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II. Allgemeines

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Eigentlich ist es verwunderlich, dass der moderne Mensch von so vielen Ängsten geplagt ist. Denn er hat geglaubt, die Ängste durch die Naturwissenschaft gebannt zu haben. Die Erklärungen der Naturwissenschaft haben dem Menschen die Ängste früherer Generationen genommen: Die Angst vor Blitz, Donner und Dämonen. Bis vor kurzem haben die meisten geglaubt, dass die Naturwissenschaft uns auch die Angst vor den Naturgewalten genommen hat, vor dem Meer durch den Bau gewaltiger Schiffe und hoher Deiche und vor Erdbeben und Stürmen durch sichere Häuser. Mir scheint, die Tsunami-Katastrophe, bei der 230 000 Menschen ums Leben gekommen sind, hat bei vielen Menschen diesen Glauben erschüttert. Die Wissenschaft galt als die Heilbringerin des rationalen Menschen, der nicht mehr an Gott glaubte. Nimmt der Gläubige vor seinen Ängsten bei Gott seine Zuflucht, so tut es der moderne atheistisch geprägte Mensch bei der Naturwissenschaft. Viele neue Bedrohungen und Ängste sind aber erst durch die Naturwissenschaft entstanden: die Bedrohung durch die Atombombe, die Bedrohung durch Gen-Manipulationen, durch die Klimaveränderung etc.

Eigentlich sollte durch die Naturwissenschaft die große Befreiung über den Menschen kommen, dabei ist er in neue Abhängigkeiten geraten. Man wagt es nicht mehr, Entscheidungen zu treffen, ohne dass sie wissenschaftlich abgesichert sind. Es muss erst eindeutig der wissenschaftliche Beweis erbracht sein – was viele Jahre dauern kann –, bevor man es wagt, eine Entscheidung zu treffen.

Wir sind abhängig geworden von Experten: Eltern, die ihre Kinder richtig erziehen wollen, wagen dies nicht, ohne sich Rat von Experten zu holen, sie haben Angst, ohne diesem Fachwissen falsch zu handeln. Wer sich richtig ernähren will, wer richtig Sport oder Fitness betreiben will, zieht Experten zu Rate; wir wagen es nicht mehr, uns auf unseren gesunden Menschenverstand zu verlassen. Die Angst und das Misstrauen sind so groß, dass wir nur, wenn es wissenschaftlich abgesichert ist, eine Entscheidung zu treffen wagen. Lange Zeit war ungewiss, ob gewaltverherrlichende Videospiele dem jungen Menschen wirklich psychischen Schaden zufügen können und dementsprechend war auch das Verhalten von Eltern und Erziehern unsicher; sie wussten nicht, wie sie sich verhalten sollten. Jetzt haben Studien eindeutig den Zusammenhang belegt. Wir haben grundsätzlich Angst vor Entscheidungen, aus Furcht, die falsche zu treffen. Wir haben kein Vertrauen in uns selbst, weil wir den Bezug zu uns selbst verloren haben, wir erwarten von außen, dass uns jemand sagt, wie wir uns verhalten sollen. Im Grunde haben wir Angst vor dem Leben, Angst davor, Entscheidungen zu treffen. Denn Entscheidungen können immer auch falsch sein, und davor haben wir Angst. Dass es nicht weniger falsch ist, sich der Entscheidungen zu enthalten - denn keine Entscheidung ist auch eine Entscheidung -, ist uns dabei kaum bewusst.

Die Unterscheidung zwischen Angst und Furcht ist sinnvoll, wenn man Angst als irrationale Größe ansieht und bei Furcht einen konkreten Grund angeben kann. Der Mensch versucht Angst in Furcht umzuwandeln, da er dann besser damit umgehen kann. Angst wird rationalisiert: So ist es leichter, mit der Angst vor einer Prüfung umzugehen als mit der Angst zu versagen. Mir scheint aber, dass die konkreten Anlässe für Ängste nur die Auslöser für viel tiefere Ängste sind. Am deutlichsten wurde mir das bei der Angst vor BSE. Die tatsächliche Gefährdung für den einzelnen stand in keinem Verhältnis zu den fast panischen Ängsten, durch den Verzehr von Rindfleisch zu erkranken. Ich kann es nicht anders sehen denn als Ausdruck einer ständig im Hintergrund lauernden Angst, die nur einen geringen Anlass braucht, um zu Tage zu treten.

Ängste sind so lange mächtig, solange ich mich ihnen nicht stelle. Ich muss fragen: Wovor habe ich eigentlich angst, wenn ich z. B. einen Vortrag halten oder Klavier vorspielen soll? Gut, ich habe Angst davor, dass ich beim Vortrag oder Klavierspiel stecken bleibe, nicht mehr weiterweiß, dass alles wie weggewischt ist, mein Geist leer ist. Welche Folgen habe ich zu fürchten? Ich fühle mich blamiert, weil ich das nicht leisten konnte, was man von mir erwartet hat. Ich wollte also die Erwartung der anderen zufrieden stellen. Warum? Weil ich glänzen wollte, weil ich zeigen wollte, wie gut ich etwas kann, d. h. der Blick war auf mich gerichtet, ich wollte im Mittelpunkt stehen, um anerkannt und gelobt zu werden. Wäre es mir darum gegangen, die Menschen durch meinen Vortrag oder Vorspiel zu erfreuen, wäre mein Blick auf die anderen gerichtet gewesen, dann wäre die Angst geringer und dadurch die Leistung größer. Denn man kann es ja, nur durch die Angst vor Versagen leistet man viel weniger als man tatsächlich kann.

Angst ist eine dem Menschsein zugrundeliegende Qualität. Sie hat ihren Ursprung in der Ungesichertheit des Daseins. Der Mensch hat Angst um den Bestand seiner Existenz, seines Seins, d. h. er fühlt sich in seinem Sein bedroht. Diese Bedrohung geht von der Realität aus, insbesondere von der Realität des anderen Menschen. Daher flüchten sich viele in die Phantasie. In der Phantasie bin ich Herrscher und Beherrscher. Ich verfüge über Omnipotenz. Das ist bei R. D. Laing nachzulesen ( Das geteilte Selbst S. 82). Allmächtig zu sein, alles beherrschen und kontrollieren zu können, ist der geheime Wunsch des Ichs. Das kann man aber nur in der Phantasie. Deshalb flüchten sich so viele – besonders Jugendliche – in die Phantasiewelt der Computerspiele, wo sie die Möglichkeit haben, diese Omnipotenzphantasien auszuleben. Gerade angesichts einer Welt, die immer anonymer, undurchschaubarer und komplexer wird, hat die Einfachheit – Primitivität – einer Welt, in der ich das Sagen habe und in der es von mir abhängt, wie sie läuft, starke Anziehungskraft. Moralisches Verhalten, das immer Kampf und Einsatz des ganzen Menschen verlangt, ist nicht erforderlich: Dass ich jemanden verletze oder gar töte, hat keine Konsequenzen, auch Fehler haben lediglich einen Punktverlust, aber keine existentiellen Konsequenzen zur Folge. Ich kann angstfrei agieren, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Ganz anders im konkreten Leben: Es wird moralisches Verhalten gefordert, das so schwer zu leisten ist, Fehlverhalten wird geahndet, so dass in jedem Verhalten die Angst im Hintergrund lauert, etwas falsch zu machen. Viele flüchten sich in eine Phantasiewelt, sei es in die virtuelle Welt des Computers oder die geistige in Schizophrenie oder Autismus. Und so entsteht ein Teufelskreis: Je mehr sich einer in seine Phantasiewelt einschließt, um so weniger fähig wird er, die Realität, die ihm seine Begrenztheit zeigen würde und moralische Anstrengung verlangt, auszuhalten.

Angst bewältigen - aus spiritueller Sicht

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