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Kapitel 2

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Am nächsten Morgen checkte ich erst einmal meinen Kontostand, bevor ich eine E-Mail mit einer Kostenanfrage sowie dem Manuskript an „Books Selfmade“ schickte. Danach packte ich meinen Laptop inklusive Internetstick in meinen großen Tourenrucksack. Dazu steckte ich ein wenig Geld, um mir später ein Fischbrötchen kaufen zu können. Vielleicht müsste ich ja auch einen Strandkorb mieten.

Es war gerade halb neun, als ich mich auf den Weg machte. Mir blieb keine andere Wahl, als so früh zu starten, wenn bei meiner Ankunft am Strand noch nicht alles von Urlaubern überfüllt sein sollte. Obwohl mir der Waldweg prinzipiell deutlich lieber war, entschied ich mich, auf der Hauptstraße zu fahren, da dies die schnellere Strecke war. Hochmotiviert schlug ich die Haustür hinter mir zu. Mein Fahrrad lehnte noch am Gartenzaun, wo ich es gestern abgestellt hatte. Mit großen Schritten marschierte ich darauf zu – und blickte direkt in Frau Schupaniraks strahlendes Gesicht. Mein Magen verkrampfte sich. Ich hatte weder Zeit noch Lust, irgendwelche historischen Ereignisse zu diskutieren! „Morgen“, brummte ich leise, wandte mich aber sofort meinem Rad zu. „Einen wunderschönen guten Morgen, Cornelia! Ich hoffe, dein Ferienstart war äußerst gelungen!“ Jetzt nicht mehr, dachte ich, nickte jedoch. „Oh, und weißt du, heute ist der zehnte Juli, der Tag, an dem 1821 durch den Onís-Vertrag Florida an die USA überging, 1877 die preußische Nordbahn eröffnet wurde und 1941 … “

„Ja, und 1949 wurde der DFB neu gegründet und Mario Gomez hat heute ebenso Geburtstag wie Johannes Calvin und Maximilian von Baden. Ich weiß“, stoppte ich genervt ihren Redeanfall und hoffte, mich in keinem Fakt geirrt zu haben. Da ich selbst sportinteressiert war und noch dazu David als Bruder hatte, kannte ich mich auf diesem Gebiet allerdings recht gut aus, sodass zumindest diese Daten sicher stimmten. Frau Schupanirak starrte mich entgeistert an. Ich bemühte mich, wenigstens ein kleines Lächeln zustande zu bringen, scheiterte jedoch kläglich. Damit die Situation nicht noch peinlicher wurde, stieg ich nach ein paar Sekunden des Schweigens einfach auf mein Rad und fuhr davon. Auf der Straße waren trotz der frühen Stunde bereits einige Urlauber unterwegs. Die Erwachsenen trugen Handtücher, kleine Schirme und Zelte, die Kinder hielten Schaufeln, Eimerchen, Wasserbälle, Kescher und Luftmatratzen. Ich lächelte. Es war doch jedes Jahr das Gleiche. Unsere Insel war schon wirklich ein Paradies!

Nur wenige Autos bevölkerten die Straße, die mich hätten stören können. Vor dem Bäcker standen schätzungsweise 20 Menschen. Das Geschäft lief offenbar. Geschickt schlängelte ich mich an einem Lkw vorbei, bevor ich wieder auf den Vorplatz der Seebrücke abbog. Heute waren bereits einige Fahrradständer belegt, doch trotzdem hatte ich noch genügend Auswahl. Nachdem ich mein Rad angeschlossen hatte, ging ich entschlossen auf den Strand zu. Mit großen Schritten sprang ich die sandige Treppe hinunter.

Fast hatte ich es mir ja gedacht – Jördis stand natürlich mit am Bootsverleih. Ich hätte wetten können, dass sie das Geschäft eines Tages übernehmen würde! Freudestrahlend begrüßte sie mich. Sofort danach erkundigte sie sich, ob ich mich über „Books Selfmade“ informiert hatte, und war augenscheinlich zufrieden, als ich bejahte. „Sicher suchst du wieder einen Platz zum Schreiben, oder?“, sagte sie. „Ja, besonders in euren Booten bekomme ich immer so viele geniale Inspirationen“, antwortete ich mit einem Augenzwinkern. Wie üblich lag das ramponierte Ruderboot am Dünenrand und wurde nicht benötigt. Unzählige Stunden hatte ich schon darin verbracht, tief in Gedanken versunken, den Laptop oder einen Schreibblock auf dem Schoß. In aller Ruhe angelte ich die im Fußraum versteckte Decke hervor, um sie über den harten Sitzbänken auszubreiten. Ich war so ziemlich der einzige Mensch auf der ganzen Insel, der sie jemals verwendete, doch das genügte Jördis als Grund, sie nicht zu entfernen.

Wieder war ein recht warmer Tag im Kommen, sodass ich es mir ohne Jacke im Boot bequem machen konnte. Jördis wuselte gar barfuß und in kurzer Hose durch die Gegend! Lächelnd beobachtete ich die über den Buhnen kreisenden Möwen, während der Laptop startete. Obwohl es mich in den Fingern juckte, endlich mit dem Schreiben zu beginnen, schob ich zuerst meinen Internetstick in den USB-Port, um mein E-Mail-Fach zu laden. Tatsächlich fand ich darin bereits eine Antwort von „Books Selfmade“.

Mit dem eingeschickten Manuskript sollte mich ein Buch als Paperback acht Euro kosten, der empfohlene Verkaufspreis lag dann bei 9,90 Euro. Das klang erst einmal ganz verlockend. Für die Vermarktung sei ich selbst verantwortlich. Kein Problem. ISBN: 100 Euro. Hm. Lektoratskosten: 200 Euro. Nein, danke. Coverdesign entwerfen lassen: 120 Euro. Oder bitte ein eigenes einsenden. Oh, ich hatte bereits mehrere Entwürfe gezeichnet und digitalisiert!

Ich wählte die drei besten aus und zog sie in den Anhang. Dann bestellte ich kurzerhand 50 Bücher mit ISBN. Mit Verwunderung nahm ich zur Kenntnis, dass es dafür nicht einmal einer Einverständniserklärung meiner Eltern bedurfte.

Mein Herz schlug mir bis zum Hals, als ich auf den „Senden“-Button klickte. Endlich hatte ich es geschafft! Die Lust auf mein neues Projekt verstärkte sich in rasantem Tempo, stets mit dem Hintergedanken, dass auch dafür ein Druck möglich sein würde!

Innerlich jubelte ich lauthals, meine Glückshormone fuhren Achterbahn, wobei sie einen Looping nach dem anderen drehten. Schließlich konnte ich nicht mehr verhindern, dass mir ein kleiner Freudenschrei entfuhr, allerdings schien niemand ihn gehört zu haben. Vor Aufregung gesellte sich gleich noch ein Schluckauf dazu. Als nächstes durchzuckte mich ein Blitz der Erleichterung; welch großer Stein mir dabei vom Herzen fiel!

Vor lauter Glück war mein Kopf wie leergepustet. Es gelang mir mit zitternden Händen, die Word-Datei des Buchkapitels zu öffnen, an dem ich gerade schrieb. Erst kam mir keine Idee, wie mein nächster Satz aussehen sollte, doch schließlich hatte ich den richtigen Gedanken. Eifrig tippte ich los. Der Schluckauf aber ließ mich ständig abrutschen, sodass ich nach nur drei Zeilen eine Pause einlegen musste, um mich ein wenig zu beruhigen. Glücklicherweise konnte ich durch ein längeres Luftanhalten den Schluckauf in die Flucht schlagen. Am Rande nahm ich wahr, wie Jördis mir einige belustigte Blicke zuwarf. Ich versuchte mich an einem Grinsen, bevor ich mich wieder dem Text zuwandte.

Kopfschüttelnd löschte ich die letzten Zeilen. So konnte man sich doch nicht ausdrücken! Voller Tatendrang formulierte ich den Inhalt neu. Schnell füllte sich der Strand und mit ihm mein Bildschirm. Aus den spielenden Urlauberkindern konnte ich eimerweise Inspirationen schöpfen, die sich sofort oder auch später verwenden ließen. Allgemein war ich rundum zufrieden mit dem, was ich an jenem Morgen zu Papier gebracht hatte.

Gegen 13 Uhr trabte Jördis an „mein“ Boot heran. „Cornelia? Wie wäre es mit einer Mittagspause? Papa spendiert uns Fischbrötchen!“ Sofort lief mir das Wasser im Mund zusammen und ich sprang auf. Oh ja, ich liebte Fischbrötchen! Eilig verstaute ich die Decke wieder im Boot und packte meine Sachen ein. Nachdem ich den Rucksack geschultert hatte, schlenderten wir gemütlich in Richtung Salzhütten. Während Jördis wie immer auf Heilbutt setzte, entschied ich mich nach einigem Zögern für Matjes. Mit den knackigen Brötchen ließen wir uns draußen auf einer Holzbank nieder. Wir schwiegen, solange wir genüsslich unser Mittagessen verspeisten. Danach erklärte Jördis fast entschuldigend, dass sie noch einiges in ihrem Kräutergarten zu tun hätte. Ich lächelte. Der Kräutergarten war Jördis‘ große Leidenschaft; wenn man sie am Strand nicht antraf, hielt sie sich mit ziemlicher Sicherheit dort auf.

Außerdem wollte ich mich sowieso auf den Heimweg machen. In meinen Gedanken formten sich bereits die Sätze für eine erste Pressemitteilung über das Erscheinen meines Buches. Diesmal wählte ich wieder den Weg durch den Wald, was ich allerdings nach nur einem Berg bereits bereute: Ein stechender Schmerz durchzuckte meine Schultern. Trotzdem biss ich die Zähne zusammen, denn zum Umkehren hatte ich wahrlich keine Lust, daher kämpfte ich mich auch die restlichen Steigungen empor. Ein erfrischender Wind wirbelte mir durch die Haare, als ich die Siemensstraße hinab rollte. Dazu kitzelte die Sonne meine Nasenspitze, mein Schmerz verflog, ein paar Vögel zwitscherten sich etwas zu. Die Atmosphäre, die sich wie eine schützende Blase um diesen schönen Moment gewölbt hatte, zerplatzte in dem Augenblick, als ich freie Sicht auf unseren Nachbargarten bekam. Konnte ich denn nicht wenigstens einen halben Tag Ruhe vor Frau Schupanirak haben? Breit lächelnd winkte sie mir zu, ich hob die Hand, startete den Versuch, ebenfalls zu lächeln, brachte jedoch nur eine halbherzige Grimasse zustande. „Na, Cornelia, du kommst aber früh nach Hause heute! Party abgebrochen?“ Frau Schupanirak ließ ihr grässlich hohes Lachen ertönen. „Zu Ihrer Party scheint ja nicht einmal jemand gekommen zu sein, dass Sie immer noch allein hier draußen rumstehen“, erwiderte ich bissig. Aus dem Augenwinkel nahm ich ihren verdatterten Gesichtsausdruck wahr, wartete jedoch keine Antwort ab, sondern begab mich auf den schnellsten Weg ins Haus, in mein Zimmer. Die Julisonne brannte unerbittlich auf das Dach. Daher herrschte auch in meinem Zimmer drückende Hitze. Ärgerlich öffnete ich ein Fenster, damit die Luft wenigstens nicht noch stickig wurde. Dann widmete ich mich erneut meinem E-Mail-Fach. Tatsächlich befand sich bereits eine Art Vertrag darin. Ich sollte meine Adresse, Telefonnummer und die E-Mail-Adresse meiner Eltern angeben, damit auch diese informiert werden könnten. Dazu bat man mich, einen Verkaufspreis festzulegen, damit dieser auf die Bücher gedruckt werden könne, welche ich in zwei bis drei Wochen erhalten würde. Erstaunt runzelte ich die Stirn. Das war eine außerordentlich kurze Zeitspanne! Lächelnd sendete ich die geforderten Daten ab. Sofort danach machte ich mich daran, einige Versionen für eine mögliche Ankündigung meines Buches in der Zeitung zu ersinnen.

Nachdem ich die dritte fertiggestellt hatte und mir der Tatsache bewusst geworden war, dass alle in etwa dem gleichen Muster folgten, ließ ich, mich langsam entspannend, die Hände von der Tastatur sinken. Ich las die Artikel nacheinander, dann in umgekehrter Reihenfolge. Den zweiten nochmal. Doch lieber den ersten? Obwohl, der dritte war auch nicht schlecht. Allen Bemühungen zum Trotz konnte ich mich nicht entscheiden, welcher der beste war.

Damit tat sich unwillkürlich die nächste Frage auf: Wen sollte ich nach einer Meinung fragen? Janis? Jördis? Ich war unsicher. Andererseits … Janis würde sofort Mum und Dad davon erzählen, vielleicht versäumte ja „Books Selfmade“ diese Informationsweitergabe und ich könnte sie mittels der Zeitung überraschen. Also Jördis.

Ich warf einen Blick auf die Uhr. Halb fünf. Nein, da würde ich lieber bis morgen warten. Ganz so eilig war es ja nicht. Stattdessen sollte ich mal wieder eine Runde joggen! Ich wühlte meine Laufschuhe aus einem überfüllten Schrank hervor und entschied mich für die Richtung Kölpinsee. Etwa drei Kilometer eine Strecke, das sollte nach einem größtenteils entspannten Tag kein Problem darstellen. Leise schloss ich die Haustür hinter mir und warf vorsichtig einen Blick in den Nachbargarten. Frau Schupanirak sonnte sich mit geschlossenen Augen auf einer wuchtigen Holzliege. Möglichst wenig Geräusche verursachend eilte ich an ihrem Garten vorbei zum Wald hin. Ein erleichterter Atemstoß entfuhr mir, als ich eine sichere Entfernung zwischen uns gebracht hatte. Mein Herz begann höher zu schlagen, sobald ich den Waldboden unter meinen Füßen spürte. Ein bisschen Laub. Ein paar Tannennadeln. Vielleicht auch ein anderer Nadelbaum, keine Ahnung. Von Zeit zu Zeit ein Zapfen. Wurzeln. Stöckchen.

Mit jedem Schritt breitete sich die Entspannung weiter in mir aus. Mein Atem ging sehr regelmäßig. Nachdem ich schon so viele Jahre joggte, waren sechs Kilometer für mich ein Kinderspiel. Ich war nicht einmal ansatzweise aus der Puste, als ich Kölpinsee erreichte. Trotzdem machte ich kehrt, bevor ich den Ort richtig betreten hatte. Doch auch als ich den Wald in Koserow wieder verließ, keuchte ich kaum. Stattdessen signalisierte mir mein ganzer Körper, dass ihm der Lauf gutgetan hatte. Auf den Gipfel der Freude brachte ich ihn durch eine abschließende Dusche. Toast zum Abendbrot. Ein bisschen Lesen vor dem Einschlafen. Der Abschluss eines alles in allem überaus erfolgreichen Tages.

10. 07. 2010, Xaver

Ich habe mit den Listen begonnen. Pah, wenn diese abgearbeitet sind, muss sich niemand mehr Gedanken über die zu geringen Lagermöglichkeiten der Höhle machen, ein Problem, über das Vater sich aktuell den Kopf zerbricht. Überflüssig! Noch quillt alles über, aber diesem Übel werde ich schnell, sehr schnell ein Ende bereiten, das schwöre ich! Ich bin mir der heutigen Situation bewusst und weiß, dass die Lage verzwickt ist. Heute eröffnete Ludwig XVI. seinen engen Ratgebern, dass er Necker des Landes verweisen werde. Einsprüche gab es nicht, trotz des miserablen Zeitmanagements. Dennoch, für mich ist es vorteilhaft, denn wer sollte mir widersprechen? Ich habe keine engen Ratgeber. Und Vater auch nicht, seine Aufgabe wäre das ja schließlich in unserem Fall. Offen gestanden behagt es mir nicht, dass ich dauerhaft in seine Rolle schlüpfen muss, obwohl er doch der zu Stürzende ist.

Alles wäre viel komfortabler, wenn er selbst Ludwig vertreten würde. Leider wollte mir partout keine Variante einfallen, in der dies möglich wäre. Für den Abend plane ich ein kleines Fest. Die Höhle wird die Champs-Élysées würdig ersetzen, ich kann endlich einmal das Volk symbolisieren. Solange verweile ich in ehrlicher Freude.

10. 07. 2010, Marek

Lange halte ich das nicht mehr aus; wenn es so weiter geht, muss ich über kurz oder lang mit jemandem darüber sprechen. Am besten mit Cornelia selbst, falls ich mich traue. Ich habe sie heute in Koserow am Strand gesehen, wo wir, unsere Fußballmannschaft, uns auf einen Strandkick verabredet hatten. Wahrscheinlich war ich deshalb so unkonzentriert, dermaßen schlecht habe ich noch nie gespielt! Cornelia saß in einem alten Ruderboot, ihren Laptop auf dem Schoß. Sie tippte eifrig. Gott allein weiß, was sie da tat. Ich glaube nicht, dass sie mich bemerkt hat, zumindest gegrüßt hätte sie wohl. Aber sie schien sehr beschäftigt. Gegen Mittag hat sie sich zusammen mit Jördis verzogen. Trotzdem bin ich den Rest des Tages dieses Bild vor meinem geistigen Auge nicht losgeworden.

Cornelia im Boot. Ihre Haare wehten leicht im Wind, ihr Gesicht war angespannt. Manchmal glaubte ich, Aufregung darin lesen zu können. Ich kann es schlecht beschreiben, doch eines weiß ich genau: Dieser Anblick hat meine Gefühle nur noch untermauert.

gez. Marek

Xaverna

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