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Tour 2: Altbauparadies und stille Winkel pur

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Entdeckertour durch das traditionsreiche Arbeiter- und Weingärtnerquartier Heslach

Diese kurzweilige Rundwanderung führt uns durch den innerstädtischen Stadtteil Heslach mit seinem dörflichen Kern und sehenswerten historischen Arbeiterquartieren. Wir begegnen dabei ganz unerwarteten architektonischen wie auch geschichtlichen Highlights.

Kurzinfo

Tourenlänge: 4,5 km

Höhenunterschied: 125 m

Gehzeit: 2 Std.

Tourenstart: Stadtbahnhaltestelle

Erwin-Schöttle-Platz, Ul, U14

Tourenende: Stadtbahnhaltestelle

Erwin-Schöttle-Platz, Ul, U14


Die Rundwanderung beginnt am Erwin-Schöttle-Platz. Überragt wird er vom „Heslacher Dom“, genauer gesagt von der 1876 bis 1881 nach Plänen von Andreas Nölle erbauten Matthäuskirche (1). Dadurch ist der Platz auch gut von der Ferne auszumachen. Im Gegensatz zum quirligen Leben auf dem nur einen Steinwurf entfernten Marienplatz lebt es sich hier eher beschaulich. Man trifft sich aus den umliegenden Häusern zum Quatschen, spielt Boule oder genießt die Sonne auf einer der Parkbänke um den plätschernden Brunnen mit dem „Heslacher Hocker“, der einen Weinkrug in der Hand hält. Er ist ein Werk des Bildhauers Hermann Christian Zimmerle und erinnert an den hier verdolten Nesenbach und den Heslacher Weinbau.

Vor 1990 sah das hier ganz anders aus: Der Heslacher Tunnel war noch nicht gebaut und der Verkehr donnerte fast ohne Unterlass um die damals rußgeschwärzte Kirche. Die abgasgeschwängerte Luft war kaum auszuhalten. Inzwischen prägen wieder Bäume und die erfrischende Brunnenanlage das Bild. Jüngste Renovierungsarbeiten verwandelten das imposante Gotteshaus auch innen wieder in ein Schmuckstück. Wir queren die Schreiberstraße und verlassen den Platz in nordwestliche Richtung über die Schickhardtstraße. In der Kurve steigen wir die lauschige Helene-Schöttle-Staffel bergauf und kommen dabei am 1894 erbauten Saal mit Biergarten der früher sehr angesagten Heslacher Gastwirtschaft Frank vorbei, heute Teil des Heslacher Generationenhauses. Bald erreichen wir die Gebelsbergstraße und halten uns links. Wir spazieren die ruhige Wohnstraße, anfangs einfach Obere Straße genannt, mit einigen interessanten Aussichtspunkten weiter. Nach dem Komplex der traditionsreichen Stuttgarter Hofbräu-Brauerei (2), aus der immer mal wieder der typische Maische-Brauereigeruch herausdünstet, wählen wir die Seidenbergstraße. Sie führt uns links hinunter in den alten Kern des einstigen Weinbauerndorfs Heslach. Ältere Fachwerkhäuser neben gründerzeitlichen Mietshäusern und neueren Wohnbauten bilden unten am Ritterstüble ein heimeliges Plätzchen. Zu den ältesten Wohngebäuden Stuttgarts zählt das Wengerterhaus Hasenstraße 11, das noch aus der Zeit vor 1600 stammt.

Cafés, Gartenlokale

Vereinsheim der Gartenfreunde Stuttgarts, Kelterstraße 58 (Tel. 640 83 58), www.vereinsheim-gartenfreunde-heslach.de: Vereinsheim mit gemütlichem Biergarten. Schwäbische und Balkan-Küche. Montag Ruhetag.

Café Schurr, Böblinger Straße 85 (Tel. 60 43 51), www.konditorei-schurr.de: Traditionsreiches Heslacher Café mit leckerer Auswahl an hausgemachten schwäbischen Kuchen und Torten. Plüschig-gediegenes Ambiente und gemütliche Gartenterrasse. Das familiengeführte Café ist inzwischen eine Rarität in Stuttgart und liegt wenige Gehminuten vom Erwin-Schöttle-Platz in der Böblinger Straße (stadtauswärts). Täglich geöffnet.

Südlage, Wolffstraße 3 (Tel. 620 00 88) www.suedlage-stuttgart.de: Nettes Restaurant und Café mit schönen Außensitzplätzen am Erwin-Schöttle-Platz. Gute italienische Küche mit wechselnden Mittagsgerichten, Kaffee und Kuchen. Täglich geöffnet, samstags erst ab 18 Uhr.


Erfrischende Brunnenkunst: Der Heslacher Hocker

Hier kann man sich noch die Entstehung der alten Geschichte vorstellen, wonach die Heslacher Herzog Ulrich 1518 auf der Flucht verraten haben sollen. Danach mussten sie zur Strafe beim Kirchgang blaue Strümpfe tragen und haben seither den Spitznamen „Blaustrümpfler“. Weiter geht es die Hasenstraße nach rechts, und wir verlassen den alten Dorfkern beim dornröschenartig eingewachsenen „Theater am Faden“ über die frühere Dorfstraße – ein beschaulicher Winkel. In der Gebelsbergstraße geht es kurz nach links in die Benckedorffstraße. Direkt bei der öffentlichen Friedhofstoilette durchschreiten wir das Tor und streifen links hoch durch den herrlich eingegrünten Heslacher Gottesacker.

Heslacher Friedhofs- und Kirchengeschichte

Bis 1798 befand sich der Heslacher Friedhof am Bihlplatz, dem früheren Ochsenplatz und alten Zentrum von Heslach, wo auch die Kirche stand. Ursprünglich war diese eine im 15. Jahrhundert erbaute Wallfahrtskapelle „Unserer Frauen zu Heslach“. Es wird erzählt, dass sie 1542 im Auftrag von Herzog Ulrich abgerissen wurde, um die trotz Reformation nicht enden wollende Wallfahrt zu stoppen. 1554 baute man dort eine neue Kirche, die später durch die großstädtische Matthäuskirche weiter östlich ersetzt wurde. 1931 schufen Bauleute die wuchtige evangelische Kreuzkirche (Architekt: Rudolf Behr) am jetzigen Friedhof. Auffälligstes Gebäude im heutigen Friedhof ist die Grabkapelle von Benckendorff, das kleine „Heslacher Taj Mahal“ (3). Der 1785 in St. Petersburg geborene Graf und spätere russische General Konstantin von Benckendorff ließ dieses Mausoleum für seine 1823 verstorbene Frau Natalia (geb. von Alopaeus) errichten. Als Architekt wählte er Giovanni Salucci, der zur selben Zeit mit der Grabkapelle auf dem Rotenberg beschäftigt war. Das Mausoleum erhielt die Form einer griechischen Rundtempels mit Kuppel und zwei ionischen Säulen. Innen befinden sich von J. H. Dannecker modellierte Marmorbüsten des einstigen Liebespaares. Über dem Portal ließ von Benckendorff aus inniger Liebe zu seiner nur 27 Jahre alt gewordenen Gattin die Inschrift „NUR SIE“ anbringen. Nach seinem Tod 1828 wurde er neben ihr beigesetzt. Wer sich ein bisschen umschaut, findet noch weitere bedeutende Grabmäler wie das von Conrad Haußmann, dem Vizepräsident der Weimarer Nationalversammlung, oder das des württembergischen Reichstagsabgeordneten Karl Kloß (SPD), dessen Trauerfeier 1908 am Krematorium im Pragfriedhof stattfand. Vom Trauerzug des populären Politikers wird erzählt, dass die ersten Trauergäste im Pragfriedhof eintrafen, als die letzten erst hier das Tor verlassen hatten.

Wir gehen am Mausoleum vorbei und verlassen den Friedhof wieder durch ein Törchen direkt oberhalb der Kapelle. Auf dem Treppenweg halten wir uns rechts und wandern anschließend die Hohentwielstraße weiter nach links. Schließlich erreichen wir die Elsterstaffel. Sie bringt uns mit schönem Blick auf die unterhalb liegenden, gründerzeitlichen Altbauten hinunter in den Stadtteil Südheim.

Nach Querung der Böblinger und Möhringer Straße mit den Gleisen der Stadtbahn schlendern wir die Neugereutstraße weiter. Sie ist sicherlich eine der charaktervollsten Straßen im Arbeiterviertel Südheim. Die Fassaden der vier- bis fünfstöckigen Mietshäuser sind schön verziert, aber nicht überladen. In der Burgstallstraße, in die wir jetzt einbiegen, ändert sich dies: Die Häuser stehen dicht an dicht, die Klinkerfassaden sind schnörkellos und einfach, dahinter Höfe mit Schuppen. Der Straßenname erinnert an eine frühere Höhenburg, von der heute fast nichts mehr zu sehen ist. Sie lag rechts oben über dem Gebiet Lerchenrain. Bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts plätscherte hier an der Straße noch der Nesenbach: Er diente den Anwohnern – Arbeiter und kleine Handwerker – anfangs zur Versorgung mit Wasser, wurde aber bald zum Abwasserund Müllentsorgungskanal. Schließlich verschwand er im Hauptsammler der Stuttgarter Abwasserkanalisation. Jüngste Forderungen, ihn wieder an die Oberfläche zu bringen, scheitern vor allem an den Kosten, weil das Bachwasser dann getrennt vom Abwasser gesammelt werden müsste. Wir queren die Müllerstraße – sie erinnert noch an die einstige Karlsmühle – und spazieren weiter. In der Benckedorffstraße gehen wir nach rechts und kommen über die Staffeln hoch zur Hahnstraße, wo wir uns links halten. Auch dieser charmante Teil Heslachs hat den letzten Krieg und die Bauwut der 1960er- und 1970er-Jahre einigermaßen glimpflich überstanden und wird wie der ganze Süden als Wohnort immer beliebter. Sind auch die Fassaden der alten Arbeiter- und Handwerkerhäuser eher zurückhaltend dekoriert, so besticht das Quartier doch sehr durch seinen fast noch geschlossenen Altbaubestand.

Nach einigen Schritten biegen wir zuerst nach rechts in den Lerchenrain und dann gleich wieder links in den Böhmisreuteweg ein: eine besonders lauschige Ecke, in der noch einige schmucke Vorgärtchen erhalten geblieben sind. Besonders hübsch ist das Haus Nr. 45 aus dem Jahr 1902 mit seinem extravaganten Jugendstilsteinbogen in anthroposophisch angehauchter Neogotik. An der Kelterstraße halten wir uns wieder rechts. Der Straßenname erinnert an die nicht mehr existierende Heslacher Kelter, die 1724 hier gebaut und bis 1897 genutzt wurde. Nach kurzer Zeit kommen wir unterhalb der schmucken Lerchenrainschule vorbei. Von den Architekten Paul Bonatz und F. E. Scholz geplant, entstand sie 1908/09 als modernstes Heslacher Schulzentrum mit Schülerbad, Frühstücksabgaberaum und Schulküche. Unten befand sich die katholische, darüber die evangelische Volksschule und im Obergeschoss war eine Mädchenmittelschule. Alle Stockwerke hatten eigene Rektoren – für die damalige Zeit äußerst fortschriftlich. Im Herbst 1943 musste der Schulbetrieb wie in vielen deutschen Großstädten eingestellt werden: Der Hauptbau beherbergte nun Wehrmachtsstäbe, in der Turnhalle lebten Kriegsgefangene, und ganze Schulklassen evakuierte man in abgelegene Ortschaften. Heute befindet sich hier eine Grund- und Werkrealschule, die für ihre zahlreichen innovativen Schulprojekte bekannt ist. Wir spazieren geradeaus weiter und erreichen Schrebergärten mit dem Vereinsheim der Gartenfreunde Stuttgarts, eine erste Einkehrmöglichkeit bei gutem Wetter. Vom Weg aus genießen wir schöne Ausblicke auf den Weinberg links oben am Schnarrenberg, letzter Rest der früher ausgedehnten Weinberglandschaft um Heslach. Im Wald angekommen, queren wir die hier übertunnelte, stark befahrene Karl-Kloß-Straße und wandern den Waldweg oberhalb eines Regenrückhalteteiches geradeaus weiter. Hinten in der lauschigen Klinge queren wir den Dornhaldenbach und der Weg schwenkt nach links, Richtung Heslach. Wir passieren kurz eine neu angelegte Mountainbike-Downhill-Strecke und folgen dem asphaltierten Weg talwärts. Etwas weiter unten biegen wir links ein und spazieren auf einem Fußweg durch einen Park bis zu einem größeren Spielplatz, wo wir uns rechts halten. Hinter dem Spielplatz sehen wir einen Kindergarten, an dem links ein Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg angebaut ist. Der längliche Klotz aus Stahlbeton entstand 1941 für rund 1.000 Schutzsuchende und hat zwei Stockwerke, ein fensterloses liegt unter der Erde. Nach dem Krieg waren in seinen feuchten und oft lichtlosen Räumen für einige Jahre rund 55 Frauen untergebracht, die in der ausgebombten Innenstadt keine Bleibe mehr hatten. In der Eierstraße halten wir uns kurz links und erreichen im Zechweg das sogenannte Eiernest (4). Weiter geht‘s durch den Habichtweg. Mit seinen kleinen, eng geduckten Häuschen, den niedlichen Eingangstüren und kleinen Gärtchen entlang der beschaulichen Wege fühlt man sich wie auf dem Dorf – und das mitten in Stuttgart.

Im Sperberweg halten wir uns links, in der Liebigstraße wieder rechts und folgen dann der wieder großstädtischer wirkenden Schreiberstraße talwärts. Direkt an der Ecke, links, befindet sich hinter der etwas seltsamen Fassade von Gebäude Nr. 44 der 1941 erbaute Schreiberbunker. Seine fetten Mauern boten damals rund 1.100 Anwohnern Schutz und sorgen heute für Ruhe vor den dort probenden Musikbands. Blicken wir in der hübschen Dornhaldenstraße nach rechts, sehen wir noch die 1909 und 1922 nach Plänen von André Lambert und Eduard Stahl errichteten Bauten des 1914 gegründeten „Contessa Camerawerks“, ab 1919 Contessa-Nettel AG und später Zeiss-Ikon AG. Sie haben den Zweiten Weltkrieg als einziges Zeiss-Werk unzerstört überstanden. Das Werk war lange einer der wichtigsten Arbeitgeber in Heslach und schloss 1973. Den Abschluss der Straße bildet der zweckmäßig gebaute Funktionstrakt des Marienhospitals. Es geht weiter bergab und wir erreichen den Erwin-Schöttle-Platz, wo unsere Tour endet. Wir kommen hier direkt an der tagsüber meist geöffneten Matthäuskirche vorbei. Wenn auch die Innenausstattung und viele Malereien verloren gingen, so ist das schön renovierte Meisterwerk der Neoromanik und -gotik auf jeden Fall eine Besichtigung wert.

Eiernest

Die Siedlung mit 176 einstöckigen Reihenhäusern entstand 1926 im Rahmen eines städtischen Wohnungsbauprogramms für arme Arbeiterfamilien und ist eine der am besten erhaltenen ihrer Art in Stuttgart. In der von Stadtbaurat Albert Pantle geplanten Siedlung gibt es drei Haustypen: den Zweizimmertyp mit 54 m2, den Dreizimmertyp mit 58 m2 und den Vierzimmertyp mit rund 60 m2. Anfangs lebten dort oft Familien mit bis zu zwölf Kindern, und man kann sich die drangvolle Enge unschwer vorstellen. Alle entstanden als Holzkonstruktion in Leichtbauweise, um sie wieder ohne Aufwand entfernen zu können. Damals dachte man an ein Provisorium, das heute aber niemand mehr missen möchte. Die Gebäude gehörten lange der Stadt, werden aber seit 2004 an Privatpersonen verkauft. Der eigentümliche, aber irgendwie passende Name stammt von einem seit 1304 bekannten Gewannnamen in dieser Gegend, der auf „Arnnest“ (Adlernest) zurückgehen soll. Da viele der Bewohner im angrenzenden Zeiss-Ikon-Camera- und Optikwerk „Contessa“ beschäftigt waren, sprach man auch lange von der „Zeiss-Siedlung“.


Meisterwerk des Historismus: die Matthäuskirche

Nach der Kirche gelangen wir rechts zum Café Restaurant Südlage, einer netten Einkehrmöglichkeit am Ende unserer Tour.

Stadtwanderführer Stuttgart

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