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Besuch bei der Witwe
ОглавлениеDa hatte sich wieder mal ein Architekt verewigt. Dieser sterile Klotz mit der kalten Betonfassade passte überhaupt nicht in diese mit historischen Häusern und Gärten übersäte Stadt. Nein, so ein hypermodernes Haus hatte sie wirklich nicht in Altstadtnähe vermutet. Noch überraschter war Sabine, als die Tür aufging und Frau Barhaupt vor ihnen stand. Aufgrund Engelhardts Personenbeschreibung hatte sie ein nach dem neuesten Schrei gekleidetes Luxusgeschöpf erwartet. Stattdessen blickte ihnen eine gertenschlanke Frau entgegen, die eng anliegende Jeans und einen klassisch geschnittenen beigen Pullover trug. Auch mit ihrer Frisur betrieb sie wenig Aufwand. Ihre naturblonden Haare waren Kinn lang und exakt gerade geschnitten. Na ja Bernd war sicher wieder anderer Meinung, aber auf sie wirkte sie einen Tick zu herb. Merkwürdigerweise schien die Witwe nicht sonderlich überrascht zu sein, dass zwei Polizisten vor ihr standen und darum baten, ins Haus kommen zu dürfen. Bei anderen klingelte es spätestens nach dieser Frage. Aber sie verlor auch jetzt nicht ihre zur Schau getragene Coolness. Wortlos trat sie zur Seite und wies die beiden Polizisten mittels einer Geste in das geräumige Wohnzimmer, wo sie abwartend stehen blieb.
„Frau Barhaupt, wir sollten uns erst mal setzen“,
begann Engelhardt und steuerte auch schon auf die schwarze Ledercouch zu. Ohne eine Einladung der Besitzerin abzuwarten, ließ er sich auf dem Sitzmöbel nieder. Obwohl Sabine insgeheim das forsche Auftreten ihres Kollegen, der zugleich ihr Chef war, bemängelte, setzte sie sich unaufgefordert neben ihn. Erst nachdem die Witwe in den gitterdurchzogenen Klubsessel gesunken war, rückte der Kriminaler mit der Schreckensbotschaft heraus:
„Frau Barhaupt, ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Ihr Mann heute Morgen tot aufgefunden wurde. Im Wald direkt unterm Regenstein. Wie es aussieht, ist er von da oben abgestürzt.“
„Hatte schon damit gerechnet, dass ihm etwas zugestoßen ist“, antwortete sie besorgniserregend gefasst. „Vor über einer Stunde hat man mich aus der Praxis angerufen. Weil mein Mann nicht zu der auf acht Uhr angesetzten OP erschienen war – er ist sonst immer pünktlich – wollten sie von mir wissen, wo er steckt. Ich war ihre letzte Adresse, sie hatten schon alles abtelefoniert. Seine Sprechstundenhilfe hat mir gesagt, dass sie vermutet, dass er seit dem gestrigen Nachmittag nicht mehr zu Hause war. Ich meine, das was er jetzt sein zu Hause nennt. Im Briefkasten steckte angeblich immer noch die Post vom Vortag und die Zeitung hatte er auch noch nicht geholt.“
„Dann wohnte er also nicht mehr hier im Haus?“, wurde sie von Engelhardt unterbrochen.
Die Witwe ließ sich mit ihrer Antwort Zeit. Mit ihren langgliedrigen Fingern griff sie nach der HB-Schachtel, die auf dem Glastisch lag, zog eine Zigarette heraus und stand, während sie diese ansteckte, auf. Nach dem ersten Zug ging sie zu dem großen Panoramafenster und blies hinausschauend nochmals ein Rauchwölkchen in die Luft. Erst dann blickte sie blasiert auf den Fragesteller.
„Herr Engelhardt, ich habe keine Lust auf diese Schmierenbefragung! Unnötige Fragen werde ich nicht beantworten! Sie wissen doch schon längst über alles Bescheid. In der Stadt pfeifen es doch die Spatzen von den Dächern, dass ich meinen Mann hinausgeworfen habe.“
Der Polizist ließ sich nicht beirren: „Sie haben Ihren Mann aus seinem Haus hinausgeworfen?“, setzte er routinemäßig seine Befragung fort, wobei er diesmal „seinem“ übermäßig betonte. Doch wenn er gehofft hatte, dadurch die Besitzverhältnisse klären zu können, hatte er sich getäuscht.
„Sie erwarten doch nicht im Ernst, dass ich bereit bin, mit einer Tunte zusammenzuleben?“, entrüstete sich Frau Barhaupt temperamentvoll. Und ihren Blick nun auf Sabine richtend zischte sie nicht minder erregt: „Ja, mein Mann war eine Tunte! Eine miserable, hinterhältige Tunte!“
„Jetzt wechseln wir wieder auf die sachliche Ebene“, beschwichtigte Sabine, wurde aber sofort von Engelhardt unterbrochen:
„Frau Barhaupt, vielleicht wollen Sie sich erst mal ein bisschen sammeln, bevor Sie weitere Fragen beantworten?“
Die Angesprochene zog ihre Augenbrauen hoch und runzelte die Stirn, stimmte dann aber kopfnickend zu. Mit spitzen Fingern drückte sie die nur halb zu Ende gerauchte Zigarette im Aschenbecher aus.
„Ich brauch jetzt erst mal einen Drink!“
Sabine überraschte es nicht, dass sie ihnen nichts anbot. Es war zwar allgemein bekannt, dass sie im Dienst nichts annehmen durften. Aber gewöhnlich fragte man doch nach. Vor allem, wenn es sich um einen Drink handelte. Aber diese Frau war eine typische Egomanin und hatte nur sich selbst im Kopf. Wieso behandelte die sie so von oben herab? An der Haustür war sie von ihr taxiert worden. So richtig von oben nach unten. Es war zwar keine Seltenheit, dass sich Frauen untereinander musterten. Aber wenn sie in Uniform war, taten das eigentlich nur Männer. Auf was bildete die sich so viel ein? Sie war die Frau eines Zahnarztes. Na und … Damit wäre sowieso bald Schluss gewesen.
Ach kuck, hinter dieser hässlichen Stahlblechtür verbarg sich eine Bar. Mit eingebautem Kühlschrank. Die Barhaupt liebte offenbar Hartes, befüllte den gut eingeschenkten Whisky jetzt auch noch randvoll mit Eiswürfeln. Mit dem Glas in der Hand ließ sie sich wieder in ihren Sessel fallen.
„Erwarten Sie von mir keine Tränen. Ich habe meinem Mann immer den Rücken frei gehalten und seinetwegen auf viel verzichtet. Und zum Dank hat er sich mit diesem Typ eingelassen.“
Sabine ließ sich vom nachfolgenden Anklagemonolog nicht beeindrucken. Wie theatralisch die Witwe das Gesagte unterstrich. Sie fraß nen Besen, wenn das alles stimmte und diese kaltblütige Frau nur wegen ihres Mannes auf Kinder verzichtet hatte! Die ließ sich doch von keinem unterbuttern. Nee, die nicht! Das Wort „verzichtet“ hatte sowieso einen schalen Beigeschmack. Schob man damit nicht auch gerne jemand anderem die Schuld in die Schuhe, weil man sich dagegen sperrte, eigenverantwortlich zu leben? Jetzt wurde es offensichtlich auch ihrem Kollegen zu viel.
„Frau Barhaupt, es tut mir leid, aber das sollte im Privatbereich bleiben“, unterbrach er sie. „Uns interessiert vielmehr, wo Ihr Mann in letzter Zeit gewohnt hat.“
„Er hatte sich über der Praxis eine kleine Wohnung eingerichtet. Schon vor drei Jahren. Angeblich, damit er sich zwischendurch mal zurückziehen und auch mal ausruhen kann. Aber ich wusste natürlich Bescheid.“
Und wieder zu Sabine gewandt: „Mein Mann war testosterongesteuert. Er gehörte zu den Männern, die sich ständig etwas beweisen müssen. Solange ein Mann weiß, wo er zu Hause ist, ist das ja auch nicht weiter schlimm. Wir haben uns trotzdem gut verstanden. Bis, ja bis er diesen Thomas getroffen hat.“
„Kennen Sie seinen Freund?“
„Tja leider!“ Verächtlich verzog sie ihren Mund. „Ich war beim Friseur, und als ich den Laden verließ, stolzierten die beiden eng umschlungen an mir vorbei. Dabei blickten sie sich wie verliebte Teenager ganz tief in die Augen.“
Die Art und Weise, wie die Witwe dies vorbrachte, machte Sabine stutzig. Frau Barhaupt besaß zwar schauspielerisches Talent. Aber ihre Psychologiekenntnisse waren noch ausbaufähig. Wenn die etwas fundierter wären, hätte sie sich nicht so widersprüchlich verhalten. Während sie noch vor ein paar Minuten beim bloßen Erwähnen dieses Herrn einen Gefühlsausbruch hinlegte, hatte die Erinnerung an dieses Zusammentreffen keine dementsprechende Reaktion bei ihr ausgelöst. Das war absolut nicht nachvollziehbar. Sicher hatte es zwischen den Partnern eine heftige Auseinandersetzung gegeben. Und im Friseursalon waren sie doch bestimmt an der Scheibe gehangen und hatten sich förmlich die Nasen platt gedrückt. Und dass dieser Vorfall hernach zum Kundengesprächsrenner mutiert war, musste ihr doch auch klar sein … Das kratzte doch an der Ehre!
„Wären Sie so nett und würden mir den Namen und die Adresse dieses Herrn geben?“, fragte Engelhardt überfreundlich.
„Da kann ich Ihnen nicht weiterhelfen! Beides ist mir nicht bekannt. Da müssen Sie sich schon an die Praxis wenden.“
„Bevor wir gehen, dürfte ich Sie noch fragen, wann Sie ihren Mann zuletzt gesehen haben?“
„Sie dürfen! Das war vor zwei Tagen.“ Als der Polizist sie fragend ansah, ergänzte sie: „Mein Mann kam zu mir, weil er mit mir die Scheidung besprechen wollte. Ich habe ihn aber nicht hereingelassen und ihn an meinen Anwalt verwiesen. Und falls Sie jetzt auch noch wissen wollen, was ich gestern oder heute Nacht gemacht habe, muss ich Ihnen gestehen, dass ich leider kein Alibi habe. Ich war nämlich allein zu Hause.“