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Fußnoten

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1.Kunst und Lehre werden hier genannt im Hinblicke auf die Sittenlehre und die Staatskunst, von der jene ein Teil ist; vergl. Einleitung S. V; Handlung und Entschluß oder Willenswahl, im Hinblicke auf die Dinge, in denen die Sittlichkeit subjektiv hervortritt.

2.Streben, εφίεσθαι, ist nicht einfach zum Ziele haben. Von jeder Tätigkeit, auch der des Unbeseelten und Empfindungslosen, gilt, daß sie ein Ziel hat. Streben dagegen, im eigentlichen Sinne, wird dem sinnlich und geistig Beseelten, Tieren und Menschen, zugeschrieben und setzt Erkenntnis des Zieles voraus.

3.Diese Bezeichnung oder Definition des Guten ist von Eudoxus, vgl. X, 2.

4.In der Baukunst ist der Bau besser als das Bauen, weil dieses nur um jenes willen geschieht. Das höhere Ziel ist immer auch das Bessere.

5.In den Tätigkeiten ist ein Unterschied der Güte, je nachdem sie um eines von ihnen verschiedenen Ergebnisses willen verrichtet werden, wie der Krieg um des Sieges willen geführt wird, oder um ihrer selbst willen, wie die Betätigung der Kunst, gut und glücklich zu leben. Insofern aber eine Tätigkeit einer anderen gegenüber eine leitende und maßgebende oder, wie Aristoteles sagt, architektonische Stellung einnimmt, macht es keinen Unterschied, ob sie noch einen weiteren, äußeren Zweck hat oder nicht. Insofern die Kriegskunst den von Aristoteles genannten Künsten und Fertigkeiten Maß und Regel gibt, wie der Zweck dem Mittel, ist dieselbe für sie ebenso architektonisch und ihnen darum ebenso vorzuziehen, wie es die Kunst, gut und glücklich zu leben, im Vergleich zu jeder anderen Kunst und Tätigkeit ist.

6.Statt Vermögen könnte man auch sagen Kunst. Das griechische δύναμις ist das Substantiv von δύνασθαι, können. Von Können ist ja auch Kunst abgeleitet.

7.Ich verstehe unter Μέθοδος, das ich mit Disziplin übersetze, so wie ich es im ersten Satze des Kapitels mit Lehre übersetzt habe, nicht die hier von Aristoteles gelieferte wissenschaftliche Entwickelung, schon darum nicht, weil es sich nach meinem Gefühle unbescheiden ausnehmen würde, wenn Aristoteles sagte, er wolle mit seiner Arbeit Völkern und Staaten zu ihrem wahren Wohle verhelfen.

8.Die Produkte der bildenden Künste sind an Feinheit je nach ihrem Stoffe verschieden. Aus Thon macht man keine so feinen Bildwerke wie aus Marmor oder Elfenbein.

9.Einer der Grundpfeiler der aristotelischen Sitten- und Rechtslehre ist der Satz, daß ihre obersten Grundsätze nicht positiv und veränderlich, sondern in der Natur der Dinge begründet und unveränderlich sind. Vergleiche unten III, 6.

10.Aristoteles sagt wörtlich: nach einem Gute begehrt, ορέγεται. Die vier Substantiva im ersten Satze der Ethik sind hier auf zwei zurückgeführt: γνω̃σις und προαίρεσις; sie zielen auf die zwei Grundkräfte der Seele, Verstand und Wille. Auch der Verstand hat ein Gut, die Erkenntnis.

11.Glückseligkeit, griechisch: ευδαιμονία. Uns fehlt scheints im Deutschen das rechte Wort, um das hier Gemeinte so auszudrücken, wie es das griechische Wort vielleicht tut. Glückseligkeit klingt zu voll oder zu transszendental, Glück ist zu wenig oder zu unbestimmt. Otto Willmann, Aristoteles, S. 79 ff. gibt es wieder mit »Beglückung, Lebensglück«. S. 84 erinnert er daran, daß das Wort ευδαίμων etymologisch jemanden bezeichnet, der einen guten Dämon, Schutzgeist hat, in guter Hut beschlossen ist. Die ursprüngliche Bedeutung tritt aber bei Aristoteles zurück, der es abwechselnd und synonym mit μακάριος und αυτάρκης gebraucht.

12.ευ̃ ζη̃ν, gut leben, ist auch in unserer Sprache zweideutig, wo es nicht blos tugendhaft sondern auch vergnüglich leben bedeutet; ευ̃ πράττειν, das wir faute de mieux mit sich gut gehaben wiedergeben, bedeutet sowohl gut handeln wie sich wohl befinden. Wir werden weiter unten, I, 8, letzter Absatz, sehen, wie Aristoteles die je an erster Stelle angegebene Bedeutung der beiden Ausdrücke benützt, um seine Lehre, daß die Glückseligkeit in Tätigkeit besteht, zu bekräftigen.

13.Vgl. Plato's »Staat« VI. Buch p. 510B.

14.Mit dem Bekannten und auch mit dem uns Bekannten muß man in jeder Untersuchung anfangen, um das noch nicht Bekannte zu finden. Dieses Bekannte ist aber zuweilen auch schlechthin oder an sich bekannter, wie in der Mathematik, wo man von den höchsten und zugleich einfachsten Prinzipien ausgeht, um daraus die Folgesätze abzuleiten; zuweilen aber ist es nur für uns bekannter, wie in den Naturwissenschaften, wo man von den mannigfach zusammengesetzten Erscheinungen ausgeht, um aus ihnen deren einfache Gründe abzuleiten, die an sich bekannter sind, insofern es nämlich dem natürlichen Gange der Erkenntnis entspricht, zuerst den Grund zu erkennen und dann die Folge. Aristoteles erklärt nun aus Anlaß der ersten Frage, die er stellt, der nach dem höchstem Gute, daß er in Beantwortung dieser sowie der folgenden Fragen der Ethik und Politik von dem uns Bekannten ausgehen will, von dem »daß«, um dann auch das »darum« zu bestimmen. Er will also von der Voraussetzung, daß das und das, z. B. die Sinnlichkeit bezähmen, dem Geiste leben, sittlich gut und wertvoll ist, ausgehen. Dann, sagt er, ergebe sich leicht, warum es das ist. Und hieran schließt sich naturgemäß die weitere Bemerkung, daß der Hörer der Ethik bereits zu guten Sitten und edler Gesinnung erzogen sein müsse, um das, was gut und was nicht gut ist, zu unterscheiden.

15.Hesiod, Werke und Tage, Vers 291 ff.

16.Mit enzyklischen Schriften sind vielleicht dieselben Schriften des Aristoteles gemeint, die er anderwärts die exoterischen Schriften nennt, wahrscheinlich darum, weil sie die philosophischen Stoffe in mehr populärer Form behandelten; cf. Bonitz, Index Aristotelicus sub voce Aristoteles 104b sq.

17.Man vergleiche bezüglich der Ideenlehre Plato's Metaphysik I, 6 u. 9 und die Anmerkung 17 in unserer Übersetzung der Metaphysik I, 184.

18.Der erste ist der Wille, an sich eine blinde Seelenkraft, die erst vom Verstande die rechte Leitung empfängt; der zweite der Verstand oder die Vernunft. In der Tätigkeit oder dem Aktus des Verstandes, das ist Aristoteles Meinung, liegt das spezifisch Menschliche mehr als in der des Willens. Daher ist auch seine Tätigkeit genußreicher und seliger. Den Gedanken einer spezifisch menschlichen Tätigkeit und Tugend oder Tüchtigkeit hat schon Plato, Staat, I, 352f.

19.Aktuell tätig, πρακτικὴ κατ ενέργειαν, im Gegensatze zu habituell tätig, wie z. B. das Leben des Handwerkers ein tätiges ist, ohne daß er deshalb immer arbeitet. Es ist also nicht an den Gegensatz von Verstandes- und Willenstätigkeit zu denken, als wäre die erste Selbsttätigkeit, die zweite, als abhängig von der ersten, es nicht.

20.Die genauere Bestimmung der Glückseligkeit folgt am Schlusse des ganzen Werkes, X, 6–9.

21.Im Proömium, siehe Kapitel 1 Anm. 9.

22.Ein solcher Fehler würde z. B. gemacht werden, wenn in dieser praktischen Disziplin der Moral eigens und weitläufig Fragen der Psychologie, die eine theoretische Disziplin ist, behandelt würden.

23.Wollte man von jedem, auch der Ursache, die Ursache wissen, so nähme das Fragen kein Ende. In der Gotteslehre hat seit Kant die Außerachtlassung der aristotelischen Warnung viel Verwirrung angerichtet und Unheil gestiftet. Gott, als höchste und letzte Ursache, hat nicht wieder eine Ursache. Er ist auch nicht im positiven Sinne sich selbst Ursache. So darf auch in der Glückseligkeitslehre, nachdem einmal festgestellt sein wird, was die Glückseligkeit ist, nicht noch weiter gefragt werden, warum wir sie denn begehren. Aristoteles sagt, »bei einigem«, έν τισι, genüge es, das »daß« anzugeben, d. i. bei den letzten Zwecken. Das »daß«, gewisse Definitionen und Grundsätze, sind Prinzipien jeder Wissenschaft.

24.Durch Induktion kann man z. B. in der Mathematik finden, daß alle Zahlen grade oder ungrade Zahlen sind; durch Wahrnehmung in der Physik, daß alles Lebendige der Nahrung bedarf; durch Gewöhnung in der Moral, daß die Begierde durch Widerstand geschwächt wird; noch auf andere Weise, durch Erfahrung nämlich, findet man im Handwerk die Prinzipien, d. h. hier die Regeln, nach denen das Handwerk auszuüben ist. Nach Thomas von Aquin.

25.Das Prinzip enthält, wie der Keim den ausgebildeten Organismus, so virtuell die Folgesätze. Hier handelt es sich besonders um die Frage nach der Glückseligkeit als menschlicher Endbestimmung. Denn von dieser Bestimmung hängt alles, was der Mensch zu tun und zu lassen hat, also der ganze Inhalt der Sittenlehre und auch der Staatslehre, ab.

26.Vgl. Kapitel 2 Anm. 13.

27.So wird denn die Glückseligkeit besser als tugendgemäße Tätigkeit oder Betätigung der Tugend und Tüchtigkeit definiert, denn als Tugend.

28.Weil die Ursache der Glückseligkeit anders bestimmt werden muß, je nachdem man diese selbst in die Tugend oder in das äußere Wohlergehen setzt.

29.Je höher ein Ziel ist, desto höher muß die Ursache sein, durch die man zu diesem Ziele geführt wird. So ist denn anzunehmen, daß der Mensch zu seinem letzten Ziele mit Hilfe der höchsten Ursache, d. i. Gottes, gelangt. Diese Frage gehört aber mehr in die Metaphysik. In dem gleichnamigen Werke, XII, 10, führt Aristoteles aus, daß alles Gute in der Welt von Gott kommt, der in der Welt dieselbe Stellung einnimmt wie der Feldherr im Heere und der Hausvater in der Familie. Man vergleiche auch de gener. animal. II, 1, 731b 24, wo Aristoteles im Anschluß an Plato folgendermaßen über die letzte Zweckbestimmung der Zeugung philosophiert: »Da die Dinge teils ewig und göttlich sind (wie nach des Philosophen Ansicht die inkorruptibeln und von Gott ähnlichen Wesen, den Sphärengeistern, bewegten Himmelskörper), teils vergänglich, dem Gesetz des Werdens und Vergehens unterworfen, und da das Schöne und das Göttliche (die Gottheit) seiner Natur entsprechend allezeit die Ursache des Besseren in den vergänglichen Dingen ist, da ferner die nichtewigen Dinge mehr oder minder gut sein und mehr oder minder am Guten teilhaben können – wiederum, da die Seele etwas Besseres ist als der Körper, und das Beseelte als das Seelenlose, eben wegen der Seele, und das Sein als das Nichtsein, und das Leben als das Nichtsleben, so ist es auf diese Ursachen zurückzuführen, daß es im Bereich des sinnlich Belebten eine Zeugung gibt. Da nämlich die Natur der Wesen, die da werden und wieder vergehen, keine Ewigkeit zuläßt, so sind sie insoweit ewig, als sie es vermögen. Nun vermögen sie aber der Zahl nach, d. h. als Einzelwesen, nicht, ewig zu sein – denn das Wesen der Dinge ist nur in den Einzelwesen wirklich da, und wären diese so, so wären sie ewig –, wohl aber vermögen sie, der Art nach ewig zu sein. Deswegen gibt es eine immer sich wiederholende Geschlechtsfolge von Menschen, Tieren und Pflanzen. Da aber das Prinzip dieser Wesen das Weibliche und das Männliche ist, so ist dieser Unterschied der Geschlechter der geschlechtlichen Zeugung wegen da«. Man vergleiche Plato's Gastmahl 207f. Zu der Stelle der Ethik, die wir kommentieren, vergleiche man ferner in eben unserer Ethik weiter unten X, 9 Schluß. – Daß die Tugend (und Tüchtigkeit) und somit auch das Lebensglück in gewisser Hinsicht auch göttlicher Schickung oder Fügung, θεία μοίρα, zu danken ist, lehrt schon Sokrates am Schlusse des Dialogs Meno.

30.Man sieht hieraus, daß Aristoteles die Natur und den Menschen für das Werk einer schöpferischen Weisheit hält und Gott als Urheber der Dinge und insbesondere der menschlichen Natur mit einem weisen Künstler vergleicht. Das liegt auch in dem ihm geläufigen Spruch, daß die Kunst die Natur nachahmt, vgl. z. B. Physik, II, 2. Denn dies setzt voraus, daß die Natur selbst das Werk einer höchsten Kunst ist, die Leistung der besten Ursache, τη̃ς αρίστης αιτίας, wie Aristoteles sich ausdrückt. Auch von Plato im Timäus wird die Welt bekanntlich als Kunstwerk des höchsten Meisters, des Demiurgen, beschrieben. An der vorliegenden Stelle der Ethik interessiert noch der Umstand, daß die Anschauung, wonach gewissermaßen jeder nach unserem deutschen Sprüchwort seines Glückes Schmied ist, zur unerläßlichen Voraussetzung die menschliche Willensfreiheit hat, von der Aristoteles noch im folgenden ausführlich handeln wird.

31.Anspielung auf ein Wort des Dichters Simonides.

32.Der Inhalt dieses 11. Kapitels hängt durchaus mit der Frage nach dem Begriffe der Glückseligkeit zusammen. Je nachdem man ihn faßt, muß es sich entscheiden, ob sie in diesem Leben erreichbar und als vorhanden erkennbar ist oder nicht. Die bekannte Mahnung des Solon, vor dem Tode niemanden glücklich zu preisen, erfährt eine berechtigte Kritik. Da die Glückseligkeit oder sollen wir sagen das Lebensglück in tugendgemäßer Tätigkeit besteht und die Tugend ein fester Besitz ist, fester beinahe als alles andere im Leben, so ist sie ebenso erreichbar und als vorhanden erkennbar wie dauerhaft und beständig. Das äußere Wohlergehen gehört freilich auch zum Lebensglück, und insofern als dieses eine ungewisse Sache ist, kann man ja sagen, daß die Entscheidung, ob ein Leben glücklich war, erst bei dessen Ende gefällt werden kann. Aristoteles macht nun auch einige Bemerkungen über die Eudämonie nach dem Tode, die vielfach arg mißverstanden worden sind, als ob es ihm zufolge ungereimt wäre, überhaupt von einer Glückseligkeit Verstorbener zu reden, und die Seele, wenn sie etwa nach dem Tode fortbestehen sollte, doch aller Tätigkeit beraubt wäre. Ebenso wird nicht immer gut verstanden was er von dem Zusammenhang der Verstorbenen mit den Überlebenden sagt. Man bemerke also, daß er in der Ethik von der hienieden und im Staate erreichbaren Glückseligkeit redet. Es ist das Glück, dessen der Mensch als Mensch und Bürger fähig ist, das den Vorwurf und das Ziel der Sitten-, Rechts- und Staatslehre ausmacht. Nach dem Tode besteht der Mensch als Mensch so wenig fort wie als Bürger, weil Mensch der Verein von Leib und Seele ist. Darum will man ja auch das Wort Eudämonie lieber mit Lebensglück als mit Glückseligkeit wiedergeben, weil eben das diesseitige Glück gemeint ist. Dieses besteht in tugendgemäßer menschlicher Tätigkeit. Dieselbe hört aber offenbar nach dem Tode auf. Es konnte Aristoteles Absicht nicht sein, die Unsterblichkeit zu läugnen, einmal weil die Frage von der Unsterblichkeit in die Ethik, wie er sie behandelt, nicht gehört und es seiner streng systematischen Manier widerspräche, an diesem Orte die Unsterblichkeit stillschweigend und als wäre es so selbstverständlich, preißzugeben; dann auch, weil sie anderwärts von ihm ausdrücklich oder stillschweigend ausgesprochen und in der Psychologie mit Sorgfalt bewiesen wird. Er gehörte nämlich zu den jetzt, nach Kant und Schopenhauer, für rückständig geltenden Menschen, die in allem Ernste glauben, die Unsterblichkeit wissenschaftlich beweisen zu können. Aristoteles konnte aber auch mit der Bemerkung, es sei ungereimt, von einer Eudämonie Verstorbener zu reden, nicht sagen wollen, es gebe überhaupt keine Glückseligkeit für sie. Denn dem widerspricht der Schlußsatz dieses Kapitels: mag was im Leben geschieht, die Todten berühren oder nicht, es kann auf keinen Fall ihre Glückseligkeit in Unglückseligkeit verwandeln. Was nun seine Reflexionen über den Zusammenhang der Verstorbenen mit den diesseitigen Vorgängen betrifft, so bedenke man, daß die Verstorbenen für diese Welt, der allein die Aufmerksamkeit unseres Ethikers zugewandt ist, nur im Andenken der Nachwelt fortleben, und daß sie demnach nur insofern von den diesseitigen Vorgängen berührt werden, als dieselben ihr Ansehen fördern oder schädigen. Dahin gehören also die Ehrungen und Diffamationen der Verstorbenen selbst; dann die gute oder schlechte Führung ihrer Hinterbliebenen und Freunde, sowie auch deren Glück oder Unglück. Denn auch das muß in gewisser Weise ihr Ansehen mehren oder mindern.

33.Vgl. Kapitel 3 Anm. 17.

34.Da mit diesem Kapitel der Kern des Buches, die Erörterung der Tugend, beginnt und die Tugend wie sie hier gemeint ist, der Seele angehört, so wird zum besseren Verständnis einiges aus der Seelenlehre vorausgeschickt. Sogar der Staatsmann, meint Aristoteles ganz im Sinne der sokratischen Philosophie, müsse einigermaßen in der Seelenlehre zu Hause sein. So unterscheidet er denn den rationalen und den irrationalen Seelenteil, das ist einerseits Verstand und Willen, anderseits Sinnlichkeit und vegetatives Vermögen. Die beiden Seiten des rationalen Teils entsprechen den beiden Klassen der Tugend, den dianoëtischen und den Charaktertugenden, die er vom 2. Buche an behandelt. Hier aber, an unserer Stelle, schickt er, wieder im Interesse der Systematik, die Bemerkung voraus, es müsse in unserer Disziplin unentschieden bleiben, ob die Seelenteile wie Teile des Körpers von einander getrennt oder nur dem Begriffe nach verschieden sind. Plato hatte die Vernunft in den Kopf verlegt, den Zorn oder Eifer oder wie man auch sagt, den iraszibeln Seelenteil in den oberen, die Begierde oder Lust oder den konkupiszibeln Seelenteil in den unteren Teil des Rumpfes, Timäus 69. Aristoteles will die Möglichkeit offen lassen, daß die Seelenvermögen sich nicht dem Orte und dem Subjekte, d. h. dem Träger nach unterscheiden, sondern nur dem Begriffe nach, wie die innere und die äußere Seite einer Kreislinie. Dieses Bild muß man richtig verstehen. Die Seelenkräfte, Verstand und Sinnlichkeit, sind auf keinen Fall nur der Betrachtungsweise nach verschieden, sondern real als zwei Vermögen der einen und ungeteilten Seelensubstanz, ja, sie sind auch ihrem Träger nach verschieden, insofern der Verstand ausschließlich im Geiste seinen Sitz hat, die Sinnlichkeit aber in dem Ganzen aus Geist und Körper.

35.Vgl. VII, 11, 2. Absatz.

36.Das griechische Wort, das Gewohnheit heißt, lautet έθος mit kurzem e, das griechische Wort, das sittlich heißt, lautet ηθικός mit langem e.

37.Nämlich VI, 1 ff.

38.Dies ist selbstverständlich und wie auch gleich der folgende Satz und die folgende Begründung zeigt, nicht so zu nehmen, als ob Lust und Unlust oder Lust- und Unlustgewährendes der eigentliche Gegenstand wäre, dem gegenüber sich jede sittliche Tugend betätigt; die Gerechtigkeit hat es vielmehr mit den Pflichten gegen den Nächsten, der Mut mit dem Verhalten gegenüber Gefahren und Schwierigkeiten zu tun; wohl aber ist Lust und Unlust am rechten Ort das Ziel jeder sittlichen Tugend, insofern sie darin besteht, sich am Guten zu freuen und über das Schlechte Leid zu empfinden. Vgl. VII, 12.

39.Plato sagt am Anfang des 2. Buches der Gesetze, die rechte Erziehung beginne damit, den Seelen der Kinder schon vor dem Vernunftgebrauch die rechte Lust und die rechte Liebe, die rechte Unlust und den rechten Haß einzuflößen.

40.Nämlich die sittliche Tugend oder die Charaktertugend im Unterschied von der Verstandestugend.

41.Wie der Ausspruch des Heraklit wörtlich gelautet hat, ist mir unbekannt. Die Übersetzer verweisen wohl auf Heraklits Fragment 85 (H. Diels, Die Fragmente der Vorsokratiker), eine Stelle, die auch Politik V, 11. 1315a 30 vorkommt: »Mit dem Zorn, θυμός, ist schwer kämpfen; denn er setzt die Seele ein«. Aber dieser Ausspruch dürfte kaum hieher passen.

42.Der Weg zur Tugend besteht also nicht in hohen Worten, sondern in treuer fortgesetzter Übung. A force de forger on devient forgeron, sagt ein französisches Sprüchwort.

43.Bekanntlich ein durch seine Kraftleistungen wie sein Eßvermögen gleich berühmter Athlet.

44.Die Tugend wie die Natur sicherer und besser als alle Kunst – sicherer, weil sie kraft der Gewohnheit zur anderen Natur wird, und die Natur immer auf eines geht, während die Kunst auf grund des den Künstler leitenden allgemeinen Begriffs auf dies und jenes gehen kann; besser, weil sie zum Guten geneigt macht, während die Kunst auch wohl mißbraucht wird.

45.Bezugnahme auf die Reihe der zehn pythagoreischen Doppelbegriffe: Lust, Finsternis, Einheit, Vielheit u. s. w., von denen die einen Prinzipien des Guten, die anderen Prinzipien des Schlechten sein sollten. Vgl. oben I, 4. Absatz 6.

46.Die Herkunft dieser Sentenz ist unbekannt.

47.Der Mut, ανδρεία, wörtlich Mannhaftigkeit, ist streng genommen nicht jener Starkmut, den man als eine der vier Grund- oder Kardinaltugenden bezeichnet, sondern in engerer Bedeutung die Seelenstärke gegenüber drohender Todesgefahr. Wir können den Begriff aber auch nicht mit Tapferkeit wiedergeben, weil dieses speziell den Mut in Kampf und Krieg bedeutet. Die Mäßigkeit, σωφροσύνη, besagt nicht Selbstbezwingung und Maßhaltung gegenüber jeder Begierde und Lust, sondern nur gegenüber jener, die auf dem Gefühl und Geschmack beruht. Vgl. unten III, 13 und VII, 6. Vgl. auch V. Buch Anm. 107. – Aristoteles unterscheidet beim Mute Furchtlosigkeit und Zuversicht als Abwesenheit der Angst und Vorhandensein des Sinnes zu wagen und zu trotzen.

48.Später, nämlich IV, 1. Für die Folge verweisen wir unsere Leser für solche Stellen der Ethik, die in dieser selbst angezogen werden, auf den Appendix in der griechischen Textausgabe von Susemihl-Apelt 278 ff. Siehe die Einleitung.

49.Ein Typus von Ironie ist Sokrates, der sich unwissend stellte, um andere durch Fragen zum Bewußtsein ihrer Unwissenheit zu bringen. Das Wort hat meistens die weitere Bedeutung geistreichen Spottes.

50.ευτραπελία, Artigkeit, eigentlich Wohlgeartetheit oder ihr entsprechendes Verhalten. Das griechische Wort hängt mit τρόπος zusammen, wie Artigkeit mit Art, das gleichbedeutend mit τρόπος ist. Vielleicht ist ευτραπελία mehr mit Rücksicht auf die Bedeutung Wende und Wenden, die τρόπος und τρέπειν hat, gebildet und bedeutet so eigentlich Gewandtheit. Vergl. übrigens das über ευτράπελοι οι̃ον εύτροποι Gesagte. IV, 14, Absatz 2.

51.Freundlichkeit, φιλία. Das griechische Wort hat mindestens vier Bedeutungen 1) Liebe im Gegensatz zu μισος, Haß, 2) Freundschaft, 3) das Verhältnis der gegenseitigen Liebe oder Interessengemeinschaft oder Zusammengehörigkeit, wie es besteht a) zwischen Verwandten, Gatte und Gattin, Eltern und Kindern, Bruder und Schwester u. s. w., b) Genossenschaftsmitgliedern oder Partnern an einem gemeinsamen Unternehmen, c) Angehörigen einer Volksabteilung, Klasse oder Zunft; endlich 4) Freundlichkeit oder auch der Freundschaft entsprechendes Benehmen und Entgegenkommen.

52.Die Worte stehen Odyssee 12, 219 f. und werden von Odysseus im Sinne, nicht der Kalypso, sondern der Zirze an den Steuermann gerichtet als Mahnung, bei der Durchfahrt durch die Meerenge sich mehr von der Charybdis als von der Szylla fern zu halten.

53.Die Worte stehen Ilias 3, 158 ff. und lauten:

»Gleicht sie an Schönheit doch der unsterblichen Göttinnen einer.

Aber so schön sie auch ist, so mag sie doch lieber nach Hause

Segeln, daß nur kein Unheil uns und die Unsern betreffe.«

54.Hier ist keiner von den fünf äußeren Sinnen, sondern die sogenannte sinnliche Urteilskraft gemeint. Man vergleiche das VI, 8 Absatz 2 über die Klugheit Gesagte; ebenso VI, 9 letzter Absatz nebst der Anm. 168.

55.In der nun verlorenen Tragödie des Euripides erschlug Alkmäon seine Mutter, um dem Fluche seines Vaters zu entgehen, der ihm beim Aufbruche zum thebanischen Kriege jenen Auftrag unter Androhung seines Fluches gegeben hatte. – Daß man eher sterben als gewisse Handlungen begehen soll, ist entweder wegen der jenseitigen Vergeltung gesagt oder deswegen, weil die Pflichttreue ein höheres Gut ist als das Leben. »Das Leben ist der Güter höchstes nicht, jedoch der Übel größtes ist die Schuld«.

56.Dieser Absatz faßt das Vorige zusammen. Wir bemerken hier nachträglich, daß der Zusatz in der Definition von erzwungen: wo der Handelnde nichts dazu tut, bedeutet, daß der Wille des von außen leidend Beeinflußten dem Geschehenden nicht zustimmen darf. Denn wie wir im folgenden Absatz hören, ist ein Einfluß von außen, seitens des Objektes, bei allem, was man begehrt und erstrebt, vorhanden.

57.Man urteile hiernach und nach der ganzen Darlegung in den folgenden Kapiteln, ob Aristoteles, wie man wohl behauptet, die Willensfreiheit läugnet! Wenn überhaupt menschliche Worte imstande sind, einen Sinn bestimmt und unzweideutig auszudrücken, dann muß man sagen, daß Aristoteles die Freiheit des menschlichen Willens ausgesprochen hat.

58.»Äschylus, vor den Areopag geladen unter der Anklage, in mehreren seiner Stücke das Geheimnis der Eleusinischen Mysterien verraten zu haben, verteidigte sich mit der Einrede, daß er niemals in die Mysterien eingeweiht gewesen sei (Clemens Alexandr. Strom. II, 387)«; nach Lasson.

59.»In der Tragödie des Euripides »Kresphontes« stellt Merope dem eigenen Sohne nach dem Leben, den sie nicht kennt«; nach Lasson.

60.Mit Willenswahl, lateinisch electio, übersetzen wir προαίρεσις. Es bedeutet eigentlich, wie Aristoteles am Ende des Kapitels bemerkt: einem vor anderem den Vorzug geben. Oft ist es mit Vorsatz wiederzugeben. Der Vorsatz scheint aber vorauszusetzen, daß die Ausführung noch etwas aussteht, oder auch, daß sie schwer oder langwierig ist. Am Scheidewege wähle ich z. B. den Weg rechts, mache aber keinen Vorsatz ihn einzuschlagen. Oder ich mache den Vorsatz, mich in der Geduld zu üben, erwähle das aber nicht, weil es nicht ohne weiteres bei mir steht.

61.βουλεύεσΦαι, überlegen. Andere geben es mit beratschlagen;. lateinisch consiliari oder consultare.

62.Die erste Ursache, die zuletzt gefunden wird, ist das erste in der Ordnung der Ausführung, womit man beginnt, um darauf die weiteren Handlungen folgen zu lassen, deren letzte das Werk vollendet.

63.Dieser Absatz soll zeigen, daß es beim Überlegen eine Grenze und ein Ende gibt: 1) von Seiten des Handelnden; die Überlegung hört auf und das Handeln fängt an, sobald man weiß, was zu tun ist; 2) von Seiten des Ziels; die Überlegung hört auf, sobald die Mittel zum Ziele gefunden sind; denn das Ziel selbst ist kein Gegenstand der Überlegung; 3) von Seiten der Mittel; daß sie die gesuchten Mittel sind, sagt uns die Wahrnehmung. Der letzte Satz: man käme sonst an kein Ende, soll indirekt, per impossibile, dartun, daß alle Überlegung an diesen drei Momenten ihr Ziel hat. Vgl. Buch I, Kap. 7, Anm. 24.

64.Man vergleiche auch zu diesem Kap. die Anm. 58 im 1. Kapitel!

65.Man weiß nicht, von wem dieser Ausspruch ist. – Die Ausführungen in diesem Kapitel sind gegen Platos Satz gerichtet, daß alle Verfehlung unfreiwillig oder auch durch mangelndes Wissen verschuldet ist; man sehe z. B. Gesetze, IX, 860 D und Protagoras 357 ff. In der großen Ethik I, 9. 1187a7 wird auch ausdrücklich gegen den vorgeblichen Satz des platonischen Sokrates, es sei nicht in unserer Gewalt, tugendhaft oder schlecht zu sein, Stellung genommen, wie auch in unserer Ethik VII, 3 gegen seine Lehre, es sei unmöglich, gegen besseres Wissen zu handeln. Plato wird aber im Grunde über die Freiheit und Verantwortlichkeit des Menschen kaum anders als Aristoteles gedacht haben. Er unterschied erstens zwischen schlecht sein und schlechtes tun und meinte, wer schlechtes tue, wolle doch nicht schlecht sein. Er nahm zweitens das Wort Freiheit und Freiwilligkeit in dem idealen Sinne, in dem eigentlich nur das frei und freiwillig ist, was der höhere, von Leidenschaft, Begierde und Zorn, unberührte und unbewegte Wille beschließt. Er nahm drittens das Wort Wissen, επιστήμη, im Sinne des vollkommenen Wissens, das wirklich mit keinem überlegten Fehltritt vereinbar ist, da das Fehlen vielmehr voraussetzt, daß das Wissen entweder schon anfangs unvollkommen war, oder in der Folge durch eigene Schuld, unter dem Einflüsse der Begierde, getrübt und gestört wird. – Vgl. über Plato bezw. Sokrates weiter unten III, 11, 1116b 4, wo sich Aristoteles auf den Schluß des Protagoras bezieht, ebd. VI, 13. 1144b. 17-28.

66.Vgl. Politik, Schluß des 2. Buches: »Dem Pittakus ist das Gesetz eigentümlich, nach dem die Betrunkenen, wenn sie jemanden geschlagen haben, strenger bestraft werden sollen, als die Nüchternen. Denn da Ruchlosigkeiten häufiger von Betrunkenen verübt werden als von Nüchternen, so wollte er die Rücksicht auf den Zustand der Trunkenheit als Entschuldigungsgrund weniger gelten lassen als den Nutzen, der in der Verhütung der Exzesse liegt.« Vgl. auch Rhetorik II, 25: »Wenn einer das Enthymema vorgebracht hat: den Betrunkenen muß man verzeihen; denn sie fehlen, ohne es zu wissen, so lautet der Einwurf: dann wäre also Pittakus nicht zu loben; denn hätte er so gedacht, so würde er nicht in seinen Gesetzen auf Vergehen eines Betrunkenen größere Strafen gesetzt haben.«

67.Vgl. Anm. 66.

68.Hier sind Sklaven gemeint.

69.Jede Kraft wird nach dem Letzten und Höchsten bestimmt, was sie leisten kann.

70.Nämlich für den Todten haben alle Güter und Übel des gegenwärtigen Lebens ein Ende. Vielleicht ist auch daran gedacht, daß für Sinn und Erfahrung mit dem Tode alles aus ist, und darum Mut dazu gehört, mit guter Hoffnung zu sterben.

71.Der Tod im Kriege wird hier besonders genannt, weil der Tod am häufigsten in dieser Gestalt die Mannhaftigkeit auf die Probe stellt. Indessen gilt gleiches von jedem Tode, der für ideale Güter erlitten wird.

72.Ilias XXII, 100.

73.Ilias VIII, 148.

74.Ilias II, 391. Nicht Hektor, sondern Agamemnon spricht diese Worte, wie es auch Politik III, 14 richtig heißt.

75.Letzthin wollte Sokrates wohl sagen, rechter Mut sei, das nicht zu fürchten, was es nicht verdient, wenn auch die törichte Menge es für furchtbar halte, während es mit Mut gar wohl zusammengehe, das zu fürchten, was auch dem weisen und klugen Mann Furcht einflößen muß. Vgl. Kapitel 7, Anm. 66.

76.Dort blieben im letzten Heiligen Kriege die Bürger von Koronea sämtlich auf dem Platze, während die Hilfstruppen das Heil in der Flucht suchten.

77.Vgl. Ilias XVI, 529; V, 510; Odyssee XXIV, 318. Das an 4. Stelle angeführte Wort steht nicht in unserem Homer.

78.Die Begebenheit erzählt Xenophon, Hellenica IV, 4. Sie fällt in das Jahr 392 v. Chr.

79.Aristoteles redet hier wider die später besonders von den Stoikern verfochtene Meinung, als sei der Tugendhafte gegen den Schmerz unempfindlich und halte ihn für kein Übel. Daß der Tugendhafte, wie Sokrates, in der Hoffnung auf die jenseitige Vergeltung auch gern sterben kann, läßt er unberücksichtigt, entweder weil das auch die von ihm befehdeten Gegner taten, oder weil die Dinge der anderen Welt für die gegenwärtige Erörterung außer Acht bleiben müssen.

80.Aristoteles scheint sagen zu wollen, nach dem Obigen könne es nicht schwer fallen, eine förmliche Definition des Mutes zu geben. Daher dürfte es auch nicht angehen, den Anfang des 3. Absatzes dieses Kapitels: έστι μὲν ου̃ν η ανδρεία τοιου̃τον τι zu übersetzen: »das ist also das Wesen des Mutes«.

81.Mit Mäßigkeit geben wir σωφροσύνη wieder; vgl. oben II. Buch, 7. Kapitel, Anm. 48; wobei wir uns freilich der Inkongruenz der Begriffe wohl bewußt sind. Unter unvernünftigem Seelenteil ist nach I, 13 das sinnliche Strebevermögen zu verstehen, das im Menschen der Vernunft gehorchen soll und so an der Tugend teil haben kann. Die Mäßigkeit kommt gegenüber den Dingen zur Geltung, die das menschliche Leben erhalten, sei es das individuelle, sei es das der Gattung, also gegenüber dem, was der Ernährung und Fortpflanzung dient; der Mut seinerseits zeigt sich gegenüber den Dingen, die das Leben mit Zerstörung bedrohen. Man bemerke aber, daß beide, Mäßigkeit und Mut, es mit solchen suchenden und fliehenden Strebungen zu tun haben, die uns mit den unvernünftigen Tieren gemeinsam sind. Denn auch bei ihnen findet sich der Zug zur Befriedigung des Nahrungs- und Geschlechtstriebes und die Flucht vor dem Tode. Daher ist speziell gesagt, daß Mäßigkeit und Mut die Tugenden des unvernünftigen Seelenteils sind; sie sind es nicht blos mit Rücksicht auf die Affekte, die ja immer die Beteiligung der Sinnlichkeit voraussetzen, sie sind es auch mit Rücksicht auf deren Gegenstände, die auch die Tiere berühren. Gibt es doch Affekte, deren Gegenstände die Tiere nicht berühren, z. B. Ehrgeiz und Habsucht.

82.Aristoteles sagt: »jeder von diesen beiden (auf die mit den Bezeichnungen Ehrgeiz und Wißbegierde hingewiesen worden) freut sich.« – Wenn es heißt, daß von Ehre und Wissenszunahme nicht der Leib, sondern der Geist oder vielmehr das Denkvermögen, die διάνοια, affiziert wird, πάσχει, so ist das so zu verstehen, daß die Ehre und die Wissenschaft vom Verstande, der leidend sein Objekt aufnimmt, erfaßt werden, nicht so, als ob die freudige Erregung über empfangene Ehre oder neu erlangtes Wissen nicht auch sinnlich wäre. Jede Gemütsbewegung setzt die Tätigkeit der ganzen strebenden Kraft im Menschen, der höheren und der niederen, voraus.

83.Das Gefühl sitzt nämlich auch im Schlunde, während der Geschmack nur in der Zunge sitzt.

84.Ilias, XXIV, 129.

85.Die bisher behandelten Tugenden des Mutes und der Mäßigkeit beziehen sich auf die Güter und Übel, die das menschliche Leben direkt erhalten oder zerstören. Die nun zu behandelnden Tugenden beziehen sich auf Güter und Übel zweiter Ordnung, die nicht in derselben Weise zum Leben notwendig sind oder es in Frage stellen, so die Freigebigkeit auf das Geld, das Ehrgefühl auf Ansehen und guten Namen, die Wahrhaftigkeit auf die Erhaltung von Treue und Glauben unter den Menschen.

86.Diese Restriktion geht auf den Mut, vgl. III, 12. Absatz 2.

87.Dieses Nehmen besonders im Unterschied von dem Verschwender.

88.Der Dichter Simonides war wegen seines Geizes berüchtigt. Vgl. Rhetorik II, 16: »Simonides antwortete auf die Frage, ob es besser sei, reich oder weise zu sein, reich; denn er sehe die Weisen in den Vorhöfen der Reichen verweilen.« Ein Philosoph hat freilich einmal auf den Hinweis, daß nicht umgekehrt die Reichen vor den Türen der Philosophen anzutreffen seien, gemeint, die Reichen wüßten nicht was ihnen fehlt, die Philosophen aber wohl.

89.Sie heißt griechisch μεγαλοπρέπεια, lateinisch magnificentia, von μέγας und πρέπειν, wie Aristoteles im 1. Absatz sagt: εν μεγέθει πρέπουσα δαπάνη. Sie ist wohl zu unterscheiden von dem Hochsinn, μεγαλοψυξία, von dem weiter unten gehandelt wird.

90.Worte des Odysseus an Antinous, Odyssee XVII, 419.

91.»Die Bewohner von Megara galten bei den Athenern als kleinstädtische Leute, ohne Geschmack und Sinn für das Angemessene. Die Ausrüstung des Chors in der Komödie sollte an und für sich schon bescheidener sein als die des Chors in der Tragödie. Unter der πάροδος ist wohl das erste Auftreten des Chors, nicht der Zugang, durch den er eintritt, zu verstehen, und πορφύρα ist eher auf die Purpurgewänder als auf purpurne Vorhänge zu deuten«; so Lasson.

92.Diese Tugend heißt griechisch μεγαλοψυχία, lat. magnanimitas. Man begegnet wohl der Auffassung, daß die hier von Ar. gegebene Darstellung des Magnanimus einen spezifisch heidnischen, unchristlichen Geist verrate. Der Magnanimus unseres Philosophen soll nichts von christlicher Demut, bescheidener Dankbarkeit, schlichter Unterwürfigkeit haben. Wir teilen diese Auffassung durchaus nicht. Auch die Behauptung, die vor kurzem in einer philosophischen Zeitschrift zu lesen war, Thomas von Aquino habe den aristotelischen Begriff des Magnanimus im christlichen Sinne verbessert, scheint mir verkehrt. Das Gegenteil dürfte der Fall sein. Man lese nur in dem reifsten Werke des Aquinaten, der theologischen Summa, die 129. Quästion der secunda secundae, besonders Artikel 3. Daß man für alles Gute, was man hat, Gott die Ehre geben muß, ist ja wahr, aber mit der Darstellung des Ar. auch gut vereinbar.

93.d. h. er hält sich für würdiger, als er ist; nicht aber (notwendig) für würdiger, als es der Hochgesinnte ist.

94.»Achill bei Homer (Ilias I, 394 ff.) will, daß seine Mutter Thetis dem Zeus die großen Dienste, die sie ihm geleistet und die er daselbst aufzählt (v. 395–407) ins Gedächtnis rufe, um ihn dadurch zu bewegen, ihres Sohnes verletzte Ehre zu rächen. Aber die klügere Mutter geht bei ihrer Zusammenkunft mit dem höchsten Gotte über diesen Punkt mit bescheidener Andeutung (Ilias I, 503) hinweg und legt das Hauptgewicht auf Zeus' Macht und Gerechtigkeit, die nicht zulassen würden, daß sie »allein verachtet unter den Göttinnen dastehe«. So Stahr, S. 134, Anm. 17.

95.Die Lacedämonier wandten sich an die Athener um Hilfe gegen Theben und beobachteten dabei das angegebene Verfahren.

96.Griechisch ακρόχολοι, von άκρος, extrem.

97.Gr. χαλεπός, daher χαλεπαίνω, ich zürne schwer oder heftig; lat. difficilis, asper.

98.Vgl. II. Buch, 9. Kapitel, Anm. 55.

99.Der Gegensatz der Extreme zur Mitte bleibt also außer Betracht.

100.Also bei den Quacksalbern und Wahrsagern.

101.Hiernach hat also Aristoteles ευτράπελος von τρέπειν wenden, drehen abgeleitet. – Man beurteilt die Körper nach ihren Bewegungen. Schwer sind die Körper, die sich nach unten, wie Erde und Wasser, leicht die, die sich nach oben, wie Feuer und Luft bewegen; weder schwer noch leicht endlich die Körper, die sich im Kreise bewegen, nach Aristoteles die ätherischen Himmelskörper; vgl. den Anfang der Schrift de coelo. Man könnte also ευτράπελος mit gewandt übersetzen. Weil nun aber das η̃θος, die sittliche Art des Menschen, im Verkehr, besonders im Scherz, zum Vorschein kommen soll, so könnte man es doch auch wieder mit artig übersetzen. Vgl. auch II. Buch, 7. Kapitel, Anm. 51.

102.Gr. επιδεξιότης, lat. dexteritas.

103.υπόνοια, Doppelsinnigkeit, eine Rede oder ein Wort, wo sich unter dem nächsten oder Litteralsinn ein anderer Sinn versteckt, der eigentlich in betracht kommt.

104.Dieser und die zwei vorausgehenden Absätze erledigen drei Einwürfe gegen den Satz, daß es den tugendhaften Mann nicht trifft, sich zu schämen: erster Einwurf: er kann trotz seiner Tugend tun was nach menschlicher Anschauung schimpflich ist, und dann müßte er sich schämen. Antwort: er tut auch das nicht; zweiter Einw.: er würde sich schämen, falls er böses täte. Antw.: a) er tut nichts böses, b) es könnte ihm auch wegen eines eventuellen Schamgefühls dieses Gefühl nicht wirklich beigelegt werden. Der dritte Einwurf ist so klar wie seine Widerlegung. – Aristoteles hatte oben II, 7, vorletzter Abs. auch von der Entrüstung, νέμεσις, gesagt, sie sei keine Tugend, sondern ein lobenswerter Affekt. Hier spricht er nicht von ihr, weil von ihr das gleiche gilt wie von dem Gefühl der Scham und Scheu. Von beiden handelt er in dem 2. Buche der Rhetorik.

105.Die Enthaltsamkeit, εγκράτεια, ist keine eigentliche und vollkommene Tugend, weil sie mit Begierde und Lust zusammengeht, aber lobenswert. Aristoteles berührt sie hier passend, weil auch Scheu und Scham keine eigentliche Tugend ist, aber Lob verdient und in dem Alter an der Stelle ist, wo Begierde und Lust mächtig sind.

106.Bisher sind die Tugenden behandelt worden, die sich auf die Affekte, die fliehenden wie die strebenden, beziehen. Jetzt kommt diejenige an die Reihe, die es mit den Handlungen zu tun hat, die Gerechtigkeit, nicht als ob nicht auch jene mit dem Handeln befaßt wären, aber es kommt bei ihnen doch erst an zweiter Stelle in betracht, insofern es aus den Affekten entspringt, während bei der Gerechtigkeit die äußere Handlung an erster Stelle in betracht kommt und der Affekt und die Gesinnung nur insofern, als sie dieselbe erleichtern oder erschweren. – Da hier eine dritte Haupttugend behandelt wird, und später, im 6. Buche, auch noch die einzig übrige, die Klugheit, so dürfte eine Bemerkung über die verschiedene Stellung angebracht sein, die diesen Tugenden bei Aristoteles und bei anderen Autoren, z. B. Cicero und Seneka, angewiesen wird. Bei den genannten beiden sind sie die Hauptgenera der Tugenden, denen die anderen Tugenden je und je untergeordnet sind. Die Klugheit ist die Verstandestugend, die die Vernunft über das rechte Handeln belehrt, die anderen drei sind die Hauptgenera der Charaktertugenden. Die Gerechtigkeit ist die Tugend, die die Vernunft bestimmt, in allem Handeln die Gleichheit zu beobachten; die Mäßigkeit und der Starkmut bestimmen die Vernunft zum rechten Verhalten gegenüber der Lust und gegenüber der Unlust. Aber dieser Auffassung der Haupttugenden als höchster Gattungen stehen zwei Bedenken im Wege. Einmal, daß sie zu jeder Tugend gehören und so keinen Einteilungsgrund der Tugenden abgeben können, sodann, daß die einzelnen Tugenden und Laster aus den Objekten und nicht aus dem verschiedenen Verhalten der Vernunft abzuleiten sind. So erscheint denn die Systematik des Aristoteles als besser, der die Tugenden wirklich nach den Objekten unterscheidet und einteilt und den vier Haupttugenden insofern eine bevorzugte Stellung gibt, als er ihnen innerhalb ihrer Gattung und Art bevorzugte Objekte zuweist, so daß das Charakteristische der verschiedenartigen Tugenden bei ihnen besonders hervortritt. Die Klugheit ist ihm nicht die Lehrerin jeder praktischen Erkenntnis ohne Unterschied, sondern sie gibt für jeden praktischen Fall die rechte Vorschrift; die Gerechtigkeit beobachtet nicht jede Gleichheit, sondern jene wichtigere, die anderen gegenüber beobachtet wird; die Mäßigkeit hat es nicht mit jeder Lust, sondern mit der des Gefühls zu tun und der Starkmut nicht mit Unlust überhaupt, sondern mit jener Unlust und Angst insbesondere, die Todesschrecken uns einflößen können. So verhalten sich denn zu diesen vier Haupttugenden die andern Tugenden nicht wie die Arten zur Gattung, sondern wie das Sekundäre zum Primären. Nach Thomas von Aquin, Kommentar zur Ethik, II. Buch, 8. Lektion.

107.Hier treten drei Momente hervor, die die Gerechtigkeit von den bisher behandelten Tugenden unterscheiden: 1) sie hat es mit πράξεις, Handlungen, nicht mit πάθη, Affekten, zu tun; 2) sie ist eine Mitte der Sachen und Werte, wie im Verfolg erklärt wird, nicht der Gemütsverfassung; 3) sie ist keine Mitte zwischen zwei Lastern, wie ebenfalls weiter unten deutlich werden soll.

108.Dasselbe Verfahren, einmal indem das Wahre nur allgemein und ohne den Anspruch auf absolute Gültigkeit dargelegt wird, dann, weil von dem ότι, nicht von dem διότι ausgegangen wird. Vgl. I, Kap. 2, Anm. 16.

109.Das Gesicht sieht das Schwarze wie das Weiße, und die Medizin ist Wissenschaft wie von der Gesundheit, so auch von der Krankheit.

110.Das Recht, το δίκαιον, eigentlich das Gerechte. Ein eigenes Wort für unser deutsches Recht, wie das lateinische ius, hat Aristoteles nicht.

111.Homonymie, Gleichheit des Wortes bei Verschiedenheit der Bedeutung, im Gegensatz zu Synonymie, Übereinstimmung verschiedener Worte in der Bedeutung. Ein Beispiel fürs erste ist κλείς, Hausschlüssel und Schlüsselbein, fürs zweite σπουδαι̃ος und επιεικής, die beide tugendhaft bedeuten.

112.Es gibt dreierlei Ungerechte und zweierlei Gerechte; Ungerechte: der παράνομος, der πλεονέκτης, der für sich zu viel (Gutes) haben will, und der άνισος, der für sich zu wenig vom Unliebsamen haben will; Gerechte: der νόμιμος und der ίσος, der in einem dem πλεονέκτης und dem [αν]ισος gegenübersteht. Der Satz mit »mithin« ist eine Anwendung der Bemerkung im vorigen Kapitel, Absatz 2, daß der Habitus es je mit einem Objekt zu tun hat. Also wird dieses aus ihm abgenommen.

113.Freund der Ungleichheit, άνισος, wörtlich der Ungleiche, kann beides bedeuten, einen der zu viel, und einen der zu wenig haben will. Da nun für das erste ein eigenes Wort vorhanden ist, πλεονέκτης, so empfiehlt es sich, das άνισος dem, der zu wenig haben will, vorzubehalten.

114.Das καί heißt nicht auch, sondern sowohl, und ihm entspricht das καί vor έργα του σώφρονος. Dieser Absatz erklärt nämlich, was das Gesetz vorschreibt, wie der vorige, wozu es das tut. Dem μὲν im letzten Satze des vorigen Absatzes: ένα μὲν τρόπον, entspricht nicht das δὲ im ersten des gegenwärtigen Absatzes, sondern nachdem es im folgenden, 1129b 25 und 1130a 8: αύτη μὲν ου̃ν η δικαιοσύνη, zweimal wiederholt worden, das δὲ am Anfang des 4. Kap.

115.»Der Vergleich rührt von Euripides her, der in der Tragödie »Melanippe« von dem goldigen Antlitz der Gerechtigkeit sprach und jenen Vergleich gebrauchte,« Lasson.

116.Ursprünglich ein Vers des Theognis.

117.Bias von Priene bei Milet, einer der sieben Weisen Griechenlands.

118.Also nicht nach der Gerechtigkeit im weiteren Sinne oder der Legalität, sondern nach der Gerechtigkeit im engeren Sinne als einer der vier Haupttugenden. Daß es eine solche partikuläre Gerechtigkeit gibt, zeigt sich z. B. darin, daß man fehlen kann, ohne gegen die Gleichheit zu fehlen, etwa durch Feigheit, Zorn, Unbarmherzigkeit.

119.Vgl. 2. Kap., letzten Absatz.

120.Die Hinweise und Bemerkungen zu dem »weiter unten, ύστερον,« bei Susemihl, Appendix 279 sind vielleicht nicht ganz zutreffend. Im Schlußkapitel der Ethik kommt eine Aussprache über die Erziehung als Recht und Pflicht des Staats vor und erfolgt somit auch eine Beantwortung der Frage nach der Stellung der Pädagogik im System der Wissenschaften. Freilich eine eigentliche Erledigung dieser wichtigen Frage ist damit nicht gegeben. Aristoteles scheint aber an dieses Problem bei dem ύστερον zunächst weniger gedacht zu haben, sondern eher an das im Schlußsatz des Absatzes angedeutete. Dieses wird aber in der Politik III, 4 erörtert. Dort hören wir, daß es nicht in jedem Staate schlechthin dasselbe ist, ein guter Mensch und ein guter Bürger zu sein, sondern nur in dem Staate dasselbe wäre, der die beste Verfassung hätte. Daraus scheint freilich hervorzugehen, daß nur in einer Art Idealstaat die Erziehung schlechthin Staatssache wäre, wobei wieder der Fall, daß eine von Gott gesetzte Erziehungsanstalt, die Kirche, bestände, außer betracht bliebe.

121.Hier wird gezeigt, daß es sich bei der distributiven Gerechtigkeit um proportionale Gleichheit handelt. Die Dinge, die verteilt werden, müssen sich verhalten wie die Personen, unter die sie verteilt werden; der dreimal Verdientere und Würdigere bekommt dreimal mehr, sonst bekommt er nicht Gleiches. Von den vier bei jeder Proportion erforderlichen Gliedern werden zwei aus der Sache und zwei von den beteiligten Personen abgeleitet. Die Zweiheit des Zuviel und des Zuwenig bleibt außer betracht. Denn die Gerechtigkeit findet sich nicht darin, sondern die Ungerechtigkeit. – Der Schlußsatz des Absatzes ist so gemeint: die Demokraten sagen: gleiches Recht für alle, weil alle die gleichen Freiheiten genießen; die Oligarchen und die Aristokraten: die größeren Rechte für uns, weil wir mächtiger oder tüchtiger sind.

122.Wo Zahl da ist auch Verhältnis. Zahl ist aber überall, wo Quantität ist, stetige oder diskrete Größe.

123.Das Beispiel zeigt, was mit kontinuierlicher und diskreter Proportionalität gemeint ist: Gleichheit zweier Verhältnisse, die in einem Gliede übereinstimmen, ist kontinuierliche, sonst diskrete Proportionalität. Ein Beispiel fürs erste: 8:4 = 4:2; fürs zweite: 6:3 = 10:5.

124.a und b seien etwa 2 und 1 Mark, c und d Kastor und Pollux; jener habe 2, dieser 1 Tag gearbeitet. Der gerechte Lohn des einen ist also 2 M., der des anderen 1 M. Also auch umgekehrt: wie 2 M. zu Kastor, so 1 M. zu Pollux, d. h. jedes ist je gerechter Lohn. Dasselbe Verhältnis hat das Ganze zum Ganzen: a + b verhält sich zu c + d, wie a zu c oder wie b zu d, oder der Lohn von 3 M. ist gerechter Lohn für Kastor und Pollux zusammen.

125.Aristoteles nennt dieses Recht τὸ διορθωτικόν mit dem Zusatz εν τοι̃ς συναλλάγμασιν, das andere das διανεμητικόν wohl mit dem Zusatz τω̃ν κοινω̃ν, oder τὸ εν ται̃ς διανομαι̃ς.

126.Das ausgleichende Recht heißt hier τὸ επανορθωτικὸν δίκαιον.

127.Mittelsmänner = μεσιδίους.

128.Wörtlich heißt es: »wenn nicht das Tätige so viel und solches täte, und das Leidende dieses und so viel und solches litte.« Unter dem πάσχειν wäre also das Empfangen des Lohnes verstanden. Der Grieche sagt ja: ευ̃ πάσχω, ich empfange Wohltaten.

129.Die kommutative Gerechtigkeit geht auf das, was zwischen Schaden und Gewinn in der Mitte liegt. Sie schützt also vor unfreiwilligem Schaden, bzw. nicht gewolltem Gewinn des anderen Teils.

130.In dem Quadrat abcd mit den Diagonalen ad und bc sei ac die Leistung des Baumeisters, ad sein Anspruch auf die Leistung des Schusters; bd sei dann die Leistung des Schusters und bc sein Anspruch auf die Leistung des Baumeisters. Im Verhältnis der Leistung eines jeden wachsen seine Ansprüche, wie die Diagonale im Verhältnis der Kathete. Nun muß ermittelt werden, was ein Haus gegenüber einem Schuh wert ist und umgekehrt. Daraus ergibt sich, was der Schuster und was der Baumeister zu leisten hat. Ist das Haus hundertmal so viel wert als der Schuh, so hat der Schuster hundert Schuhe und der Baumeister ein Haus zu liefern.

131.Gäbe der Bauer einen Schäffel Weizen für einen Schuh, so hätte er erstens ein Plus an Arbeit bei der Erzielung der Ernte und zweitens ein Plus an Schaden beim Tausch, weil er mehr geben als nehmen wollte.

132.Vgl. Anm. 131.

133.Einer kann einen Ehebruch begehen, ohne darum schon schlechthin ein Ehebrecher zu sein, und einen Diebstahl, ohne darum schon schlechthin ein Dieb zu sein, wenn es nämlich nicht mit voller Überlegung, sondern unter dem Einfluß eines starken Reizes geschieht.

134.Das politische Recht, τὸ πολιτικὸν δίκαιον, ist jenes, das im Staate gilt, nicht jenes, das vom Staate kommt. Aristoteles verficht die sehr wichtige und einzig wahre Lehre, daß nicht alles Recht positiv und Menschensatzung ist, sondern auch ein natürliches Recht und Gesetz besteht, das in den Dingen selbst und ihren Beziehungen seinen Grund hat. Er ist also ein Zeuge für die lex aeterna.

135.Man weiß nicht bestimmt in welcher Tragödie.

136.Ilias VI, 236.

137.Das Wort επιεικής ist einmal gleichbedeutend mit σπουδαιος, dem fehlenden Adjektiv zu αρετή, und mit αγαθός; sodann hat es die hier erörterte spezielle Bedeutung des billig und rücksichtsvoll Urteilenden. Dank der Aussprache des ει in επιεικής wie i und der Zusammenziehung der beiden i entstand das Wort Epikie.

138.So kann man durch eine kleine Ungerechtigkeit zu einer größeren gereizt werden.

139.Plato meinte, man tue sich selbst Unrecht, wenn man aus böser Lust oder Zorn tue was die Vernunft verbietet.

140.In diesem Kapitel wird der Zusammenhang dieses Buches mit den vorausgehenden und dem Ganzen in geistreicher Weise angedeutet. Bisher war von den sittlichen oder Charaktertugenden die Rede: sie sind eine mittlere Gemütsverfassung. Aber wie weiß man, welches die mittlere Verfassung ist? Die Definition der Tugend deutet es an. Man weiß es durch die rechte Vernunft. So geben uns denn die Verstandestugenden, die der Vernunft die rechte Verfassung verleihen, die praktische Antwort auf die gestellte Frage. Von ihnen soll in diesem Buche gehandelt werden. Die sittlichen Tugenden bedürfen also der Verstandestugenden zu ihrer Ergänzung. Wir werden später sehen, daß auch umgekehrt die Verstandestugenden nicht ohne die sittlichen sein können. Denn das Urteil des Verstandes ist von der Beschaffenheit und Richtung des Gemütes abhängig. Nur ein tugendhaftes Gemüt weiß sich in ethischen Dingen recht zu beraten. Eben darum sind die dianoëtischen Tugenden auch wirkliche Tugenden und nicht bloße Vorzüge, was sonst unverständlich wäre. Die Kunst z. B. und die Wissenschaft ist keine Tugend, wohl aber ist es die Klugheit.

141.Der vernunftbegabte und der unvernünftige, aber doch an der Vernunft teilhabende Seelenteil wurden im letzten Kap. des 1. Buches vorletzter Absatz berührt. Die Vermutung Murets in seinem lat. Kommentar, Ingolstadt 1602, hier sei im Text in den Angaben über das früher Gesagte etwas ausgefallen, scheint grundlos. Der unvernünftige Seelenteil, höheres und niederes Strebevermögen, ist Träger der sittlichen Tugenden, der vernünftige Träger der Verstandestugenden.

142.Aristoteles sagt: nach den Objekten sind auch die erkennenden Seelenteile verschieden. Das Erkennende ist dem Erkannten ähnlich, oder Gleiches wird durch Gleiches erkannt, insofern der eigentliche und primäre Gegenstand der Erkenntnis mit der Natur des Erkennenden übereinstimmen muß. So ist der Mensch ein geistig sinnliches Wesen, und demnach ist der eigentliche Gegenstand seiner Erkenntnis das Intelligible im Sinnlichen. In unserem Texte handelt es sich um den Gegensatz der spekulativen und der praktischen Vernunft, der keine zwei Potenzen der Intelligenz je nach den Objekten erfordert, sondern nur den Unterschied des Denkens und der sinnlichen Wahrnehmung voraussetzt. Die spekulative Vernunft geht nämlich nicht auf das Handeln, sondern auf dessen höchste Ziele und Gesetze. Dagegen hat es die praktische Vernunft mit dem Handeln zu tun, und das Handeln mit dem Einzelnen und Konkreten, und dieses wird von dem Sinne erkannt, der also der praktischen Vernunft das Material für ihr Diktamen liefert. Aristoteles nennt die spekulative Vernunft die epistemonische, die praktische die logistische. Episteme ist nämlich die Wissenschaft des Allgemeinen und Notwendigen, während das Folgern, λογίζεσΦαι, zwar nicht den graden Gegensatz zu ihr bildet, wohl aber das Eigentümliche hat, zu suchen, indem es folgernd von Erkenntnis zu Erkenntnis gelangt. Hierin liegt nun grade seine Ähnlichkeit mit der praktischen Vernunft, die nach dem sucht, was in den einzelnen Fällen zu tun ist.

143.Agathon, tragischer Dichter, jüngerer Zeitgenosse des Sokrates und Euripides. In der Poetik, K. 9 wird eine Tragödie von ihm »die Blume« erwähnt. Die Zustimmung des Aristoteles zu dem citierten Vers zeigt, daß er Gott die Allmacht zugeschrieben hat. Und so, wenn es uns gestattet ist, dies im Vorübergehen zu bemerken, mußte er ihm prinzipiell auch die Freiheit zusprechen. Denn ein Gott, der z. B. nicht imstande ist, ein Gebet zu erhören, weil er nur nach notwendigen und unüberschreitbaren Gesetzen wirkt, ist nichts weniger als allmächtig.

144.Dies die Definition der dianoëtischen Tugend.

145.Man sagt auch wohl, man wisse etwas, wenn man durch den Augenschein gewiß ist; das soll aber nicht als eigentliche Bedeutung von Wissen gelten.

146.Das Sinnenfällige weiß man nur so lange, als es unter die Sinne fällt. Wenn ich den Sokrates sehe, weiß ich z. B., daß er sitzt. Sehe ich ihn nicht mehr, so kann er sich erhoben haben, und dann ist es nicht mehr wahr, daß er sitzt. Trotzdem kann auch Erfahrungsmäßiges Gegenstand des Wissens sein, z. B. der Inhalt der Physik, doch nicht nach dem, was an den einzelnen Körpern geschieht, sondern nach den allgemeinen und notwendigen Gesetzen, denen die Naturvorgänge unterstehen.

147.Aristoteles bezieht sich hier auf I, 1 der zweiten Analytiken, um die Natur der Wissenschaft zu erklären. Jedes Wissen geht von Anfängen aus, die ebenso sicher oder noch sicherer sind als das, was man in der logischen Konklusion aus ihnen ableitet. Es muß aber erste Anfänge geben, weil man nicht ins Endlose fortschreiten kann. Diese ersten Anfänge werden durch Induktion gewonnen. Aristoteles spricht sich darüber auch in dem bekannten Schlußkapitel der ganzen Analytik aus. Trendelenburgs Elementa logices Aristoteleae sowie auch seine Erläuterungen zu den Elementen schließen mit einer Auslegung dieses Kapitels. Dieselbe scheint aber den Autor selbst nicht ganz befriedigt zu haben. Es sei erlaubt, salvo meliori die Vermutung auszusprechen, Aristoteles verstehe hier unter Induktion dies, daß genügend viele Wahrnehmungen und Erinnerungen vorausgegangen sein müssen, um dann beim Erwachen des Geistes aus denselben jene ersten obersten und allgemeinsten Begriffe zu abstrahieren, aus denen die obersten Grundsätze gebildet werden, also Begriffe wie Sein, Werden, Ursache, Notwendigkeit, Möglichkeit, Unmöglichkeit, Kompatibilität, Inkompatibilität. So bildet man denn aus den obersten Begriffen etwa den Grundsatz des Widerspruchs oder der Ursächlichkeit. Diese Grundsätze sind selbst nicht Gegenstand des Wissens, sonst müßten sie, weil Wissen Erkenntnis aus der Ursache ist, wieder aus anderen Sätzen abgeleitet sein, sondern Gegenstand der einfachen geistigen Erfassung von seiten des νους, wie Aristoteles sagt. Daher der Ausspruch: νου̃ς αν είη τω̃ν αρχω̃ν, und: νου̃ς άν είη επιστήμης αρχή und: αρχὴ τη̃ς αρχη̃ς. Das Wissen aber in seiner Totalität umfaßt dann grade so den ganzen Wissensstoff, wie der νους, der Intellekt, die Prinzipien der Wissenschaft. Hiernach ist also auch der Sinn des Satzes in unserem Kapitel der Ethik klar: wo eine bestimmte Überzeugung ist und man die Prinzipien kennt, da ist Wissenschaft: die Wissenschaft ist eine sichere Erkenntnis des aus bestimmten Vordersätzen rechtmäßig Erschlossenen. Die darauf folgende Bemerkung heißt dies: wenn ich z. B. einen mathematischen Satz gut kenne und weiß, seine Vordersätze aber nicht weiß, so wäre mir dieses Wissen nur durch Zufall gekommen.

148.Vgl. I, Kap. 3, Anm. 17.

149.Das rechte Hervorbringen ist Sache der Kunst, das rechte Handeln Sache der Klugheit. Beide haben es als praktischer Habitus mit dem Kontingenten und Einzelnen zu tun im Gegensatz zu dem theoretischen Wissen. Die Kunst ist von der Natur verschieden, insofern ihre Werke nicht von innen heraus oder durch Selbstbewegung entstehen. Mit dem Zufall hat sie das Ähnliche, daß beide eine Beziehung zur Vernunft haben, insofern das Werk der Kunst mit Vernunft zustande kommt, das Ergebnis des Zufalls ohne Vernunft. Der Zufall, τύχη, nämlich, im engeren Sinne und im Gegensatz zum αυτόματον, liegt im Felde menschlichen Tuns. Darum tat Agathon jenen Spruch, daß Kunst und Zufall Freunde sind, was sagen will, daß der Zufall der Kunst oft mehr hilft als Überlegung. – Dies im großen der Sinn des K.

150.Als käme sophrosyne von sozein und phronesis.

151.So zeigt sich also die Abhängigkeit des Denkens und Urteilens vom Leben und der Gesinnung. Vgl. Kap. 1, Anm. 141.

152.Aristoteles sagt wörtlich: »es gibt eine Tugend der Kunst, aber keine Tugend der Klugheit«. Die Klugheit ist nämlich schon an sich Tugend, die Kunst aber nicht. So kann einer z. B. die Redekunst besitzen und sie in den Dienst einer schlechten Sache stellen, weil er nicht tugendhaft ist.

153.Gewiß! Ein Künstler, der absichtlich einen Fehler macht, tut dies unbeschadet seines Könnens, so z. B. Raffael in der Verklärung Christi, die von einem dreifachen Standpunkte aufgenommen ist. Wer aber freiwillig gegen eine Tugend fehlt, verläugnet sie.

154.Vgl. Kap. 2 Anm. 143.

155.Das ist der Vorzug jeder Tugend: eine Art Unverlierbarkeit. Das Gewußte wird vergessen, der gute Wille bleibt, weil er durch Gewöhnung zur zweiten Natur wird.

156.Hier ist von einer weiteren der fünf im 3. K. genannten Mitgiften des Verstandes die Rede, vom Intellekt, νου̃ς. Man vergleiche die Anm. 148 des 3. Kap.

157.Aus dieser angeblichen Dichtung des Homer sind nur noch wenige Verse erhalten. Nach der Art, wie Ar. den betreffenden Mann erwähnt, mag derselbe ein Weiser, wenn auch in praktischen Dingen ungeschickt gewesen sein, wie ja auch Plato bekanntlich den ächten Philosophen schildert.

158.Die Weisheit ist Verstand als Wissen der Prinzipien, Wissenschaft als Wissen der Folgerungen. Sie nimmt im Organismus der Wissenschaften die Stelle des Hauptes ein, weil sie als Wissenschaft des Allgemeinen die Voraussetzungen und Regeln für alle enthält, und alle von ihr wie die Glieder vom Haupte abhängig sind. Sie umfaßt die ehrwürdigsten Objekte, τὰ τιμιώτατα, besonders die Erkenntnis Gottes, des ersten und vorzüglichsten Prinzips, πρώτη καὶ κυριωτάτη αρχή, Met. XI, 7. 1064b 1. Vgl. Met. I, 2. 983a 6: επιστήμη τω̃ν θείων.

159.Die beste, d. i. die höchste Wissenschaft. Die Würde der Wissenschaft richtet sich nach ihrem Objekte, nicht nach ihrem unmittelbaren Nutzen, vgl. den Anfang von de anima. Staatskunst und Klugheit, die es mit dem Besten des einzelnen Menschen oder der Gesamtheit zu tun haben, könnten nur dann die höchste Stelle einnehmen, wenn der Mensch das vornehmste Wesen wäre.

160.Die Klugheit verhält sich bald so bald so, z. B. erträgt sie bald, bald widersteht sie. Die Weisheit verhält sich immer gleich. Die höchsten Ziele sind der unverrückbare Polarstern, auf den sie ihren Blick gerichtet hat. Was aber wechselt, kann nicht den höchsten Gegenstand haben und also auch nicht die höchste Erkenntnis sein. Also hat die Klugheit nicht den höchsten Gegenstand und ist nicht die höchste Erkenntnis, sondern jenen hat und dieses ist die Weisheit.

161.Wie die Klugheit nicht die höchste Erkenntnis ist und somit der Weisheit nicht gleich sein kann, so auch nicht die Politik, diese Klugheit gleichsam im großen. Wie es für die verschiedenen Arten der Lebewesen verschiedene Heilkünste gibt, so gibt es auch viele Arten der Klugheit in privaten und öffentlichen Dingen, während die Weisheit als Wissenschaft der Dinge, die allem Seienden gemeinsam sind, nur eine ist.

162.Ar. sagt nicht schlechthin, daß die himmlischen Bestandteile des Universums am göttlichsten sind, sondern daß sie das Göttlichste von dem sind, was in die Augen fällt. Die Himmelskörper sind nach aristotelischer Auffassung gewissermaßen ein höheres Abbild der aus Leib und Seele zusammengesetzten Menschennatur. Der Himmelskörper ist inkorruptibel und die ihn bewegende Intelligenz, der Sphärengeist, reiner und vollkommener Geist.

163.Man vergleiche das 6. Buch von Platos Staat. – Thales und Anaxagoras werden hier nicht zufällig genannt. Als Thales einst ausgegangen war, um die Sterne zu betrachten, fiel er in eine Grube und wurde von einer Alten verspottet, daß er die Dinge am Himmel wissen wolle und nicht sehen könne, was vor seinen Füßen sei. Und als dem Anaxagoras vorgeworfen wurde, daß er sich um seine Heimat nicht kümmere, antwortete er: »Das tue ich sogar sehr«, und zeigte nach dem Himmel. Diog. Laert. I, 1 u. II, 3.

164.Worte des Odysseus aus dem Prolog des Philoktet von Euripides.

165.Mit der Sorge für das eigene liebe Ich ist es nicht getan. Die Wohlfahrt des Einzelnen gedeiht nur im Ganzen. Aber die Sorge für das eigene Wohl bleibt dabei eine selbstständige Aufgabe, da es sich hier um das Einzelne und Konkrete handelt, das in praktischen Dingen nicht sofort mit dem Allgemeinen gegeben ist.

166.Das Gesagte ist der Inhalt des 2. Absatzes im vor. K. Die Bemerkung ist aber veranlaßt durch das im letzten Satz über die Besorgung der eigenen Dinge und die Schwierigkeit dieser Aufgabe Gesagte.

167.Die Klugheit wird hier mit der Wissenschaft und mit dem Verstande verglichen. Sie ist nicht Wissenschaft. Denn diese geht auf das Allgemeine, sie auf das Einzelne. Ihr Verhältnis zum Verstande, νου̃ς, ist teils das der Analogie, teils das des Gegensatzes. Sie ist dem Verstande analog. Denn er geht auf die letzten Begriffe, die nicht wieder auf andere zurückgeführt und darum nicht definiert werden können. Vgl. Kap. 3, Anm. 148. Sie geht auf das Letzte, was unmittelbar zu tun ist und als Einzelnes unter den Sinn fällt. Dieser Sinn ist nicht Gesicht oder Gehör, sondern innerer Sinn. Vgl. II, Kap. 9, Anm. 55. Er ist mit dem Sinne zu vergleichen, der uns lehrt, daß das letzte Mathematische das Dreieck ist, d. h. daß es keine gradlinige Figur von weniger als drei Seiten gibt. Das lehrt uns die Anschauung. Zwei Seiten können nie eine geschlossene Figur bilden. Das ist also die Analogie zwischen Klugheit und Verstand. Der Unterschied zwischen beiden aber wird angegeben im ersten Satze des folgenden Kapitels, der noch zu unserem Kapitel gehört. Das Verständnis dieses kleinen Satzes wird einerseits erschwert durch den Ausdruck: τὸ ζητει̃ν διαφέρει, wo ζητειν Akkusativ der Beziehung, nicht Subjektsnominativ ist. Das zu ergänzende Subjekt ist vielmehr φρόνησις. Anderseits wird das Verständnis dadurch erleichtert und der richtige Sinn dadurch bestätigt, daß vorher, Zeile 25, die Partikel μὲν steht, dem einzig das δὲ unseres Satzes entspricht: αντίκειται μὲν τω̃ νω̃, τὸ ζητει̃ν δὲ καὶ τὸ βουλεύεσθαι διαφέρει. – Der Anfang des hat die Übersetzer, die ihn wohl falsch verstanden haben, in Verlegenheit gebracht. Susemihl im Anschluß an Rassow meint, das ursprüngliche Ende des 9. und der Anfang des 10. K. sei in unserem Texte ausgefallen, wie unsere Auslegung ergeben möchte, mit Unrecht. – Bezüglich des Satzes: Das Überlegen ein Suchen, verweisen wir noch auf III, 5Abs. 4.

168.S. Anm. 168

169.Nach der Erörterung der dianoëtischen Tugenden der Klugheit und der Weisheit und verwandter Vorzüge und Gaben des Geistes steht hier zunächst eine Erörterung dreier mit der Klugheit verbundenen Tugenden, der ευβουλία, σύνεσις und γνώμη.

170.Meinung, δόξα, ist die Annahme eines bestimmten Satzes als wahr, wenn auch mit der Besorgnis, daß man irre. Bei der Überlegung aber fehlt auch das Stillestehn bei einem festen Entschluß, und so kann gute Überlegung keinerlei Meinung sein.

171.Was aber hier unterbleiben kann, weil es bereits geschehen. Dies ist hier stillschweigend gesagt, so daß kein Grund vorliegt, den Satz mit »daher« mit Rassow zu streichen. Man suche doch zuerst seinen Autor zu verstehen, dann wird die Integrität des Textes nicht so leicht verdächtig werden.

172.Jedermann weiß und meint ja was.

173.Die Verständigkeit, σύνεσις, auch wohl Scharfblick, urteilt über das, was die ευβουλία gesucht und gefunden hat; die Klugheit dagegen gibt den praktischen Befehl, das auszuführen, was die σύνεσις für gut befunden hat. Demnach wäre die aufsteigende Rangfolge dieser drei Tugenden diese: ευβουλία, σύνεσις, φρόνησις.

174.Ar. will nicht, daß die σύνεσις ein Erwerben der Klugheit sei. Man braucht das Zeitwort συνιέναι, wohl für Lernen, also Erwerben der Wissenschaft. Darum ist aber σύνεσις kein Erwerben der Klugheit, sondern Bildung einer δόξα, eines iudicium practicum, gegenüber einer vorgetragenen Meinung oder einem gemachten Vorschlag. Wie also beim Lernen ein rechter Gebrauch vorhandenen Wissens stattfindet, denn jeder neue Wissenserwerb knüpft an altes Wissen an; so findet bei der σύνεσις gegenüber fremder Rede ein rechter oder guter Gebrauch des eigenen Urteils statt. Daher in beiden Fällen dieselbe sprachliche Bezeichnung σύνεσις oder συνιέναι.

175.Die Gnome ist es also, die uns sagt, wo und wann die Epikie gegenüber dem gesetzlichen Rechte zur Geltung kommt; vgl. V, 14.

176.Oben, 6. K., hörten wir, daß der Verstand, der νου̃ς, auf die Prinzipien gehe, die doch allgemein sind, hier hören wir, daß er das Einzelne umfaßt. Der scheinbare Widerspruch wird sich gleich lösen. Es gibt einen zweifachen νου̃ς, einen theoretischen und einen praktischen.

177.Das Billige, der Gegenstand der Diskretion, der γνώμη, hat es ebenso mit dem Guten zu tun wie die Klugheit, nur mit dem Guten, das ein fremdes Interesse berührt.

178.Die Wahrnehmung oder diese Wahrnehmung ist Verstand. Dieser Satz klingt wie ein Rätsel, hat aber seinen guten Sinn. Diese Wahrnehmung ist praktischer Verstand. Man sieht z. B., daß dieses singuläre Kraut in diesem singulären Fall geheilt hat. Das ist Wahrnehmung. Daraus folgert man, daß diese Art Kraut heilt, und gewinnt so ein praktisches Prinzip, das einen unter Umständen zum Gebrauche dieses Krautes bestimmt. Das Prinzip fällt aber unter den Verstand, den νου̃ς, und so ist die Wahrnehmung insofern Verstand, als sie einem jenes praktische Prinzip an die Hand gibt.

179.Praktischen Verstand und weise und rücksichtsvolle Unterscheidung schreibt man besonders dem Greisenalter zu.

180.Die Klugheit ist nämlich die Tugend der praktischen Vernunft oder des logistischen Seelenteils, die Weisheit die Tugend der spekulativen Vernunft oder des epistemonischen Seelenteils; vgl. Kap. 2, Absatz 2 und die Anm. 143 im 2. Kapitel. – Daraus daß hier nur von zwei Verstandestugenden die Rede ist, sieht man, daß Ar. ihrer auch nur zwei kennt und die anderen drei Dinge: Wissenschaft, Verstand, Kunst, nicht zu den Tugenden rechnet. Man sieht es auch daraus, daß im folgenden Kapitel nur nach dem Nutzen dieser beiden Tugenden gefragt wird, nicht nach dem der andern Eigenschaften. Die ευβουλία, σύνεσις und γνώμη sind natürlich nicht ausgeschlossen.

181.Ar. wird uns gleich unten, im 6. Absatz, sagen, daß die Betrachtung selbst, als Funktion der Weisheit, glücklich macht. Sie ist das Ziel des Menschen.

182.Das Wissen hilft uns, das Rechte zu tun, aber es handelt sich uns um ein Tun aus einem Habitus heraus, und den Habitus gibt uns das Wissen allein nicht.

183.Die Gesundheit wirkt Gesundheit als inneres, vitales Prinzip gesunder Funktionen, nicht als äußeres Prinzip nach Art der Heilkunst. Und so wirkt die Weisheit Glückseligkeit, insofern ihr Aktus die Theorie, die Betrachtung der ewigen Wahrheiten ist. Ar. redet hier von der Weisheit allein und nicht auch von der Klugheit, weil ihre Funktion an erster Stelle das Glück des Menschen ausmacht, die Übung der von der Klugheit geleiteten sittlichen Tugenden aber erst an zweiter Stelle. Vgl. X, 7 ff.

184.Die Klugheit ist die Vollkommenheit der praktischen Vernunft, die moralische Tugend die des Strebevermögens, die Weisheit die der spekulativen Vernunft, das vegetative Vermögen aber läßt keine Tugend zu.

185.Neuerdings wird gesagt, daß die Klugheit ohne sittliche Tugend unmöglich ist. Vgl. Kap. 1 Anm. 141 u. Kap. 5 Anm. 152.

186.Vgl. III, Kap. 7, Anm. 66.

187.Sonst könnte man die fehlende Klugheit, wie ein Einwand wollte, dadurch wett machen, daß man sich kluger Leitung unterstellte.

188.Die Klugheit soll uns helfen zur Weisheit zu gelangen. Die letztere ist das menschliche Endziel und nimmt also die höchste Stelle ein. Auch die Staatskunst, die hier freilich nur zufällig erwähnt wird, aber doch ein Teil der Klugheit ist, dient diesem Ziele, teils dadurch, daß sie soziale und ökonomische Verhältnisse anstrebt, die es möglichst vielen Staatsangehörigen gestatten, der Weisheit zu leben, teils durch gebührende Ordnung und Pflege des Erziehungs- und Bildungswesens. So wenig die Staatskunst darum über der Gottheit steht, weil sie Kultusvorschriften gibt, nämlich im heidnischen Staate, so wenig steht sie darum über der Weisheit, weil sie über den Betrieb der Geisteswissenschaften Vorschriften gibt. Aristoteles muß übrigens auch aus dem Grunde konsequenter Weise die Weisheit und die Philosophie über die Politik stellen, weil diese die Eudämonie der Gesamtheit anstrebt, die Eudämonie aber aus der beschauenden Weisheit entspringt.

189.Mit dem 7. Buche beginnt ein neuer großer Abschnitt, wenn man will, der letzte Teil der Ethik. Nachdem also bisher von den moralischen und dianoëtischen Tugenden die Rede war, wird jetzt zuerst von der Enthaltsamkeit gehandelt, die eine unvollkommene Tugend ist, und von ihrem Gegenstande, der Lust und der Unlust, 7. Buch; dann von der Freundschaft, einer Wirkung und Frucht der Tugend, 8. und 9. Buch; und zuletzt von der Glückseligkeit, dem Ziele der Tugend, 10. Buch. Man kann freilich auch das 10. Buch als Wiederaufnahme und Abschluß der Erörterung im 1. Buch bis an das 13. Kap. betrachten. Dann ist das 10. Buch der letzte Teil der Ethik, Buch l, Kap. 13 und das folgende der 2. Teil, und das vorausgehende der 1. Teil. Dieser 1. Teil handelt von der Glückseligkeit mit dem vorläufigen Ergebnis, daß sie eine Betätigung der Tugend ist, der 2. von der Tugend und den Tugenden, und der 3. zeigt, welche und was für eine Tugend es ist, deren Betätigung die Glückseligkeit ausmacht. Auf jeden Fall stellt sich die ganze Ethik als einen Traktat von der Tugend und Glückseligkeit dar.

190.Diese drei Stufen sittlicher Verkehrtheit stehen zu einander in folgendem Verhältnis. Zum sittlichen Handeln gehört nach VI, 2 die rechte Vernunft und das rechte Begehren. Werden diese verkehrt, so tritt, wenn es nur das Begehren ist, während die Vernunft die rechte bleibt, die Unenthaltsamkeit als Folge ein, die nämlich darin besteht, daß man zwar das Bessere sieht, aber zu schwach ist, es zu tun. Wird aber auch die Vernunft verdorben, so daß diese sich das Schlechte, als wäre es gut, zum Ziele setzt, so haben wir die Schlechtigkeit oder Lasterhaftigkeit, die κακία, als Gegenteil der Tugend, V, 10. Geht endlich die Verkehrung von Vernunft und Begehren über menschliches Maß hinaus, so haben wir die Vertiertheit.

191.Ilias XXIV, 258. – Zu dem θει̃ος ανήρ im folgenden vgl. Platos Meno 99 D.

192.Vgl. IV, Kap. 15, Anm. 106.

193.Vgl. III, Kap. 7, Anm. 66. In dem letzten Satze unseres Absatzes möchte der Ausgleich der aristotelischen und sokratischen Meinung liegen. Wenn die Leidenschaft das Urteil der Vernunft verkehrt, so liegt ja wirklich mit dem verkehrten und irrigen Urteil Unwissenheit, freilich selbst verschuldete und darum zurechenbare, vor.

194.Ergänze: und ihnen doch nicht nachgibt.

195.Sophokles Philoktet 895 ff.

196.Heraklit hing mit größter Zähigkeit an seiner falschen und verstiegenen Meinung vom Flusse aller Dinge, πάντα ρει̃, falsch und verstiegen wenigstens, wenn er sie auch auf die ewigen und notwendigen Wahrheiten ausdehnte. Von seinen Schülern lesen wir Metaph. IV, 5: »Aus solcher Anschauung (daß nämlich bei der allgemeinen Wandelbarkeit nichts mit Wahrheit ausgesagt werden könne), erwuchs die extremste unter den erwähnten Meinungen, die Meinung derer, die sich Anhänger des Heraklit nannten, und eine Meinung, wie die des Kratylus, der zuletzt gar nichts mehr sagen zu dürfen glaubte und nur noch den Finger bewegte, und der den Heraklit wegen seines Ausspruches, es sei nicht möglich, zweimal in denselben Fluß zu steigen, schalt; denn er selbst meint, man könne es auch nicht einmal.« Kratylus glaubte nämlich, die Sache verliere die ihr beigelegte Eigenschaft schon über der Rede, und darum gab er sein Urteil durch eine Bewegung des Fingers ab, die rascher bewerkstelligt ist als eine Rede. Oder auch, er wollte kein Ding mit Namen nennen, weil es schon sein Wesen im Flusse der Dinge eingebüßt haben konnte, und darum zeigte er nur mit dem Finger darauf. – Wenn diese Bemerkungen den Grund, warum Heraklit hier zitiert wird, nicht ganz verfehlen, so sieht man, daß er weder von Schleiermacher noch auch von Lassalle getroffen worden ist. Man liest nämlich über diese beiden bei Stahr, Nik. Ethik 236, Anm. 4: »Schleiermacher in seiner Schrift über Heraklit S. 340 führt diese aristotelische Stelle unter denen an, welche beweisen sollen, daß Aristoteles den Heraklit für einen Autodidakten gehalten habe. S. jedoch Lassalle, Heraklit I, S. 12 ff.; 130 und S. 304. Was Aristoteles bei Heraklit vermißt, ist nach Lassalle »der Mangel vermittelnder Beweisführung«. Heraklitos zeichnete unmittelbar und in positiver Form seine Gedanken auf, als verwirklicht in den Erscheinungen der Natur, ohne sie durch Gründe ausführlich zu beweisen. Dies war mit ein Grund seiner Dunkelheit.«

197.Das Allgemeine als solches ist nie wirklich, wirklich ist nur das Besondere und Einzelne. In den Sätzen: das ist ein Mensch, das ist trockene Speise, wird der allgemeine Begriff Mensch oder trockene Speise auf ein Einzelnes bezogen.

198.Aristoteles unterscheidet also ein dreifaches Wissen bei der Tat: a) ein solches, das man nicht blos hat, sondern auch gegenwärtig hat, b) ein solches, das man einfach nicht gegenwärtig hat, c) ein solches, das man vor Aufregung nicht gegenwärtig hat, so daß es wie gar nicht vorhanden ist.

199.Empedokles hat eine Dichtung über das Universum im Sinne der materialistischen und evolutionistischen Naturauffassung geschrieben.

200.Jeden Seelenteil, selbst die Vernunft.

201.»Phalaris um 570 Tyrann von Akragas, berüchtigt wegen seiner wilden Grausamkeit und seiner unnatürlichen Lüste«, Lasson. Siehe die Bemerkung über ihn am Schluß des K.

202.Nach der Art, wie hier die Päderastie in die Gesellschaft krankhafter Zustände gebracht wird, scheint es nicht, daß Ar. von dem wir zufällig keine bestimmte Erklärung über sie haben, gut auf sie zu sprechen war.

203.Die Begierde d. i. der sie hat.

204.Ilias XIV, 214 ff.

205.Hier werden von den drei im Anfang des Buches genannten Verkehrtheiten zwei, Schlechtigkeit und Vertiertheit, mit einander verglichen. Die Bosheit ist bei der Schlechtigkeit größer. Bei der Vertiertheit fehlt einfach die Möglichkeit zum Guten wie beim Unbeseelten. Auf der anderen Seite ist die Vertiertheit im allgemeinen in ihren Äußerungen furchtbarer. Ein Vergleich zwischen beiden ist analog einem Vergleich zwischen dem Ungerechten und der Ungerechtigkeit. Die Ungerechtigkeit ist in einer Beziehung schlimmer, da sie von Natur Schlechtes hervorbringt, wie das Tier Tierisches tut; in anderer minder schlimm, da der Ungerechte, seine Vernunft misbrauchend, viel mehr Schlechtes tun kann als ein Tier.

206.Wer aus Charakter enthaltsam ist, um nicht diejenige körperliche Unlust zu befahren, die die Unenthaltsamkeit nach sich zieht.

207.Theodektes, Schüler des Plato, tragischer Dichter. – Karkinus, der jüngere von zwei tragischen Dichtern dieses Namens. Er lebte um das Jahr 400 vor Chr. Kerkyon mag nicht weiter leben aus Schmerz darüber, daß seine Tochter verführt worden ist. – Xenophantus, vielleicht der bei Seneka und Plutarch erwähnte Musikus im Gefolge Alexanders des Großen. Aristoteles spielt auf einen damals bekannten Vorgang an.

208.Diese Stelle wirft auch Licht auf das, was im Anfange des Werkes, I, 7, Abs. 3 gesagt ist: »Man darf nicht unterschiedslos überall nach der Ursache fragen.« Vergl. die dazu gehörige Anmerkung 24. Dieselbe können wir jetzt dahin ergänzen, daß nicht blos die Glückseligkeit, sondern vor allem auch die Tugend als letzter Zweck keiner weiteren Rechtfertigung bedarf. Tugend ist Tugend, Sittlichkeit Sittlichkeit. Noch weiter fragen, warum die Tugend Tugend, warum das Gute gut ist, darf man nicht.

209.Das ist der Enthaltsame. Man kann auch durch bessere Einsicht von seinem Sinne gebracht werden, aber es darf nicht durch die Leidenschaft geschehen. Hier kehrt neuerdings wie auch gleich 11. K. 2. Absatz die Voraussetzung wieder, daß der Enthaltsame von schlimmen Affekten, Lust und Begierde, behelligt wird, aber, da er ihnen nicht nachgibt, auch die Tugend nicht verläugnet, wenngleich seine Tugend noch unvollkommen ist. Diese Lehre von der Unfreiwilligkeit und Unzurechenbarkeit der Affekte, so lange sie uns dem Guten nicht abwendig machen, ist von der allergrößten Bedeutung für das ganze Tugendleben und Tugendstreben und wird nicht ungestraft verkannt.

210.Anaxandrides, komischer Dichter aus Rhodus.

211.Euenus, Spruchdichter aus Paros.

212.Diese letzten 4 Kapitel des 7. Buches der Ethik, die von der Lust handeln, hat man dem Aristoteles absprechen zu sollen geglaubt. So schon der griechische Kommentator Aspasius im 1. christlichen Jahrhundert, der sie dem Eudemus zuschreibt. Susemihl hat sie darum in Klammern gesetzt. Von der Lust handelt nämlich Aristoteles auch im Anfang des 10. Buches. Indessen konnte er gar wohl dieselbe Sache zweimal je unter verschiedenem Gesichtspunkte erörtern. Beide Male bespricht er die Lust zwar letzten Ends in ihrem Verhältnis zur Tugend und Glückseligkeit, also dem Endziele des Menschen. Aber das erste Mal hat er mehr die sinnliche und körperliche, das zweite Mal mehr die geistige Lust im Auge, jene Lust, die als natürliche Zugabe und Ausfluß des Denkens und der Tugendübung mit der menschlichen Bestimmung unmittelbar zusammenfällt. Die Erörterung an unserer Stelle steht auch ganz passend; sie schließt sich an die Lehre von der Enthaltsamkeit an, die es ja gleich der Mäßigkeit mit der Lust, der leiblichen, zu tun hat.

213.Speusippus, Platos Neffe und Nachfolger in der Leitung der Akademie.

214.Schlecht, nicht an sich, sondern wegen des übeln Gebrauches, den man davon macht, z. B. die Giftmischerkunst. So heißt es auch Metaph. XII, 9, daß es besser sei, manches nicht zu sehen, weshalb von Gott jedes mit Unvollkommenheit verbundene Denken auszuschließen sei.

215.Hesiod, Werke und Tage, Vers 763 ff.

216.Ein schönes, tiefsinniges Wort! Alle Wesen sind von Gott ausgegangen und streben nach Gott zurück, und so liegt allem Verlangen nach Freude zuletzt das Verlangen nach der Gottheit, dem θει̃ον, und nach der Teilnahme an ihrer Vollkommenheit und Freude zu grunde.

217.Die Unlust ist nur für den das Gegenteil vom Übermaß, der das Übermaß begehrt; für den aber, der nicht die Lust überhaupt, sondern wie es sich gehört begehrt, ist nicht die Unlust überhaupt das zu Fliehende, sondern etwa deren Übermaß, da er manche Unlust auch willig hinnimmt. – Die leibliche Lust ist quadantenus gut, so die Lust an den von Ar. genannten Dingen; sie ist von der Natur um der Handlungen willen, die sie begleitet, intendiert und kann darum sittlich erlaubter Weise genossen und begehrt werden. – Andere Lüste oder Genüsse sind unbedingt gut, so die Freude des Geistes an der Wahrheit, und darum gibt es hier kein Übermaß.

218.Die Lehre von der vollkommenen Ruhe Gottes, die mit vollkommener Tätigkeit und Seligkeit verpaart ist, ist tief in der Metaphysik des Aristoteles, besonders in seiner Lehre von Potenz und Akt, begründet. Sie bildet den schärfsten Gegensatz zu der pantheistischen Lehre Hegels von Gott dem Absoluten als ewigem Prozeß.

219.Die vorausgehenden drei Bücher stimmen wörtlich mit dem vierten bis sechsten Buche der Eudemischen Ethik überein. Hier beginnt in beiden Ethiken wieder ein eigener Text.

220.Freundschaft. Über die mannigfache Bedeutung von φιλία vgl. II, Kap. 7, Anm. 52.

221.In der Ilias X, 224 spricht Diomedes:

»Zwei auf dem Marsche vereint, da sieht der eine vorm andern,

wie den Erfolg man erreicht. Soll einer allein es bedenken,

zeigt sein Verstand sich weniger stark und schwächer die Einsicht!«

Übers. nach Lasson.

222.Nach Hesiod, Werke und Tage, Vers 25 f.:

»Wie der Töpfer dem Töpfer grollt, der Zimmrer dem Zimmrer,

Neidet der Bettler dem Bettler den Lohn, der Sänger dem Sänger.«

Übers. nach Lasson.

223.Ein Fragment aus dem Ödipus.

224.Heraklits 8. Fragment bei Diels.

225.Empedokles meinte, daß unter dem Einflüsse der φιλία sich Erde zu Erde, Luft zu Luft geselle und so jedes der vier Elemente. Vgl. über ihn besonders Met. I.

226.Die Freundschaft läßt ein Mehr und Minder zu. So hat die auf Tugend gegründete Freundschaft gegenüber der auf Annehmlichkeit und Vorteil basierenden ein Plus an Wert und Dauerhaftigkeit. Daraus folgt aber keineswegs, daß alle Freundschaften zu einer Art gehören. So ist z. B. auch die Weisheit der Klugheit voraus, ohne mit ihr von derselben Art zu sein. Davon war vorhin die Rede. Ebenso ist die Unmäßigkeit der Unenthaltsamkeit an sittlicher Schlechtigkeit voraus. Auf dieses und ähnliches scheint die Verweisung auf früheres, das έμπροσθεν, bei Ar. zu zielen, das sonst den Ausleger in Verlegenheit bringt.

227.Das Liebenswerte, φιλητόν. φιλία, Freundschaft, kommt von φιλειν, lieben.

228.Diese Bestimmungen über Freundschaft und Liebe sind auch in der Theologie wichtig für die Frage von der vollkommenen oder eigentlichen Liebe Gottes. Es ist klar, daß man auch Gott um seiner selbst willen lieben muß, um Ihn überhaupt zu lieben. Als eben so klar erscheint aber auch, daß der beste Weg, um zu dieser Liebe Gottes zu gelangen, die Betrachtung seiner Wohltaten ist. Diese Wohltaten zeigen uns, wie gut und der Liebe würdig, φιλητός, Er an sich ist, und machen das Gemüt am ehesten für diese Liebe empfänglich.

229.Man weiß nicht, woher dieser Vers ist.

230.Der 1. Absatz dieses Kapitels gehört noch zum Vorigen. Die Guten eignen sich am besten zur Freundschaft, weil ihnen das Zusammensein den größten Genuß bietet.

231.Der Satz des vorigen Kapitels, daß die Freundschaft ein Habitus ist gleich der Tugend, wird erläutert. Sie darf nicht mit der φίλησις, dem aktuellen Gefühl der Liebe, das auch blos sinnlich sein kann, verwechselt werden. Ein Lieben gibt es auch zum Leblosen, zum Weine, zum Golde, die Freundschaft aber besteht nur unter vernünftigen Wesen, die Liebe mit Liebe erwiedern. Und die Liebe als bloß sinnliches Gefühl geht auf das, was dem Liebenden selbst gut ist, die Freundschaft aber will das Wohl des anderen; und so gehört denn zur Freundschaft Verstand und freier Wille, und diese deuten vielmehr auf einen Habitus, nicht auf ein sinnliches Gefühl.

232.Hier wird einem stillschweigenden Einwurf begegnet. Im 1. Absatz hieß es, man liebe und begehre was einem selbst gut sei, so eben, man wünsche dem Geliebten um des Geliebten willen Gutes. Antwort: der Freund ist unser Gut; demnach lieben wir in ihm was uns ein Gut ist. – Aus Anm. 2 und 3, die uns zeigen, daß der Text gut zusammenhängt, sieht man, daß die Klammern und der Stern bei Sus. nicht am Platze sind.

233.Auch die auf Nutzen oder Lust beruhenden Freundschaften erheischen Gleichheit der Leistungen.

234.Die Freundschaften, bei denen ein Verhältnis der Überlegenheit besteht, wie zwischen Eltern und Kindern, erheischen keine Gleichheit der Leistungen.

235.Er müßte das, so weit die Forderungen der Billigkeit in betracht kommen. Tatsächlich geschieht es jedoch nicht immer, noch kann es eigentlich immer geschehen. So lieben z. B. die Eltern ihre Kinder mehr als die Kinder ihre Eltern; vgl. K. 14, Absatz 2; obschon sie aus Dankbarkeit mehr geliebt werden sollten. Dafür werden sie aber von den Kindern geehrt.

236.Die Freundschaft setzt schon eine gewisse Gleichheit voraus, sonst kommt sie nicht zustande. Und so handelt es sich denn bei ihr nur noch darum, daß die Gleichheit der Leistungen nach dem rechten Verhältnisse, d. h. nach der Würdigkeit, stattfinde. Dagegen im Verkehr muß nach den Ausführungen über die kommutative Gerechtigkeit im 5. Buche zuerst die Würdigkeit oder der Anspruch beider Teile bestimmt werden, und dann erst kann jedem das gleiche, d. h. das gebührende Quantum zu teil werden.

237.Mit den Göttern sind die Sphärengeister gemeint. Sie haben keine Freundschaft mit den Menschen, insofern sie nicht mit ihnen verkehren und zusammenleben. Man vergleiche in der Heil. Schrift im Buche Daniel II, 11: »exceptis diis, quorum non est cum hominibus conversatio.« Davon daß Gott die Liebe des Menschen nicht mit Gegenliebe erwiedere, ist keine Rede. Wir lesen vielmehr 1162a 5: »Das Verhältnis der Kinder zu den Eltern ist wie das Verhältnis der Menschen zu den Göttern eine Freundschaft mit dem Guten und Überlegenen. Denn sie sind ihre größten Wohltäter«; und 1163b 16: »Das Gebührende dem Freunde zu erweisen ist nicht in allen Verhältnissen möglich, wie z. B. bei der Ehre, die den Göttern zu erweisen ist und den Eltern: da kann keiner nach Würden vergelten«; und 1164b 5: »Bei gewissen Freundschaften läßt sich der gebührende Dank nicht in Geld abschätzen, und einen würdigen Lohn gibt es da nicht, sondern es wird wie bei den Göttern und Eltern genügen, wenn der Einzelne tut was er kann«; und 1179a 23 ff.: »Wer denkend tätig ist und die Vernunft in sich pflegt, mag sich nicht nur der allerbesten Verfassung erfreuen, sondern auch von der Gottheit am meisten geliebt werden. Denn wenn die Götter, wie man doch allgemein glaubt, um unsere menschlichen Dinge irgend welche Sorge haben, muß man ja vernünftiger Weise urteilen, daß sie an dem Besten und ihnen Verwandtesten Freude haben – und das ist unsere Vernunft –, und daß sie denjenigen, die dasselbe am meisten lieben und hochachten mit Gutem vergelten, weil sie für das, was ihnen lieb ist, Sorge tragen und recht und löblich handeln. Es ist aber unverkennbar, daß dies alles vorzüglich bei dem Weisen zu finden ist. Mithin ist er von der Gottheit am meisten geliebt«. – Man urteile hiernach, ob es wahr ist, was Zeller über die aristotelische Gotteslehre in seiner Philosophie der Griechen schreibt: »Die Gottheit steht dem Aristoteles in einsamer Selbstbetrachtung außer der Welt; sie ist für den Menschen Gegenstand der Bewunderung und der Verehrung, ihre Erkenntnis ist die höchste Aufgabe für seinen Verstand, in ihr liegt das Ziel, dem er mit allem Endlichen zustrebt, dessen Vollkommenheit seine Liebe hervorruft, aber so wenig er eine Gegenliebe von ihr erwarten kann, ebensowenig erfährt er auch überhaupt von ihr eine Einwirkung, welche von der des Naturzusammenhanges verschieden wäre«, II, 2, 791, 3. Aufl.

238.Keine Freundschaft, wie sie hier gemeint ist.

239.Ein Gut ist auch der Freund, so daß man ihm nichts wünscht, was dem Verlust seiner Freundschaft gleich wäre.

240.Nachdem das 8. Buch von dem Wesen und den Arten der Freundschaft gehandelt hat, bespricht das 9. gewisse Eigentümlichkeiten und Wirkungen derselben und löst einige die Freundschaft betreffende Zweifel.

241.Der Freundschaft ist es eigen, daß sie durch gewisse Mittel erhalten und in gewissen Fällen aufgelöst werden muß. Von dem ersten handeln die beiden ersten, vom zweiten das dritte Kapitel. Die Erörterung über das zur Erhaltung der Freundschaft Erforderliche beginnt mit der Erklärung, daß die ungleichartigen Freundschaften durch Leistungen nach Verhältnis Bestand behalten. Das ist nicht so zu nehmen, als ob nur von ihrer Erhaltung die Rede sein sollte, sondern bei den Freundschaften unter Gleichen versteht es sich von selbst, daß sie durch gleiche Leistungen erhalten werden, und darum werden sie mit Stillschweigen übergangen. Zur Veranschaulichung der Leistung nach Verhältnis bezieht sich Ar. auf das früher, V, 8, Absatz 3 über die kommutative Gerechtigkeit Gesagte.

242.Das soll heißen, im bürgerlichen Verkehr wehre das Geld als gemeinsames und anerkanntes Maß der Leistungen und Werte den Zerwürfnissen bezüglich der beiderseitigen Ansprüche. Dagegen gibt es in den Freundschaften manche Ursachen von Meinungsverschiedenheiten. Diese werden also im 1. und 2. Absatz besprochen und dann die Weise ihrer Begleichung gelehrt.

243.Man könnte etwa denken, mit der Lust als Lohn des Zitherspiels sei die Freude an der eigenen Leistung gemeint. Allein die Eudemische Ethik, VII, 10. 1243b 27, wo dieselbe Geschichte erzählt wird, zeigt, daß die durch das Versprechen in dem Virtuosen hervorgerufene Erwartung gemeint war.

244.Protagoras aus Abdera, gest. um 410 vor Chr. Er war der Erste, der sich einen Sophisten nannte und sich als Lehrer der Weisheit ein Honorar zahlen ließ. Der kluge Mann ließ seine Schüler ihr erlangtes Wissen selbst bewerten und dann dem entsprechend zahlen, indem er zu ihrer Bescheidenheit das Vertrauen hegte, daß ihre Schätzung nicht allzuniederig ausfallen würde. Ihn hat Plato in dem gleichnamigen Dialog in köstlicher Weise persiffliert.

245.Aus Hesiod, Werke und Tage, Vers 368. Das Wort will sagen, der Lohn müsse sich nach dem Manne und seinen wirklichen Leistungen, nicht nach der Einbildung eines aufgeblasenen Empfängers der Leistung wie im Falle Protagoras richten.

246.Susemihl drückt sich bezüglich der früheren Stelle, die gemeint sein könnte, etwas unbestimmt aus. Die richtige ist wohl die zuletzt von ihm genannte 1162b 23, also VIII, 15. Absatz 3. Das ist, wie wir nachträglich sehen, auch die Meinung Lassons.

247.Gleich und gleich, d. h. man wird durch den Umgang gleich.

248.Eine besondere Anwendung dieses Satzes findet sich bei den Geisteslehrern. Sie sagen, z. B. die heilige Theresia, daß Gott denen, die einmal in seiner Freundschaft gestanden haben, spätere Verfehlungen eher vergebe, die Buße natürlich vorausgesetzt, weil sie ja doch einmal zu seinen Vertrauten gehört hätten.

249.Nachdem die drei ersten Kapitel dieses neunten Buches von Erhaltung und Auflösung der Freundschaft gehandelt haben, handeln die folgenden vier von ihren Wirkungen oder ihrer Betätigung. Das vierte K. lehrt, daß die Freundschaft sich einmal in Wohltun, dann in Wohlwollen, endlich in Eintracht betätigt. Diese drei Dinge werden dann in den folgenden drei Kapiteln eingehender besprochen, im fünften das Wohlwollen, im sechsten die Eintracht, im siebenten das Wohltun.

250.Neuerdings wird die absolute Unveränderlichkeit Gottes ausgesprochen. Vgl. den Schluß des 7. Buches und VII, Kap. 15, Anm. 219.

251.Freundschaft ist auch Wohlwollen, Wohlwollen aber noch nicht Freundschaft.

252.Pittakus, der treffliche Alleinherrscher von Mitylene, legte seine Herrschaft, zum Schmerze seines Volkes, freiwillig nieder. Ein zu dieser späteren Zeit gefaßter Beschluß, daß er Staatsleiter sein sollte, wäre also kein Zeichen vollkommener Eintracht gewesen, weil er selbst nicht einverstanden war.

253.Die feindlichen Brüder Eteokles und Polyneikes in den Phönizierinnen des Euripides.

254.Hier liegt eine gewisse Ironie vor, die am besten mit den Worten des lateinischen Kommentators Joachim Kamerarius, Frankfurt 1578, deutlich gemacht wird: »Ein Ehemann pflegte von sich und seiner Frau zu sagen, sie wären beide viele Jahre lang eines Sinnes gewesen; jedes von beiden nämlich habe Herr sein wollen!« Vgl. Stahr, Nik. Eth. 334 Anm. 3.

255.Epicharmus, dramatischer Dichter des 5. Jahrhunderts, galt als feiner Menschenkenner, Stahr.

256.Es ist ihnen eigen, die Empfänger ihrer Wohltaten mehr zu lieben, weil gutes tun beschwerlicher ist als gutes empfangen. – Unser Kapitel ist eine schöne anticipierte Illustration zu dem Worte des Herrn: Beatius est magis dare, quam accipere, Act. Ap. XX, 35.

257.Bisher war von Erhaltung und Aufhebung der Freundschaft so wie von ihrer Äußerung in Gesinnung und Werk die Rede. Nun werden einige Zweifel über sie erörtert und entschieden, und zwar zuerst in 2 Kapiteln Zweifel, die den Liebenden, und dann zweitens solche, die den Geliebten betreffen, und so wird denn in Kapitel 8 nach der Liebe gefragt, die der Liebende zu sich selbst hat, in Kapitel 9 nach der Liebe, die er zu anderen hat.

258.Die Ansicht des Aristoteles, daß man sich selbst mehr als andere lieben soll, wird als mißverständlich oder verfänglich angesehen. Auch meint man, seine Unterscheidung zwischen einer niederen und einer edlen Selbstliebe genüge nicht, das Mißverständnis, das hier möglich sei, zu beseitigen. Die Lehre unseres Philosophen scheint aber mit der Forderung der Offenbarungslehre Levitikus 19, 18 und Matthäus 22, 39 übereinzustimmen: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.« Denn man sieht aus diesem Gebote, daß die Liebe des Menschen zu sich selbst gleichsam das Vorbild der Liebe zu anderen ist. Das Vorbild übertrifft aber das Abbild. Vgl. auch Thom. Aq. Summa theologica II, 2. q. 26, art. 4: Utrum homo ex caritate magis debeat diligere seipsum quam proximum.

259.In die Sprache des Evangeliums übersetzt, hieße das, der Christ lasse die Liebe zu der eigenen Seele jeder anderen Liebe vorangehen. Aus dieser Liebe entspringt denn auch jede opferfreudige Tat für andere und für die Allgemeinheit, da die Seele durch solche Taten an Tugend und Verdienst gewinnt.

260.Euripides »Orest«, Vers 667.

261.Theognis, berühmter griechischer Spruchdichter aus dem 6. Jahrhundert. Hier ist auf Vers 35 seiner Gnomen hingezielt:

»Denn von Edlen lernst du Edles; den Schlechten gesellet

Büssest auch das du noch ein, was an Vernunft du gehegt.«

Übers. nach Lasson.

Aus diesem Vers stehen auch einige Worte am Schlusse dieses Buches. Theognis wird 1179b 6 noch einmal citiert. Vgl. auch V, Kap. 3, Anm. 117.

262.Hier beginnt die Erörterung derjenigen Zweifel über die Freundschaft, die nicht mehr den Liebenden sondern den Geliebten betreffen.

263.Nach Hesiod, Werke und Tage 660.

264.εμπόδιοι πρὸς τὸ καλω̃ς ζη̃ν 1170b 27 heißt nicht, wie Stahr S. 349 hat: »zu viel Freunde sind ein Klotz am Bein, wenn man glücklich leben will«, sondern wie καλω̃ς zeigt, sie hindern die Tugendübung. Wer sich zu viel mit fremden Geschäften plagt, vernachlässigt die Sorge um sich selbst.

265.1171b 7 f.: κὰν μὴ υπερτείνη τη̃ αλυπία, τὴν εκείνοις γινομένην λύπην ουχ υπομένει kann wohl nur heißen, wie Thomas v. Aquin und Silvester Maurus erklären: wenn die Trauer, von der der leiderfüllte Freund durch die Mitteilung entledigt wird, nicht viel größer ist als der Schmerz, denn die Mitteilung dem anderen macht. Wörtlich: und wenn er nicht durch Trauerlosigkeit übertrifft oder im Vorsprung ist. Für diese Deutung spricht auch Zeile 18: am ersten noch darf man den Freund in Anspruch nehmen, wenn er uns mit geringer Mühe einen großen Dienst erweisen kann.

266.Vielleicht aus Euripides.

267.Vgl. Kap. 9, Anm. 262.

268.Vgl. VII, Kap. 1, Anm. 190 u. VII, Kap. 12, Anm. 216. – Man kann dieses zehnte Buch sachgemäß in drei Teile teilen: 1. Teil, von der Lust als vorgeblichem Ziele der Tugend, K. 1–5; 2. Teil, von der Glückseligkeit als wirklichem Ziele der Tugend, K. 6–9; 3. Teil, von dem Ziele der Tugend, nicht so weit sie dem Einzelnen angehört und ihn vollkommen und glücklich macht, sondern so weit sie der Allgemeinheit dient, K. 10.

269.Die griechischen Schiffe hatten ein doppeltes Steuer, eines hinten und eines vorn.

270.Vgl. oben II, 2 u. II, Kap. 2, Anm. 39.

271.Eudoxus von Knidus, Astronom, Arzt und Philosoph. Vgl. oben I, 12, vorletzter Absatz und I, 1, erster Absatz u. Anm. 4. Er war ein Zeitgenosse Platos. Die Art, wie in diesem Kapitel von ihm gesprochen wird, zeigt, daß seine Lehre von der Lust als höchstem Gute unseren Philosophen nicht hinderte, seinen edlen Charakter anzuerkennen.

272.Im Philebus p. 60 wird ausgeführt, daß ein Wesen, dem das Gute selbst vollkommen beiwohnt, zu seiner Vollendung nichts weiter bedarf. Nun aber könne die Lust ohne Klugheit ebensowenig als die Klugheit ohne Lust volle Befriedigung geben, und demnach könne keines von beiden das Vollkommene und für Alle Wünschenswerte und schlechthin Gute sein. Die von Aristoteles beabsichtigte deductio ad absurdum wäre legitim, wenn Platos Meinung gewesen wäre, daß irgend etwas Empirisches das wesenhafte Gute sein könne, was aber nicht der Fall war. Vgl. I, Kap. 4, Anm. 18.

273.Schlechte Individuen sind verschieden schlecht, aber darin sind sie nicht verschieden, daß sie nach der Lust verlangen. Und so scheint sich hierin nicht die jedem eigentümliche Schlechtigkeit, sondern die allen gemeinsame Natur zu äußern.

274.Das Gute scheint zur Kategorie der Qualität zu gehören. Auf die Frage: wie ist das Ding? antwortet man: gut oder schlecht. So scheint denn die Lust, da sie keine Qualität ist, nicht gut zu sein. Antwort: das Argument beweist zu viel. Denn ihm zufolge müßten auch die Tugendhandlungen und die Glückseligkeit nicht gut sein. Die direkte Widerlegung liegt darin, daß das Gute sich auch in anderen Kategorien, ja, in allen findet. Vgl. I, 4, Abs. 3.

275.Wir haben wiederholt gehört, daß das Eine, das Bestimmte, das Begränzte in die Zahl der Güter gehört, dagegen das Viele, das Unbestimmte und das Unbegränzte in die Zahl der Übel. So I, 4. 6. Absatz; dann II, 5. letzter Absatz: τὸ αγαθὸν του̃ πεπερασμένου, und IX, 9. letzt. Abs.: τὸ ωρισμένον τη̃ς του̃ αγαθου̃ φύσεως. Und so heißt es auch hier: τὸ αγαθὸν ωρίσθαι, τὴν δ'ηδονὴν αόριστον ει̃ναι, ότι δέχεται τὸ μα̃λλον καὶ η̃ττον, die Lust lasse Grade zu, und so sei sie unbestimmt und also nicht gut, sondern schlecht. Antwort: a) Wenn es in dem Akt der Lustempfindung, dem ήδεσθαι, Intensitätsgrade gibt, so folgt daraus mit nichten, daß die Lust schlecht ist. Denn solche Grade gibt es auch in Handlungen des Mutes, der Gerechtigkeit, Mäßigkeit u. s. w. b) Aber die gedachte Folge ergibt sich auch nicht aus der Abgestuftheit der objektiven Genüsse oder dessen, was die Dinge an Lust darbieten. Es gibt reine und gemischte Lüste. Rein z. B. ist die Lust des Denkens, gemischt die des Gesichts oder des Gehörs, insofern die eine auf der rechten Verbindung der Farben und Formen, die andere der Töne beruht. Insofern es nun hier ein Mehr und Minder glücklicher Mischung gibt, gibt es auch ein Mehr und Minder der Lust. Darum sind aber die gemischten Lüste nicht schlecht so wenig wie z. B. die Gesundheit, die auf mehr oder minder guter Säftemischung beruht und eine gewisse Weite zuläßt.

276.Ich verstehe das so, daß einer auf grund seiner vermeintlich unverwüstlichen Gesundheit alles durch einander ißt und so gleichsam durch die Gesundheit selbst dazu kommt, krank zu werden. Anders ist es mit dem vorausgehenden Beispiele. Der Reichtum des Verräters ist Frucht des Verrates und so vom Bösen. Die Auslegung bei Thomas v. Aquin, der Reichtum in der Hand des Verräters sei nicht gut, weil er ihm die Anrichtung von Schaden erleichtere, ist übrigens ebenso annehmbar.

277.In der Physik.

278.αισθήσεως πάσης πρὸς τὸ αισθητὸν ενεργούσης heißt nicht, wie eine lateinische Übersetzung hat: quum omnis sensus agat in suum sensile, und heißt nicht, wie Stahr hat: jede Empfindung wirkt auf das Empfindbare tätig ein; denn es ist grade umgekehrt: das Empfindbare wirkt auf die Empfindung ein; sondern es heißt: die Wahrnehmung geschieht mit Rücksicht oder im Verhältnis zu dem Objekte der Wahrnehmung. Wie das Objekt so die Wahrnehmung, und je vollkommener es ist und je besser wahrnehmbar, desto besser und vollkommener ist die Wahrnehmung. Ist z. B. das Auge gesund und der sichtbare Gegenstand vollkommen beleuchtet, so ist die Gesichtswahrnehmung in ihrer Art vollkommen.

279.Die Lust ist um so reiner, je weiter das Tätige und seine Tätigkeit sich von der Materialität entfernt. Die geistige Lust steht darum hoch über aller Sinnenlust. Aber auch im sinnlichen Bereich gibt es Unterschiede, und je mehr hier die Materialität überwunden wird, desto reiner und gleichsam geistiger ist die aus der Sinnestätigkeit entspringende Lust. Die gröbsten Sinne sind Gefühl und Geschmack. Sie erheischen die unmittelbare Verbindung des Sinnes mit dem Objekt und ihre Wahrnehmungen sind mit der stärksten Alteration des Sinnesorgans verbunden. Gesicht und Gehör sind geistiger. Sie nehmen durch ein Medium wahr und werden, namentlich das Gesicht, weniger bei der Wahrnehmung alteriert. Darum hat auch das Auge die vollkommenste und reichste Tätigkeit und nutzt sich über derselben am wenigsten ab. Den Geruch stellte Ar. auch deshalb über das Gefühl und den Geschmack, weil er annahm, die duftenden Objekte bewegten aus der Ferne das Medium, die Luft und das Wasser, und berührten so, ähnlich wie Farbe und Klang, nur durch die Vermittelung des Mediums das Organ.

280.Heraklits 9. Fragment bei Diels.

281.Ar. führt uns fast unvermerkt von der Lust zur geistigen Tätigkeit als menschlicher Bestimmung. Die Lust ist das Verlangen aller Wesen, weil sie alle nach Tätigkeit begehren. Die Tätigkeit ist die natürliche Vollendung des Tätigen, weil sie alles, was es der Anlage nach in sich hat, zur Entfaltung bringt. Darum schöpft alles aus der Tätigkeit Lust, weil es sich seiner natürlichen Vollendung freut. Und darum begehrt alles, Mensch und Tier, nach Lust, Ende des 4. und Anfang des 5. Kapitels. Es gibt aber Unterschiede in den Lüsten je nach der Bestimmung der einzelnen Wesen, weil nach der Bestimmung sich die Tätigkeit richtet, die jegliches zur Vollendung bringt, und nach der Tätigkeit die Lust. So gilt es denn die Tätigkeit zu ermitteln, die den Menschen zur Vollendung bringt. Sie wird seine Bestimmung ausmachen und ihm die vollkommene Lust gewähren, 5. Kap.

282.Anacharsis, ein skythischer Fürst, der Griechenland bereist hat.

283.Hierzu macht Stahr S. 379 die folgende treffende Anmerkung: »In der Muße, d. h. in der von keiner Lebensnot verkümmerten Freiheit des Daseins. Das ist ein Begriff, der in seiner Erhabenheit ganz dem hellenischen Altertum angehört. Auch im römischen findet sich hier und da ein Abglanz davon; in unserer unruhigen, rastlos arbeitenden Zeit scheint er verloren gegangen zu sein. Edle Muße, mit edelster Geistestätigkeit erfüllt, ist dem großen Stagiriten der Zweck der Lebensarbeit.« Dennoch scheint Stahr in dem Begriffe der σχολή, der Muße, etwas übersehen zu haben. Man hat Muße, wenn einem nichts mehr zu tun übrig bleibt, und das ist der Fall, wenn man sein Ziel erreicht hat. Darum sagt Aristoteles: ασχολούμεθα, ίνα σχολάζωμεν, und spricht von dem Kriege um des Friedens willen. Die Muße bedeutet die Erreichung des Zieles: sie ist die Ruhe des Strebevermögens im Besitze seines geliebten Gegenstandes.

284.Man sieht hieraus sehr klar, daß Aristoteles mit der Eudämonie, die in der Ethik erörtert wird, nur die diesseitige meint. Ebenso klar zeigt dieser Absatz, daß nach Aristoteles das Leben des Geistes und die Erkenntnis und Verbreitung der Wahrheit nicht blos das letzte Ziel des Einzelnen, sondern eben darum auch des Staates ist. Seine höchste Aufgabe ist die Schaffung und Erhaltung solcher Zustände, die möglichst vielen Angehörigen des Staates das Leben nach dem Geiste ermöglichen. In diesem Sinne schreibt Thomas v. Aquin in seinem Kommentar zu dieser Stelle X, lect. XI: »Ad felicitatem speculativam tota vita politica videtur ordinata; dum per pacem, quae per ordinationem vitae politicae statuitur et conservatur, datur hominibus facultas contemplandi veritatem.«

285.Insofern er Mensch ist, ist er vernünftiges Sinnenwesen, Zusammensetzung aus Leib und Seele, und dem entspricht ein Leben körperlicher und sinnlicher Empfindung und Tätigkeit. Insofern er darum dem Denken, der θεωρία, obliegt, lebt er nicht als Mensch, sondern insofern er etwas Göttliches in sich hat, den Geist, durch den er Gott ähnlich ist.

286.Eine solche genauere Aussprache findet sich im 3. Buche, K. 4 von der Seele, wo gezeigt wird, daß der Geist des Menschen mit dem Stoffe nicht vermischt und vom Stoffe getrennt ist. Demnach muß auch die Tätigkeit des Geistes und seine Lust vom Stoffe getrennt und nach aristotelischer Redeweise göttlich sein. – Wir haben in der Vermeidung einer näheren Aussprache über diese Dinge an unserer Stelle wieder einen Beleg für die strenge Systematik des Aristoteles. Vgl. I, Kap. 7, Anm. 23.

287.Unter den Göttern, von denen Ar. hier spricht, sind die Sphärengeister zu verstehen, die nach der Vorstellung der antiken Astronomie die Himmelssphären und mit ihnen die Gestirne bewegten. Ihnen konnte selbstverständlich keine Übung der sittlichen Tugend, keine Handlung der Klugheit, keine Kunsttätigkeit nach Weise menschlicher Künstler zugeschrieben werden. Aber wie der Schluß des Absatzes zeigt, denkt Ar., wie es ja auch nicht anders möglich ist, dasselbe von Gott und legt Ihm einzig Denktätigkeit bei, jene weisheitsvolle Tätigkeit, durch die Er alles macht. Daraus zieht er den Schluß, daß unter menschlichen Tätigkeiten jene die seligste ist, die mit dem göttlichen Schauen oder Denken die größte Ähnlichkeit hat.

288.Solon führte diesen Gedanken in seiner Unterredung mit Krösus, König von Lydien, aus. Die bekannte Geschichte steht bei Herodot I, 30.

289.Vgl. Eudemische Ethik I, 4.

290.Vgl. VIII, Kap. 9, Anm. 238. – Man beachte auch, daß Ar. hier deutlich auf Kap. 8, vorletzter Absatz bezug nimmt. Dort redet er von der menschlichen Denktätigkeit als der der göttlichen Tätigkeit verwandtesten, συγγενεστάτη, hier von der Freude Gottes an dem ihm Verwandtesten, τω̃ συγγενεστάτω, dem νους des Menschen. So kann denn in dem genannten Absatz unmöglich, wie Einige wollen, eine Lehre ausgesprochen sein, die jede Tätigkeit Gottes nach außen und somit jede Fürsorge für den Menschen ausschlösse. Vgl. Brentano, Offener Brief an Zeller, S. 29 f.

291.Theognis, Vers 432–34:

Hätte ein Gott verliehn dies des Asklepios Schaar,

Daß sie die Bosheit heile und schlimme Begierde der Menschen,

Trüge sie reichlichen Sold, große Geschenke davon.

Nach Lasson.

292.Vgl. I, 10, Anfang und I, Kapitel 10, Anmerkung 30.

293.Das Verbum τρέφειν und das Substantiv τροφή hat hier, wie so oft auch bei Plato, z. B. in den Gesetzen, nicht die Bedeutung von ernähren, aufziehen und Nahrung, Aufzucht, sondern von erziehen, Erziehung.

294.Aristoteles sagt: νομοθετικὸς γενόμενος, wenn man einer, der Gesetze geben kann, geworden ist. Gesetze brauchen nicht grade Vorschriften für den Staat zu sein, es können auch solche für die Familie oder wie Ar. sagt, das Haus sein, wie der folgende Absatz erklärt.

295.εκλέξασθαι ει̃ναι τοὺς αρίστους 1181a 17 kann wohl nicht gut heißen: man braucht ja nur die besten auszuwählen; vielmehr scheint zu ειναι ράδιον aus der vorhergehenden Zeile zu ergänzen.

296.An dieser Stelle heißt θεωρη̃σαι, ebensowenig wie 1179b 1, wozu man vergleichen möge περὶ ψυχη̃ς I, 1. 402a 7, einsehen oder betrachten, sondern erforschen, untersuchen entsprechend dem lateinischen speculari.

297.Ar. hat im vorausgehenden Absatz Inhalt und Einteilung seiner Politik angedeutet, mit der die Ethik, wie der Schlußsatz zeigt, auch äußerlich auf das engste verbunden ist.

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