Читать книгу Die große Ratlosigkeit - Anton Weiß - Страница 4
Teil I: Fakten, die zur Ratlosigkeit beitragen
ОглавлениеSehr gut kommt die Ratlosigkeit in einem Leserbrief in der SZ vom 8./9.2.14 zum Ausdruck, der im Zusammenhang mit einer Forderung sowohl von Bundespräsident Gauck als auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel geschrieben wurde. Sie äußerten im Februar 2014 die Ansicht, dass sich die Bundesrepublik militärisch mehr engagieren müsse:
„Ich habe mich wohl grundsätzlich geirrt: Nach dem Krieg 1946 geboren, mit den Folgen des Krieges fertig geworden, das wunderbare Grundgesetz kennengelernt, auch die negativen Veränderungen daran bis heute, von Deutschland soll nie wieder Krieg ausgehen, erhebliche Vorwürfe gegen die Elterngeneration, nicht aufmerksam gewesen zu sein, Deutschland wird nun überall verteidigt, auch durch Wirtschaftskriege, Abschaffung der Wehrpflicht, Deutschland ist wieder wer, wir sind stark und müssen uns einmischen, Berufssoldaten, die auf Aufgaben warten, bald Militärparaden als Ausdruck von Stärke, Kriegshelden als Vorbilder, Beförderung von Soldaten als Helden, deren Fehler zu vielen unschuldigen Opfern führten, die Polizei will ja nicht hintanstehen, Polizeikontrollen zu jeder Zeit an jeder Stelle (Hamburgs Gefahrengebiete), Polizeibeamte, die es dort manchmal mit der Wahrheit nicht genau nehmen, die es nicht erdulden können, wenn ein Demonstrationszug mit mehreren Tausend Teilnehmern sich irrtümlich zwei Minuten zu früh in Bewegung setzt, Parlamentarier, die nicht wissen, was sie gerade entschieden haben, Parlamentarier, die es zulassen, dass ihnen Rechte genommen werden, eine Demokratie, die in alternativlosem Zwang zum Handeln erstickt, sich anschickt, sich durch Freihandelsabkommen und Ähnliches gänzlich überflüssig zu machen… Was habe ich mich bloß mein ganzes Leben lang geirrt. Wohin führt diese Entwicklung? Welche Vorwürfe machen uns nachfolgende Generationen? Fragen über Fragen! Antworten? (Gerd Kirschenmann, Hamburg).
Worin hat Kirschenmann sich ein Leben lang geirrt? Ich glaube, dass ich nicht fehl gehe mit der Annahme, dass er geglaubt hat, in einem Staat zu leben, der ehrlich bemüht ist, den Menschen ein größtmögliches Maß an Entfaltungsfreiheit zuzugestehen, der Verantwortung trägt für das Wohl seiner Bürger und alles tut, „um Schaden von ihnen abzuwenden“ (Eid des Bundeskanzlers bei Amtsantritt). Ein Staat, dem es vorrangig darum geht, den Bürgern Sicherheit und Freiheit zu garantieren, von dessen Boden nie wieder Krieg ausgehen sollte.
In all dem sieht sich Kirschenmann getäuscht, letztlich steht alles nur auf dem Papier und die konkrete Politik richtet sich nach Erwägungen, die viel mehr die internationalen Interessen im Blick haben als die der eigenen Bürger.
Das wird jetzt gut sichtbar im Fall Snowden, der vor einem deutschen Untersuchungsausschuss zur NSA-Affäre aussagen soll, wobei er fürchten muss, dass er von der Bundesrepublik an die USA ausgeliefert wird, wenn von dort ein Auslieferungsantrag gestellt wird, da er für Amerika ein Verräter und Staatsfeind ist. Sein Verbrechen: Er hat die unglaublichen Überwachungspraktiken der USA, die alle bisherigen Vorstellungen gesprengt haben, aufgedeckt. Deutschland verweigert ihm Asyl aus Rücksicht auf die USA, d. h. internationale Interessen gehen vor Recht und Gerechtigkeit.
Anstatt dass ein Aufschrei von der deutschen Regierung zu hören wäre angesichts der Ungeheuerlichkeit, dass die USA befreundete Staaten und deren oberste Repräsentanten abhören, dass Maßnahmen ergriffen würden, um die eigene Bevölkerung vor derartigen Eingriffen in die Privatsphäre zu schützen, verhält sich die Politik unverständlich ruhig und zurückhaltend.
Kein Wunder, dass ein solches Verhalten das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung erschüttert.
Ich möchte im weiteren Verlauf dieses ersten Teils an Hand von exemplarischen Beispielen aufzeigen, welche Erscheinungen in der heutigen Zeit im Wirtschaftsleben, im gesellschaftlichen und sozialen Zusammenleben und im moralischen und zwischenmenschlichen Bereich dazu angetan sind, Ratlosigkeit und Verunsicherung sowohl in Deutschland als auch in anderen Ländern auszulösen.