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Warum so wenige Sucher Erleuchtung finden
ОглавлениеEs scheint gar nicht so wenig Menschen zu geben, die spirituell auf der Suche sind. Wahrscheinlich haben viele von ihnen mehr spirituelle Literatur gelesen als ich, sind in Indien gewesen und haben in Ashrams gelebt, haben jahrelang Meditationsübungen in den verschiedensten Formen gemacht und haben immer noch nicht das erreicht, was man mit Befreiung, Erwachen oder Erleuchtung bezeichnet, sondern sind vielleicht allmählich ratlos geworden.
Natürlich ist schwer abzuschätzen, wie viele von denen, die sich je auf die Suche gemacht haben, wirklich von sich sagen können, dass sie das Ziel erreicht haben. Wenn ich von den Schätzungen McKennas ausgehe, dann kommt auf 100 Millionen einer, d. h. weltweit eine Handvoll, sicher außerordentlich wenig im Vergleich zu der Zahl, die nach Erleuchtung streben. Warum ist das so? Warum gelingt es so wenigen, trotz jahrelangen Bemühens, Erleuchtung zu finden?
Das hat einen ganz klaren Grund: Er liegt in der Struktur unseres Ich-Seins. Ich möchte hier nicht die gesamte Bandbreite der Ich-Struktur aufzeigen - das habe ich schon in verschiedenen Schriften ausführlich dargelegt (z. B. in „Sackgasse ‚Ich’“ oder „Der ganz normale Wahnsinn eines Lebens in der Ego-Haltung“) -, sondern mich auf die Aspekte beschränken, die der spirituellen Suche im Wege sind.
Ich denke, dass ein spiritueller Sucher vorwiegend zu dem Teil der Menschheit zu rechnen ist, der mit seinem Ich Probleme hat, d. h. der immer schon das Gefühl hatte, dass das Problem des Menschseins ein Problem des Ich-Seins ist. Ich habe diese Gruppe als Menschen mit einem gebrochenen Ich bezeichnet, im Gegensatz zu denen, die ihr Ich fraglos leben, also ein ungebrochenes Verhältnis zu ihrem Ich haben und nur durch den Zusammenstoß mit anderen ungebro- chenen Ichs in Konflikt geraten.
Ein Mensch in der gebrochenen Ich-Struktur hat in der Regel das Empfinden, in sich eingeschlossen zu sein, er fühlt sich eingeengt in sich selber und will aus diesem Gefängnis ausbrechen. Alle Religionen und spirituellen Richtungen fordern dazu auf und legen Zeugnis davon ab, dass es möglich ist, dieses Gefängnis zu sprengen und sich daraus zu befreien. Es geht um die Große Befreiung aus dem Kerker des eigenen Ichs.
Und da gibt es viele Anleitungen, wie es zu bewerkstelligen ist, sich aus diesem Kerker zu befreien: durch Meditationsübungen, durch Konzentrationsübungen, durch Atemübungen, durch Yogapraktiken aller Art usw. Nun stellen viele fest, dass sie trotz jahrelangen Übens und trotz vieler befreiender und mystischer Erfahrungen es aber immer noch nicht geschafft haben, wirklich befreit zu sein.
Der Grund liegt in einem ganz einfachen Vorgang: Es ist immer ein Ich, das sich befreien, das Erleuchtung finden will, das mystische Erlebnisse sucht, den Sinn seines Lebens, die Einswerdung mit dem universalen Urgrund oder wie auch immer man das beschreiben will. Und genau dieses Ich, das sucht, verhindert, dass gefunden wird. Wer nach Erleuchtung sucht, „möchte aus einem Loch herauskommen, in dem er nie war – vielmehr ist dieses Bemühen selbst das Loch (Balsekar, Kein Weg, ... S. 182). Ich sage es etwas freundlicher und damit vielleicht annehmbarer: Man muss unendlich mit sich ringen, um zu erkennen, dass es nichts zu erringen gibt.
Im Grunde genommen gibt es nämlich gar nichts zu suchen und es gibt nichts zu finden; es ist nichts verloren gegangen, es ist immer schon da. Nur das suchende Ich ist getrennt von dem, was es sucht und was immer schon ist. Darin liegt das Dilemma und die Tragik. Denn ein Suchender ist immer geneigt zu fragen, was er denn tun muss, um zu finden, und die Antwort ist ganz einfach: Gar nichts, denn es gibt nichts zu suchen und zu finden, du brauchst nur der zu sein, der du bist. Und dann kommt die unvermeidliche Frage: „Wie mache ich das, der zu sein, der ich immer schon bin?“ Und dann zeigt sich das unlösbare Problem, denn der, der sucht, kann nichts dazu tun, der zu sein, der er im Grunde immer schon ist. Darin besteht das absolute Dilemma, aus dem es kein Entrinnen gibt. Der Mensch in der Situation des Ich-Seins kann zwar erkennen, dass er das Ich transzendieren muss, er hat aber keine Möglichkeit, dies von seinem Ich her zu bewerkstelligen. Und jeder Versuch, durch Übungen, Meditation, Yoga und alle anderen Methoden sich zu befreien, ist zum Scheitern verurteilt, weil immer der die Übungen macht, von dem er sich befreien müsste. Mir ist als junger Mensch immer schon klar gewesen, dass bei jeder Meditation ständig einer über die Ausführung der Meditation wacht, dass einer da ist, der mich zur Konzentration antreibt, und dass dieser Aufpasser genau der ist, der außerhalb des Vorganges bleibt, weshalb es nie zu einer vollkommenen Meditation oder Konzentration kommen konnte, denn ein Splitter des Geistes stand immer außerhalb. Und der ist es, den ich heute als Ich bezeichne, der die Fäden immer in der Hand halten will, der mich antreibt, Erleuchtung zu finden und der der Grund ist, dass sie nicht gefunden wird. Denn Erleuchtung setzt die Überwindung der Spaltung voraus – davon wird noch die Rede sein –, aber diese Spaltung ist die grundlegende Struktur des Ichs, ist der Mensch in seiner Gegebenheit.