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Zwölftes Kapitel

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Inhaltsverzeichnis

Nachdem dies auseinander gesetzt worden, habe ich zu untersuchen, wie sich die Bejahungen und Verneinungen des Möglich-seins und des Unmöglich-seins, sowie die des Statthaft– und Nichtstatthaft-seins zu einander verhalten und ebenso habe ich auch das Unmögliche und Nothwendige zu untersuchen, denn es bestehen hier einige Bedenken. Wenn nehmlich von diesen in einer Satzverbindung ausgesprochenen Bestimmungen diejenigen einander als widersprechend gegenüber stehen, welche nach dem Sein oder Nicht – sein einander gegenüber gestellt werden, so ist z.B. die Verneinung von Menschsein die: Mensch nicht-sein und nicht die: Nicht-Mensch sein; und die Verneinung von: Weisser Menschsein ist: Weisser Mensch nicht-sein, aber nicht: Nicht-weisser Mensch sein. Denn wenn von allen Dingen entweder die Bejahung oder die Verneinung wahr ist, so kann man auch in Wahrheit sagen, dass das Holz ein Nicht-weisser-Mensch ist. Wenn also dies in Wahrheit sich so verhält und wenn da, wo das ist nicht hinzugefügt wird, dasselbe durch das, statt des ist gesetzten Wortes ausgedrückt wird, so ist auch die Verneinung von: der Mensch geht, nicht die: der Nicht-Mensch geht, sondern vielmehr die: der Mensch geht – nicht; da es dasselbe ist, ob man sagt: der Mensch geht, oder: der Mensch ist ein Gehender.

Wenn dies nun überall sich so verhält, so könnte wohl auch die Verneinung von Möglich-sein die sein: Möglich nicht-sein und nicht die: Nicht-möglich sein. Indess scheint doch, dass derselbe Gegenstand vermögend ist, zu sein und nicht-zusein; denn alles, bei dem es möglich ist, dass es geschnitten werden, oder gehen kann, bei dem ist es auch möglich, dass es nicht geht oder nicht geschnitten wird. Der Grund hiervon ist, dass alles, dem diese Möglichkeit einwohnt, nicht immer thätig ist und deshalb wohnt ihm auch die Verneinung ein, da das zum Gehen Fähige auch nicht gehen und das Wahrnehmbare auch nicht wahrgenommen werden kann. Nun ist es aber unmöglich, dass die entgegengesetzten Aussagen von ein und demselben Gegenstande wahr seien und deshalb kann die Verneinung von: Möglich-sein nicht die sein: Möglich nicht-sein.

Hieraus ergiebt sich also, dass man entweder von demselben Gegenstande dasselbe zugleich bejahen und verneinen kann oder dass durch das Sein oder Nicht-sein die beigefügte Bestimmung des Möglichen nicht zu einer Bejahung oder Verneinung wird. Wenn nun ersteres unmöglich ist, so wird man letzteres annehmen müssen und sonach ist die richtige Verneinung von: Möglich-sein die: Nicht-möglich-sein.

Ebenso verhält es sich mit dem Statthaft-sein; auch hier lautet die Verneinung: Nichtstatthaft-sein. Auch mit den anderen, wie mit dem Nothwendigen und Unmöglichen verhält es sich ebenso. In den früher behandelten Fällen war nehmlich das Sein oder Nicht-sein die hinzugefügte Bestimmung und das Weiss oder Mensch waren die unterliegenden Gegenstände; hier ist aber das Sein oder Nicht-sein gleichsam das unterliegende und das Mögliche oder Statthafte sind die hinzugefügten Bestimmungen. So wie dort das Sein oder Nicht-sein das Wahre und das Falsche bezeichnet, so verhält es sich hier mit dem Möglich-sein und Nicht-möglich-sein. Die Verneinung von der Aussage: Möglich nicht – sein ist also nicht die Aussage: Nicht-möglich sein, sondern die Aussage: Nicht-möglich nicht-sein. Ebenso ist von dem: Möglich sein die Verneinung nicht: Möglich nicht-sein, sondern Nicht-möglich sein. Deshalb dürften auch wohl das: Möglich sein und das: Möglich nicht-sein in derselben Reihe einander folgen und sich gegenseitig austauschen. Ein und dasselbe kann möglicherweise sein und auch nicht sein, weil die Aussagen: Möglich sein und Möglich nicht-sein einander nicht widersprechen. Dagegen kann das Möglich sein und das Nicht-möglich sein niemals bei demselben Gegenstande zu derselben Zeit wahr sein, da diese Bestimmungen einander widersprechen.

Ebenso wird niemals das Möglich nicht-sein und das Nicht-möglich nicht-sein bei demselben Gegenstande gleichzeitig wahr sein. Ebenso, ist die Verneinung von: Nothwendig sein, nicht die: Nothwendig nicht-sein, sondern: Nicht-nothwendig sein; und die Verneinung von Nothwendig nicht-sein lautet: Nicht-nothwendig nicht-sein. Auch von dem: Unmöglich sein ist die Verneinung nicht: Unmöglich nicht-sein, sondern Nicht-unmöglich sein; und von dem Unmöglich nicht-sein ist die Verneinung: Nicht-unmöglich nicht-sein.

Ueberhaupt muss hier, wie gesagt, das Sein und das Nicht-sein als das Unterliegende aufgefasst wer den und dasjenige, was die Bejahung und Verneinung hervorbringt, darf nur dem Sein oder Nicht-sein hinzugefügt werden. Sonach hat man als widersprechende Aussagen zu nehmen: Möglich und nicht – möglich; Statthaft, und nicht-statthaft; Unmöglich und nicht-unmöglich; Nothwendig und nicht-nothwendig; Wahr und nicht-wahr.

Aristoteles: Metaphysik, Nikomachische Ethik, Das Organon, Die Physik & Die Dichtkunst

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