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Physikalische Kybernetik

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Die Funktionsweise der Natur hat ihren Ursprung in den bekannten Kräften der Physik, also der Gravitation, der elektromagnetischen Wechselwirkung und der im 20.Jhdt. entdeckten starken und schwachen Kernkräfte. Sie alle sind dadurch gekennzeichnet, dass sie keine Ziele verfolgen oder vorbestimmten Zwecken unterliegen, denn sie wirken immer und überall ohne Unterschied in derselben Weise und sie sind weder veränderbar noch beeinflussbar. Sie können nicht ausgeschaltet und sie müssen nicht eingeschaltet werden. Die Vielfältigkeiten und Variabilitäten ihrer Erscheinung, mithin die Kontingenzen der beobachtbaren und erlebbaren Welt, beruhen auf der Überlagerung der verschiedenen Kräfte mit antagonistischer Wirkung sowie unterschiedlicher Stärke und Reichweite und auf der unermesslichen Anzahl der Kraftträger. Sie können dadurch Strukturen und Muster bilden und auf dieser Grundlage Leben hervorbringen - und sie können und sie werden es wieder vernichten. Ihre Wirkung erfolgt entlang von Kraftlinien, Gradienten, Potentialgefällen, Spannungsfeldern, Konzentrationsdifferenzen und ähnlichen. Im Zentrum stehen die Gesetze der Bewegungen, die Erhaltungssätze der Thermodynamik und die Atom- und Quantenphysik. Aber auch Elektrostatik, Trägheit, Reibung u.a. - gewissermaßen Primitive der Physik - sind omnipräsente und bestimmende Mechanismen der Physikalischen Kybernetik. Charakteristikum ist einmal, dass der Wechsel von einem Ausgangszustand in einen Folgezustand nur vom Ausgangszustand abhängig ist und eine asynchrone Kommunikation realisiert; desweiteren, dass die Funktionsweise des Großen bereits in der Funktionsweise der kleinsten Teilchen begründet ist (Bottom-up-Konstruktion).

Jedes Kind schon macht Erfahrungen mit der feindseligen Spannung zwischen Fett und Wasser. In der Schule dann lernt man die Ursachen dafür kennen, die in den elektrophysikalischen Eigenschaften der beteiligten Stoffe liegen. Diese sind es, auf denen alles Leben gegründet ist, indem sie beständige Grenzflächen zwischen Wasser und hydrophoben Kohlenstoffverbindungen wie Fette, Lipide und Proteine schaffen, so dass Zellmembrane und Zellstrukturen als Fabrikhallen des Lebens entstehen können. Aus diesem Grund ist Leben höchstwahrscheinlich im Meer entstanden, von wo es sich über die Welt ausbreiten konnte. In physikalischen Naturprinzipien der Diskrimination wie hydrophob/hydrophil oder attraktiv/repulsiv, unter dem universalen Dach der attraktiven Gravitation, steckt das Grundprinzip der biologischen Selbstorganisation. Es war die Physikalische Kybernetik, die das ursprüngliche Leben auf natürliche Weise hat entstehen lassen. Vermutlich waren es regelmäßig und periodisch aktive Erscheinungen wie Gezeiten, Geysire oder sogenannte black smokers der Tiefsee, die Kohlendioxid, Methan und Stickstoff der damaligen Atmosphäre mit Schwefel, Phosphor, Calcium, Eisen u.a., den lebenswichtigen Substanzen aus dem Erdinneren, in Wasser an der Erdoberfläche in Verbindung gebracht haben. Sogar in Meteoriten, die der damaligen Erde gleichen, wurden verschiedene Aminosäuren sowie Ammoniak gefunden. Damit wären die substanziellen Voraussetzungen für die Entstehung von Leben erfüllt gewesen. Darüber hinaus müssen die inneren Möglichkeiten zur Biogenese, d.h. die physikalisch-chemischen Gesetzmäßigkeiten als Bedingungen, sowie die äußeren Möglichkeiten, d.h. geeignete geophysikalische Bedingungen wie die Sonneneinstrahlung mit hohem und energiereichem UV-Anteil mangels Ozonschicht, als realistisch nachgewiesen werden. Dann muss man mangels besser begründeter Alternativen die natürliche Entstehung des tatsächlich entstandenen Lebens als logisch erwiesen akzeptieren.

Weder ist das Leben rein zufällig, noch notwendig entstanden, sondern mit einer unbestimmten Wahrscheinlichkeit. Auffallend ist, dass das Leben aus relativ wenigen Familien chemischer Substanzen mit vielen repetitiven Bauteilen aufgebaut ist, die sich ineinander transformieren lassen und dadurch nicht nur eine gigantische Vielfalt an verschiedenen Substanzen erzeugen können, sondern obendrein komplexe Wirkungskreise als kybernetische Prozesse bilden. So wie heute bekannt ist, dass Samen mit dem Wind von Kontinent zu Kontinent getragen werden, so muss angenommen werden, dass organische Moleküle von Beginn des Lebens an durch Atmosphäre und Meere rund um den Erdball getragen wurden. Sicher ist das erste Leben nicht schlagartig durch ein zufälliges Einzelereignis entstanden, sondern allmählich durch zahllose Variationen lang andauernder Prozesse mit Rückwirkungen auf Grund endloser Wiederholungen. Grundlegende Bedingung des Lebens, ob auf der Erde oder anderswo, sind periodische Energieschwankungen als "Energiepumpe", wie sie von der Sonne oder auch von den Gezeiten geliefert werden. Entscheidend dabei ist das hohe thermodynamische Niveau an der Erdoberfläche von etwa 300 Kelvin und die Mischung aus Regelmäßigkeit und Unregelmäßigkeit oder Instabilitäten und Chaos seiner Veränderungen, so dass Systeme entstehen können, die sich immer in Fluktuationen fern vom thermodynamischen Gleichgewichtszustand befinden, diesen aber nie erreichen, außer im Zustand des Todes.

Der Chemiker und Philosoph Ilya Prigogine (1917-2003) bezeichnete solche offenen Systeme als dissipative Systeme, die Ordnung schaffen können aus Unordnung durch Zufuhr und Zerstreuung von Energie oder Materie, im scheinbaren Gegensatz zum zweiten Hauptsatz der Thermodynamik von Rudolf Clausius (1822-1888), dem sogenannten Entropiesatz. Diese von manchen Menschen als naturwissenschaftlicher Widerspruch empfundene Vorbedingung des Lebens gehört zu den großen Fragen der Menschheit, weil sie das Fundament des Schöpfungsglaubens ist.

Die autonome Entstehung von Ordnung und Komplexität aus Unordnung, oder Selbstorganisation, genauso wie ihr Zerfall, ist bereits im Zusammenwirken und Wechselspiel der Grundkräfte der Physik angelegt, die in Form der Naturgesetze beschrieben werden. Deren räumlich variantes und zeitlich vermutlich invariantes Wirken reflektiert die Existenz und die Möglichkeit von Ordnung und Struktur im energetischen Chaos unmittelbar nach dem Urknall, indem lokal scheinbar und temporär stationäre Zustände der Balance erzeugt werden, von Atomen und Molekülen über unser Sonnensystem bis zu Galaxien. Die Naturgesetze bilden somit den Gegenpol zur Entropie als Tendenz zur Unordnung. So ist die Schöpfung keine Schöpfung, sondern eine fortlaufende Selektion und Verwirklichung von Ereignissen aus einer quasi unendlichen Zahl immanenter Möglichkeiten, also eine kosmologische Evolution.

Die Welt besteht offensichtlich aus Gegenständen, die zueinander in scheinbarer Ruhe sind oder sich bewegen, manche linear von Ort zu Ort, manche in dauernden Schwingungen oder Oszillationen um einen Ort. Jedes Kind weiß, dass ein Luftballon eine Kugelform bildet, jeder Mensch der höheren Breiten kennt Schneekristalle und jede Frau liebt funkelnde Edelsteine. Die Gemeinsamkeiten sind die jeweils speziellen Formen, die ohne menschliche Eingriffe auf natürliche Weise entstehen. Es gibt also zusätzlich zu den Bewegungsgesetzen der Physik Formgesetze der Natur. Solche Formen sind mehr oder weniger dauerhaft, von augenblicklicher Flüchtigkeit bis Jahrmilliarden. Die Formen sind gekennzeichnet durch ihre scheinbare Unveränderlichkeit und relative Unbeweglichkeit ihrer Teile zueinander, wobei allerdings die meisten Veränderungen und Bewegungen für das bloße Auge nicht wahrnehmbar sind. Die Formen sind Produkte der unterschiedlichen Wirkungen der physikalischen Kräfte, wenn sie die Gravitationskraft übersteigen und als atomare und molekulare Kräfte in schwingenden oder oszillierenden Bewegungen zur Geltung kommen. Organismen sind Erscheinungsformen der Natur, gekennzeichnet durch die ungeheure Vielfalt und die Bestimmtheit der beteiligten Substanzen und ihrer charakteristischen Formgesetze.

Wenn die Physikalische Kybernetik nicht so gesetzestreu wäre, wie sie zu sein scheint, dann gäbe es keine Logik - jedenfalls keine Erkenntnis der Logik -, keine Mathematik und erst recht kein Leben, das sich darüber logische Gedanken machen könnte. Streng genommen ist der teleonome Begriff Kybernetik für die physikalische Welt nicht zutreffend, weil natürliche Systeme immer einem Gleichgewichtszustand zustreben und dadurch eigenen kybernetischen, jedoch zweckfreien Gesetzmäßigkeiten unterliegen. Im Interesse vergleichender und einheitlicher Darstellungs­formen ist die Verwendung der Bezeichnung trotzdem zweckmäßig. Da die Wirkungs­weisen und Gesetzmäßigkeiten der Physik die Grundlagen liefern für die biologische und die kognitive Kybernetik, ist auch die Bezeichnung Physikalische Kybernetik begründet. Die elementaren Wechsel­wirkungskräfte der Physik realisieren eine Kommunikation zwischen den Kraftträgern, wogegen die für die Kybernetik charakteristische Auswahl- und Entscheidungs­möglichkeit in den Natur­konstanten festgelegt und eingefroren ist. Je komplexer eine natürliche Struktur ist, insbesondere bezüglich der Diversität der enthaltenen Substanzen, umso mehr Freiheiten oder Kontingenzen der Beziehungen und Wechselwirkungen sind damit verbunden und umso mehr Komplexität wird dadurch angehäuft. Dieses Prinzip der Chemie ist Grundlage der biotischen Evolution und der Funktionsweise eines Organismus und bildet somit den Hintergrund für die Zweckmäßigkeit der Kybernetik als wissen­schaftliche Methodik zur Erklärung von Organismus und Leben.

Historisch ist die Physikalische Kybernetik so alt wie die Philosophie, so weit deren Geschichte bekannt ist. Die Naturphilosophen des antiken Griechenland ein halbes Jahrtausend vor Null versuchten die Ursachen und Wirkungsweisen des sichtbaren Weltgeschehens zu deuten, um daraus letztlich die zukünftige Entwicklung und mögliche Ziele abzuleiten. Höchst erstaunliche Erklärungen fanden schon damals die Atomisten um Demokrit, deren Thesen kleinster, unteilbarer Teilchen als Bausteine der Welt der Atomphysik verblüffend ähnlich sind. Zwei Jahrhunderte später hat der Philosoph Epikur das atomistische Weltmodell übernommen, weitere zweieinhalb Jahrhunderte später der römische Dichterphilosoph Lukrez und schließlich die englische Herzogin Margaret Cavendish (1623-1673) eine genauso eigenwillige wie scharfsinnige Version von Naturphilosophie, bevor John Dalton 1808 die Atomphysik im modernen Sinn begründete. Mit der Relativitätstheorie und der Quantenphysik wurde das mechanistische Weltbild und eine deterministisch vorausberechenbare Welt verabschiedet. Hätte die Welt oder die Natur einen zu vermutenden, höheren Zweck, dann müsste die Frage gestellt werden, ob derselbe Zweck nicht mit anderen Mitteln erreicht werden könnte, die mit höherer Zuverlässigkeit, höherer Effektivität oder geringerem Aufwand verbunden wären.



Die "Physikalische Kybernetik" von Lukrez (98-55 v.Null), ein Ausschnitt aus seinem Lehrgedicht "De rerum natura":

Denn gewiß haben nicht durch Vernunft die Atome sich aus sich selbst mit scharfsinnigem Geist in Ordnung plaziert, wahrlich auch nicht vereinbart, welche Bewegung sie machten, sondern weil auf vielfache Art viele Samen der Dinge seit endloser Zeit schon, gestoßen von Schlägen und durch eigenes Gewicht bewegt, zu eilen gewohnt und sich auf alle Art zu einen und alles zu prüfen, was sie zu schaffen unter sich sie wären vereinigt, darum geschieht es, daß, die mächtige Zeit hindurch sich verbreitend, jeder Art Verbindungen sie und Bewegung erproben und am Ende so die sie vereinen, die plötzlich geschleudert, häufig zum Anfang werden sodann gewaltiger Dinge, dieser Erde, des Meeres und des Himmels, des Stamms der Belebten.

Kognitive Kybernetik

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