Читать книгу Grundlegende Fragen spiritueller Sucher - Anton Weiß - Страница 7

Was sind die Voraussetzungen, um zur Erleuchtung zu gelangen?

Оглавление

Natürlich gehe ich wieder von mir aus und würde ein unbedingtes Verlangen nach dem, wovon in allen Religionen die Rede ist, als notwendige Voraussetzung für die Erleuchtung ansehen. Von Kindheit an war in mir der Wunsch, das zu erfahren, was Jesus mit „Reich Gottes“ bezeichnet, den Schatz zu finden, der im Acker vergraben ist oder die kostbare Perle, die ein Kaufmann entdeckt hat und alles verkauft, um diese eine Perle zu erwerben. Seit ich denken kann, lebte ich nach dem Satz: „Suchet zuerst das Reich Gottes, und alles andere wird euch dazugegeben werden.“ Eine gleiche Grundhaltung sehe ich bei U. G. Krishnamurti, bei dem von Jugend auf die Suche nach „diesem Zustand“, von dem alle religiösen Menschen reden, mit dem er das bezeichnet, was ich mit „Reich Gottes“ meine, im Vordergrund stand.

Ich denke, dass man ein faustisches Verlangen nach dem, „was die Welt im Innersten zusammenhält“ in sich erleben muss. Und das ist kein Verdienst, das ist nichts, worauf man stolz sein könnte, sondern man findet sich so vor – jeder findet sich so vor, wie er ist, sobald sein Bewusstsein erwacht - und es bleibt das große Rätsel, warum der eine dieses Verlangen hat und ein anderer nicht. Es ist im Grunde die leidenschaftliche Suche nach der Wahrheit, der letzten Wahrheit des Daseins, die Frage nach dem Sinn – der Welt als solchem, warum überhaupt etwas ist und nicht nichts, und nach dem Sinn des eigenen Lebens -, was die Suche vorantreibt.

Dennoch gibt es Fälle, wie z. B. bei Suzanne Segal, wo der Einbruch des Göttlichen stattfindet, ohne dass bewusst eine Suche danach vorgelegen hätte. (Dieses Beispiel aber gilt nur eingeschränkt, weil sie früher sehr wohl auf der Suche war!) Auch Liquorman sagt von sich, dass er nicht spirituell interessiert war (34). Gottes Wege sind eben unerforschlich und „Ausnahmen bestätigen die Regel“. Das zeigt natürlich letztlich ein Nicht-Wissen in Bezug auf die Frage nach den Voraussetzungen. Es ist ja nur ein Versuch, Gemeinsamkeiten zu finden bei denen, die zur Erleuchtung gekommen sind. Es ist sowieso klar, dass jeder Weg einmalig ist und in den Hintergründen letztlich für sich selbst und andere unverstehbar.

Aber auch von Ram Dass wird die Vermutung geäußert, dass einem das Ziel ein unbedingtes Anliegen sein muss: „Wenn wir uns erst einmal dazu entschlossen haben, wirklich aufs Ganze zu gehen, wirklich nach der vollkommenen Wahrheit zu streben, wenn wir in unserem tiefsten Inneren davon angezogen werden und sagen: ‚Ich will nichts anderes. Ich möchte nur ans Ziel gelangen’“, dann gibt es auf dem Weg viele Wesen, die bereitstehen, „aber sie tun es nur, wenn wir es wollen. Unser Streben ruft ihre Hilfe hervor“ (58f).

Für eine ganz wichtige Voraussetzung halte ich die Unzufriedenheit mit dem eigenen Zustand. Dieser Zustand ist begründet in der Tatsache des Ich-Seins mit seinen Begleiterscheinungen der Ängste, des Verlangens, der Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit, den Wünschen, Hoffnungen und Erwartungen ans Leben. Und natürlich die Erfahrung, die sich im Laufe des Lebens einstellt, dass alle diese Wünsche nicht in Erfüllung gehen und man begreift, dass man schlichtweg an der falschen Stelle gesucht hat. Das halte ich für den Weg, der wohl von den meisten gegangen wird.

Natürlich können auch tiefe Erschütterungen wie z. B. der Tod eines geliebten Menschen, das völlig überraschende Ereiltwerden von einer Depression oder Psychose oder das Abgleiten in eine Sucht Anlass dafür sein, nach etwas Ausschau zu halten, was nicht in dieser Welt zu finden ist. Ganz grundsätzlich kann die Begegnung mit dem Leid der Welt – wie es bei Buddha der Fall war - und die Frage nach dem Sinn dieses Leidens und des Lebens Anlass dafür sein, sich auf die spirituelle Suche zu machen.

Bei Shankara (Sh 75) wird „die Fähigkeit, das intellektuelle, analytische, zweckorientierte Denken dann einzustellen, wenn wir es nicht brauchen“ als Voraussetzung angesehen. Wer aber das kann, ist bereits erleuchtet. Diese Fähigkeit schreibt sich U. G. Krishnamurti zu, nachdem er längst seine Kalamität hinter sich gelassen hatte.

Dass sich das Denken beruhigt ist eine Frucht und keine Voraussetzung. Voraussetzung ist das, was einer mitbringen muss. Wenn einer die Erleuchtung schon mitbringt, braucht er nicht mehr danach streben!

Bei Hui-neng wird ein „reiner Geist“ als Voraussetzung genannt, ein reiner Geist, „frei von Verblendung, Vorstellungen und Begriffen“ (Hui 21). Auch das kann unmöglich als Voraussetzung angesehen werden, denn das ist die Vollendung! Verblendung ist der von Hui-neng am häufigsten gebrauchte Begriff für die Befindlichkeit im Ich. Die Verblendung verschwindet mit dem Begreifen seines Ich-Seins, und das ist der Beginn der Transformation! „Das Wesen der Erleuchtung ist der eigene Geist, frei von Verblendung“ (Hui 23), also kann „frei von Verblendung“ nicht die Voraussetzung sein, da es ja das Wesen der Erleuchtung ist.

Wenn aber von Hui-neng gesagt wird, dass er ein „reiner und lauterer Mensch war … obwohl er die Lehre noch nicht vernommen hatte“ (23), dann würde ich das als „reinen Geist“ ansehen, wie er wohl schon eine Voraussetzung ist. Einen reinen und lauteren Geist würde ich verstehen als Ehrlichkeit sich selbst und anderen gegenüber, als Entschlossenheit, seine eigenen Schliche und Tricks aufzudecken. Sich nicht selber zu bemogeln und seine Schwächen und Fehler schön zu reden und mit tausend Ausreden zu entschuldigen und zu rechtfertigen – das halte ich durchaus für eine Voraussetzung.

Insgesamt würde ich die Entschlossenheit als eine ganz wichtige Voraussetzung ansehen. Da gibt es die Zen-Geschichte von dem Schüler, der von einem Meister – ich glaube Bodhidharma – aufgenommen werden möchte, aber der Meister weist ihn ab, weil er glaubt, dass seine Entschlossenheit nicht groß genug ist. Da trennt sich der Schüler mit dem Schwert den Arm ab und überreicht ihn dem Meister. Daraufhin nimmt der ihn als Schüler an. Das zeigt, welche Entschlossenheit notwendig ist, aber es muss klar sein, dass nicht sie es ist, die die Erleuchtung herbei führt, sondern nur eine unerlässliche Voraussetzung, wenn man bewusst diesen Weg gewählt hat.

Auch ein erschütterndes Ereignis kann einen Menschen, der bisher eine tadelnswerte und unmoralische Lebensauffassung hatte, zu einem neuen Menschen machen, wie es von einem Mörder berichtet wird, der durch seine Tat so eine tiefe Erschütterung erfahren hat, dass aus ihm ein völlig anderer Mensch geworden ist.

Eine äußerst kritische Einstellung sich selbst gegenüber halte ich für eine absolut notwendige Voraussetzung. Hannah Arendt sagt, dass jeder Mensch mit einem Vorurteil sich selbst gegenüber geboren wird. Das ist genau das, was Erbsünde ausdrücken will: Jeder ist sich zunächst einmal der Nächste. Und nur ein äußerst kritisches Hinterfragen des eigenen Denkens, Redens und Handelns kann das aufdecken. So sehr wir von der Gleichheit aller Menschen überzeugt sind und sie im Munde führen – wenn die eigene Existenz in Frage steht, gibt es nur ganz wenige, die dem anderen gleiches Recht und gleichen Anspruch zugestehen wie sich selbst. Nur eine absolut kritische Haltung sich selbst gegenüber deckt den eigenen Egoismus auf, den wir gerne verleugnen. Da lese ich gerade bei Helmut Schmidt, der in jedem Interview seine Zigaretten raucht, wie sehr er sich für die Achtung des Andersdenkenden engagiert. „Ich achte und respektiere dein Gewissen, deine Grundwerte, weil ich deine Menschenwürde genau so hoch schätze wie meine eigene“ (105) – und qualmt in Gegenwart des (von mir erfundenen) nichtrauchenden Gesprächspartners vor sich hin. Jährlich sterben in Deutschland 3000 Menschen durch Passivrauchen! Um seiner Leidenschaft zu frönen, setzt Helmut Schmidt das Leben des anderen aufs Spiel. Welches Wohlergehen ist ihm also wichtiger: sein eigenes oder das des anderen? Das ist dann Achtung der Würde des anderen! Hierin zeigt sich, dass selbst ein hochintelligenter Mensch das Vorurteil für sich selbst nicht durchschaut. Nur eine äußerst kritische Haltung sich selbst gegenüber kann das aufdecken.

Wenn Meister Rinzai sagt: „Die Krankheit der Übenden von heutzutage liegt darin begründet, dass sie kein Vertrauen in sich selbst haben“ (Hui 210), dann dürfte darin auch eine Voraussetzung zu sehen sein. Für mich war das Vertrauen in Gott – und nur so kann Rinzai verstanden werden – die unabdingbare Voraussetzung für das Durchstehen meiner dunkelsten Nacht. Vertrauen in sich haben kann nur heißen, Vertrauen in den haben, der ich auch bin, der mir aber nicht zugänglich ist – der ich jenseits des Ichs bin. Ich sage als religiöser Mensch dazu Gott. Weil dieses Vertrauen in sich selbst fehlt, „packt man seine Sachen und macht sich auf den Weg, … interessiert sich für Zen, Tao, Mysterien und Erleuchtung, wendet sich an Buddhas, Meister und Lehrer. Man glaubt sich auf der Suche nach dem Absoluten und macht daraus seine Religion. … Man erschöpft sich nur – für nichts und wieder nichts“ (Zen-Meister Foyan, zit. nach Kornf., Wäsche 124).

Als vielleicht wichtigste Voraussetzung muss Ausdauer, Zähigkeit und Geduld angesehen werden. Wer sie nicht hat? Der wird sie in diesem – oder einem nächsten - Leben lernen müssen, denn bei nichts, was jemand anpackt, gibt es Fortschritte, wenn man gleich aufgibt, wenn etwas nicht so läuft, wie man es sich vorgestellt hat. Auf dem spirituellen Weg schon gleich gar nicht. Nur mit Zähigkeit, Ausdauer und großer Geduld mit sich selbst können die Schwierigkeiten gemeistert und das Scheitern durchgestanden werden.

3

Grundlegende Fragen spiritueller Sucher

Подняться наверх