Читать книгу Perry Rhodan 3135: Fremde aus dem Hypersturm - Arndt Ellmer - Страница 7

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1.

Mars

25. und 26. Juli 2071 NGZ

Die meisten Lebewesen kehren irgendwann an den Ort ihrer Geburt zurück, dachte Alschoran. Wie viele Spielarten dieses Vorgangs gibt es?

Bei ihm war es eher eine Laune, geboren aus seiner momentanen Stimmung. Er kehrte nicht an den Ort seiner Geburt zurück, sondern an den Ort, an dem er sich zum ersten Mal den Menschen gezeigt hatte. Und dort nicht exakt an dieselbe Stelle am Grund des Sirenenmeeres. Sein Ziel lag 1500 Kilometer weiter östlich auf den Hochebenen der Tharsis-Region.

Unter seiner Sextadim-Kapsel THANA zogen die Landefelder von Marsport VII dahin, dem wichtigsten Raumhafen des Planeten. Manche Terraner sprachen von Mars immer noch als dem Roten Planeten. Alschoran wusste, woher der Begriff kam, aber er verstand nicht, warum die Terraner ihn immer noch benutzten.

Manche sind einfach Traditionalisten, dachte er. Es war gut, dass er und die anderen Kastellane da waren, um die Terraner und ihre Verbündeten zu wappnen. Zu oft wirkten sie wie naive Jugendliche auf ihn.

Auf einem großen Gebäude spiegelte sich das Licht der aufgehenden Sonne. In der feuchten Luft brach es sich zu einem Regenbogen.

Über dem gesamten Areal wimmelte es von Gleitern, die landeten und aufstiegen. Die Zahl der Raumschiffe im Parkorbit lag beim Zehnfachen des üblichen Aufkommens.

Alschoran nahm diese Entwicklungen mit Zufriedenheit zur Kenntnis. Die Anordnungen der Kastellane trugen offensichtlich Früchte. Die Vorgänge am Marsport VII zeugten von den Vorbereitungen für den Ernstfall. Die Evakuierung eines Teils der Marsbevölkerung gehörte zum Sicherheitskonzept der terranischen Regierung.

Der Galaktische Kastellan und momentan mächtigste Mann im Solsystem ließ das Gegenüber seiner Sextadim-Kapsel eine Analyse der zahllosen Funkgespräche vornehmen.

Genau wie erwartet, gingen die Ordnungskräfte sehr professionell mit der Lage um: Neue Unterkünfte standen bereit, der Flugverkehr wurde bestens organisiert, die Logistik lief rund. Das schaffte nicht alle Probleme aus der Welt, aber es sorgte für ein Mindestmaß an Sicherheit.

Dennoch mussten Millionen von Menschen ihr Hab und Gut zurücklassen, wurden vorübergehend von Freunden und Arbeitsplätzen getrennt. Aber so waren sie in Sicherheit, wenn es zu Kämpfen kam.

Ein notwendiges Übel, das Alschoran keineswegs auf die leichte Schulter nahm. Es belastete die Bewohner des Mars und des gesamten Solsystems, aber es war ein geringer Preis im Verhältnis zum möglichen Nutzen. Die Anstrengungen auf Terra verdeutlichten auch die Unterschiede der beiden Planeten, denn auf der Erde betraf es hundertmal so viele Bewohner.

Alschoran kannte die Problematik, denn er hatte im Verlauf seines Lebens als Galaktischer Kastellan genug Erfahrungswerte gesammelt. Je größer die Zahl der Betroffenen, um so ungenauer wurden die Zielvorgaben. Bedrohte eine Katastrophe ein ganzes Sonnensystem, lagen die organisatorischen Probleme weit höher als bei einem einzelnen Planeten.

Eine Milliardenbevölkerung in Sicherheit zu bringen, erwies sich auch im aktuellen Fall als unmöglich – wobei galt, dass es sich bislang nur um eine Probe für den Ernstfall handelte. Nur relativ wenige Bewohner wurden tatsächlich evakuiert, meist solche, die einem Umzug eher positiv gegenüberstanden.

Der Kastellan wischte die Gedanken zur Seite und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die an manchen Stellen tatsächlich rötlich schimmernde Oberfläche des Mars und die ausgedehnten Wasserflächen. Er wollte den Planeten unter den Schuhen spüren, auf dem er seinen aktuellen Auftrag begonnen hatte, und den Jungen wiedersehen, der ihn in der ersten Zeit nach seinem Erwachen begleitet hatte.

Der Junge hieß Idris. Idris Ovid. Alschoran hatte ihn in guter Erinnerung.

Zwischen dem Jungen und ihm hatte sich schnell ein Vertrauensverhältnis entwickelt. Sie hätten – ging man nach menschlichen Maßstäben – Vater und Sohn sein können. Idris hatte gelegentlich Formulierungen benutzt, die so etwas andeuteten; als hoffe er darauf, dass Alschoran eine Vaterrolle übernehmen könnte. Vielleicht steckte eine Ähnlichkeit im Aussehen dahinter, oder der Junge vermutete eine Art Seelenverwandtschaft ...

Der Kastellan dachte an eine alte Weisheit, die ihm in der Zeit seiner Ausbildung jemand mit auf den Weg gegeben hatte. Es lag zu lange zurück, als dass er sich an den Namen erinnern könnte, aber die Worte dieses Mannes – ja, es war ein Mann gewesen, daran glaubte er sich zu erinnern – hatte er niemals vergessen: Wenn du etwas über Wesen und Intelligenz eines fremden Volkes erfahren willst, dann beobachte die Kinder.

Seitdem hatte er mit vielen Völkern gearbeitet, und diese Weisheit hatte sich stets bewahrheitet. Kinder waren die Zukunft eines jeden Volkes.

Gemessen an Idris schnitten die Menschen gut ab. Er kannte inzwischen weit unvernünftigere Erwachsene. Idris hatte oft gesprochen, als sei er älter.

Noch fehlten ihm und den übrigen Kastellanen wichtige Informationen, die sich nicht allein aus den Speicherinhalten der Positroniken zusammensetzen ließen. Er konnte nach wie vor nicht einschätzen, wie die Terraner und die anderen Bewohner dauerhaft auf die aktuellen Veränderungen reagieren würden.

Würden sie den Machtwechsel wirklich akzeptieren? Die Tatsache, dass Reginald Bull als Resident abgedankt und Sichu Dorksteiger das Amt als Kommissarische Residentin übernommen hatte? Und vor allem, dass die Kastellane wichtige Ämter als Liga-Kommissare bekleideten – ja, dass sie an den eigentlichen Schaltstellen der Macht saßen?

Die Lage im Solsystem blieb ruhig. Es gab keine Unruhen, keine Konflikte. Einige Menschen protestierten, doch die Mehrheit schien abzuwarten, was geschehen würde.

Ihm stellten sich viele Fragen, doch momentan schob er sie beiseite. Nun war nicht die Zeit, darüber nachzudenken.

Alschoran hob die Tarnung der Sextadim-Kapsel auf. Im selben Augenblick tauchte das tropfenförmige Gebilde zweifellos auf den Ortern und Tastern der Raumhafenüberwachung auf.

Und wie erwartet, meldete sich sofort die Raumüberwachung. »Sextadim-Kapsel THANA«, sagte eine weibliche Stimme. Sie klang verärgert über das unangemeldete Auftauchen, aber die Sprecherin erinnerte sich wohl daran, mit wem sie sprach, und riss sich zusammen. »Willkommen auf dem Mars, Liga-Kommissar. Wie viele Personen befinden sich an Bord?«

»Ich reise allein.«

»Die Sicherheitskräfte stehen dir zur Verfügung. In Zukunft, das erlaube ich mir zu erwähnen, sind wir für eine Anmeldung deines Besuchs dankbar.«

»Ich verstehe. Und ich komme vielleicht darauf zurück.«

Sie antwortete nicht mehr. Es war alles gesagt, was zu sagen war.

*

Im Nordosten tauchte die Silhouette der Hauptstadt des Mars auf, New Pounder City. Die Stadt erstreckte sich über ein Gebiet, das etwas 50 Kilometer durchmaß. Die geschwungen verlaufende Nevada Fields Avenue konnte Alschoran sogar aus der Entfernung erkennen. Sie teilte die Stadt in Nord-Süd-Richtung in zwei Hälften.

Alschoran flog dorthin und folgte dem gewaltigen Straßenzug. Den Anblick der Bauwerke rundum nahm er eher gelangweilt hin – verglichen mit Terrania empfand er die Gesamtarchitektur als gemäßigt und uninspiriert. New Pounder City war groß und modern, die Häuser waren teilweise wuchtig und hoch, aber sie boten keine »Schauwerte«, wie es die Terraner nannten. Er bekam den Eindruck, als ob die Stadt in aller Eile gebaut worden sei, ohne einen weitergehenden Plan, ohne ein Gespür für die Lebewesen, die sie besiedeln sollten.


Illustration: Swen Papenbrock

Allerdings galt das wohl für die meisten Städte im Universum; es war ein unfairer Maßstab. Im Verlauf der Jahre hatte er genügend Städte gesehen, die ähnlich uninspiriert aussahen.

Bald erkannte er das Segel, wie es die Einheimischen nannten. Es ragte knapp über einen halben Kilometer empor. Das wuchtige Gebäude mit seiner Delta-Form bildete den Sitz der Regierung. Immerhin ist das ein interessantes Gebäude, dachte er. Darüber hinaus lockte es mit seinem berühmten internen Wald über sechs Etagen zahlreiche Besucher an.

Alschoran kannte diese Sehenswürdigkeit bereits. Er hatte sie gemeinsam mit Idris besucht.

Fast zwei Monate lag das zurück. Er erinnerte sich so deutlich daran, als sei es erst gestern gewesen. Er fand es selbst erstaunlich, wie sehr die Begegnung mit dem Jungen ihn in der sensiblen Zeit nach dem Erwachen geprägt hatte und wie oft er an ihn zurückdachte.

Am höchsten überragte der Twister die Stadt, das Wahrzeichen von New Pounder City. Im 2100 Meter hohen Turm der Tatcher-a-Hainu-Akademie arbeitete Ludmila Ovid, die Mutter von Idris. Als Direktorin der Akademie wohnte sie zusammen mit ihrem Sohn in dem Turm, so konnte sie leicht von der Arbeitsstelle zur Wohnung und zurück wechseln.

Alschoran wollte ihr einen Besuch abstatten, aber der positronisch gesteuerte Koordinator, den er in seinem Rucksack bei sich trug, erinnerte ihn daran, dass ihm nicht viel Zeit blieb.

»Sag mir, wo ich Idris Ovid finde«, verlangte Alschoran von dem Gerät.

Der Koordinator knüpfte Kontakt zu einem der zahlreichen Steuerzentren der Stadt und stellte eine Anfrage mit höchster Priorität. Alschorans Sicherheitsstufe als Liga-Kommissar tat ihr Übriges, dass rasch eine Antwort kam.

»Idris Ovid ist auf einem Tauchausflug im Roten Fluss oberhalb der Einmündung in das Ius Chasma«, sagte die angenehm modulierte Automatenstimme. Alschoran fand sie zu neutral, aber er wollte sie nicht extra anpassen. »Er ist bei der Sicherheitsüberwachung angemeldet, sein ungefährer Standort ist bekannt. Dort gibt es ein speziell präpariertes Schluchtenbett mit einem großen Fischreichtum.«

Also steuerte der Galaktische Kastellan nach Osten. Der Turm der Akademie blieb hinter ihm zurück. Dafür sah er auf einem der ausladenden freien Plätze eine Menschenmenge, über der ein gewaltiges Holo leuchtete – ein Schriftzug mit der wenig innovativen Aussage Wehret den Anfängen – weg mit den Kastellanen!

Alschoran ließ es den Koordinator rasch überprüfen. Es handelte sich um eine genehmigte Demonstration, die von den Sicherheitskräften im Auge behalten wurde. Bislang verlief alles friedlich.

Auch dieser Anblick blieb zurück, und Alschoran vergaß das Thema. Es war irrelevant. Bald tauchte vor ihm der Garlong-Park auf.

Parallel zur Boris-Siankow-Road überflog die Sextadim-Kapsel die Stadt. Einer launigen Eingebung folgend, wählte Alschoran das Zentrum des Parks, jenen Ort, wo er die THANA nach seinem Erwachen erstmals verlassen hatte.

Dort gab es zwar Bäume, Natur und einen See samt einiger Bäche, aber nicht mehr die holografischen Ergänzungen und Bauwerke, die Idris und die anderen Jugendlichen während seines ersten Besuches entworfen hatten. Alschoran holte sich eine Information aus dem Netzwerk der Stadt. Eine Woche lang hatten die Jugendlichen ihre Kreationen der Öffentlichkeit präsentiert und sie danach endgültig abgeschaltet.

»Aus Sicherheitsgründen«, hieß es. Dahinter steckte offensichtlich das Erscheinen seiner THANA. Damals, vor anderthalb Monaten, waren ihm die Sicherheitsvorkehrungen übertrieben vorgekommen.

Alschoran lernte pausenlos Neues und manchmal Verwunderliches über die Terraner und ihre Zivilisation. Ein eigenartiges Volk in mancherlei Hinsicht, aber er vertraute dem Urteilsvermögen der Superintelligenz ES, in deren Auftrag er unterwegs war. Für ES spielten die Terraner eine wichtige Rolle – wer also war Alschoran, über sie zu richten?

Er landete die Kapsel beim Ostausgang des Parks, neben einer Mauer, die – aus welchen Gründen auch immer – einen Wiesenbereich von einem anderen trennte. Sie war nicht sonderlich hoch. Zwei Terraner saßen darauf, ein Mann und eine Frau, ließen die Beine baumeln und teilten sich eine Mahlzeit im Schatten eines Baumes mit weit ausladender, roter Krone. Gelbe, faustgroße Früchte hingen an den Ästen.

Alschoran entstieg der THANA und setzte den Weg zu Fuß fort. Die Luft schmeckte frisch und ein wenig würzig. Es tat gut, sie zu atmen. Hinter ihm verschwand der marmorweiße Tropfen, seine Sextadim-Kapsel, unter dem Tarnschirm.

Der Kastellan wollte niemanden dadurch verunsichern, dass der Tropfen in der Luft schwebte. Schaulustige könnten sich versammeln, neugierige Journalisten ihre Berichte produzieren – das alles wollte er nicht.

Ein breiter, grasbewachsener Weg führte mit leichtem Gefälle in die Tiefe einer Seitenschlucht der Ius Chasma. In der Ferne dröhnten Maschinen. Alschoran verfeinerte die Instrumente seines Anzugs. Das Dröhnen veränderte sich und wurde zu einem Tosen und Rauschen von Wasser.

Bald stand der Galaktische Kastellan am Ufer des Roten Flusses.

*

Der Aquasuit umgab Idris Ovid wie eine zweite Haut. Er schimmerte hellblau.

Idris träumte vom Abenteuer seines Lebens. Einmal die gesamte Strecke der Valles Marineris durchschwimmen! Einmal Ius Chasma hinter sich lassen und den Anblick genießen, den das sich öffnende Schluchtensystem bot! Unter Wasser weiter vorzudringen, als er es jemals getan hatte.

»Mach es zur Regenzeit«, hatte seine Mutter vorgeschlagen. »Dann füllen sich die Rückhaltebecken der Stadt und die Fluten strömen in die Seitenarme der Ius Chasma. Du schwimmst mit dem Süßwasserstrom bis zum energetischen Damm, wo sich der Fluss in die Borealis Bay ergießt.«

Es hörte sich einfach an, doch es entsprach eher einer Weltreise mit vielen Gefahren. Brüchiges Gestein ... unerwartete Strudel mit tückischem Algenwuchs, der sich um den Körper schlingen konnte ... Geysire aus der Tiefe, deren Wasser unter extremem Druck stand und die sich explosionsartig entluden ... Das klang spannend und gefährlich zugleich. Musste man sich den Gefahren aussetzen?

Idris kam sich vor wie in der Wildnis eines nie entdeckten Planeten. Selbstverständlich hatte er sich beim Sicherheitssystem der Hauptstadt angemeldet, sein Plan war bekannt, und falls er nicht zurückkehrte, würden sich einige Roboter auf die Suche nach ihm machen ... aber unter Wasser, umgeben von den Fluten des Roten Flusses, konnte man das vergessen.

»Das Abenteuer wartet«, sagte er halblaut zu sich selbst.

Er fröstelte in seinem Aquasuit. Die positronische Steuerung regulierte die Temperatur nach oben und forcierte das Tempo, indem sie winzige Aggregate zuschaltete, die in den Flossen eingearbeitet waren.

»Ich will aus eigener Kraft schwimmen«, stellte der Junge klar. Unter der Tauchermaske konnte er sprechen und der Steuerung Befehle erteilen.

»Der Streckenabschnitt ist sehr gefährlich«, warnte die Positronik des Aquasuits. »Möchtest du in die Hauptschlucht wechseln? Sie ist für Individualsportler ohne zusätzliche Schutzvorkehrungen freigegeben. Ich kann dich lotsen.«

»Du willst mich wohl zu den wilden Tieren schicken«, sagte Idris spöttisch.

In der Hauptschlucht gab es exotische Lebewesen, wie er wusste. Man hatte sie im Verlauf der vergangenen Jahre von der Erde hergebracht In den Tiefen der Canyons hatten sie sich ein Refugium geschaffen.

»Die meisten sind menschenscheu«, versicherte die Positronik. »Du kannst ganz beruhigt sein.«

»Ich bin beruhigt«, argumentierte Idris. »Und ich habe ein anderes Ziel. Deshalb bin ich hierhergekommen.«

Spontan fragte er sich, warum er überhaupt mit einer Maschine diskutierte. Er schaltete die Positronik auf stumm. Nichts und niemand – auch keine künstliche Stimme – sollte ihn stören. Er wollte den Moment und das Erlebnis genießen, ehe er Dolchander traf. Er freute sich auf seinen zugegebenermaßen sehr speziellen Freund.

Vorsichtig krümmte sich Idris abwärts, tauchte tiefer und holte mit kräftigen Beinschlägen Schwung. Die Nanooberfläche des hauchdünnen Anzugs verringerte den Widerstand seines Körpers und bescherte ihm 20 Prozent mehr Geschwindigkeit – diesen Luxus gönnte er sich. Flink wie ein Fisch eilte er durch die Fluten, ständig das Kombibild von Radar und Infrarot vor Augen.

4000 Kilometer erstreckten sich die Täler nach Osten, deren Name von der Mariner-Sonde stammte, die vor langer Zeit erste Bilder der Marsoberfläche nach Terra geschickt hatten. Valles Marineris – die Täler Mariners.

Für Idris war es kaum vorstellbar, dass seine Heimat einst ein unbewohnter, toter Planet gewesen war. Er kannte die Geschichte des Mars, wusste um seine wechselhafte Vergangenheit und die Geheimnisse, die sich um ihn rankten. Er wusste, dass er ausgetauscht worden war, dass an seiner Stelle eine andere Welt die Sonne umkreist hatte – und so weiter. Sie interessierten ihn aber nicht so sehr, er orientierte sich mehr an der Gegenwart.

Er richtete seine Aufmerksamkeit auf die Umgebung. Sie hatten diese Stelle vereinbart, denn bis zu diesem Punkt war er bereits öfter geschwommen. Wo steckte Dolchander bloß?

Idris umrundete Lannemanns Acht, eine besondere Gesteinsformation im Boden, vier- oder fünfmal und hielt dabei nach dem halbintelligenten Fischwesen Ausschau. Dort hatten sie sich verabredet, zu einem ihrer regelmäßigen Treffen, und normalerweise tauchte Dolchander pünktlich und zuverlässig auf.

Doch diesmal gab es kein Zeichen; der Dolchfisch ließ sich nicht blicken.

Nach geduldigem Warten lenkte Idris den Schwimmanzug gegen den Strom, wodurch er an Höhe gewann. Zehn Meter reichten ihm. Er schwamm über die Formation im Boden.

Mit dem Scheinwerfer des Anzugs leuchtete er die liegende Acht aus. Im Innern bestand sie aus senkrecht abfallendem Fels, auf der Außenseite hatte die Strömung des Wassers das Gestein abgerundet. Je nach Perspektive erinnerte sie ihn an eine zusammengerollte Schlange.

Idris sank zum Grund und lehnte sich an die Steilwand. Dolchander hielt sich nirgends versteckt. Seltsam! Er wartete ab. Was konnte passiert sein? Seine Gedanken sträubten sich dagegen, an einen Unfall oder Ähnliches zu glauben.

Bei einem Dolchfisch schloss er einen normalen Unfall ohnehin aus. Diese Tiere waren schnell und gewitzt, mit überdurchschnittlicher Sehkraft und phänomenalem Gehör ausgestattet. Eine unerwartete Naturkatastrophe schien eher möglich. Außerdem gab es gewissenlose Unterwasserjäger mit Harpunen und Druckluftgewehren.

Idris beschloss, nicht länger zu warten und auf dem Rückweg nochmals vorbeizuschauen. Er setzte seinen Weg fort, blieb im Ius Chasma und hielt sich in Richtung Sirenenmeer. Dorthin kam er so schnell nicht, es war ein weiter Weg – aber die Richtung stimmte ja. Irgendwann würde er auch in dessen Weiten tauchen.

Das Sirenenmeer bildete einen einzigen großen Ozean, der einen Großteil der Nordhalbkugel des Mars bedeckte. Es reichte bis zum Polareis und nach Westen bis weit über die Region von Olympus Mons hinaus.

Die Unterwasserwelt bot faszinierende Anblicke und Begegnungen mit der reichhaltigen, verblüffenden Tierwelt. Dort war jeder sein eigener Herr, aber viel stärker der Natur ausgeliefert als auf der Landscholle. Je häufiger er tauchte, umso mehr kam sich Idris so vor, als wäre das Wasser sein eigentliches Element.

Plötzlich erhielt er einen Schlag gegen den Rücken.

Es war Dolchander! Der Fisch raste in immer enger werdenden Bögen um ihn, wie in einem überschnellen Karussell. Flossenschlag links vorn, rechts hinten, Rücken vorn, rechts. Dazu Ausschläge mit der Schwanzflosse, die im Ernstfall tödlich sein konnten – Dolchfische waren wehrhaft und mit Stacheln besetzt, die sie wie eine Harpune abschießen konnten.

Nicht jedoch bei Idris – Dolchander kannte ihn gut und wusste, dass er ihm vertrauen konnte. Außerdem schützte ihn sein Anzug zuverlässig.

Dolchander leuchtete in hellem Blau mit rot geschwollenen Kiemen. Er war groß wie ein Terraner, stellte sich auf die Schwanzflosse und ruderte hektisch auf und nieder. Es bedeutete Gefahr.

Bei ihren früheren Treffen hatte Idris Einiges über die Gestensprache der Dolchfische gelernt und ihm umgekehrt etliche Gesten beigebracht, die nur sie beide kannten; ihre ganz spezielle Art der Kommunikation.

Dolchander drehte sich schnell um die eigene Achse. Das Wasser wirbelte und strudelte. Es riss Idris mit sich. Der Junge erhielt noch einen Stoß, der ihn zur Seite kippen ließ. Er fiel kopfüber in eine Höhle, die der Dolchfisch vorher in den Bodengrund gegraben hatte.

Dolchander verbirgt mich vor einer Gefahr!, wurde Idris auf einmal bewusst. Aber vor welcher?

Idris steckte fest. Über ihm prasselten Schlamm und Geröll gegen seinen Aquasuit. Zwei harte Schläge trafen die Beine, als Dolchander das Erdreich festklopfte.

Stille und Ruhe hielten Einzug. Idris steckte fest, in dieser winzigen, in den Boden gegrabenen Höhle – doch er sorgte sich nicht. Erstens versorgte ihn sein Tauchanzug, und zweitens konnte er jederzeit ausbrechen.

Er wartete geduldig und fragte sich, welche Gefahr der Fisch meinte. Lauerte sie in den Tiefen? Oder kam sie von außerhalb?

*

»Kannst du mich hören, junger Freund?«, fragte Alschoran über Funk.

Er erhielt keine Antwort und aktivierte das Flugaggregat in seinem Rucksack. Nun kam er rasch voran, schwebte über den Ufern des Roten Flusses, begleitet vom ständigen Rauschen des Wassers.

Die Landschaft änderte sich. Die Felswände der rechten Schluchtseite ragten in die Höhe, die andere Seite des Einschnitts entfernte sich, blieb aber in Sichtweite. Große Steine ragten aus den Fluten und ließen das Wasser gurgeln.

Vereinzelt sprangen Fische ins Freie und flogen einige Meter durch die Luft, ehe sie wieder untertauchten. Vögel kreisten über dem Fluss und versuchten die Beute zu schnappen, was eher selten gelang.

Alschoran studierte die Daten, die sein Anzug lieferte. Die Seitenschlucht von Ius Chasma war in diesem Bereich zwei Kilometer tief. Flussabwärts hob sich der Boden bis auf wenige Hundert Meter an. Dort sprudelte das Wasser noch weitaus stärker und peitschte in gewaltigen Fontänen nach oben. Die Felsmassen erwiesen sich als ausreichend massiv und widerstanden dem Toben und dem ständigen Druck.

Dahinter öffnete sich die Schlucht zu einem weit geschwungenen Tal, durchzogen von Dutzenden großräumiger Canyons. In ihnen lebten Fische und Amphibien, die ursprünglich von Terra und anderen Welten stammten. Die Positronik hätte ihm auf Wunsch ausführliche Informationen geliefert. Alschoran unterdrückte den Wunsch, sich das alles anzusehen – er wollte einen Besuch abstatten, keinen Biologie-Unterricht nehmen.

Von Idris gab es allerdings keine Spur. Der Junge wäre beim Tauchen ohnehin nicht zu sehen, aber sein Aquasuit müsste sich eigentlich orten lassen, sobald er noch maximal zwei Kilometer entfernt war.

Der Galaktische Kastellan beschleunigte und richtete seinen Blick nach vorn. Weit voraus beruhigte sich das Wasser und bildete einen ovalen See über dem Gebiet von Ius Chasma. Alschoran sah die Topografie der Gegend in einem Holo, das sein Anzug vor ihm projizierte.

Der See folgte dem Verlauf des Schluchtenensembles nach Osten, verengte sich und floss danach wieder als Strom, mindestens doppelt so breit wie im bisherigen Bett. Dahinter wichen die Steilwände zurück und gaben den Blick frei auf die geflutete Tiefebene westlich von Margaritifer Terra.

Alschoran verstand, warum die Menschen diese Region so gern besuchten. Das Sirenenmeer lockte mit Badeinseln und Stränden, vor deren mikroskopisch feinem Rotstaub man sich an windigen Tagen allerdings besser in Acht nahm. Er verstopfte die Poren und förderte Entzündungen.

Idris war aber nicht so weit geschwommen, dafür hätte er Tage benötigt.

Alschoran versuchte es erneut mit einem Funkspruch. »Idris, melde dich! Ich bin in der Nähe.«

Tief unter Alschoran bäumten sich dunkle Schatten auf, Wale oder andere Giganten, die sich zwischen den Kliffen des Tales hindurchzwängten. Er beobachtete sie aus sicherem Abstand. Der Tornister funkte beharrlich weiter, eine Viertelstunde und länger, weiterhin ohne Antwort.

Dann entdeckte der Kastellan etwas – ein Strudel, hervorgerufen durch ein Lebewesen, das sich rasend schnell bewegte, sich ständig im Kreis drehte. Und in dem Strudel ... Energiesignaturen, wie sie ein Tauchanzug emittierte! Konnte das Idris sein? Steckte der Junge fest, war er irgendwie gefangen? Aber warum antwortete er nicht auf die Funkanrufe?

Alschoran tauchte mit den Stiefeln voraus in die Wogen ein. Der Schirm des Anzugs baute sich auf und würde ihn auch unter Wasser schützen.

Das Wasser war an dieser Stelle verhältnismäßig flach. Nur etwa ein Dutzend Meter unter der Oberfläche, nah bei dem Strudel, hielt der Kastellan an. Der Anzug projizierte ein schärfekorrigiertes Abbild der Umgebung auf die Innenseite des nun geschlossenen Helms.

»Idris?«, funkte er.

Das rotierende Wesen stoppte ruckartig, stand nun reglos im Wasser. Alschoran erkannte einen ovalen, stromlinienförmigen und etwa terranergroßen Körper mit einem halben Dutzend Auswüchsen, die an Dornen erinnerten. Einer stieß in seine Richtung. Er zerbrach am Schutzschirm.

Das Fischwesen zuckte, wand sich in offenbarem Schmerz.

Alschoran verlangte von der Positronik eine Identifikation. »Was ist das, und was will das Tier?«, fragte er.

»Ein halbintelligenter Raubfisch«, antwortete der Anzug. »Ein Dolchfisch. Diese Art wurde vor mehr als dreißig Jahren auf dem Mars angesiedelt. Er fühlt sich vielleicht angegriffen.«

Der Galaktische Kastellan setzte die Gravokeule ein, allerdings nicht mit viel Wucht, sondern eher behutsam. Er verpasste der Kreatur damit einen Schlag. Sein Hieb schleuderte das Wesen weg. Eine kleine Wolke aus Blut blieb zurück, die sich rasch verteilte und verschwand. Ungeachtet des hohen Widerstands durch das Wasser trieb der Raubfisch zwanzig, dreißig Meter davon, dann schwamm er aus eigenem Antrieb weiter.

Alschoran richtete seine Aufmerksamkeit nun auf den Boden, auf die Stelle, die der Dolchfisch umkreist hatte. Von dort kamen die Energieanzeigen, die von einem Tauchanzug stammen konnten.

»Idris?«, funkte er erneut. Langsam wurde er doch nervös.

Von unten wurde der Boden aufgebrochen. Augenblicklich bildete sich roter Staub. Er löste sich im Wasser und färbte es.

Ein dunkelblauer Fleck kam zum Vorschein. Alschoran erkannte die Wölbung eines Anzugs; es war eindeutig ein Aquasuit. Wenig später glitt Idris aus einer kleinen Höhle, in die er sich offenbar gezwängt hatte.

»Alschoran!«, rief der Junge erfreut über Funk. »Ich hatte den Anzug komplett stumm geschaltet, um mich auf die Natur und das Treffen mit Dolchander konzentrieren zu können. Er hat mich vor einer Gefahr gewarnt.«

»Die Gefahr ging wohl eher von diesem Raubfisch aus!«, sagte Alschoran. »Der Fisch hat mich angegriffen. Und dich eingesperrt!«

Idris lächelte durch die Helmscheibe Alschoran an. »Nicht eingesperrt. Dolchander wollte mich vor einer unbekannten Gefahr schützen.«

Alschoran überlegte. Das Verhalten des Wasserbewohners erschien ihm nicht vertrauenerweckend. Er sagte nichts, sondern wartete die weiteren Aussagen des Jungen ab.

»Dolchander hatte mich eingegraben«, ergänzte Idris. »Ich hätte jederzeit das Gefängnis verlassen können. Was ich am Ende ja auch getan habe.«

Alschoran rief weitere Daten über die Dolchfische ab. »Mir sah das eher nach einer Brutzeremonie aus. Vielleicht hatte er sogar vor, die Höhle besser zu verschließen, damit du gefangen bleibst und am Ende als Nahrung für den Nachwuchs dienst.«

Idris schwieg. In seinem Gesicht arbeitete es. »Das kann ich nicht glauben. Er ist mein Freund! Wir kennen uns.«

»Er ist ein Tier«, widersprach Alschoran. »Halbintelligent ist er sicher ... aber er bleibt doch ein Raubtier!«

Der Junge ächzte. »Dann hast du mir vielleicht sogar das Leben gerettet?«

»Sieht so aus. Der Fisch hat aber auf jeden Fall überlebt, ich blieb eher sanft und wollte ihm nichts ernsthaft antun. Bestimmt kommt er irgendwann zurück.«

»Ich muss den Vorfall wahrscheinlich melden. Die Systeme von New Pounder City werden sich darum kümmern. Und trotzdem ... Dolchander tut mir leid.« Idris hustete. »Vielleicht muss man ihn künftig stärker beobachten, damit er keinen Unsinn anstellt.«

»Er ist kein Mensch«, sagte Alschoran kühl.

»Aber sie werden ihn vielleicht in eine andere Umgebung umsiedeln, ohne nach seiner Familie zu fragen. Vielleicht kommt er auf eine andere Welt.«

Alschoran lauschte dem Tonfall nach. Der Junge zeigte soziales Bewusstsein für alle Lebewesen, nicht nur für Intelligenzen – und das, nachdem er selbst in Gefahr gebracht worden war. Dieses Verhalten beeindruckte den Kastellan. Terraner waren offenbar zu großen Taten fähig.

Er entschloss sich zu einem offenen Lächeln und streckte Idris die Arme entgegen. »Begleitest du mich? Wir haben zu reden.«

Idris reichte ihm die Hände. Die Handschuhe seines Anzugs glitten ohne Widerstand in die Blase des Schutzschirms. Der Griff war kräftig.

Alschoran zog den Jungen komplett in den Schirm, beschleunigte und flog aus dem Wasser, hin zum Ufer. Er landete bei den Klippen, wo sich Seitenarme öffneten.

»Ich habe viele Fragen«, sagte Alschoran.

»O ja, ich auch!«

*

»Wieso hattest du ein Ultimatum gestellt?«, fragte Idris später, nachdem sie einen guten Platz zum Sitzen gefunden hatten.

Sie lehnten bequem gegen glatt geschliffene Felsen, die Sonne schien in ihre Gesichter. Unter ihnen lag der Canyon, das Wasser plätscherte an dieser Stelle sanft.

»Bist du ein Gegner der Menschheit?«, fragte er weiter. »Der Vorbote einer Invasion?« In den Fragen lagen tiefer Schmerz und Enttäuschung.

Die Emotionen des Jungen bedrückten Alschoran. Mit unbequemen Fragen war er in den letzten Tagen oft konfrontiert worden, aber nicht durch einen Freund. Und genau das, begriff er, sah er in Idris.

»Meine Aussage und Forderung wurde als Ultimatum verstanden, weil ich es kurz und prägnant formuliert hatte«, antwortete er mit Bedacht. »Es sollte der Menschheit vor Augen führen, wie wichtig unsere Aufgabe ist. Wir müssen gemeinsam die Milchstraße gegen das Vordringen des Chaoporters wappnen, und das erfordert absolute Präzision und absoluten Einsatz. ES hat uns vor langer Zeit berufen. Du weißt, dass wir Kastellane immer wieder für Jahrhunderte oder Jahrtausende schlafen und nur in Momenten höchster Not erwachen. Wir müssen uns um dieses Problem kümmern, müssen mehr über dieses Gebilde namens FENERIK erfahren und uns vorbereiten. Um zu helfen. Das Ziel ist am Ende, die Menschheit und die ganze Galaxis zu retten, sie vor einem schrecklichen Untergang zu bewahren.«

Der Junge packte einen Stein und schleuderte ihn ins Wasser. »Was geschieht mit uns und der Milchstraße?«

»Niemand weiß es. ES nicht, wir Kastellane nicht. Aber etwas hat uns geweckt, uns in den Einsatz geschickt. Wir sind also hier, um die Menschheit und das Solsystem vor dem Untergang zu bewahren.«

»Reginald Bull hat das Solsystem verlassen, nachdem er als Resident abgedankt hat.« Idris druckste ein wenig herum. »Fürchtet er um sein Leben? Ich meine, er ist doch einer der Leute, die die Menschheit immer beschützt haben.«

Alschoran dachte über die Antwort nach. Ein Krebs huschte seitwärts an seinen Füßen vorbei. Das Tier verschwand lautlos im nahen Wasser.

»Bull möchte seinen Namen nicht mit den Umwälzungen in Verbindung gebracht wissen«, sagte er vorsichtig. »Kennst du das? Wer will sich hinterher schief anschauen lassen wegen angeblicher Feigheit?«

»Ich glaube, Reginald Bull ist das egal. Eher denke ich, dass es mit der Prägung seines Zellaktivators zu tun hat. Dieses chaotarchische Moment. Vielleicht fürchtet er, nicht gegen den Chaoporter vorgehen zu können, wenn es hart auf hart kommt. Oder dass er von ihm beeinflusst wird.«

Alschoran holte tief Luft. »Idris, Idris!«

»Rede ich Unsinn?« Der Junge sah ihn verwirrt an. Sah er in ihm wieder den Ersatzvater?

»Ganz im Gegenteil. So viel Sinn, und das in deinem Alter. Du weißt viel. Manchmal viel zu viel. Die Lage auf Terra und im gesamten Solsystem sowie der Liga, wie schätzt du sie ein?«

»O je!« Idris wandte sich ab. »Ich ... willst du es wirklich hören?«

Alschoran beobachtete, wie der Junge den Blick in die Ferne richtete, nach Norden, wo irgendwann das Sirenenmeer kommen würde. »So schlimm?«, fragte er nach.

»Wohl nicht. Die meisten Terraner akzeptieren dich nicht als ihren Herrscher. Du wirst als Fremdkörper betrachtet. Ja, manche fürchten dich, weil sie dich nicht so kennen, wie ich dich kenne. Du bist neu im System, und deine neue Macht wird von vielen Menschen als Bedrohung gesehen.«

»Ich bin kein Herrscher. Sichu Dorksteiger ist die neue Residentin, ich bin lediglich ein Liga-Kommissar und ...«

»Du hältst die Fäden in der Hand«, unterbrach Idris. »Das weiß jeder, sogar wir Jugendlichen bekommen das mit. Du bestimmst, was geschieht und welche Ressourcen wie eingesetzt werden! Oder leugnest du das etwa? Sogar mir gegenüber?«

»Red weiter!«, forderte Alschoran, ohne sich zu rechtfertigen.

»Die allgemeine Stimmung ist schwer zu beschreiben. Bedrückt, aber nicht chaotisch, wenn du mich fragst. Manche haben Sorgen, doch die meisten leben einfach ihr Leben weiter. Meine Freunde zum Beispiel. Sie sagen, sie können ohnehin nichts an der Gesamtlage ändern, auch wenn sie sich verkriechen. Mir geht es ähnlich.« Idris lachte. »Ich war tauchen, schon vergessen? Nicht gerade das, was man tut, wenn man vor Angst zittert.«

»Aber es geht nicht allen so?«, fragte Alschoran.

Idris schüttelte langsam den Kopf. »Ich habe überall das Gefühl, dass die Leute nur auf das kommende Unheil warten. Man schiebt es trotz dieses Unwohlseins oft von sich weg ... und vielleicht habe ich das auch getan. Keine Ahnung! Ich glaube jedenfalls nicht, dass sich viele durch euch Kastellane direkt bedroht sehen. Es gibt ein paar Demonstrationen, soweit ich weiß.«

Alschoran dachte an die Menschengruppe und das Holo, das er kurz gesehen hatte. »Gibt es«, sagte er. »Nichts Nennenswertes. Es gibt keine Gewalt, die Leute bleiben trotzdem diszipliniert.«

»Überall in den Netzen findest du Diskussionsforen, Shows, Wettbewerbe. Es geht darum, wie lange es dauert, bis es losgeht. Ich habe gesehen, dass NATHAN eine Auswertung der öffentlichen Äußerungen gemacht hat. Im Ernst, Alschoran – wusstest du, dass es übermorgen losgeht?«

»Übermorgen? Was genau meinst du?«

Idris lachte, doch es klang humorlos. »Wahrscheinlich wollen viele, dass die unklare Lage bald vorbei ist.«

Alschoran spürte ein Brennen im Hals. Es lag ihm fern, die Ergebnisse solcher Shows überzubewerten, aber er empfand Mitleid. Mit der Menschheit. Mit Idris vor allem.

»Eine verzwickte Situation, oder?«, fragte Idris weiter. »Ich glaube, so etwas gab es noch nie. Also ... euch. Fremde, die auftauchen und von ES gesandt sind. Ihr wollt helfen, aber ... es ist so unklar. So ...« Er atmete tief aus. »Ich kann es nicht in Worte fassen. Ich vertraue dir, weil ich dich kenne. Das gilt allerdings nicht für die ganzen Leute dort draußen!«

»Die Lage erfordert die Anwesenheit sämtlicher Kastellane. Ich habe ein Problem, Idris. Zwei von uns sind noch nicht eingetroffen. Wir wissen nicht, was sie aufhält und wo sie stecken.«

»Vielleicht sind sie näher beim Chaoporter.«

»In Cassiopeia?« Idris' Überlegung war tatsächlich ein interessanter Gedanke, wenngleich Alschoran sich das nicht weiter vorstellen wollte. »Kaum, aber ...«

»Du bist aufgeregt.«

»Es geht mir alles zu langsam voran. Die Vorbereitungen laufen erst an. Idris, hör zu! Die fehlenden Kastellane sind Verind Nott mit ihrer Kapsel YDUA und Amamu Empu mit der PROPA. Dieses Wissen sollte alle im Solsystem interessieren. Ich werde dazu sicher einmal wieder eine Pressekonferenz geben müssen. Aber du kannst das auch mit deinen Freunden und Bekannten diskutieren. Für mich war es nun gut, dich zu sprechen. Nun wartet ein Treffen mit Sichu Dorksteiger auf mich. Wo soll ich dich hinbringen?«

»Nach Hause. Für heute habe ich vom Tauchen genug.«

Perry Rhodan 3135: Fremde aus dem Hypersturm

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