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Das Ich als Sündenfall und Erbsünde

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Der Kernsatz des Sündenfalls lautet: Sie wollten sein wie Gott. Es ist das Ich, das sein will wie Gott: autonom, frei, selbständig und unabhängig. Es glaubt, sein Leben nach seinen Wünschen, seinem Wollen und seinen Vorstellungen gestalten zu können. Der Titel von Schopenhauers Hauptwerk trifft es genau: „Die Welt als Wille und Vorstellung“. Das ist der Mensch in seinem Ich, der glaubt, die Welt und das Leben nach seinen Vorstellungen lenken und managen zu können. Schön kommt diese Haltung in dem bekannten Ausspruch „l’état – ce moi“ oder in der gut bayerischen Version „Mia san mia“ zum Ausdruck.

Es ist gar nicht leicht, jemandem nahe zu bringen, was mit Ich gemeint ist, denn es geht weit über das hinaus, was mit der lateinischen Bezeichnung „ego“ in Verbindung gebracht wird wie egoistisch, Egoismus. Der Mensch bewegt sich in seinem Ich wie der Fisch im Wasser, d. h. es ist für ihn die einzig legitime Weise zu sein und er kann gar nicht sehen, dass daran etwas falsch sein könnte. Der Mensch als Ich ist der, der seine Welt mit seinem Verstand und seinem Willen gestaltet. Er steht in seiner Welt und macht für sich das beste daraus. Alles, was er anpackt, soll ihm helfen, sein Leben nach seinen Wünschen und Vorstellungen zu gestalten, so dass er ein glückliches Leben führen kann. Es war für mich eine erschütternde Erkenntnis als ich begriff, dass das Ich das ist, was mich ausmacht, was ich bin, worin mein Selbstverständnis liegt, was mein Leben ist. Man könnte das Ich als Splitter des einen Geistes ansehen, so wie eine Welle als Splitter des Ozeans erscheint, der sich nicht nur selber denkt, sondern sich eine eigenständige Existenz aneignet und damit abtrennt von der Gesamtheit, zu der er gehört, wie wenn sich die Welle vom Ozean abtrennen und sich als eigenständige und besondere (das Wort enthält ja ab-sondern) Existenz erleben würde, und zwar unabhängig vom Ozean. Oder vergleichbar einem Menschen, der in den Spiegel schaut und sich nun das Spiegelbild anmaßen würde, eine eigenständige Existenz zu besitzen. Jeder Vergleich hinkt und man kann sagen, dass man ja nur beiseite zu treten braucht und dann muss dem Spiegelbild klar sein, dass sein Selbstsein eine Illusion ist. Aber im Falle des Menschen schaut Gott eben sehr lange in den Spiegel, deshalb heißt es ja in der Bibel, dass der Mensch Ebenbild Gottes (Genesis 1,26) ist. Um es etwas poetisch auszudrücken: Wendet sich Gott ab, ist das das Ende allen Seins; alles Leben und auch der Mensch hat kein von Gott unabhängiges Dasein; der Mensch und die Welt existieren nur, weil Gott in den Spiegel schaut!

Es bedarf schon einer erheblichen kritischen Distanz mir selber gegenüber, um zu erkennen, dass ich gemeint bin, wenn von Ich die Rede ist: nämlich genau ich hier als Schreibender und Sie als Leser. Dass ich gemeint bin mit meinem ganz selbstverständlichen Denken und Wollen, meinen Plänen, Hoffnungen und Wünschen, wie sie eben jeder so hat. Wenn Sie wirklich begriffen haben, was mit Ich gemeint ist und Sie ein einigermaßen vernünftiger Leser sind, dann müssen Sie glauben, dass ich nicht alle Tassen im Schrank habe. Das Dasein als Ich ist für die meisten das Selbstverständlichste von der Welt. Es ist doch klar, dass es um mich geht, dass ich mir der nächste bin und für mich in erster Linie Sorge trage und alles tue, dass es mir gut geht. Deshalb ist man doch kein böser Mensch und kann auch bemüht sein, an andere zu denken! Es ist für einen normalen, gebildeten, intelligenten Menschen weder zu glauben noch nachzuvollziehen, dass genau an dem, wie er sein Leben gestaltet, mit seinem Verstand, seinem Können und seinen Fähigkeiten, etwas nicht richtig sein soll. Aber genau das ist gemeint! Nachdenklich könnten Sie erst werden, wenn Ihnen dämmert, dass Sie ja bisher mit den genannten Fähigkeiten eben nicht das Leben so gemeistert haben, wie Sie es wollten: Sie haben nicht die Frau gefunden, die Sie sich vorgestellt haben – bei Blind-Date-Treffen wählt ein Mann häufig eine Frau, die gerade nicht seinen vorher genannten Vorstellungen entspricht! -, Sie üben nicht den Beruf aus, von dem Sie geträumt haben, Ihre Kinder haben sich nicht so entwickelt, wie sie es erhofft haben usw. Erst wenn Sie das nachdenklich macht, begreifen Sie, dass das Leben bei den meisten mehr oder weniger anders verläuft, als sie es sich vorgestellt und vorgenommen haben. Wir sind nur zu wenig gründlich, wischen es beiseite, orientieren uns neu und wissen oft gar nicht mehr, unter welchen Voraussetzungen wir ursprünglich angetreten sind. Es würde uns nämlich zeigen, wie wenig es nach unserem Willen, unseren Wünschen, Hoffnungen und Erwartungen im Leben geht, und das wäre eine ziemliche Kränkung; so ziehen wir es vor, nachträglich die Dinge gewollt zu haben, die uns aufgedrängt worden sind. Treffend formuliert es Eugen Roth: „Ein Mensch erhofft sich fromm und still, dass er einst das kriegt, was er will. Bis er dann doch dem Wahn erliegt und schließlich das will, was er kriegt.“

Man glaubt, sein Leben und auch das Leben der Natur – Tiere, Meere, Flüsse, Wälder – nach seinen Vorstellungen gestalten zu können, Dabei muss gar nicht immer böser Wille am Werk sein. Da das Ich aber immer nur sich und seine Interessen im Auge hat, also alles herbei wünscht, was ihm nützt und alles zu beseitigen sucht, was ihm schadet, gerät es immer wieder in die Situation, die Folgen seines aus seiner einseitigen Sicht erfolgenden Handelns nicht genügend bedacht zu haben. Die einseitige Sicht besteht in zweifacher Hinsicht: Erstens, weil das Ich immer auf seinen Vorteil bedacht ist, und sei er noch so subtil – z. B. unter dem Deckmantel von Hilfsbereitschaft und Nächstenliebe. Es bewertet positiv, was ihm nützt und negativ, was ihm schädlich erscheint. Zweitens, weil es nur gelten lässt, was es mit seinem Verstand, seiner Ratio, begreifen kann und alles andere beiseite schiebt, wie z. B. parapsychologische Phänomene.

Häufig ergeben sich schwere Folgeschäden lediglich daraus, dass der Mensch in seinem Denken ohne böse sein zu wollen einfach interessen- und ichgeleitet ist und damit nur auf seinen Vorteil achtet und dabei übersieht, welche Nachteile sein Handeln im Gefolge hat. Dass durch dieses interessengeleitete Denken immer wieder die Zusammenhänge nicht gesehen werden, möchte ich an einem kleinen Beispiel verdeutlichen: Es gibt eine EU-Verordnung, nach der kein Aas liegen bleiben darf. Jäger sind verpflichtet, alles Aas zu beseitigen. Das hat sehr einleuchtende hygienische Gründe. Seuchen wie Milzbrand und Maul- und Klauenseuche werden auf herumliegendes Aas zurückgeführt. Was aber nicht gesehen wird ist, dass sich viele Tiere von Aas ernähren. Durch diese scheinbar sinnvolle Verordnung sind viele Geierarten – in Spanien leben weit über 20 000 Paare – oder Bären nach dem Winter ernsthaft in ihrem Bestand bedroht. Dieses Verhalten des Menschen zeigt ein ganz typisches ichhaftes Denken: Der Mensch hat nur seinen Vorteil im Blick, in diesem Fall seine Gesundheit; das macht es ihm unmöglich, den Gesamtzusammenhang zu sehen. Von viel weittragenderer Bedeutung ist das Leerfischen der Meere: Weil es den Produzenten um ihren Vorteil – den Gewinn - geht, werden die Folgen überhaupt nicht bedacht. Es wird überhaupt nicht gesehen, dass durch die modernen technischen Fähigkeiten wie Schleppnetze und hundert Kilometer lange Fangleinen die Natur zerstört wird. Ebenso führt das Abholzen der Regenwälder heute zur Katastrophe, was in früheren Zeiten wegen der geringeren technischen Möglichkeiten nicht der Fall war. Der Mensch hat sich nicht geändert! Die südlichen Länder wie Griechenland, Italien usw. waren früher voll bewaldet und sind heute durch Jahrhunderte langen Raubbau weitgehend kahl.

Immer schon haben gottesfürchtige Menschen davor gewarnt, die Grenzen, die dem Menschen gesetzt sind, zu überschreiten: Noah – die Sintflut (Gen 6-9) - und Lot – Vernichtung Sodom und Gomorras (Gen 19) - sind die herausragenden biblischen Beispiele. Und immer wurde ihre Warnung von den Menschen in den Wind geschlagen, bis heute. Immer haben sich die Menschen angemaßt, die Dinge in den Griff zu bekommen und haben die Warner verlacht, die ja letztlich immer unrecht behalten haben, denn die Menschheit existierte weiter. Ein schönes Beispiel für diese Situation ist B. Brechts Gedicht vom „Schneider von Ulm“. Der Bischof hat davor gewarnt, dass der Mensch seine gottgegebene Natur überschreite mit dem Satz: „Der Mensch wird nie fliegen“. Prompt stürzte der Schneider in die Donau und gab scheinbar dem Bischof recht. Aber aus heutiger Sicht hat der hybride Mensch doch recht behalten und fliegt, nicht nur um die Erde, sondern sogar in den Weltraum. Und dennoch: Noch nie war die Erde durch das Tun des Menschen mehr bedroht als heute. Es braucht gar kein Eingreifen Gottes, um die Menschen wachzurütteln in ihrem vermessenen Tun – der Mensch schafft es ganz alleine, sich zugrunde zu richten. Und es ist die Folge seines Seinwollens wie Gott, seiner Arroganz den Mitgeschöpfen gegenüber, seiner Haltung, nichts anderes über sich anzuerkennen als seinen eigenen Willen. Die Folge ist die Zerstörung seiner eigenen Lebensgrundlage!

Das Ich setzt sich über die in der Natur grundgelegten Gesetze hinweg. Darin besteht seine angemaßte Autonomie. Das Ich befreit sich von Gott und setzt sich selbst als Gott. Genau diese Haltung wird in der Aufklärung proklamiert. Feuerbach verlangt in seinem Werk „Das Wesen des Christentums“, dass der Mensch erkennt, dass er das selber ist, was er bisher auf Gott projiziert hat: Unendlichkeit, Allmacht, Ewigkeit. Das ist nach Feuerbach der Mensch in seinem Wesen selbst. Die paradoxe Situation besteht darin, dass das gleiche in der spirituellen Literatur vom Menschen ausgesagt wird, und dass doch beides grundverschieden ist: Feuerbach meint mit dem Wesen des Menschen das Ich, in der spirituellen Sicht ist es die Dimension des Göttlichen, die im Menschen gegenwärtig ist, was aber, um sie zu erleben, die Transzendierung des Ichs voraussetzt.

Man sieht, wie schwierig es ist, sich zu verständigen, weil gleiche Begriffe nicht das gleiche bedeuten. Den entscheidenden Hinweis darauf, dass Feuerbach wirklich dem Ich des Menschen göttliche Attribute zuspricht, sehe ich in seiner Aussage über den Geist: Für ihn ist Geist nichts anderes, als die Gehirnfunktion des Menschen. Wörtlich heißt es auf S. 83: „Der Begriff des Geistes ist lediglich der Begriff des Denkens, der Erkenntnis, des Verstandes, jeder andere Geist ist ein Gespenst der Phantasie.“ Damit ist für mich alles klar. So wird der Mensch – das Ich des Menschen mit Verstand und Willen – an die Stelle Gottes gesetzt, er erhält die Eigenschaften Gottes.

Im Ich geht die unmittelbare Beziehung zur Wirklichkeit verloren, denn man ist nicht mehr Teil der Welt, sondern hat sie als Objekt. Man ist selbst das Subjekt, das alles andere – die Welt, die Natur, den anderen Menschen und sogar sich selbst – als Objekt hat. Man hat die Welt als Gegenstand und ist nicht mehr Teil dieser Welt, zu der man gehört. Damit ist der Mensch gespalten und hat seine Welt nur im Denken und nicht mehr als Wirklichkeit. Darin liegt der Kern des Sündenfalls: Nicht mehr im Einklang mit der Welt zu leben, sondern sie sich gegenüber zu haben als Objekt. Das hat den Vorteil der Beherrschung, aber den Nachteil der Getrenntheit. Der unmittelbare Zugang zur Welt ist einem verwehrt; die Welt wird einem nur mehr durch das eigene Denken vermittelt. Dieser Zustand ist nicht rückgängig zu machen. Der Mensch ist ausweglos in sein Denken eingesperrt.

Luzifer heißt Lichtträger; es ist das Licht des Verstandes, mit dessen Hilfe der Mensch alles unter Kontrolle bringen möchte, mit Hilfe seiner Ratio glaubt er sein zu können wie Gott. Das ist ja die Versuchung im Paradies: „Wenn ihr von diesem Baum der Erkenntnis esst, dann werdet ihr sein wie Gott“ (nach Genesis 3,5)

Der Sündenfall besteht in der Erkenntnis von Gut und Böse, das einen befähigt, zu sein wie Gott (Gen 3,5). Es ist der Beginn der Fähigkeit zu unterscheiden. Von „klug zu werden“ (Gen 3,6) ist die Rede, was ganz klar den Verstand meint, der nun in den Vordergrund tritt; und damit entsteht das Ich. Der Mensch kann jetzt denken, er sieht die Welt und den anderen nicht mehr unmittelbar, sondern vermittelt durch das Denken. Damit wird ihm die Welt zum Gegenstand, zum Objekt und er sieht sich selbst als Subjekt. Und indem er auch über sich nachdenken kann, macht er sich selbst zum Objekt und ist damit gespalten in Subjekt – der, der denkt - und Objekt – der, über den er nachdenkt. Und damit ist er nicht nur von der Welt getrennt, die er nun hat, sondern auch von sich selbst. Karl Marx nennt das die Entfremdung des Menschen von sich und dem anderen. Dies ist die Subjekt-Objekt-Spaltung und damit die Trennung von sich selbst und der Welt, der Natur und den Mitmenschen. Die Einheit mit sich selbst und der Natur ist verloren gegangen – das ist der Sündenfall.

„Mit der Erkenntnis seiner selbst als separates Wesen büßt er (der Mensch, Anm. des Verf.) seine Unschuld ein, die sich nicht gedanklich zurückerobern lässt“ heißt es bei Pfrommer (S. 125). Das Einbüßen der Unschuld wird symbolisch dargestellt als Erkenntnis der Sexualität – „sie erkannten, dass sie nackt waren“ (Gen 3,7) -, wobei die Sexualität gar nicht das Entscheidende ist, sondern die Erkenntnis des Getrenntseins in Mann und Frau. Der Mensch ist keine Ganzheit, keine Einheit mehr, sondern er erlebt sich getrennt als Mann und Frau. Bei Plato gibt es das schöne Bild vom Menschen als Kugel. Und weil der ganzheitliche Mensch als Kugel den Göttern gefährlich werden konnte, zerschlugen sie ihn in zwei Hälften. Und fortan ist der Mann auf der Suche nach seiner anderen Hälfte, eben der Frau, und umgekehrt ist die Frau auf der Suche nach ihrer anderen Hälfte, dem Mann. Und diese Suche wird auf das andere Geschlecht projiziert. Und anstatt die andere fehlende Hälfte in sich selbst zu suchen, sucht sie der Mensch im anderen. Und das muss schief gehen. Noch nie in der Menschheitsgeschichte ist so deutlich geworden, dass es schief geht, wenn man glaubt, durch die Vereinigung mit dem anderen Geschlecht die Ganzheit zu finden. Das zeigen die heutigen Zahlen der Ehescheidungen und Partnerschaftsprobleme, von denen die Sprechstunden der Psychotherapeuten voll sind (vielleicht wenden sich heute deshalb so viele der Homosexualität zu). Von der Psychologie C. G. Jungs her ist das leicht zu verstehen: Jeder Mensch trägt den gegengeschlechtlichen Pol in sich, was im Yin-Yang-Symbol ebenfalls zum Ausdruck kommt, wo in der schwarzen Hälfte ein weißer Kern und in der weißen Hälfte ein schwarzer Kern enthalten ist. Genau so ist im Mann das Weibliche und in der Frau das Männliche als Kern enthalten. Und beide projizieren dieses Bild des anderen Geschlechts auf die konkrete Gestalt des anderen Geschlechts. Das bezeichnet Jung beim Mann als Anima und bei der Frau als Animus. Als Mann kann ich besser von der Anima sprechen, deshalb beschränke ich mich darauf. Die Anima ist die Projektion des Weiblichen im Mann auf eine konkrete Frau. Deshalb ist der Mann von der Frau fasziniert. Aber er ist nicht von dieser konkreten Frau fasziniert, sondern vom Bild der Frau, das er in sich trägt. Im Grunde genommen ist er also von sich selbst fasziniert. Und weil das so ist, kommt nach jeder leidenschaftlichen Faszination die Ernüchterung, nämlich dann, wenn sich im Zusammenleben langsam die Realität der konkreten Frau durchsetzt und der Mann begreift – in der Regel nicht bewusst -, dass er einem Trugbild aufgesessen ist. Damit zieht sich die Projektion zurück und zurück bleibt eine Frau, die nicht mehr fasziniert. Und weil es so schön ist, fasziniert zu sein, wendet sich der Mann einer anderen Frau zu, wo sich die Projektion erneut wiederholt und das gleiche Spiel wieder von vorn beginnt. Dies zu wissen hat mich davor bewahrt, eine ähnliche Dummheit zu begehen, wie sie vielen Männern passiert, die in einer festen Beziehung stehen. Diese Urbilder in der Seele nennt Jung Archetypen. Mir ist kein anderer Archetyp so einleuchtend wie der Archetyp Anima.

Noch entscheidender in der Aussage von Pfrommer ist, „dass sie (die Unschuld; Anm. d. Verf.) nicht gedanklich zurückerobert“ werden kann. D. h., die Gespaltenheit des Menschen lässt sich durch sein Denken nicht ungeschehen machen und nicht überwinden. Das ist für den Menschen im Ich unannehmbar, denn er ist überzeugt, mit seinem Denken, seinem Verstand, seiner Ratio alles in den Griff bekommen und leisten zu können. Dass es etwas geben könnte, was sein Denken übersteigt, wo er mit seinem Denken und Planen nichts ausrichten kann, ist für ein Ich unakzeptabel. Taucht wirklich etwas auf, was ihm seine Begrenztheit nahe bringen würde, z. B. die Tatsache des Sterbenmüssens, schiebt er es beiseite, verdrängt es, will es nicht wahrhaben oder rationalisiert es.

Im Sündenfall hat sich das Ich ins Zentrum des Bewusstseins gerückt und ordnet alles seinem Verstand unter. Das Ich macht sich zum lebensbestimmenden Mittelpunkt seines Seins. Der Verstand - das Denken, die Ratio, der Intellekt - wird zum alleinigen Maßstab dessen, was der Mensch als gültig anerkennt. Nur das, was der Ratio fassbar ist, wird als gültig anerkannt, alles andere wird beiseitegeschoben. Was gelten will, muss sich vor dem Forum des Verstandes – heute des naturwissenschaftlichen Denkens – rechtfertigen. Was nicht beweisbar ist, hat die Prüfung nicht bestanden. Deshalb konnte jahrelang behauptet werden, dass Tiere keinen Schmerz empfinden – z. B. im Behaviourismus (Skinner, Watson) –, weil es nicht beweisbar war. Das ist die theoretische Grundlage für alle Qualen, die wir den Tieren zufügen. Dabei ist nie jemand auf die Idee gekommen, dass wir die Schmerzempfindung eines anderen Menschen genau so wenig nachvollziehen können. Das hängt mit der Subjekt-Objekt-Spaltung zusammen. Das ist es ja, was das bewusste Denken ausmacht: dass es das andere distanziert betrachten kann, ohne Mitgefühl, denn das Denken kann nicht fühlen. Wo das Denken so stark in den Mittelpunkt gerückt wird, da wird alles beiseite geschoben, was Gefühl und Empathie ausmacht. Daher wird auch das Gefühl mit Misstrauen betrachtet und letztlich geleugnet oder an den Rand gedrängt.

Transzendierung des Ichs und christliche Botschaft

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