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Kapitel 4

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Am nächsten Morgen stand die Sonne wieder strahlend am azurblauen Himmel. Keine einzige Wolke war zu sehen. Das Meer war ruhig und friedlich. Eine leichte Brise wehte und brachte den Geruch von Salz und Tang auf die Insel.

Margaret Milford saß zusammen mit Mark und Tom im etwas schäbig wirkenden Büro des Dorfpolizisten. Der Verputz rieselte von den Wänden, die Fensterscheiben waren schon fast blind, und der altersschwache Ventilator drehte unter gleichmäßigem Kreischen seine Runden.

Ramiro thronte wie ein König hinter seinem wurmstichigen Schreibtisch und paffte an seiner unvermeidlichen Zigarre. Mit seinen buschigen Augenbrauen zwinkerte er nervös, als die alte Dame von den aufregenden Erlebnissen der letzten Nacht berichtete. Das braun gebrannte, faltige Gesicht des Polizisten blieb unbewegt, bis Margaret Milford zu Ende gesprochen hatte.

”Das ist ja allerhand!”, stieß der muskulöse Beamte dann schnaubend hervor und drückte die Zigarre im Aschenbecher aus, dass die Funken nur so flogen. ”Was zum Teufel ist denn plötzlich auf dieser Insel los? Jeden Tag passiert ein neues Verbrechen! Gestern war der Mord an diesem Privatdetektiv, in der Nacht dann der Einbruch bei Ihnen ...”

”Dabei hätten Sie gute Chancen, diesen Mann zu erwischen!”, meinte Margaret Milford, und Ramiro hob fragend seine buschigen Augenbrauen.

”Sie brauchen nur bei sämtlichen Ärzten nachzufragen, ob sie heute Nacht einen Verletzten zu versorgen hatten. Denn unser ungebetener Besucher hat ziemlich stark geblutet.”

”Ich werde der Sache natürlich nachgehen!”, brummte Ramiro und wischte sich den Schweiß aus der Stirn. ”Nur kann ich nicht alles gleichzeitig machen. Momentan weiß ich überhaupt nicht mehr, wo mir der Kopf steht.”

”Nun, so schlimm wird die Sache wohl nicht sein”, spottete Mark, „oder haben Sie schon irgendwelche konkrete Spuren?”

”Werd' nur nicht frech, mein Junge!”, polterte Ramiro, und seine Augen glitzerten zornig. ”Ich bestimme hier auf dieser Insel, was geschieht, und nicht du! Ist das klar? Die Schwierigkeiten haben durch euch ja erst angefangen. Bis ihr hier aufgetaucht seid, war diese Insel das reinste Paradies.”

”Dann sehen Sie zu, dass diese Insel möglichst schnell wieder ein Paradies wird!“, meinte die alte Dame mit leisem Lächeln. ”Doch dazu wird es notwendig sein, dass Sie möglichst rasch allen nur erkennbaren Spuren nachgehen. Und die Spur des Einbrechers ist noch heiß, sehr heiß sogar.”

Ramiro knurrte und schlug auf den Schreibtisch, wo es sich gerade ein grünlich schillernder Käfer bequem gemacht hatte. Das Insekt zerplatzte mit leisem Knacken, und der Beamte wischte die schmutzige Hand an seinem schweißdurchtränkten Hemd ab. ”Wissen Sie, Mrs. Milford, was ich auf den Tod nicht ausstehen kann? Wenn Leute, die von Polizeiarbeit keine Ahnung haben, mir plötzlich Vorschriften machen wollen. Dann reagiere ich verdammt sauer. Merken Sie sich das! Ich tue genau das, was ich für meine Pflicht halte. Und ich verbitte mir jegliche Einmischung in meine Untersuchungsmethoden! Habe ich mich klar genug ausgedrückt?”

”Völlig klar!”, seufzte die alte Dame, die einsah, dass man mit Ramiro nicht vernünftig reden konnte. Der Mann war so sehr von sich eingenommen, dass er logischen Argumenten gegenüber unzugänglich war. ”Dann bedanke ich mich für Ihre großzügige Unterstützung!”, sagte Margaret Milford mit unüberhörbarem Spott in der Stimme. ”Sie waren uns wirklich eine große Hilfe!”

Die alte Dame stand auf. ”Kommt, Jungs, hier drinnen vertrödeln wir bloß unsere Zeit!”

In diesem Moment klingelte das Telefon.

Ramiro hob ab, und dann fuhr der Mann wie von einem Stromstoß getroffen in die Höhe. Sein Gesicht nahm einen sehr gespannten Ausdruck an. Seine Augen funkelten, und die buschigen Brauen begannen leicht zu zittern. ”Das ist ja wirklich interessant!”, murmelte Ramiro in den Hörer und blickte Margaret Milford mit einem unheilvollen Grinsen an. ”Wartet draußen auf mich! Ich komme gleich!”

Und mit voller Wucht knallte Ramiro den Hörer zurück auf die Gabel. Dann stemmte der schwere Mann seine Fäuste in die Hüften und blickte von oben herab auf die alte Dame, die keine Ahnung hatte, welche Information der Polizist soeben bekommen hatte. Doch Ramiro ließ die Anwesenden nicht länger im Ungewissen.

”Sie haben sich da ja eine schöne Geschichte zurechtgelegt!”, fauchte er dann mit erhobener Stimme, ”und haben dazu noch geglaubt, ich bin so dumm und schlucke alles, was Sie mir erzählen? Aber Sie haben wohl nicht damit gerechnet, dass der Wind die Leiche wieder an Land treiben würde ...”

”Welche Leiche?”, fragte Mark, der sich plötzlich denkbar unwohl in seiner Haut zu fühlen begann.

”Welche Leiche!” höhnte Ramiro, und seine Stimme wurde noch lauter. ”Frag' nicht so dumm, mein Junge, wo du doch ganz genau weißt, wovon ich rede...”

”Wirklich, ich habe keine Ahnung ...”

”Ich auch nicht!” Die alte Dame blickte verständnislos auf den tobenden Beamten, der unruhig hinter seinem Schreibtisch auf und ab ging.

”Man hat diesen Mann gefunden, der gestern Nacht bei Ihnen eingebrochen ist!”, begann Ramiro zu berichten, ”doch der Unbekannte hatte nicht bloß eine Stichverletzung am linken Arm, sondern irgendjemand hat ihm ein großes Messer mitten ins Herz gerammt!”

Sekundenlang herrschte Totenstille. Nur der Ventilator an der Decke drehte sich mit grässlichem Geräusch.

Margaret Milford starrte den Beamten mit offenem Mund an. Auch Mark und Tom waren sprachlos.

”Ja, da staunt ihr, was? Auch wenn der Kerl tatsächlich bei euch eingebrochen sein sollte, war das noch lange kein Grund, ihn gleich zu töten!”

”Aber ich schwöre Ihnen ...”

”Sie leugnen also diese Tat?”

”Selbstverständlich, Ramiro!”, beteuerte die alte Dame. ”Ich habe den Mann lediglich am linken Oberarm verletzt, damit er kampfunfähig werden sollte ...”

”Das können wir bestätigen!”, ergänzten Mark und Tom fast gleichzeitig und blickten dem großen Beamten dabei fest in die Augen. ”Der Kerl war quicklebendig, als er die Flucht ergriff. Wir liefen ihm noch nach, hatten aber bei diesem Unwetter leider kein Glück damit ...”

”Hm!”, machte Ramiro nachdenklich und kratzte sich an seinem wuchtigen Schädel. ”Das kann stimmen oder auch nicht. Auf jeden Fall habe ich jetzt innerhalb von vierundzwanzig Stunden den zweiten Toten am Hals. Und das geht mir ganz gehörig gegen den Strich!”

Mit einem Handgriff zerrte Ramiro seine Uniformjacke von der Sessellehne und schlüpfte schwerfällig hinein. ”Kommen Sie mit! Man hat den Mann unten beim Bootshaus gefunden. Sehen wir uns die Sache an Ort und Stelle an!”

Margaret Milford verließ zusammen mit den beiden Jungen das Büro und folgte Ramiro das kurze Stück bis zur Anlegestelle hinunter.

Zwei Polizeibeamte hielten die Neugierigen fern, die bereits am Strand herumstanden. Ramiro bahnte sich mit ein paar herrischen Handbewegungen einen Weg. Tante Margaret folgte ihm. Und dann sah sie plötzlich den Mann im Sand liegen. Seine Augen standen weit offen und starrten in endlose Fernen. Sein Hemd war blutverschmiert.

”Ist das der Kerl, der bei Ihnen eingebrochen ist?”

”Ja, das ist er!”, bestätigte die alte Dame, und die beiden Jungs nickten beinahe gleichzeitig. ”Kein Zweifel! Wir haben den Mann recht deutlich gesehen!”

”Aus dem Weg! Aus dem Weg!”, erschallte plötzlich eine aufgeregte Stimme, und der dicke Bootsbesitzer watschelte auf seinen kurzen Beinen durch den Sand. Bud Morgan trug das gleiche grell gestreifte Hemd wie tags zuvor, und seine kurze Hose spannte sich so fest um seinen fetten Bauch, dass es aussah, als würde der Mann einen Schwimmreifen unter seiner Kleidung verbergen. ”Macht Platz, Leute!”, schrie der kleine Mann und fuchtelte wild mit seiner Angel herum. ”Diesmal soll er mir nicht entkommen ...”

”Wer denn?”, fragte Ramiro ziemlich unwirsch, und der Vollmond-Gesichtige antwortete überschwänglich: ”Mein Fisch, auf den ich schon den ganzen Tag gewartet habe. Dort drüben schwimmt er. Lasst mich durch. Ich ...”

”Verschwinde von hier, Bud!”, schimpfte Ramiro und stoppte den Dicken ziemlich unsanft. ”Du gehst uns auf die Nerven, Mann!”

Der Bootsbesitzer lief in die ausgestreckte Hand des kräftigen Polizisten, und dadurch wurde sein Lauf abrupt gebremst. Bud Morgan fiel hintenüber und landete unter dem Gelächter der Herumstehenden ziemlich weich im heißen Sand. Die Angelrute fiel ihm aus der Hand - und damit seine vermeintliche Laserkanone. Tränen quollen dem Dicken aus den Augen, als er sich zu dem kleinen Kästchen hinunter beugte. ”Jetzt hast du sie kaputt gemacht!”, klagte der Mann mit dem gutmütigen Mondgesicht und nahm seine Erfindung beinahe liebevoll in seine Hände. ”Du bist immer so brutal, Ramiro. Dieser Apparat ist unersetzlich!“

”Schon gut!”, brummte der Polizist. ”Und jetzt mach lieber, dass du von hier fortkommst! Du zertrampelst mir noch sämtliche Spuren. Also los, verschwinde von hier! Aber ein bisschen plötzlich!”

Bud Morgan wischte sich die Tränen aus den Augen, packte seine ”Laserkanone” und zog sich schmollend wieder zurück.

Mark und Tom tat der Mann leid. Wenig später sahen ihn die beiden Jungen dann am Rand seines Bohlensteges sitzen und hinunter ins Wasser starren. Von seiner Umgebung nahm er keine Notiz mehr.

Der Tote am Strand wurde untersucht, aber er hatte keine Papiere bei sich. Einige Zeit später tauchte der gleiche Kastenwagen wie gestern auf, und die Leiche des Mannes wurde in einen Zink-Sarg verfrachtet.

”Sie wissen”, wandte sich Ramiro an Margaret Milford, ”dass Sie nach wie vor für mich verdächtig sind! Obwohl ich eigentlich nicht recht glauben kann, dass Sie so kaltblütig einen Mord begangen haben sollen. Aber auf jeden Fall halten Sie sich zu meiner Verfügung. Und ihr beide auch!”, wandte sich der braun gebrannte Polizeibeamte an die beiden Jungen. ”Jedenfalls könnt ihr heute Nacht wenigstens beruhigt schlafen gehen. Der Einbrecher kommt bestimmt kein zweites Mal zu euch!” Ramiro lachte auf und stapfte auf die Straße zurück.

Insel des Todes

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