Читать книгу Onkel Wanja. Szenen aus dem Landleben in vier Akten - Anton Tschechow - Страница 6

[7]Erster Akt

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Der Park. Man sieht einen Teil des Hauses mit der Terrasse. In der Allee unter einer alten Pappel ein zum Tee gedeckter Tisch. Bänke, Stühle, auf einer der Bänke liegt eine Gitarre. Nicht weit vom Tisch eine Schaukel. – Gegen drei Uhr nachmittags. Trübes Wetter.

Marina (eine schwammige, schwerfällige alte Frau, sitzt am Samowar und strickt an einem Strumpf) und Astrow (geht neben ihr auf und ab).

MARINA (schenkt ein Glas ein). Trink mal, Bátjuschka.

ASTROW (nimmt widerwillig das Glas). Eigentlich möchte ich nicht.

MARINA. Vielleicht trinkst du einen kleinen Wodka?

ASTROW. Nein. Ich trinke nicht jeden Tag Wodka. Und es ist auch so schwül.

(Pause.)

Njánka, wie lange kennen wir uns wohl schon?

MARINA (denkt nach). Wie lange? Gott, laß mich mal nachdenken … Du bist hierhergekommen, in diese Gegend … wann? … da lebte Wéra Petrówna noch, Sónetschkas Mutter. Zu ihrer Zeit, zwei Winter lang, hast du uns oft besucht … also, das ist wohl elf Jahre her. (Sie überlegt.) Aber vielleicht auch länger …

ASTROW. Sehr verändert habe ich mich seitdem?

MARINA. Sehr. Damals warst du jung und hübsch, und nun bist du alt geworden. Und so hübsch siehst du auch nicht mehr aus. Und, das muß man sagen – du trinkst.

ASTROW. Ja … in den zehn Jahren bin ich ein anderer Mensch geworden. Und aus welchem Grund? Ich habe [8]mich überarbeitet, Njanka. Immer auf den Beinen, von früh bis spät. Keine Ruhe habe ich gekannt. Und nachts liegst du unter der Decke und hast Angst, daß sie dich zu einem Kranken schleppen. Die ganze Zeit, seit wir beide uns kennen, habe ich keinen einzigen freien Tag gehabt. Wie soll man da nicht altern? Und das Leben an sich schon ist langweilig, dumm, schmutzig … Es zieht sich hin, dies Leben. Und um dich herum nur verschrobene Leute, alles seltsame Menschen. Mit denen lebst du zwei, drei Jahre zusammen, und allmählich, ohne daß du es bemerkst, wirst du selbst auch ein komischer Kerl. Ein unvermeidliches Schicksal. (Er zwirbelt seinen langen Schnurrbart.) Sieh mal, ein gewaltiger Schnauzbart ist mir gewachsen … ein blöder Bart. Ein sonderbarer Kauz bin ich geworden, Njanka … Ganz verblödet bin ich, Gott sei Dank, ja noch nicht, der Grips ist noch da, aber die Gefühle sind irgendwie abgestumpft. Nichts will ich mehr, nichts brauche ich, niemanden mag ich … Nur dich habe ich vielleicht noch gern. (Er küßt sie auf den Kopf.) Als Kind hatte ich genauso eine Kinderfrau.

MARINA. Möchtest du vielleicht etwas essen?

ASTROW. Nein. In der Fastenzeit, in der dritten Woche, bin ich nach Málizkoje gefahren wegen einer Epidemie … Flecktyphus … Das Volk in den Bauernkaten wie hingeworfen … Dreck, Gestank, Qualm, die Kälber auf dem Fußboden, mit den Kranken zusammen … und die Ferkel mitten dazwischen … den ganzen Tag beschäftigt, konnte mich nicht mal hinsetzen, keinen Bissen zu mir nehmen. Schließlich kam ich nach Hause, man ließ mir keine Ruhe – sie brachten mir von der Eisenbahn den Weichensteller an. Den legte ich auf den Tisch, um [9]ihn zu operieren, und schon stirbt er mir unterm Chloroform. Und da, ganz unnötig, erwachten Gefühle in mir, und mein Gewissen war bedrückt, als hätte ich ihn vorsätzlich getötet … Da setzte ich mich hin, machte die Augen zu – so – und dachte: Werden wohl die Menschen, die hundert oder zweihundert Jahre nach uns leben und für die wir jetzt den Weg bahnen, mit einem guten Wort an uns denken? Njanka, gar nicht werden sie an uns denken!

MARINA. Die Menschen nicht, dafür wird Gott an uns denken.

ASTROW. Vielen Dank. Schön hast du das gesagt.

(Wojnizkij kommt.)

WOJNIZKIJ (kommt aus dem Haus; er hat sich nach dem Frühstück ausgeschlafen und sieht zerknautscht aus; er setzt sich auf eine Bank, zieht seine modische Krawatte zurecht).

Ja …

(Pause.)

Ja …

ASTROW. Ausgeschlafen?

WOJNIZKIJ. Ja … sehr gut. (Gähnt.) Seit hier der Professor mit seiner Gattin wohnt, ist das Leben aus dem Gleis geraten … Ich schlafe nicht mehr zur rechten Zeit, esse zu den Mahlzeiten die verschiedensten scharfen Saucen, trinke Wein … ungesund ist das! Früher hatte ich keine freie Minute. Ich und Sonja haben gearbeitet – alle Achtung, jetzt aber arbeitet nur Sonja noch, und ich schlafe, esse, trinke … Das ist nicht gut!

MARINA (schüttelt den Kopf). Zustände sind das! Der Professor steht um zwölf Uhr auf, aber der Samowar dampft [10]vom frühen Morgen an und wartet nur auf ihn. Ohne die da wurde immer um ein Uhr gegessen, wie bei den Leuten überall, bei denen aber erst um sieben. Nachts liest der Professor und schreibt, und plötzlich um zwei Uhr geht die Klingel … Lieber Gott, was ist los? Tee! Weck also seinetwegen das Volk auf, stell den Samowar auf … Zustände!

ASTROW. Werden die denn noch lange hier wohnen bleiben?

WOJNIZKIJ (pfeift). Hundert Jahre. Der Professor hat beschlossen, sich hier niederzulassen.

MARINA. Heute wieder: Der Samowar steht schon zwei Stunden bereit, und sie sind spazierengegangen.

WOJNIZKIJ. Sie kommen, sie kommen … Reg dich nicht auf. (Man hört Stimmen; aus der Tiefe des Gartens heraus kommen Serebrjakow, Jelena Andrejewna, Sonja und Telegin von einem Spaziergang zurück.)

SEREBRJAKOW. Sehr schön, sehr schön … wunderbare Ausblicke.

TELEGIN. Bemerkenswerte, Eure Exzellenz.

SONJA. Wir fahren morgen zum Forsthaus, Papa. Kommst du mit?

WOJNIZKIJ. Herrschaften, zum Tee!

SEREBRJAKOW. Meine Freunde, schickt mir den Tee in mein Arbeitszimmer, seid so freundlich! Ich muß heute noch einiges tun.

SONJA. In der Försterei wird es dir bestimmt gefallen …

(Jelena Andrejewna, Serebrjakow und Sonja gehen ins Haus; Telegin geht zum Tisch und setzt sich neben Marina.)

WOJNIZKIJ. Heiß ist es, schwül, aber unser großer [11]Gelehrter läuft im Mantel und in Galoschen herum, mit Schirm und Handschuhen.

ASTROW. Er schont sich eben.

WOJNIZKIJ. Wie schön sie doch ist! Wie schön! In meinem ganzen Leben habe ich keine schönere Frau gesehen.

TELEGIN. Ob ich übers Feld fahre, Marina Timoféjewna, ob ich im schattigen Garten spaziere oder diesen Tisch betrachte, stets empfinde ich eine unaussprechliche Seligkeit! Ein bezauberndes Wetter, die Vögelein singen, wir alle leben in Frieden und Eintracht – was wollen wir mehr? (Er nimmt ein Glas Tee entgegen.) Tiefempfundenen Dank!

WOJNIZKIJ (versunken). Die Augen … eine wundervolle Frau!

ASTROW. Erzähl mal was, Iwan Petrowitsch.

WOJNIZKIJ (matt). Was soll ich dir denn erzählen?

ASTROW. Gibt es nichts Neues?

WOJNIZKIJ. Nichts. Alles alt. Ich bin noch derselbe wie früher, nur schlechter, weil ich träge geworden bin, nichts tue, nur herumknurre wie ein alter Griesgram. Meine alte Krähe, die Mamán, plappert immer noch über die Emanzipation der Frauen; mit einem Auge schaut sie ins Grab, mit dem anderen sucht sie in ihren klugen Büchelchen das Morgenrot des neuen Lebens.

ASTROW. Und der Professor?

WOJNIZKIJ. Und der Professor sitzt wie früher vom Morgen bis in die tiefe Nacht in seinem Arbeitszimmer und schreibt. »Angespannet den Geist, die Stirne bedenklich gerunzelt, so schreiben wir immerzu Oden, schreiben und schreiben und hören weder für sie noch für uns [12]nirgends des Lobes.« Das arme Papier! Er hätte lieber seine Autobiographie schreiben sollen. Das wäre ein vorzügliches Sujet! Ein pensionierter Professor, verstehst du, ein alter Zwieback, ein gelehrter Stockfisch … Gicht, Rheumatismus, Migräne, Leberschwellung durch Eifersucht und Neid … Da lebt dieser Stockfisch auf dem Gut seiner Frau, wo er eigentlich nicht bleiben wollte, aber bleiben muß, weil zum Leben in der Stadt das Geld nicht reicht. Ewig bejammert er sein Unglück, obwohl er eigentlich doch ein ungewöhnliches Glück hat. (Gereizt.) Stell dir vor, was für ein Glück! Der Sohn eines einfachen Küsters, ein Stipendiat, hat gelehrte Dienstgrade erreicht und einen Lehrstuhl erklettert, ist Exzellenz geworden, Schwiegersohn eines Senators und so weiter und so fort. Das alles will natürlich nicht viel heißen. Aber nun stell dir vor: Da hält dieser Mensch fünfundzwanzig Jahre lang Vorlesungen und schreibt über Kunst, obwohl er genaugenommen nichts von Kunst versteht. Fünfundzwanzig Jahre käut er Gedanken anderer Leute wieder, über Realismus, Naturalismus und allerlei andern Quatsch; fünfundzwanzig Jahre Vorlesungen und Schreiberei über Dinge, die den Vernünftigen ohnehin schon klar, den Banausen einerlei sind, fünfundzwanzig Jahre lang treibt er müßiges Zeug. Und dabei welche Arroganz! Welche Anmaßung! Nun hat er seinen Ruhestand, und keine Seele kennt ihn mehr; er ist völlig unbekannt. Das heißt doch, fünfundzwanzig Jahre hat er eine Stelle besetzt, die ihm nicht zustand. Und nun sieh ihn dir an: Wie ein Halbgott schreitet er daher!

ASTROW. Du scheinst ihn zu beneiden.

WOJNIZKIJ. Ja, ich beneide ihn. Was für ein Erfolg bei den [13]Frauen! Noch nie hat ein Don Juan einen solchen Erfolg gehabt! Seine erste Frau, meine Schwester, ein schönes, sanftes Wesen, rein wie der blaue Himmel und edel, großzügig – mehr Verehrer hat sie gehabt als er Schüler –, sie hat ihn so geliebt, wie nur die engelhaften Wesen lieben können, die rein und schön sind, wie sie es war. Meine Mutter, seine Schwiegermutter, vergöttert ihn bis zum heutigen Tag, bis heute suggeriert er ihr heilige Scheu. Seine zweite Frau, eine Schönheit und gescheit – Sie haben sie ja eben gesehen –, hat ihm ihre Jugend geschenkt, ihre Anmut, ihre Freiheit, ihren Glanz. Und wofür? Warum?

ASTROW. Ist sie dem Professor treu?

WOJNIZKIJ. Leider ja.

ASTROW. Warum denn leider?

WOJNIZKIJ. Weil diese Treue von Anfang bis zum Ende verlogen ist. Viel Rhetorik steckt darin, aber keine Logik. Einen alten Ehemann zu betrügen, den man nicht mehr ausstehen kann – das soll unmoralisch sein, aber in sich die arme Jugend zu ersticken und das lebendige Gefühl – das soll nicht unmoralisch sein.

TELEGIN (mit weinerlicher Stimme). Wanja, das mag ich nicht, wenn du so etwas sagst. Na wirklich … Wer seine Frau oder seinen Mann betrügt, der ist eben ein treuloser Mensch; so einer kann auch mal das Vaterland verraten!

WOJNIZKIJ (ärgerlich). Dreh den Hahn ab! Du Waffel!

TELEGIN. Erlaub mal, Wanja. Meine Frau ist mir schon am Tag nach der Hochzeit weggelaufen, mit ihrem Liebhaber, wegen meines unattraktiven Äußeren. Und doch habe ich auch danach nicht gegen meine Pflichten verstoßen. Ich liebe sie bis zum heutigen Tag und bin ihr [14]treu, helfe ihr, wo ich kann, und habe mein Vermögen hingegeben zur Erziehung der Kinder, die sie mit ihrem Geliebten in die Welt gesetzt hat. Mein Glück ist zerstört, aber der Stolz ist mir geblieben. Und sie? Ihre Jugend ist längst dahin, die Schönheit ist unter dem Einfluß der Naturgesetze verblichen, der Geliebte ist gestorben … Was ist ihr also geblieben?

(Sonja und Jelena Andrejewna kommen; etwas später kommt Marija Wassiljewna mit einem Buch; sie setzt sich und fängt an zu lesen. Man bringt ihr Tee. Sie trinkt, ohne aufzusehen.)

SONJA (hastig zur Kinderfrau). Njánetschka, da sind die Bauern gekommen. Geh, sprich du mit ihnen, den Tee schenke ich selbst ein … (Sie schenkt Tee ein.)

(Die Kinderfrau geht hinaus. Jelena Andrejewna nimmt ihre Tasse, setzt sich auf die Schaukel und trinkt.)

ASTROW (zu Jelena Andrejewna). Da bin ich nun zu Ihrem Mann gekommen. Sie haben mir geschrieben, er sei sehr krank, Rheumatismus und sonst noch was, dabei stellt sich heraus, daß er kerngesund ist.

JELENA ANDREJEWNA. Gestern abend fühlte er sich schlecht, klagte über Schmerzen in den Beinen, heute geht es ihm wieder gut …

ASTROW. Und da galoppiere ich Hals über Kopf die dreißig Werst herüber. Na, macht nichts, war ja nicht das erste Mal. Dafür bleibe ich nun bis morgen bei Ihnen und schlafe mich wenigstens quantum satis aus.

SONJA. Das ist schön. Es ist ja so eine Seltenheit, wenn Sie bei uns übernachten. Sie haben wahrscheinlich noch nicht gegessen?

ASTROW. Nein, gegessen habe ich noch nicht.

[15]SONJA. Da kommen Sie gerade recht zum Abendessen. Wir essen jetzt immer um sieben Uhr. (Sie trinkt.) Der Tee ist kalt.

TELEGIN. Im Samowar ist die Temperatur schon ganz entschieden gesunken.

JELENA ANDREJEWNA. Macht nichts, Iwán Iwánytsch, wir trinken auch kalten Tee.

TELEGIN. Verzeihen Sie bitte … Nicht Iwan Iwanytsch, sondern Ilja Iljitsch Telegin, oder, wie manche mich wegen meines narbigen Gesichts nennen, »Waffel«. Seinerzeit war ich Taufpate von Sonetschka, und seine Exzellenz, Ihr Gatte, kennt mich sehr gut. Nun lebe ich hier, bitte sehr, auf diesem Gut, bitte … Wenn Sie das zu bemerken beliebten, jeden Tag pflege ich mit Ihnen zusammen zu speisen.

SONJA. Ilja Iljitsch ist unser Helfer, unsere rechte Hand. (Zärtlich.) Kommen Sie, lieber Pate, ich schenke Ihnen noch einmal ein.

MARIJA WASSILJEWNA. Ach!

SONJA. Was haben Sie, Großmutter?

MARIJA WASSILJEWNA. Ich habe vergessen, Alexander zu sagen … mir ist das ganz entfallen … heute habe ich einen Brief aus Chárkow von Páwel Alexéjewitsch bekommen … Er hat mir seine neue Broschüre geschickt …

ASTROW. Ist sie interessant?

MARIJA WASSILJEWNA. Interessant schon, aber irgendwie, merkwürdig. Er bestreitet nun, was er selbst vor sieben Jahren vertreten hat. Schrecklich!

WOJNIZKIJ. Nichts ist schrecklich. Trinken Sie Ihren Tee, Maman.

MARIJA WASSILJEWNA. Aber ich will reden!

[16]WOJNIZKIJ. Wir reden doch schon fünfzig Jahre lang und reden und lesen Broschüren. Es wird endlich Zeit, damit aufzuhören.

MARIJA WASSILJEWNA. Dir ist es irgendwie unangenehm zuzuhören, wenn ich spreche. Verzeih, Jean, in letzter Zeit hast du dich so verändert, daß ich dich gar nicht wiedererkenne … Du warst doch ein Mensch mit festen Überzeugungen, eine helle, lichte Persönlichkeit …

WOJNIZKIJ. Oh ja! Ich war eine lichte Persönlichkeit, von der niemandem hell geworden ist …

(Pause.)

Eine lichte Persönlichkeit … Man kann mich nicht böser verspotten! Ich bin jetzt siebenundvierzig. Bis zum vorigen Jahr habe ich mich angestrengt, meine Augen mit eurer Scholastik zu vernebeln, um das wirkliche Leben nicht zu sehen, und ich dachte, so wäre es gut. Aber jetzt! Wenn ihr wüßtet! Nachts kann ich nicht schlafen vor Kummer, vor Ärger, daß ich meine Zeit so dumm vergeudet habe, wo ich doch alles hätte haben können, was mir nun mein Alter versagt!

SONJA. Onkel Wanja, wie langweilig!

MARIJA WASSILJEWNA (zu ihrem Sohn). Als ob deine früheren Überzeugungen daran schuld wären … Aber schuld sind nicht sie, sondern du selbst. Du hast immer vergessen, daß die Überzeugungen an sich nichts sind, ein toter Buchstabe … Du hättest eine Tat tun müssen, ein Werk schaffen.

WOJNIZKIJ. Ein Werk? Nicht jeder kann ein schreibendes Perpetuum mobile sein, wie euer Herr Professor.

MARIJA WASSILJEWNA. Was willst du damit sagen?

[17]SONJA (flehentlich). Großmutter! Onkel Wanja! Ich bitte euch sehr!

WOJNIZKIJ. Ich bin schon still. Ich schweige und bitte um Entschuldigung.

(Pause.)

JELENA ANDREJEWNA. Und was für ein schönes Wetter heute … nicht heiß …

(Pause.)

WOJNIZKIJ. Bei solchem Wetter ist es schön, sich aufzuhängen …

(Telegin stimmt seine Gitarre. Marina geht ums Haus und lockt die Hühner.)

MARINA. Putt, putt, putt …

SONJA. Njanetschka, warum sind die Bauern gekommen? …

MARINA. Immer das gleiche, wieder wegen dem Brachland. Putt, putt, putt …

SONJA. Was rufst du so?

MARINA. Das Bunte ist mit den Küken weg … Wenn nur die Krähen sie nicht holen … (Sie geht ab.)

(Telegin spielt eine Polka; alle hören schweigend zu; ein Knecht kommt.)

DER KNECHT. Ist der Herr Doktor hier? (Zu Astrow.) Bitte, Michail Lwowitsch, da sind Leute, die wollen Sie holen.

ASTROW. Woher?

DER KNECHT. Aus der Fabrik.

ASTROW (ärgerlich). Danke bestens. Was hilft's, ich muß hinfahren … (Er sucht seine Mütze.) Ärgerlich, zum Teufel auch …

SONJA. Wie lästig, wahrhaftig … Kommen Sie aber von der Fabrik zum Essen.

[18]ASTROW. Nein, das wird spät werden. Wo ist sie nun … Wo habe ich sie hingelegt … (Zu dem Knecht.) Nun hol mir erst mal ein Gläschen Wodka, mein Lieber.

(Der Knecht geht ab.)

Wo denn … Wohin denn … (Er findet seine Mütze.) Bei Ostrowskij gibt es in irgendeinem Stück einen Menschen mit einem großen Schnurrbart und beschränkten Fähigkeiten … So einer bin ich. Nun, habe die Ehre, Herrschaften … (Zu Jelena Andrejewna.) Wenn Sie mal bei mir hereinschauen, so mal mit Sofja Alexandrowna, da wäre ich aufrichtig froh. Ich habe da ein kleines Gut, dreißig Desjatinen im ganzen, aber, wenn es Sie interessiert, auch einen Mustergarten und eine Baumschule, wie Sie auf tausend Werst keine zweite finden. Neben mir beginnt der Staatsforst … Der Förster dort ist alt, ständig krank, so daß eigentlich ich alles regele.

JELENA ANDREJEWNA. Ich habe schon gehört, daß Sie die Wälder so sehr lieben. Natürlich, die können großen Nutzen bringen, aber stört Sie das nicht in Ihrem eigentlichen Beruf? Sie sind doch Arzt.

ASTROW. Gott allein weiß, worin unser eigentlicher Beruf liegt.

JELENA ANDREJEWNA. Und ist das interessant?

ASTROW. Ja, das ist eine interessante Sache.

WOJNIZKIJ (mit Ironie). Sehr!

JELENA ANDREJEWNA. Sie sind ein noch junger Mensch, nach Ihrem Aussehen … nun so sechsunddreißig oder siebenunddreißig Jahre alt … das kann für Sie nicht so interessant sein, wie Sie sagen. Wald, immer nur Wald. Eintönig, denke ich mir.

SONJA. Nein, das ist außerordentlich interessant. Michail [19]Lwowitsch pflanzt jedes Jahr neue Wälder an, er hat schon eine Bronzemedaille und ein Diplom geschickt bekommen. Er setzt sich dafür ein, daß die alten Bestände nicht vernichtet werden. Wenn Sie ihn bis zum Ende anhören, so werden Sie ihm völlig zustimmen. Er sagt, die Wälder verschönen die Erde, sie bringen den Menschen Verständnis für das Schöne bei und versetzen ihn in eine andachtsvolle Stimmung. Die Wälder mildern das rauhe Klima. In Ländern mit mildem Klima verbraucht man weniger Kraft für den Kampf mit der Natur, und darum sind dort auch die Menschen weicher und nachgiebiger; da sind die Menschen schön, geschmeidig, sensibel, sie äußern sich elegant und bewegen sich graziös. Bei ihnen blühen die Wissenschaften und Künste, ihre Philosophie ist nicht finster, und ihr Verhältnis zur Frau ist voll eleganter Noblesse …

WOJNIZKIJ (lachend). Bravo, bravo! … Das alles ist lieb gesagt, überzeugt mich aber nicht, deshalb (zu Astrow) erlaub mir, mein Freund, meine Öfen auch weiterhin mit Holz zu heizen und die Scheunen aus Brettern zu bauen.

ASTROW. Du kannst die Öfen mit Torf heizen und Scheunen aus Steinen bauen. Nun ja, ich lasse ja den Holzeinschlag zu, wo er nötig ist. Aber wozu die Wälder vernichten? Die russischen Wälder erzittern unter der Axt, Milliarden von Bäumen fallen, der Lebensraum von Tieren und Vögeln wird verwüstet, die Flüsse versanden und trocknen aus, unwiederbringlich verschwinden wunderbare Landschaften – all das, weil der Mensch vor lauter Faulheit nicht einsieht, daß er sich bücken und sein Heizmaterial aus der Erde holen kann. (Zu Jelena Andrejewna.) Nicht wahr, so ist es doch, gnädige Frau? [20]Man muß schon ein ganz unverständiger Barbar sein, wenn man diese Pracht im Ofen verheizt, wenn man vernichtet, was wir nicht wieder hervorbringen können. Der Mensch ist mit Vernunft und Schöpferkraft begabt, um zu vermehren, was ihm geschenkt worden ist, aber bis heute hat er nichts geschaffen, sondern zerstört. Wälder gibt es immer weniger, die Flüsse werden austrocknen, das Wild ist fortgezogen, das Klima verschlechtert sich, und mit jedem Tag wird die Erde ärmer und häßlicher. (Zu Wojnizkij.) Du blickst mich ironisch an, und alles was ich sage, kommt dir unernst vor … und vielleicht ist es ja auch komisch, aber wenn ich an den Bauernwäldern vorbeifahre, die ich vor einem Kahlschlag gerettet habe, oder wenn ich hinhöre, wie der junge Wald rauscht, den ich mit meinen Händen gepflanzt habe, dann wird mir bewußt, daß das Klima auch ein wenig in meiner Macht steht und daß, wenn die Menschen nach tausend Jahren glücklich sein werden, auch ich daran ein wenig schuld bin. Wenn ich eine kleine Birke setze und dann zusehe, wie sie grünt und sich im Winde wiegt, dann erfüllt sich meine Seele mit Stolz. Und ich … (Er sieht den Knecht, der ihm auf einem Tablett ein Glas Wodka bringt.) Aber … (er trinkt) es ist Zeit für mich. All das sind vermutlich doch nur merkwürdige Gedanken. Habe die Ehre mich zu empfehlen! (Er geht zum Haus.)

SONJA (faßt seinen Arm und geht mit ihm). Wann kommen Sie denn wieder zu uns?

ASTROW. Ich weiß nicht …

SONJA. Erst in einem Monat? …

(Astrow und Sonja gehen ins Haus; Marija Wassiljewna [21]und Telegin bleiben am Tisch sitzen; Jelena Andrejewna und Wojnizkij gehen auf die Terrasse.)

JELENA ANDREJEWNA. Und Sie, Iwan Petrowitsch, haben sich wieder unmöglich aufgeführt. Mußten Sie Marija Wassiljewna reizen und vom Perpetuum mobile sprechen! Und heute beim Frühstück haben Sie wieder mit Alexander gestritten. Wie häßlich!

WOJNIZKIJ. Wenn ich ihn aber doch hasse!

JELENA ANDREJEWNA. Alexander zu hassen, haben Sie keinen Grund. Er ist wie alle. Nicht schlechter als Sie.

WOJNIZKIJ. Wenn Sie Ihr Gesicht sehen könnten, Ihre Bewegungen … wie träge Sie dahinleben! Ach, wie träge!

JELENA ANDREJEWNA. Ach ja, träge und langweilig! Alle schimpfen auf meinen Mann, alle sehen mich mit Mitleid an: Die Unglückliche, sie hat einen alten Mann! Dies Mitgefühl mit mir, wie ich es durchschaue! Was hat doch eben Astrow gesagt: Ihr alle zerstört ohne Sinn und Verstand die Wälder, und bald wird es keine mehr geben auf Erden. Ebenso sinnlos verderbt ihr den Menschen, und bald wird es, dank euch, auf Erden keine Treue mehr geben, keine Reinheit, keine Bereitschaft, sich aufzuopfern. Warum könnt ihr eine Frau nicht unbeteiligt ansehen, wenn sie euch nicht gehört? Weil – da hat der Doktor recht – weil in euch allen der Geist der Zerstörung sitzt. Euch tun nicht die Wälder leid, nicht die Vögel, die Frauen nicht und ihr euch nicht einmal selbst.

WOJNIZKIJ. Ich mag diese Philosophie nicht.

(Pause.)

JELENA ANDREJEWNA. Dieser Doktor hat ein erschöpftes, nervöses Gesicht. Ein interessantes Gesicht. Sonja [22]gefällt er offensichtlich. Sie ist in ihn verliebt, und ich verstehe sie. Seit ich hier bin, war er schon dreimal da. Aber ich bin schüchtern und habe mich kein einziges Mal mit ihm unterhalten, wie es sich gehört; ich war nicht freundlich zu ihm. Er muß schlecht von mir denken. Vielleicht sind wir beide, Iwan Petrowitsch, deshalb so gute Freunde, weil wir beide so stumpfsinnige, langweilige Menschen sind! Stumpfsinnige Menschen! Gucken Sie mich nicht so an, ich mag das nicht.

WOJNIZKIJ. Kann ich Sie anders anschauen, wenn ich Sie liebe? Sie sind mein Glück, mein Leben, meine Jugend! Ich weiß, meine Aussichten sind gering, gleich Null, aber ich brauche ja nichts, erlauben Sie mir nur, Sie anzuschauen, Ihre Stimme zu hören …

JELENA ANDREJEWNA. Leiser, man kann Sie hören!

(Sie gehen ins Haus.)

WOJNIZKIJ (ihr folgend). Erlauben Sie mir, von meiner Liebe zu sprechen, jagen Sie mich nicht weg, das allein schon wird für mich das größte Glück sein …

JELENA ANDREJEWNA. Das ist quälend …

(Beide sind ins Haus gegangen. – Telegin klimpert eine Polka; Marija Wassiljewna notiert etwas am Rande ihrer Broschüre.)

Vorhang.

Onkel Wanja. Szenen aus dem Landleben in vier Akten

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