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[23]Zweiter Akt

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Das Eßzimmer im Hause Serebrjakows. – Nacht. – Man hört, wie der Nachtwächter im Garten an sein Schallholz klopft.

Serebrjakow sitzt im Sessel am offenen Fenster und schlummert. Jelena Andrejewna sitzt neben ihm, sie ist ebenfalls eingeschlafen.

SEREBRJAKOW (blickt auf). Wer ist da? Sonja, bist du’s?

JELENA ANDREJEWNA. Ich bin’s.

SEREBRJAKOW. Du, Lénotschka … Der unerträgliche Schmerz!

JELENA ANDREJEWNA. Dein Plaid ist heruntergefallen. (Sie wickelt ihm die Füße ein.) Ich mache das Fenster zu, Alexander.

SEREBRJAKOW. Nein, es ist so schwül hier … Ich bin eben eingeschlafen und habe geträumt, mein linker Fuß gehörte nicht zu mir. Von dem quälenden Schmerz bin ich aufgewacht. Nein, das ist nicht die Gicht, eher Rheumatismus. Wie spät ist es denn?

JELENA ANDREJEWNA. Zwanzig nach zwölf.

(Pause.)

SEREBRJAKOW. Such morgen mal in der Bibliothek die Werke von Bátjuschkow. Ich glaube, wir haben sie.

JELENA ANDREJEWNA. Wie?

SEREBRJAKOW. Such morgen Batjuschkow heraus. Ich erinnere mich, wir hatten ihn. Aber warum wird mir das Atmen so schwer?

JELENA ANDREJEWNA. Du bist müde. Die zweite Nacht schon schläfst du nicht.

[24]SEREBRJAKOW Turgénjew soll durch die Gicht schließlich Herzbeschwerden bekommen haben, heißt es. Ich fürchte, mir wird’s auch so gehen. Dieses verfluchte, widerwärtige Altwerden. Der Teufel soll es holen. Seit ich alt geworden bin, bin ich mir selbst zum Ekel. Ja, und ihr alle schaut mich bestimmt mit Widerwillen an.

JELENA ANDREJEWNA. Du sprichst von deinem Alter in einem Ton, als ob wir schuld daran wären, daß du alt bist.

SEREBRJAKOW. Dir vor allem bin ich zuwider.

(Jelena Andrejewna steht auf und setzt sich weiter weg von ihm.)

Natürlich, du hast recht. Ich bin nicht dumm und verstehe. Du bist jung, gesund, hübsch, willst leben, und ich bin ein Greis, fast schon ein Leichnam. Glaubst du, ich verstände dich nicht? Es ist natürlich dumm, daß ich bis zum heutigen Tage noch lebe. Aber warte nur, bald befrei ich euch alle von mir. Lange werde ich es nicht mehr machen.

JELENA ANDREJEWNA. Ich kann das nicht ertragen … sei um Gottes willen still.

SEREBRJAKOW. Es stellt sich heraus, alle können mich nicht ertragen, fühlen sich angeödet, vergeuden ihr junges Leben, und nur ich genieße mein Leben und bin zufrieden. Nun ja, natürlich ist es so!

JELENA ANDREJEWNA. Sei still! Du hast mich genug gequält!

SEREBRJAKOW. Alle habe ich gequält. Natürlich.

JELENA ANDREJEWNA (unter Tränen). Unerträglich! Sag, was willst du von mir?

SEREBRJAKOW. Nichts.

[25]JELENA ANDREJEWNA. Dann sei still. Ich bitte dich.

SEREBRJAKOW. Merkwürdig, wenn Iwan Petrowitsch oder diese alte Idiotin Marija Wassiljewna zu reden anfängt, dann hören alle zu. Sage ich aber nur ein Wort, dann fangen alle an, sich unglücklich zu fühlen. Sogar meine Stimme ist ihnen widerwärtig. Nun, nehmen wir an, ich bin widerwärtig, ein Egoist, ein Despot – aber habe ich denn nicht im Alter ein gewisses Recht auf Egoismus? Habe ich mir das nicht verdient? Habe ich denn nicht, frage ich, ein Recht auf ein ruhiges Alter, darauf, daß die Menschen auf mich Rücksicht nehmen?

Onkel Wanja. Szenen aus dem Landleben in vier Akten

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