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Exkurs: Davor und Danach

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Als ganz entscheidend auf dem Weg sehe ich die Frage an, ob sich ein Mensch im Davor oder im Danach befindet. Damit meine ich folgendes:

Mein erschütterndes Erlebnis, das ich mit 65 Jahren hatte, stellt diesen Wendepunkt zwischen Davor und Danach dar. Dadurch wurde mir die Ausweglosigkeit im Ich gezeigt, die für mich heute eine absolute Gewissheit ist. Dieses Ich ist das, was Buddha im Moment der Erleuchtung mit Gehäuse bezeichnet, dessen Erbauer er nun erkannt hat.

Dieses Ich ist ein in sich geschlossenes Gehäuse, ein unentrinnbares Gefängnis, das zerschlagen werden muss. Es gibt ein Buch von Heinz-Peter Röhr mit dem Titel: „Narzissmus“, das von dem Märchen der Gebrüder Grimm „Der Eisenofen“ ausgeht. Dieser Eisenofen ist das Ich, in das der Mensch unentrinnbar eingeschlossen ist.

Das Zerschlagenwerden dieses Ichs ist keine Möglichkeit vom Ich her, sondern erfolgt von außerhalb, vom Jenseits des Ichs her. Erst nach diesem Zusammenbruch des Ichs, der bei mir die Gestalt der schlimmsten Depression mit psychotischen Begleiterscheinungen angenommen hatte, schälte sich ein Bewusstsein heraus, das jenseits des Ichs angesiedelt ist, das ich in Anlehnung an Meister Eckharts Seelenfünklein als Bewusstseinsfünklein erlebt habe, ein kleines Licht, das in diese dunkle Nacht hineingeleuchtet und mich gerettet hat. Es ist die Möglichkeit, sich in seinem Elend zu sehen und das auszuhalten. Diese Fähigkeit ist nicht mehr die Fähigkeit des Ichs, sondern transzendiert dieses Ich. Sie kommt aus der Tiefe des Menschseins, zu der das Ich keinen Zugang hat, und die erst im Zusammenbruch in Erscheinung tritt.

Dieser Zusammenbruch bedeutet im Leben eines Menschen eine derartige Katastrophe, dass er mit Recht als Tod bezeichnet werden kann. Von diesem Tod redet z. B. U. G. Krishnamurti, der dieses Erleben als „Kalamität“ bezeichnet. Aber auch andere sprechen von einem Tod. Der Tod Jesu am Kreuz und die darauf folgende Auferstehung hat meiner Überzeugung nach deshalb eine so große Wirkung gehabt, weil er den Tod des Ichs mit den Höllenqualen symbolisiert, aus der heraus nur die Auferstehung erfolgen kann. Phönix aus der Asche ist Symbol für den gleichen Vorgang. Auch viele Märchen und Mythen, in denen der Held mit einem Drachen kämpft oder durch die Hölle gehen muss, zielen in diese Richtung.

Bei Jed McKenna wird der Weg einer Frau – Julie – gezeigt, an der sehr deutlich die Verzweiflung auf dem Weg zur Transzendierung des Ichs geschildert wird.

Auch die Geschichte von Kyogen veranschaulicht, wie erst die Verzweiflung und das dadurch erzwungene völlige Loslassen zur Erleuchtung führt.

Erst nach diesem Ich-Tod, der nur überstanden werden konnte, indem vom Jenseits des Ichs her ein Licht sichtbar wurde, das den Menschen in seiner tiefsten Not trägt, kann nun tatsächlich vom Menschen, der nun nicht mehr nur im Ich steht, sondern eine transzendente Kraft erfahren hat, etwas aktiv zum Weiterschreiten auf dem spirituellen Weg getan werden.

Der Tod des Ichs scheidet das Davor vom Danach. Vor diesem unausweichlichen und äußerst schmerzvollen Tod steht der Mensch total im Ich, und alles, was er tut, geschieht von seinem Ich her, auch alles, was er in Bezug auf den Versuch, sich aus seinem Ich zu befreien, unternimmt. Und das führt nie zum Erfolg!

Und somit sehe ich folgende Möglichkeit in Bezug auf die Klärung der Frage, warum bei dem einen eine plötzliche Erleuchtung stattfinden kann, während bei einem anderen nur der äußerst schmerzhafte Tod eine unumgängliche Voraussetzung darstellt: Wir treten in diesem Leben von einer unterschiedlichen Startposition an. Und zwar besteht der entscheidende Unterschied darin, ob wir uns noch im Davor oder schon im Danach befinden. Wer sich in diesem Leben noch im Davor befindet, dem wird dieser schmerzliche Tod nicht erspart bleiben, wenn er dafür reif ist. Wer in diesem Leben schon im Danach antritt, der braucht diesen Tod nicht mehr zu durchleiden, denn er hat ihn ja schon hinter sich.

Aber er steht immer noch im Ich und es bedarf noch einer intensiven Arbeit daran. Das Ich ist die unabdingbare Dreingabe in diesem Leben. Warum sie notwendig ist, weiß nur Gott. Aber die Befindlichkeit im Ich ist ein unabweisbares Faktum und es ist die Aufgabe des Menschen, dieses Ich zu transzendieren und hinter sich zu lassen.

Wer im Danach steht, für den kann es durchaus ein plötzliches Erkennen dieser Befindlichkeit im Ich geben, wodurch vielleicht auch ein äußerst rascher Abbau des Ichs erfolgen kann. Wer noch im Davor steht, für den ist auch nach dem Ich-Tod noch ein weiter Weg zu gehen, der in diesem Leben vielleicht noch gar nicht an sein Ende kommt. Das macht aber gar nichts, denn der entscheidende Schritt ist ja getan. Nur das Ich ist es, das so schnell wie möglich das Ziel erreichen möchte.

Auf diesen Exkurs werde ich auch im Zusammenhang mit der Frage nach der Möglichkeit des eigenen Tuns und beim Punkt Meditation zurückgreifen.

Damit gibt es Erleuchtung in zweierlei Hinsicht: Als ein Begreifen und Erleben des Einsseins mit dem Absoluten einerseits und als Befreiung vom Ich andererseits. Nur die zweite Form lasse ich als Erleuchtung gelten, und die ist niemals plötzlich zu erreichen. Plötzlich kann nur die Erkenntnis seines Ich-Seins sein oder das Erlebnis der Einheit mit allem Sein.

Wenn meine Vermutung, dass das Ich aus der Tendenz des Lebens zur notwendigen Selbstbehauptung erwachsen ist, nur annähernd zutreffend ist, dann ist es undenkbar, dass es in einem Hui hinter sich gelassen werden könnte. Es ist eine Aufgabe eben wie die des Abtragens dieses Berges. Das halte ich für das Ziel, und darum geht es. Es ist dabei unerheblich, wie weit ein Mensch in diesem Leben sich diesem Ziel annähert; entscheidend ist allein schon die Erkenntnis, dass es darum geht. Damit ist der erste wichtige Schritt getan. Das Erreichen des Zieles – auch des ersten Schrittes! - liegt nicht in der Hand des Menschen. Das ist eben ein Prozess, der der Schöpfung zugrunde liegt. In diesem Sinne geht es um ein grundlegendes Neuwerden des Menschen, um eine totale Transformation von einem Menschen, der aus dem Ich lebt zu einem, der von seinem wahren, ursprünglichen Sein her lebt. Und das muss in diesem konkreten Leben auf dieser Erde, mit der Natur, den Elementen, den Pflanzen und den Tieren sowie den Mitmenschen zur Geltung kommen.

Was bedeutet es denn, wenn jemand für sich erleuchtet ist und eins ist mit dem Absoluten? Wenn es darum ginge, dann hätte das Absolute ja gar nicht aus sich herausgehen brauchen! Indem es sich aber in die Vielfalt begibt, will es sich an der Begegnung mit sich selbst in der Vielheit erfreuen – deshalb ist es notwendig, zu dem Bewusstsein zu kommen, dass jeder teilhat an dieser Einheit mit dem Absoluten, so dass das menschliche Dasein zur reinen Freude wird. Nur das kann ich als Sinn der Schöpfung ansehen. Und der Hinderungsgrund, dass sich die Menschen in Liebe und Freude begegnen ist die Absonderung im Ich, das seinen Ursprung vergessen hat. Und deshalb geht es um die Transzendierung dieses Ichs und nicht um eine Erleuchtung, die sich eins weiß mit dem Absoluten und dabei stehen bleibt. Die Überwindung des Ichs ist der Gradmesser für die Erleuchtung und nicht das selige, in sich ruhende Einssein mit dem All-Einen.

Es ist ein großer Unterschied, ob ich sage, dass ich vom Selbst her lebe oder ob ich das Selbst erkenne. Ich kann kein Selbst erkennen, ich kann nur daraus leben bzw. es lebt durch mich, und das kann mir bewusst werden! Ich halte das nicht für eine Haarspalterei von Begriffen, sondern für einen fundamentalen Unterschied, ob ich ein Selbst erkenne oder ob mir bewusst wird, dass mein Leben von einer Tiefe getragen ist, über die ich überhaupt keine Aussage machen kann und wo es weder etwas zu erkennen noch etwas zu wissen gibt.

Ich sehe mich nicht in der Lage, eine Aussage über das Jenseits des Ichs zu machen. Ich kann es als „innere Dimension“ (Sh 139) oder als „Dimension der Tiefe“ (Paul Tillich) bezeichnen, aber ich kann nichts darüber wissen und ich kann sie nicht erkennen. Ich kann nur damit eins sein und daraus leben. Und das ist die Situation, von der Paulus sagt: „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir.“ Aber „Christus“ entzieht sich jeder Bestimmung und Eingrenzung. Es ist die Bezeichnung für etwas, was man nicht benennen kann und worüber man keine Aussage machen kann.

Es ist nichts, was ich bewerkstelligen könnte, sondern es ist ein Geschehen, das sich ereignet, wenn die Zeit dafür gekommen ist. Und das hat niemand in der Hand. Es hängt in keiner Weise von meinem Wollen und Bemühen ab! Und das ist keine niederschmetternde Nachricht, sondern eine zutiefst befreiende! Ich trage keine Verantwortung dafür und habe keine Schuld daran, wenn es sich noch nicht ereignet hat.

Das wird wunderschön in folgender Darstellung von Ram Dass (in: Grof, Spirituelle Krisen) zum Ausdruck gebracht:

Bitte sag mir, Freund, was ich tun kann mit dieser Welt, an der ich festhalte und die ich immer weiter spinne!

Ich habe auf genähte Kleider verzichtet und eine einfache Kutte getragen, aber dann merkte ich eines Tages, dass sie aus wohlgewebtem Stoff war.

Also kaufte ich Sackleinen, aber ich werfe es immer noch elegant über meine linke Schulter.

Ich habe mein sexuelles Verlangen gezügelt, und stelle nun fest, dass ich wütend bin.

Ich habe schwer daran gearbeitet, meine Gier aufzulösen, und nun bin ich stolz auf mich selbst.

Wenn der Geist seine Verbindung zur Welt abbrechen will, hält er immer noch an einer Sache fest.

Da antwortet Kabir: Höre, mein Freund, nur sehr wenige

finden den Weg.

Kaum eine Geschichte zeigt besser den Weg eines Ringenden im Ich, aus dem es keinen Ausweg gibt. Ob es geschieht, liegt in der Hand Gottes. Es ist eben das Ich, dass sich damit nicht zufrieden geben kann!

Abschließend würde ich zwei grundverschiedene Auffassungen von Erleuchtung unterscheiden:

Einmal Erleuchtung als Erlebnis der Einheit mit dem Absoluten;

und zum anderen die Erkenntnis seines Ich-Seins. Diese Erkenntnis des Ich-Seins mag plötzlich erfolgen. Bei mir hat es sich über einen längeren Zeitraum erstreckt. Ob das ein beglückendes Erlebnis ist, wie es bei vielen dargestellt wird, möchte ich bezweifeln: Für mich war es die absolute Katastrophe. In jedem Fall beginnt damit erst der Weg. In diesem Verständnis ist Erleuchtung nicht das Ziel, sondern der Beginn eines neuen Lebens, an dessen Ende die Transzendierung des Ichs steht.

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