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ОглавлениеGaulsknoppel und Kuhplatscher
(1950)
Ein Jahr nach dem Einzug „der Flüchtlinge“ in ein kleines Dorf im Kraichgau hatte Anneliese Wipfler der Frau Rieger, die mit ihrem Sohn Adolf unter dem Dach wohnte, ein Stück ihres Garten abgetreten. Ihre Großzügigkeit bereute sie aber bald, als sie sah, dass bei ihrer Untermieterin die Kartoffeln, Bohnen, Karotten und Zwiebeln viel schöner wuchsen als bei ihr. „Kein Wunder“, dachte sie, „die ‚Sauteufel‘ liegen ja Tag und Nacht auf der Lauer und holen die Kuhplatscher und Gaulsknoppel von der Straße, kaum dass die Kuh oder der Gaul sie haben fallen lassen.“
Eines Tages stellte Anneliese sie zur Rede: „Frau Rieger, so geht das nicht, die Gaulsknoppel und Kuhplatscher vor dem Haus stehen allen Hausbewohnern zu.“
„Na und“, gab diese frech zurück, „warum sammeln sie diese dann nicht selbst ein?“
„Das ist jetzt die Höhe. Bis ich Besen und Schaufel geholt habe, ist ihr Adölfchen schon auf der Straße.“
„Wir könnten uns doch einigen“, lenkte Frau Rieger ein. „Sie sammeln bis zum 12-Uhr-Läuten und wir sind dran bis es dunkel wird.“
Anneliese stimmte dem schnell zu, weil sie beobachtet hatte, dass die Viecher, die morgens frisch vom Stall kamen, sich meistens vor ihrem Haus erleichterten.
Eines Tages sah Anneliese vom Küchenfenster aus, dass vor der gegenüber liegenden Schule gerade der neue Lehrer und seine Frau vom Leiterwagen des Bauern Oswald klettern. In dem Moment hoben die beiden Pferde die Schweife und drückten einträchtig einen Bollen nach dem anderen heraus. „Das gibt vier Schaufeln voll“, dachte sie und holte schnell Schaufel, Kehrwisch und Eimer. Da kam auch schon das Adölfchen die Treppe herunter gestürzt. „Halt“, schrie sie, „das sind meine Knoppel!“
Der Junge ließ sich nicht aufhalten: „Nein, die gehören uns.“ Und vom Treppenabsatz oben tönte die hysterische Stimme seiner Mutter: „Frau Wipfler, es ist fünf Minuten nach zwölf Uhr, die Glocken haben eben aufgehört zu läuten.“
Zornig ging Anneliese zurück in ihre Küche und knallte lautstark die Türe zu. „So ein undankbares Volk“, schimpfte sie vor sich hin, „für die kann man machen, was man will, da kommt einfach nichts zurück.“
Eines Morgens traf Anneliese den Lehrer auf der Straße. Er hatte genau wie sie Schaufel, Kehrwisch und Eimer in der Hand.
„Was machen Sie denn da?“, fragte sie erstaunt.
„Das sehen Sie doch, ich sammle Mist für meinen Garten.“
Die Knoppel lagen auf seiner Straßenseite, eine weitere Diskussion war überflüssig.
Von da an lag sie auf der Lauer. Zwei Tage später erwischte sie dann den sauberen Herrn, wie er vor ihrem Haus, mit zufriedenem Lächeln und elegantem Schwung einen Platscher auf die Schaufel hob. Sie rannte schnell hinaus und baute sich vor ihm auf: „Herr Lehrer, was Sie da machen, ist nicht recht.“
„Wie meinen Sie das?“
„Die Knoppel stehen Ihnen nur bis zur Mitte der Straße zu.“
„Und wer sagt das?“
„Aber Herr Lehrer, das war doch schon immer so.“
„Das interessiert mich nicht.“
Anneliese kochte vor Wut, rannte schnurstracks ins Haus und hoch zur Frau Rieger. Die hörte sich die Geschichte an und gab ihr schließlich recht: „Wo kämen wir denn da hin, wenn jeder einsammeln würde, wo es ihm einfällt. Wir beschweren uns beim Bürgermeister.“
„Alle Achtung, da wäre ich nicht drauf gekommen. Die Flüchtlinge sind doch nicht so blöd“, dachte Anneliese.
„Herr Lehrer“, eröffnete der Bürgermeister die Sitzung des örtlichen Friedensgerichtes, „die beiden Damen hier, Frau Wipfler und Frau Rieger, führen Beschwerde über Sie. Von alters her ist es bei uns üblich, dass jeder vor seinem Haus die Gaulsknoppel und Kuhplatscher zwecks Düngung seines Gartens einsammeln darf. Dieses Recht gilt bis auf die Mitte der Straße, genau wie die Kehrpflicht. Nun behaupten die beiden, dass Sie sich nicht an diese Vorschrift halten. Was sagen Sie dazu?“
„Herr Bürgermeister, das ist alles Quatsch, zum Lachen ist das. Die Straße ist öffentlich, jeder darf sie benutzen und jeder darf den Mist aufsammeln, wo es ihm gefällt.“
„Herr Lehrer“, mischte sich da Frau Rieger ein, „wenn Sie auf der Straße einen Zehn-Mark-Schein finden, wem gehört der?“
„Dem Eigentümer“, gab dieser schlagfertig zurück.
„Wenn das so ist“, meinte da der Beisitzer vom Friedensgericht, der Bauer Oswald, „dann habe ich auch etwas dazu zu sagen: Das, was meine Pferde fallen lassen, gehört also mir. Und wenn ich es nicht selbst einsammle, verzichte ich darauf, ist das richtig?“
Nachdem rundum zustimmend genickt wurde, fuhr er fort: „Ehrlich gesagt, mir ist es scheißegal, wer den Mist einsammelt, ich habe zu Hause genug davon.“
„Oswald“, regte sich der Bürgermeister auf, „das ist dummes Geschwätz, irgendwie muss die Sache geregelt werden, also gehen wir nach dem Gewohnheitsrecht.“
Plötzlich grinste der Lehrer breit über das ganze Gesicht. „Also meine Damen und Herren, ich halte das ganze ja für Unfug. Aber vielleicht gibt es eine Lösung. Wenn Sie, Herr Oswald, so viel Mist haben, bringen Sie mir einfach eine Fuhre für meinen Garten, dann können von mir aus die beiden Damen auf der ganzen Straßenbreite so viel einsammeln, wie sie wollen.“
In dem Moment fiel dem Bauer Oswald blitzschnell sein Seppl ein, der beim Lehrer in die Schule ging, und stimmte ganz schnell zu: „Bürgermeister, du weißt doch, wenn ich etwas für die Allgemeinheit tun kann, bin ich immer dabei.“
Den Abend haben dann alle im Gasthaus zur Sonne beim Freibier vom Bürgermeister beschlossen.
Zehn Jahre später tuckern in aller Frühe die Traktoren vor Annelieses Küchenfenster vorbei. Da muss sie manchmal an die Zeit denken, als sie mit Frau Rieger, die längst nicht mehr bei ihr wohnt, und dem Lehrer über die Gaulsknoppel und Kuhplatscher gestritten hat. Dass sich die Welt verändert hat, kann sie ja noch verstehen, aber dass man seit Neuestem die wertvolle „Suddelbrüh“ von den Toiletten in die Kanalisation laufen lässt und dafür Blaukorn zum Düngen der Erdbeerpflanzen nimmt, kann sie nicht nachvollziehen. „Früher haben die Leute beim Schaffen halt doch mehr im Kopf gehabt“, denkt sie, die Anneliese.