Читать книгу Aristoteles: Metaphysik, Nikomachische Ethik, Das Organon, Die Physik & Die Dichtkunst - Aristoteles - Страница 145
Vierzehntes Kapitel
ОглавлениеEs fragt sich, ob die Bejahung das Gegentheil der Verneinung sei, oder ob eine andere Bejahung das Gegentheil der Bejahung sei, und ob die Aussage, dass jeder Mensch gerecht ist, das Gegentheil sei von der Aussage, dass kein Mensch gerecht ist; oder ob die Aussage, dass jeder Mensch gerecht ist, das Gegentheil von der sei, dass jeder Mensch ungerecht ist; wie z.B. Kallias ist gerecht; Nicht-Kallias ist gerecht – Kallias ist ungerecht.
Wenn nun die gesprochenen Worte den Gedanken folgen und die Vorstellungen, welche das Gegentheilige vorstellen, selbst gegentheilig wären, wenn z.B. das: Jeder Mensch ist gerecht, das Gegentheil wäre von: Jeder Mensch ist ungerecht, so müsste es auch bei den ausgesprochenen Bejahungen sich so verhalten. Wenn aber hier die Vorstellung des Gegentheiligen nicht selbst gegentheilig ist, so wird auch die Bejahung nicht das Gegentheil der andern Bejahung sein, sondern das Gegentheil derselben ist dann die erwähnte Verneinung.
Man muss deshalb untersuchen, welche falsche Vorstellung das Gegentheil von der wahren ist, ob dies die Vorstellung der Verneinung ist oder die Vorstellung des gegentheilig-Seienden. Ich meine dies so: Die Vorstellung vom Guten, dass es gut ist, ist wahr und die andere dass es nicht gut ist, ist falsch; eine dritte Vorstellung ist die, dass es schlecht ist. Welche von diesen beiden letzteren ist nun das Gegentheil von der wahren Vorstellung? und wenn nur eine von ihnen die gegentheilige ist, in Bezug auf was ist sie die gegentheilige?
Wenn man nun meint, dass man die gegentheiligen Vorstellungen dadurch kennzeichnen könne, dass sie die Vorstellungen des gegentheiligen Seienden seien, so ist dies falsch; denn die Vorstellung des Guten, dass es gut ist und die Vorstellung des Schlechten, dass es schlecht ist, sind wohl beide dieselben und wahren Vorstellungen, mögen sie nun mehrere oder nur eine Vorstellung sein, und doch sind das Gute und das Schlechte Gegentheile. Die Vorstellungen werden also nicht dadurch gegentheilig, dass sie Gegentheile zu ihrem Gegenstande haben, sondern vielmehr dadurch, dass sie selbst sich gegentheilig verhalten. Wenn daher eine Vorstellung vom Guten dahin geht, dass es gut ist und eine andere, dass es nicht gut ist, und wenn es noch Anderes neben dem Schlechten giebt, was dem Guten nicht einwohnt und nicht einwohnen Kann, so ist keine von den Vorstellungen einer dieser anderen Bestimmungen, als die gegentheilige Vorstellung von der, dass das Gute gut ist, anzunehmen, weder die, welche das dem Guten nicht Einwohnende als einwohnend vorstellen, noch die, welche das ihm Einwohnende als nicht einwohnend vorstellen; (denn beide Arten sind unbegrenzt viele, sowohl die, welche das Nicht-einwohnende als einwohnend vorstellen, als die, welche das Einwohnende als nicht einwohnend vorstellen); vielmehr sind nur die Vorstellungen gegentheilig, welche den Irrthum enthalten und dies sind alle Vorstellungen von Dingen, welche ein Werden haben; denn das Werden geht aus dem Entgegengesetzten hervor und deshalb gehen auch die Irrthümer aus dem Entgegengesetzten hervor.
Wenn nun das Gute sowohl gut, wie nicht schlecht ist und es ersteres an-sich, das letztere aber nur nebenbei ist, (denn das Nicht-schlecht-sein ist dem Guten nur nebensächlich), so ist auch von den wahren Vorstellungen eines Dinges diejenige im höheren Grade wahr, welche es an-sich vorstellt, wenn auch das nebensächliche wahr sein sollte, und ebenso verhält es sich mit den falschen Vorstellungen. Nun ist die Vorstellung des Guten, dass es nicht-gut ist, falsch in Bezug auf das Gute an-sich und die Vorstellung, dass es schlecht ist, ist nur falsch vermöge eines Nebensächlichen am Guten und deshalb wird die Vorstellung der Verneinung des Guten mehr falsch sein, als die Vorstellung seines Gegentheils. Nun täuscht sich Derjenige am meisten, welcher von einem Gegenstande die gegentheiliche Vorstellung hat, denn die Gegentheile sind bezüglich der betreffenden Bestimmung am meisten von einander verschieden. Wenn nun die eine Vorstellung von dieser zwar gegentheilig ist, aber die Vorstellung des Widersprechenden noch mehr gegentheilig ist, so erhellt, dass nur letztere die gegentheilige ist. Die Vorstellung, dass das Gute ein Schlechtes ist, ist überdem eine zusammengesetzte, denn man muss dabei sich wohl auch nothwendig vorstellen, dass es nicht gut ist.
Wenn nun es sich auch in allen anderen Fällen so verhalten muss, so wird die Richtigkeit dieser Annahme auch dadurch bestätigt werden, dass die Verneinung entweder überall die gegentheilige sein muss oder nirgends. Nun ist bei allen Dingen, wofür keine Gegentheile bestehen, die der wahren Vorstellung entgegengesetzte Vorstellung die falsche; so ist z.B. der im Irrthume, welcher einen Menschen für einen Nicht-Menschen hält. Sind dies nun gegentheilige Vorstellungen, so sind es auch die andern verneinenden Vorstellungen.
Ferner verhalten sich die Vorstellungen des Guten, dass es das Gute ist, und die Vorstellung des Nicht-Guten, dass es das Nicht-Gute ist, gleich; und dasselbe gilt auch von den Vorstellungen des Guten, dass es das Nicht-Gute sei und von der Vorstellung des Nicht-Guten, dass es das Gute sei. Welche Vorstellung ist nun wohl das Gegentheil von der wahren Vorstellung des Nicht-Guten, dass es das Nicht-Gute sei? Doch wohl nicht die, welche sagt, dass es das Schlechte sei! Denn diese könnte ja gleichzeitig mit jener wahr sein, während doch die wahre Vorstellung niemals der wahren entgegengesetzt sein kann. Es giebt nämlich auch ein Nicht-Gutes, was das Schlechte ist und deshalb kann es kommen, dass diese beiden Vorstellungen wahr sind. Eben so wenig ist aber die Vorstellung vom Nicht-Guten, dass es das Nicht-Schlechte sei, das Gegentheil; denn auch diese ist wahr und so würden auch in diesem Falle die gegentheiligen Vorstellungen beide wahr sein.
So bleibt nur übrig, dass zu der Vorstellung vom Nicht-Guten, dass es nicht gut ist, die Vorstellung, dass es gut ist, das Gegentheil ist. Ebenso steht die Vorstellung vom Guten, dass es nicht gut ist, der Vorstellung vom Guten, dass es gut ist, als ihr Gegentheil gegenüber.
Offenbar wird es auch keinen Unterschied ausmachen, wenn man die Bejahung allgemein aussagt; denn die allgemeine Verneinung ist deren Gegentheil. So ist z.B. für die Vorstellung, welche vorstellt, dass alles, was gut ist, gut sei, das Gegentheil die Vorstellung, dass keines von dem, was gut ist, gut sei. Denn die Vorstellung des Guten, dass es gut sei, ist, wenn das Gute das Allgemeine ist, dieselbe mit der, welche alles, was irgend gut ist, als gut vorstellt, und diese ist in Nichts von derjenigen verschieden, das alles, was gut ist, gut sei. Ebenso verhält es sich mit der Vorstellung des Nicht-Guten. Wenn es sich nun mit den Vorstellungen so verhält und wenn die in Worten geschehenden Bejahungen und Verneinungen nur die Zeichen für die in der Seele sind, so ist klar, dass zu der allgemeinen Bejahung die allgemeinen Verneinung das Gegentheil bildet; also dass z.B. zu der Vorstellung, dass alles Gute, gut sei oder dass jeder Mensch gut sei, die Vorstellung, dass Nichts oder Niemand gut sei, das Gegentheil bildet. Dagegen sind die widersprechenden Vorstellungen die, dass nicht-alles Gute oder nicht alle Menschen gut seien.
Es erhellt also, dass das Wahre nicht das Gegentheil vom Wahren sein kann, weder als Vorstellung, noch als ausgesprochene Verneinung; denn die gegentheiligen Vorstellungen sagen Entgegengesetztes von einem Gegenstande aus; aber mehrere wahre Vorstellungen können von demselben Gegenstande zugleich wahr sein, während Gegentheile nicht in demselben Gegenstande zugleich enthalten sein können.
Ende.