Читать книгу Die letzte Soirée - Arna Aley - Страница 7

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Bettis Wohnung

Airport Boy nimmt rasch seine Kopfbedeckung ab. Fred erkennt Hella.

FRED

Hella!

HELLA

Onkel Fred!

Fred folgt Hella ins Wohnzimmer. Fred schnuppert die Luft. Er schließt die Augen, atmet genüsslich tief ein.

FRED

Das ist nicht die Berliner Luft, das ist Betti. Sie ist hier! Ich spüre sie. (flüstert) Betti! Betti, meine Liebe, die schönsten Tage meines Lebens verdanke ich dir.

BETTIS STIMME

(ruft) Hella! Hella!

Im Wohnzimmer sind alle Bilder abgehängt und lehnen umgedreht an den Wänden. An einem großen Esstisch, sitzt – wie versteinert – Betti.

FRED

Du wolltest mir nicht glauben, Betti! Ich kann mich bessern! Obwohl die Versuchung nahezu unwiderstehlich war.

BETTI

Du kannst den Brei schon aufsetzen, Hella!

FRED

Hella! Comme des Garçons! Der neue Haarschnitt steht dir ausgezeichnet.

Hella ab.

BETTI

Ich habe Angst um sie, Fred. Jede Nacht bindet sie sich ihre Brust ab, damit sie zusammenschrumpft. Das ist reiner Selbsthass, Fred. Aber wir dürfen nicht in Selbsthass verfallen. Selbst dann nicht, wenn sogar diejenigen, die ihren Namen und ihren Erfolg allein dir zu verdanken haben, plötzlich wie hypnotisiert einem Irren nachplappern, Juden hätten keine Seele, Juden seien andere Menschen, ach was, noch viel hässlichere Sachen. Ich mag es gar nicht aussprechen, Fred.

Was soll nur aus ihr werden, Fred! Sie ist gerade mal zwanzig. Sie hat ihr ganzes Leben noch vor sich. Und sie ist voller Hass.

Warum bist du gekommen, Fred? Ausgerechnet jetzt, wo eh alles vorbei ist. Gott sei Dank es ist vorbei.

FRED

Ich weiß nicht, ob es eine gute oder eine schlechte Nachricht ist: Es geht weiter. Nach sieben mageren Jahren kommen sieben fette.

BETTI

Das hast du schon immer gesagt.

FRED

Fass mich an.

(Betti legt ihre Hand auf die seine.)

Glaubst du, dass ich es bin.

BETTI

Ich bin es müde geworden zu hoffen.

FRED

Betti!

(Betti lächelt ihn an.)

Für dieses Lächeln würde ich die ganze Welt in Brand setzen.

BETTI

Sie ist bereits verbrannt, Fred.

FRED

Siehst du, ich bin nicht mehr von dieser Welt, und trotzdem bin ich hier.

BETTI

Von dieser Welt warst du noch nie, Fred.

FRED

Aber genau dafür liebst du mich doch.

BETTI

Wenn du es sagst –

FRED

Was ist los, Betti!

BETTI

Du fragst mich, was los ist? Schau dich um!

FRED

Wir haben alles verloren, Betti.

BETTI

Wir? Du warst doch gar nicht hier!

FRED

Ich habe das Unmögliche versucht, Betti. Einen Neubeginn in London ohne Eigenkapital, ohne Auslandskonto, ohne Bilder. Für die Art, wie ich gewöhnlich meine Geschäfte abwickelte, war ich in London bereits zu alt, auch wenn die Engländer durchaus ein Faible für skurrile Typen haben.

BETTI

Du meinst deine charmanten Lügen, mit denen du allen den Kopf verdreht hast.

FRED

A terrible optimist. Es gibt nichts Unwürdigeres, Betti, als wenn du plötzlich merkst, die Leute riechen deine Armut. Reichtum kann man gut verstecken, Armut sickert durch alle Hautporen durch.

BETTI

Du hättest hierbleiben und weitermachen können.

FRED

Um welchen Preis! Ich hätte mich von meinen Künstlern lossagen müssen. Das wäre Verrat, Betti. Auch an mir selbst. Vor allem an den Bildern. Zu jedem einzelnen hatte ich eine Beziehung. Wäre es nach mir gegangen, hätte ich kein einziges aus meiner Sammlung verkauft. Wie hätte ich mich davon lossagen können, Betti?

BETTI

Du hast dich von mir losgesagt.

FRED

Das war eine formale Scheidung, um dich und dein Vermögen vor meinem Namen zu schützen. Du weißt besser als ich, Betti, dass es notwendig war.

BETTI

Notwendig?

FRED

Niemand konnte es voraussagen, Betti! Wir dachten alle, der Wahnsinn würde sich bald wieder legen.

BETTI

Nicht alle.

FRED

Aber die, die mit allen Fasern ihres Herzens an Deutschland hingen.

BETTI

(flüstert) Das ist und bleibt unsere Heimat, Fred. Auch wenn sie uns zur Falle geworden ist.

FRED

Komm, lass uns von vorn anfangen! Wir sind auf die falsche Spur geraten. Ich komme herein: Hallo Betti! Ich bin’s! Seit London haben wir uns nicht mehr gesehen. Wie lange ist das jetzt her?

BETTI

Vier Jahre.

FRED

Du fragst, wie es mir in diesen vier Jahren ergangen ist? Wie ist es mir ergangen? Ich bin in den Himmel aufgefahren und sitze zur Rechten Gottes.

BETTI

Fred.

FRED

Der Himmel ist eine unendlich große Wiese und alle lassen tüchtig die Seele baumeln. Überall ist es grün, und alle sind in weiße Tunikagewänder gehüllt. Es hat schon etwas von einer Irrenanstalt. Stell dir vor, alle laufen herum wie Gustav Klimt.

(Betti betrachtet Fred von oben bis unten.)

Ich – nicht. Du kennst mich. Ich laufe nackt herum. Ich bin ein Freigeist.

BETTI

Ich beneide dich, Fred.

FRED

Wofür?

BETTI

Wenn ich das nur wüsste: Wofür?

FRED

Betti.

BETTI

Weißt du noch, unsere Flitterwochen in Paris. In unserer Luxussuite. Ich sehe es noch vor mir. Es klopft, du öffnest. Ein Brief von Papa. Er kündigt die Gütertrennung an. Du schaust dich im Zimmer um, an allen Wänden lehnen Bilder, manche riechen noch nach frischer Farbe. Die Nachricht, du hättest mein ganzes Vermögen in abstruse Gemälde investiert, hat ihn in Angst und Schrecken versetzt.

FRED

Er wollte mir einfach nicht glauben, dass Cézanne, van Gogh und Picasso die einzig sicheren Anlagen seien, die der großen Krise standhalten würden. Und das machte mich rasend. Hätte ich damals noch 100.000 Mark in bar gehabt, hätte ich in einem Jahr das Drei- bis Vierfache verdienen und mir einen Namen machen können, sodass die anderen mehr oder weniger findigen Juden in Dortmund vor Neid erblasst wären! Aber nein! Ihr habt nicht an mich geglaubt!

BETTI

Ich sperrte mich in den kleinen Musiksalon ein, setzte mich ans Klavier und sang, während du und Nils euch den – wie du es nanntest – Adhäsionskräften hingegeben habt.

FRED

Das war viel grandioser als alle Auftritte von Florence Foster Jenkins, Betti.

BETTI

Das hast du damals auch gesagt. Du öffnetest breit die Tür, knöpftest dein Hemd zu und fragtest: „Weißt du, wer Florence Foster Jenkins ist, Betti?“ Dein Ton war so widerwärtig abweisend, dass ich sofort zu weinen anfing.

FRED

Betti.

BETTI

Das wäre die Frau mit dem weisesten Spruch auf dem Grabstein:

„People may say I can’t sing, but no one can ever say I didn’t sing.“

Fred zieht aus einem gegen die Wand gelehnten Bilderstapel ein Ölgemälde hervor, liest die Angaben auf der Rückseite des Bildes.

FRED

Nils von Dardel. Porträt Alfred Flechtheim, 1913. Öl auf Leinwand.

(Fred traut sich eine Weile nicht, das Bild umzudrehen.)

BETTI

Hast du Angst, das Porträt hätte alle deine Laster übernommen?

Fred dreht das Bild um, betrachtet es, sichtbar erleichtert, hält es zum Vergleich neben sich.

FRED

Welchen von beiden würdest du nehmen? (deutet auf das Porträt, dann auf sich) Den oder den?

Hella kommt aus der Küche mit einem heißen Kochtopf in den Händen. Betti lüftet den Topfdeckel ein wenig.

BETTI

Ich hasse Reis.

FRED

Wenn er dir nicht schmeckt, iss ihn nicht.

BETTI

Mit irgendwas muss man das Zeug ja runterbekommen. Auf leeren Magen geht das nicht. Lass den Reis noch etwas quellen, Hella.

(Hella ab.)

Meine liebe kleine Hella!

FRED

Denk nicht daran, Betti.

BETTI

Hella! Wo hast du die Zeitungsmappe versteckt? Sie versteckt alles. Sie will es nicht wissen. Ich habe alles aufbewahrt, Fred. (Betti steht auf, holt die Zeitungsmappe, schlägt eine Seite auf.) Schau mal, da ist ein Foto von dir und darunter steht: „Der Jude, der Großmanager dieser Kunst“.

FRED

Immerhin.

„Der Kunstjude Flechtheim ist erledigt. Der Taumel, der Schwindel der Kunstrevolution ist vorbei. Seine Bilder lagern unverkäuflich im Keller. Seine Firma ging jetzt eben in Konkurs. Es gilt, den ganzen Kunst- Schwindel in Konkurs zu bringen. Das System Flechtheim – Waetzod – Kaesbach ist auszurotten.“

Betti blättert weiter.

„Gequälte Leinwand – Seelische Verwesung – Krankhafte Phantasten (...)“.

Dieser Abteilung kann man nur die Überschrift „Vollendeter Wahnsinn“ geben. Sie nimmt den größten Raum ein und enthält einen Querschnitt durch die sämtlichen Ismen, die Flechtheim, Wollheim und Konsorten im Laufe der Jahre ausgeheckt, gefördert und verramscht haben.“

Betti blättert weiter.

„Wir werden von jetzt ab einen unerbittlichen Säuberungskrieg führen, einen unerbittlichen Vernichtungskrieg gegen die letzten Elemente unserer Kulturzersetzung. (...) Diese vorgeschichtlichen prähistorischen Kultursteinzeitler und Kunststotterer mögen unseretwegen in die Höhlen der Ahnen zurückkehren, um dort ihre primitiven internationalen Kritzeleien anzubringen.“

Betti blättert weiter.

„(...) Wie nichts anderes sonst, liegt Kunst im Blut. Sie macht alle Regungen der blutgebundenen Rassenseele mit und wird so zu einem getreuen Abbild der Rasse. Gleichzeitig aber wird man an ihr auch erkennen, ob der rassische Zustand eines Volkes in Ordnung ist oder nicht. So wird Kunst ein Mittel zum Zweck. Das bedeutet keine Herabwürdigung, viel eher eine Aufwertung, weil somit auch die Kunst dem Volk als dem Höchsten, was es gibt, dient.“

BETTI

Sie werden morgen früh kommen, Fred.

FRED

Denk nicht daran.

BETTI

25 Kilo Gepäck, Abtransport nach Minsk.

FRED

Nicht daran denken, Betti.

BETTI

Ich habe unseren Fürsprecher in der Angelegenheit kontaktiert. Du weißt, was er in all den Jahren für uns getan hat. So konnte ich zu deiner Operation nach London reisen. Und zu deiner Beerdigung. Es war mehr als ein Wunder als Jüdin einen Reisepass zu bekommen. Diesmal hat er nur gesagt: Ich kann nichts mehr für Sie tun. Ganz leise hat er das gesagt. Als ob die Wahrheit dadurch weniger verletzend wäre. (Betti schaut Fred verzweifelt vorwurfsvoll an.)

FRED

Du kennst doch Professor Wormstall, Betti. Den guten alten Professor Wormstall. Er war auch der einzige aus dem ganzen Lehrerkollegium, der gegen meinen Rausschmiss aus der Schule gestimmt hat. Der alte Professor Wormstall fragte mich: „Welchen bürgerlichen Beruf haben Sie ergriffen?“

„Kunsthändler“, antwortete ich. Er schüttelte nur sein greises Haupt und sagte: „Sie stammen doch aus einer so guten und soliden Familie, Alfred.“ (Fred schaut Betti an.) Und Sie haben eine so wunderschöne Frau geheiratet.

BETTI

Das hat er nicht gesagt.

FRED

Er hat dich auch schon lange nicht mehr gesehen. Jedenfalls lässt er dich grüßen.

(Betti lächelt.)

Es ist keinesfalls so, dass ich lüge, Betti. Ich kämpfe mit meiner Fantasie, sie ist aber viel schneller als die Erinnerung. Und manche Tatsachen empfehlen sich ohnehin dafür, aufgehübscht zu werden. Fakt ist, dass ich damals im Getreidekontor in Münster saß und an meinem Testament schrieb.

Die letzte Soirée

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