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Martins Alleingang

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Sabine ging gerne im Schlosspark spazieren. Verschlungene Wege, die von alten Bäumen umsäumt wurden, führten vom barocken Terrassengarten hinauf zum Welfenschloss, das imposant über der Stadt Blankenburg thronte. Bevor sie die Anhöhe in Angriff nahm, spazierte sie auch manchmal zum Prinzessinnenturm hinüber. Und ab zu setzte sie sich auch in den urtümlich angelegten Barockgarten, sog dabei den Duft ein, der von den Blumenrabatten zu ihr herüberströmte, oder verlor sich in einem Wasserspiel.


Doch Martin hatte weder etwas für gepflegte Pflanzenbeete noch für Puten, die das Ambiente im unteren Parkviertel unterstrichen, übrig. Wenn er sie begleitete, marschierten sie stets schnurstracks zum Schloss hinauf. Meistens legte er dabei ein strammes Tempo vor. Nur weil sie regelmäßig joggte, erhöhte sich Sabines Atemrhythmus bei diesen „Läufen“ nur unwesentlich. Besonders erholsam empfand sie die gemeinsamen Spaziergänge aber nicht. Martin hatte schon immer einen starken Bewegungsdrang. Doch seit sie sie im Harz wohnten, prägte sich diese Veranlagung noch mehr aus. Ob er dadurch seinen Erlebnishunger kompensierte? Hier war alles auf Kurgäste oder Touristen ausgelegt, die gerne wanderten oder alte Städte besichtigten. Highlightorientierte Männer wie er kamen in Blankenburg nur schwer auf ihre Kosten. Ausnahmsweise ging es Martin heute gemütlicher an. Handhaltend schlenderten sie gemächlich nach oben. Als sie bereits einen Teil der Kastanienallee hinter sich gelassen hatten, blieben sie auf Sabines Initiative hin stehen und sahen zum Barockschloss hinunter. Anders als beim imposanten Welfenschloss auf der Hügelspitze, dessen Fassade man gereinigt hatte, waren die Sandsteine des kleinen Schlosses eingeschwärzt.

„Dieser Park ist wildromantisch! So richtig zum Entstressen!“, bemerkte sie.

Mit zufriedenem Gesicht blinzelte sie gegen die niedergehende Sonne an. Nach einer langen Durststrecke blitzte wieder mal die alte Vertrautheit zwischen ihnen auf. Wie aufmerksam er heute war. Unten im Barockgarten war er mit seinen Fingern durch ihr Haar gefahren und hatte eine kleine Mücke entfernt, die sich in einer Strähne verfangen hatte. Und dann hatte er auch noch nach ihrer Hand gegriffen und nacheinander ihre Finger geküsst. Gut, Letzteres war sicher nicht ohne Hintergedanken geschehen. Aber heute kam ihr das ja entgegen. Sein Kommentar überraschte sie nicht:

„Na ja, geht so! Ne ausgedehnte Tour mit dem Mountainbike bringt mir mehr! Aber, wenn‘s dir Spaß macht.“

Unvermittelt umfasste er mit seinen Händen ihr Gesicht und küsste zärtlich ihre Stirn. Langsam wanderten seine Lippen auf die ihren zu. Nach einem langen, intensiven Kuss, bei dem sich schlussendlich auch ihre Zungen begegneten, strich er sanft über ihre Wange. Wie gefühlvoll er sich geben konnte! Griff, als sie weitergingen, auch gleich wieder nach ihrer Hand. Nach der Talfahrt kam endlich wieder ein Aufstieg!

Als sie den Schlossteich passierten, zog ein halbwüchsiger Junge gerade einen Fisch aus dem brackigen Wasser. Verzweifelt zappelte der kapitale Hecht um sein Leben.

„Ach übrigens, Bernd hat mir erzählt, dass im Schlossteich, ist allerdings schon ein paar Jahre her, eine Leiche gefunden wurde. Bis heute konnten die Hintergründe nicht geklärt werden. Die Angehörigen können sicher nur schwer abschließen, wenn so viele Fragen offenbleiben.“

Martin verdrehte die Augen und seufzte. „Sabine, es ist unglaublich! Du machst so ziemlich jede Stimmung kaputt! Ständig hast du deinen Job im Kopf. Und ständig hirnst du über irgendwelche Hintergründe. Das Leben ist doch viel zu kurz, um sich dauernd mit unnützen Warum- und Wieso-Fragen zu quälen.“

Wie, wenn das so einfach wäre, setzte sich Sabine innerlich zur Wehr. Nun waren sie also wieder mal bei ihrem alten Streitpunkt angelangt. Zum Kuckuck aber auch, warum waren sie nur so verschieden. Und nun ließ er auch noch ihre Hand los. Na ja, das war ja zu erwarten gewesen … Martin wurde aber auch immer gereizter. Inzwischen konnte sie ihm rein gar nichts mehr aus ihrem Berufsalltag erzählen, ohne sich dabei ständig fragen zu müssen, ob es ihm nicht zu viel wurde. Leider brachte er auch nicht das geringste Verständnis dafür auf, dass es ihr nicht immer gleich beim Übertreten der Türschwelle gelang, ihren Job an den Nagel zu hängen. Manches ging ihr eben nach. Eigentlich bräuchte sie dann jemandem zum Reden. Früher hatte ihre Freundin herhalten müssen. Als Richterin unterlag sie ebenfalls der Schweigepflicht, weshalb es Kathrin auch nie schwergefallen war, selbst die heikelsten Details für sich zu behalten. Aber Kathrin war ja nun leider meilenweit weg. Oh, wie sie die Abende mit ihr vermisste!

War doch logisch, dass es sie nicht kaltließ, dass sie im Fall Barhaupt überhaupt nichts herausbekommen hatten. Obwohl in sämtlichen Zeitungen ein Artikel über den Toten am Regenstein erschienen war, war kein Hinweis eingegangen. Auch nicht, was diesen ominösen Thomas betraf. Mensch die beiden mussten doch auch mal zusammen gesehen worden sein! Wenn sie interviewt worden wäre, hätte sie der Journalistin gesteckt, dass der Tote eine besondere Liebschaft unterhalten hatte und sie deshalb gerne mit diesem Mann sprechen würde. Schließlich kannte der ihn gut und wusste vielleicht auch, was der Tote am Regenstein zu suchen hatte. Aber durch Bernds übertriebene Rücksichtsnahme der Witwe gegenüber war in den Zeitungen lediglich zu lesen gewesen: „Wer hat diesen Mann am … gesehen?“. Da musste sich dieser Thomas ja nicht angesprochen fühlen.

Wie’s aussah, hatten die beiden sowieso nicht zusammengelebt. Möglicherweise hatten sie sich auch nur gesehen, wenn ihnen danach gewesen war. Früher hatte sie auch nach diesem modernen Beziehungsmodell gelebt und bei Martins Vorgängern immer auf getrennte Wohnungen bestanden. Es blieb länger schön, wenn man den Alltag und „Miese-Laune-Befindlichkeiten ausklammerte. Irgendwann war ihr aber aufgegangen, dass damit auch eine gewisse Unverbindlichkeit einherging. Und genaugenommen war man bei solchen Arrangements versucht, dem andern nur seine Schokoladenseite zu zeigen. Nee, inzwischen wollte sie eine ehrlichere Partnerschaft. Wenn das Zusammenleben nur etwas einfacher wäre ...

Der Bernd und sein verdammtes Loyalitätsdenken! Als ob das Sinn machte! In Blankenburg war es doch längst kein Geheimnis mehr, dass der Zahnarzt schwul war. Allerdings hatte Bernd vor dem Pressetermin noch nicht gewusst, dass Barhaupt dermaßen weit entfernt vom Unglücksort geparkt hatte. Auf dessen Handy waren viele Anrufe eingegangen. Neben unterschiedlichen Nummern waren auch einige unterdrückte dabei gewesen. Weil ihr Chef sich querstellte, hatte sie nicht mal einen Beschluss erwirken können, der den Provider dazu verpflichtete, die unbekannten Nummern herauszugeben. Bernd hatte ihr sogar untersagt, die verzeichneten zurückzurufen.

So ein Mist aber auch! Nur, weil die Gerichtsmedizin keinerlei Hinweise auf eine Fremdeinwirkung gefunden hatte, war Bernd nicht mehr davon abzubringen, dass Barhaupts Absturz auf Selbstverschulden zurückzuführen sei. Was besagte das schon, dass die nichts gefunden hatten. Schließlich war der Zahnarzt mehrmals gegen den Fels geschlagen und nach dem Aufprall auch noch ein ziemliches Stück weitergerollt. Dadurch war doch nicht zu hundert Prozent gesichert, dass nicht doch jemand nachgeholfen hatte. Und dabei hatten gleich mehrere ein Tatmotiv. Bernds Aussage, dass der Zahnarzt einige Patienten ausgenommen hatte, stimmte. Und dann all die Frauen, die er abserviert hatte … Aber Bernd schöpfte ja nie Verdacht. Ihm kam es nicht mal komisch vor, dass der Zahnarzt alleine zum Regenstein hinaufgelaufen sein sollte. Der war doch kein Spaziergänger gewesen! Das sagten sowohl dessen Frau als auch eine Zahnarzthelferin aus. Und wenn er gejoggt wäre, hätte er sicher Sportkleidung getragen. Außerdem hätte man dann auch auf seinem Hemd Schweißflecken gefunden!

„Ach, wo wir grade beim Wasser waren. Da fällt mir gerade ein, dass mir der Installateur Bescheid gab, dass er am Montag anfängt“, riss Martin sie aus ihren Gedanken.

„Anfängt? Mit was? Meinst du etwa den tropfenden Wasserhahn in der Küche?“

„Den repariert er natürlich auch. Nee, hauptsächlich geht’s ja um die Wasserleitung in die Garage!“

Als Sabine ihn verblüfft ansah, ergänzte er:

„Nusch, wir hatten doch darüber gesprochen!“

„Nein, hatten wir eben nicht!“ Sabine blieb entrüstet stehen. „Martin du kannst doch keinen Alleingang einlegen! Schließlich gehört uns das Haus zu gleichen Teilen: Edgar, dir und mir!“

„Nun reg dich mal wieder ab. Als wir damals zusammen durchgegangen sind, welche Reparaturarbeiten anstehen, hatten wir auch über die Wasserleitung gesprochen.“

„Ja und sowohl dein Vater als auch ich haben damals klar zum Ausdruck gebracht, dass wir die Leitung erst verlegen lassen, wenn wir wissen, wie viel uns die gesamte Renovierung kostet. Und wir waren uns auch einig gewesen, dass die Wasserleitung an allerletzter Stelle steht.“

Martin blieb stehen und kratzte sich am Hals. „Oh, das ist wohl dumm gelaufen! Entweder habe ich tatsächlich vergessen, dich zu informieren oder du hast nicht richtig zugehört, als ich mit dir über den Wasserhahn ...“

„Du hast mir nur gesagt, dass du den Wasserhahn richten lässt!“, unterbrach ihn Sabine. „Die Leitung hast du mit keinem Wort erwähnt!“ Sie wurde immer wütender: „Was denkst du, was uns das kosten wird! Und wie viel da aufgegraben werden muss. Vom Haus bis zur Garage sind es mindestens sieben Meter!“

„Sabine, jetzt hör doch mal …“

„Nix Sabine! Martin, wie oft hast du dein Auto gewaschen, seit wir hier sind? Wenn du das überhaupt schon je einmal selbst getan hast. Wie oft?“

Martin spielte den Betretenen. „Tut mir leid Nusch! Dann habe ich wohl nur in meinen Gedanken mit dir gesprochen. Für mich war es das Logischste auf der Welt, dass wir uns weitere Anfahrtskosten ersparen und das mit der Garage gleich mitmachen lassen. Komm jetzt lass uns diesen schönen Abend nicht durch ein Missverständnis vermiesen!“

Er spitzte seine Lippen und wollte ihr – ganz kleinlauter Junge – einen Kuss auf den Mund drücken. Doch Sabine wich zurück. Dann fuhr sie ihn scharf an:

„Nee, mein Lieber! Wenn du denkst, du kannst mich jetzt einsülzen und alles wäre wieder gut, hast du dich getäuscht! Anscheinend kommst du nicht mal auf den Gedanken, dass auch dein Vater sauer sein könnte. Schließlich hast du ja auch ihn übergangen.“

„Och seinetwegen musst du dir keine Sorgen machen. Er hat ja zugestimmt!“

„Waaas?“, schnaubte Sabine. „Mit ihm hast du darüber gesprochen und mit mir nicht! Habt ihr mich außen vor gelassen, weil ihr euch eine längere Diskussion ersparen wolltet?“

„Nun beruhige dich doch! Wir können das gleich nachher zusammen besprechen. Das kann ja noch rückgängig gemacht werden!“, startete Martin nochmals einen Versuch Sabine zu besänftigen. Doch Sabine war auf Hundert. Heute Morgen hatte sie sich schon mit dem bequemen Bernd rumschlagen müssen, der doch tatsächlich den Regensteinfall als erledigt betrachtete, und nun auch noch dies. Wütend drehte sie sich um und rief, während sie bereits den Hang hinunterstürmte:

„Nicht mit mir! Mir reicht‘s!“

Eiskalt abserviert

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