben ihres Samtkleides zur Unkenntlichkeit verbrennen könnte, der Fluss sie in die Tiefe des Meeres mitreissen würde, dorthin, wo die schlimmsten Fressfeinde auf sie lauern. Lena ist sich bewusst, dass träumen erlaubt ist, aber jeder Schritt darüber hinaus ein Flügelschlag zu viel sein würde. Abrupt löst sie sich von den träumerischen Gedanken, wischt sich eine Träne aus ihrem Gesicht und fliegt geradewegs zu ihren Babys, nimmt sie in den Arm und erzählt erneut eine frohe Geschichte aus dem Leben der Harmonie, die das Ganze im Vollkommenen zusammenhält.

Gelegentlich kommen Freunde zu Besuch, sie sitzen jeweils gemütlich auf einer Rose und geniessen die grandiose Weitsicht über die Gärten. Freunde erzählen Lena ihre Geschichten oder erzählen von Freunden und deren Bekannten. Es wird gelacht und getratscht und mit einem Schuss Honigwein auf die Freundschaft angestossen. Lena freute sich jeweils über ihre eigene heile Welt, die sie vorzugsweise in eine rosa Farbe zu tauchen versucht. Nicht immer gelingt ihr das, aber meistens ist doch alles so, wie es sein soll. Die Blumen duften, der Honigtopf ist gefüllt und die Kinder sind glücklich und gesund.

Bis auf jenen Abend, der ihr Leben verändern soll. Begeistert folgt Lena einer Einladung in Nachbars Garten, dort soll ein jährliches, märchenhaftes Fest stattfinden. In jenem Garten ist Lena aufgewachsen, und sie kennt viele Schmetterlinge in dieser Gegend. Sie freut sich sehr, einige altbekannte Gesichter wiederzusehen, zumal sie viele von ihnen schon lange nicht mehr gesehen hat. Sie ist aufgeregt, denn sie war schon lange nicht mehr auf einem grossen Fest.

»Wieso nicht, ist ja nicht das erste Mal», sagt sie zur Beruhigung zu sich selbst.

Wieder einmal die Flügelchen polieren und einfach losfliegen, mitten hinein in die Nacht der Nachtfalter. Lena streifte sich an diesem Abend ein rotes Samtkleid über und verziert ihre Haarpracht mit einem kleinen roten Hut; neckisch wippen ihre Fühler durch den Hutrand. Sie sieht hübsch aus, wie im Märchen. Ihre Freundin Silke verkleidet sich als schwarzer Samtvogel mit Glitzersternchen und Gemeinsam fliegen sie in eine andere Welt. Der schöne Nachtvogel Papillon tanzt seinen Tanz atemlos und Lena feiert fröhlich mit, bis ihr schwindlig wird. Zu schnell geht die Nacht zu Ende und der Tag bringt die nüchterne Erkenntnis, dass der Tanz des Lebens innert Stunden die eigene Welt verändern könnte. Wenn man sich trauen würde, wenn man es zulassen wollte.


Viele Weisheiten versucht Lena zu beschwören, doch ihr geliebter Garten hat von jenem Augenblick an eine andere Farbe. Oft weiss man nicht, was man hat, bis man es verliert, aber es ist auch so, dass man nicht weiss, was man vermisst, bis man es kennengelernt hat. Lenas Herz schmerzt, tanzt, jubelt und weint. Es hat vergessen, wie sich Liebe anfühlt, und sie fühlt sich wahnsinnig an. Das Feuer lodert wie noch nie in Lenas Herz. Lena beschliesst, eine Reise anzutreten, die Reise zum Planeten des Herzens. Lena ist sich bewusst, sie weiss genau, dass sie mit ihrem Vorhaben ein grosses Risiko eingeht, dass sie alles zerstören wird, was ihr lieb und teuer ist. Trotz dieses Wissens breitet sie ihre Flügel aus, setzt sich auf die schönste Rose ihres Zaubergartens, ganz nah am Zaun, und fliegt los. Kein Blick zurück, kein Abschiedsgruss, keine Erklärungen. Alle Bedenken hat sie weit von sich gestossen. Vor ihr nur ein Ziel: der Stern der Herzen, schimmernd im hellen, rosarot glänzenden Licht.

Traurig sehen die Zurückgebliebenen ihr nach. Keine Bitten, kein Ratschlag, keine Tränen, nicht einmal alle Weisheiten der ganzen grossen Welt und auch nicht das Leidklagen der Kinder können Lena davon überzeugen, im heimischen Garten zu bleiben.

Das Geschenk der zwölf Monde

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